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Die Pfützen schreien

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29.08.2003
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Die Pfützen schreien

Er liebt den Regen. Dann kann er in den Pfützen herumspringen. Wenn er danach die Wohnung betritt, nass und schmutzig, weicht er meinem Blick aus – er glaubt immer noch, dass ich ihn dann nicht sehen kann -, weil er davon überzeugt ist, dass er in meinen Augen Vorwürfe finden würde. So kann er nie sehen, dass ich lächle, wenn er in die Wohnung schleicht, nass und schmutzig. Und liebenswert. Er kennt mich nicht.

Er schläft nie gut. Dann wälzt er sich im Bett herum. Dabei verliert er sein Haarband. Einmal erzählte er mir, dass er in seinem ganzen Leben noch nie einen schönen Traum gehabt hätte. Ich glaube ihm. Er hat Angst vor dem Einschlafen, und er fürchtet sich vor dem Aufwachen. „Du machst mir den Morgen erträglich“, sagt er. Ich wünschte, ich könnte ihm glauben.

Er liebt Musik. Ich mag es, zuzuhören, wenn er mir neue Lieder vorspielt. Am Morgen bleibt die Anlage stumm. „Zu dieser Tageszeit gefällt mir nichts. Ich kann da keine Musik hören.“ Die Vorhänge bleiben den ganzen Tag zu. „Die Sonne bereitet mir Kopfschmerzen“, sagt er. Er geht gern aus, aber er tanzt nicht. „Geh allein“, sagt er. „Ich mag es, dir beim Tanzen zuzusehen.“ Ich mag es, aus den Augenwinkeln zu beobachten, wie er mich dabei ansieht.

Er spielt immer mit seinen Zigaretten. Minutenlang hält er sie in seinen Händen, bevor er sie anzündet. Ich muss mir dabei das Lachen verhalten, weil ihm selbst diese Eigenart noch nicht aufgefallen ist. Auch will ich immer neben ihm sitzen, denn seine Lippen sehen von der Seite so schön aus, wenn er den Rauch seiner Zigarette ausbläst. Manchmal habe ich das Gefühl, er bläst mich von sich weg.

Er lässt mich oft warten. Manchmal ein halbes Jahr. „Ich wartete ein ganzes Leben lang“, sagte er einst. Ja, ich auch, dachte ich. Aber das weiß er nicht. Er weiß so Vieles nicht.

Er hält immer meine Hand. Ich wünschte, ich hätte seine festgehalten. „Ich lass dich nie mehr los“, sagt er und ich kann ihm nicht glauben. Er hätte sich selbst halten sollen.

Es regnet. Die Pfützen schreien nach ihm, doch er hört nicht. Er ist müde. Er spielt nicht mit seiner Zigarette, er zündet sie sofort an. „Ich hab versucht, dich zu lieben“, sagt er und weicht meinem Blick aus, da er bis heute glaubt, ich kann ihn dann nicht sehen. Ich gehe neben ihm und sehe seine Lippen, die mich wegblasen...

 

hey ihr...
wäre ganz lieb, wenn jemand was dazu sagen könnte...

baba, kardia

 

Hi

Hm, eigentlich ist dein Text eher eine, wenn auch sehr liebevolle, Charakterisierung. Wenn man ein Auge zudrückt und dafür mit dem anderen doppelt genau hinguckt kann man allerdings die minimale Handlung erkennen: Die Protagonistin findet heraus, dass der Pfützenmensch sie nicht liebt ;)

Dein Stil hat mir ausgesprochen gut gefallen, habe mich da etwas an meinen eigenen erinnert gefühlt, da du auch mit kurzen Sätzen arbeitest und dabei sehr schöne Bilder erzeugst.
Lieblingsstelle:
"So kann er nie sehen, dass ich lächle, wenn er in die Wohnung schleicht, nass und schmutzig. Und liebenswert."


"weil er davon überzeugt ist, dass dieser Vorwürfe in sich trägt." klingt nicht flüssig, das sag ich aber nur, weil ich glaube, dass dir auch bessere Lösungen einfallen.

Die Beziehung der beiden wird mir auch nicht ganz klar, einerseits wird ihr Gefühl, dass er sie "wegbläst", also zurückweist, am Schluss bestätigt, aber sie bleibt offenbar trotzdem bei ihm.
Obwohl sie ihm nicht immer glauben kann ("Ich wünschte, ich könnte ihm glauben").

Etwas mehr Länge hätte mMn nach nicht geschadet.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo Wolkenkind!

Ich bin sehr dankbar für deine Antwort.
Deine Lieblingsstelle ist auch die meinige.
Ja, die Vorwürfe... Ich weiß, der Satz ist nicht gerade gut, ich wollte nur die Wortwiederholung von "mein Blick" vermeiden. Hm. Ich werde das ändern.

Zur Beziehung der beiden: Ja, sie bleibt bei ihm. Obwohl bzw. weil sie ihm nicht glauben kann. Sie hält nicht sehr viel von sich, -- aber zu viel von ihm. Sie liebt ihn einfach. Das erste Problem ist das ungesunde Verhältnis von ihm zu sich. Er ist unfähig aufgrund seiner Probleme mit sich selbst("er schläft nie gut"...), sie zu lieben. Das zweite Problem ist das ungesunde Verhältnis von ihr zu sich. Sie ist aufgrund ihres mangelnden Selbstwertgefühls und aufgrund der Überhöhung seiner Person unfähig, sich herzugeben ("er weiß so Vieles nicht"). Hier sind zwei Menschen aufeinandergetroffen, die noch nicht für den anderen bereit sind, da sie für sich selbst noch nicht bereit sein können.
Ach ja, zum Ende: Sie kann nicht bei ihm bleiben, da er dies nicht mehr will/kann... Auf Deutsch: Er hat Schluss gemacht.

Aber das ist meine Sicht der Dinge, ich bin mir sicher, der Text trägt mehrere Interpretationsmöglichkeiten in sich. Auch ist es nicht meine Absicht, nur meine/eine Sicht in den Text zu stellen, es soll schon ein bisschen mehrdeutig sein.

Lg, kardia

 

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