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Die rauchende Schönheit

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26.12.2006
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Die rauchende Schönheit

Die rauchende Schönheit
Sie sah so aus, als ob sie zum Mobiliar gehörte. Ihre Lippen waren rot wie eine Peperoni, ihr blondes Haar lockte sich über ihre Schultern und das weiße Kleid fiel über den roten Sessel. Sie machte einen Zug aus der Zigarette und beobachtete, wie der Rauch aus ihrer Nase und dem Mund wieder herausströmte. Die Sonne schien und man konnte genau sehen, wie der Rauch sich im Raum ausbreitete. Der Kellner lächelte ihr zu und brachte den Milchkaffee an ihren Tisch. Seine Hand zitterte leicht, er versuchte trotzdem zu lächeln. Sie wird sein Lächeln erwidern und dann eine neue Rauchwolke kreieren. Der Kellner wird sie dabei genau beobachten und dann hinter der Theke verschwinden. Er wird sich nie trauen sie anzusprechen.

Sie rauchte die Zigarette aus und trank einen Schluck. Dann stellte sie die Tasse wieder hin und zündete eine neue Zigarette an. Ein weiterer Zug, weitere Sekunden ihres Lebens. Sie zog den roten Aschenbecher an sich heran. Das Heranziehen machte ein knirschendes Geräusch. Für einen Moment glaubte sie, dass der Kellner sie anschaute, aber sie vergaß es gleich. Sie klopfte gegen die Zigarette und die graue, pulverige Asche fiel in den Aschenbecher. Sie betrachtete die Asche und stellte fest, dass das Rot des Aschenbechers und die Asche gut zusammenpassten. Deshalb wird sie am nächsten Tag ein rotes Satinkleid und eine graue Bolerojacke kaufen. Sie werden gut zu ihrer blassen Haut passen.

Sie spürte einen leichten Windstoß und ein paar der blonden Locken lösten sich kurz von der Schulter. Die Brise berührte ihren Nacken. Das fühlte sich gut an. Sie musste lächeln. Der Kellner liebte ihr Lächeln am meisten, das wusste sie. Er wird sich nie trauen sie anzusprechen.
Erst die Zigarette machte sie schön. Sie war hübsch, doch es war ihre Art, die sie zu einer Schönheit machte. Und diese Art hatte sie seitdem sie rauchte. Sie hielt die Zigarette, wie einen Zauberstab, zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt. Ihre Hand war dabei nach außen gedreht, sodass man die Innenseite von ihrem Unterarm sehen konnte. Die Haut an dieser Stelle ist am hellsten, und Männer schauten sie gerne länger an, wenn sie die Zigarette auf diese Weise hielt.

Sie trank einen weiteren Schluck. Den zweiten. Sie trank nie mehr als drei. Der Kellner war ihr deswegen nicht böse. Dabei war der Kaffee gut.
Die Tür ging auf. Es war gegen zwölf. Es kam sonst nie jemand außer ihr zu dieser Uhrzeit. Sie beugte sich nach vorn, dabei rutschte der weiße Stoff von ihrer Schulter. Sie sah zuerst den Mann. Er war mittelgroß, seine Haare waren hellbraun und etwas länger geschnitten. Seine Augen leuchteten grün, seine Haltung war stark und sicher. Sie lehnte sich ein weiteres Stück nach vorn und entdeckte die Frau neben ihm. Sie war ihr egal, sie bildete sich ein sie wäre gar nicht da.

Sie machte einen Schluck. Den Dritten. Sie hielt immer noch die Zigarette in ihrer Hand die Innenseite ihres Handgelenks nach außen gedreht. Das Ende ihrer brennenden Zigarette färbte sich grau, es knisterte. Zusammengehaltene Asche. Die graue Asche fiel auf den Tisch und glühte kurz auf. Sie bemerkte es zu spät und pustete. Die Asche flog davon, aber sie hatte einen Brandfleck auf dem jungfräulich weißen Tisch hinterlassen. Sie stellte den Aschenbecher auf die Stelle, um das Missgeschick zu vertuschen. Der Kellner hatte es längst bemerkt. Er wird den Fleck nie berühren.
Die Frau vom Tisch gegenüber ging vor die Tür, um zu telefonieren. Der Mann war nun allein. Sie legte ihre kleine peperonirote Tasche auf den Tisch. Sie passte zu ihren Ohrringen und zu ihrem Lippenstift. Sie machte das Täschchen auf und holte ein teures Feuerzeug mit einer Gravur hervor. Die Gravur war kaum noch zu erkennen. Mit einer graziösen Bewegung zündete sie eine neue Zigarette an. Das glühende Feuer an ihren glühend roten Lippen machte ihn auf sie aufmerksam. Sie atmete den Rauch aus und lächelte. Er lächelte zurück. Sein Lachen war bestimmt und angenehm unaufdringlich. Sein Lachen konnte gar nicht aufdringlich sein.

Sie schaute auf die Uhr. Es war punkt zwölf. In einer halben Stunde müsste sie das Café verlassen. Sie verließ das Café immer um halb eins. Zu wenig Zeit, sagte sie sich.
Er schaute sie immer noch an.

Die vermeintliche Freundin kehrte zurück. Bestimmt würde er sich gleich abwenden und die ganze Aufmerksamkeit seiner vermeintlichen Freundin zuwenden. Sie musterte die Frau. Dunkle Haare, durchschnittliche Kleidung. Doch ihre Augen, das konnte sie nun sehen, waren schwarz wie die Nacht. Sie fühlte sich machtlos. Kein roter Lippenstift, keine noch so blonde üppige Mähne und auch keine milchweiße Unterarminnenseite konnten je gegen diese Augen gewinnen.

Kirscheis, roter Apfel, Peperoni, rotes Kleid, dachte sie und lächelte. Der Mann schaute zu ihr herüber, sie sah es genau. Er sprach mit den Nachtaugen und starrte trotzdem in ihre Richtung. Das konnte sie sich nicht erklären. Was würde sie geben, um diese Nachtaugen zu haben. Nein. Was würde sie geben, um in diese Augen für immer schauen zu können. Wie konnte er da sitzen und nicht in diese Augen schauen?

Sie trank einen Schluck. Den vierten. Zu spät fiel es ihr auf. Sie war fast bereit den kleinen Schluck wieder in die Tasse zu spucken. Sie hielt die Fingerspitzen an den Mund und versuchte sich über die Konsequenzen des Missgeschickes klar zu werden. Es gab keine. Das wusste sie. Aber für einen Moment stellte sie sich vor, es gäbe einen Grund dafür, dass sie diese sinnlosen Dinge tat.

Sie schaute auf die Uhr. Noch fünf Minuten, dann müsste sie das Café verlassen. Sie verspürte das Bedürfnis auf der Toilette in den Spiegel zu schauen. Doch sie konnte es nicht. Sie verließ nie diesen Tisch, außer, um zu gehen. Sie wollte die Tradition nicht brechen. Schließlich hatte sie an diesem Tag bereits einen Brandfleck verursacht, vier Schlucke von ihrem Milchkaffee getrunken und musste zum ersten Mal das Café um zwölf mit anderen Menschen teilen. An diesem Tag wurden genug Traditionen gebrochen, ein weiterer Bruch kam nicht in Frage.

Sie stand auf und ging zur Toilette. Sie wusste nicht, wie sie dorthin kam, aber sie war plötzlich dort. Sie blickte in den Spiegel. Ihr Aussehen war makellos, es gab nichts, was sie hätte korrigieren müssen. Sie blieb trotzdem vor dem Spiegel stehen, so als ob sie auf etwas warten würde.
Die Tür ging auf. Im Spiegel konnte sie die schwarzen Augen sehen. Die Frau ging an den Spiegel und fuhr mit dem Lippenstift über ihre Lippen. Sie folgte ihren Bewegungen. Sie saugte sie beinahe auf. Sie griff nach dem Wasserhahn, die Frau auch. Ihre Hände trafen sich am Becken. Beide zogen ihre Hände schnell zurück und stießen ein flüchtiges „Entschuldigung“ heraus. Die Frau lächelte. Sie streckte ihre Hand aus und berührte aus Versehen die Haare der Nachtaugen. Sie standen sich gegenüber. Ein weiteres, flüchtiges „Entschuldigung“ schien ihr unpassend. Sie biss sich auf die Lippe und wand den Blick ab. Sie wollte dableiben, aber sie wusste, sie sollte gehen.

Sie ging an ihren Tisch. Sie setzte sich kurz. Er lächelte ihr zu. Sie stand ruckartig auf. Legte fünf Euro auf den Tisch und verließ das Café.
Sie verließ es fünf Minuten zu spät.

 

Volltreffer! Wirklich genauso hab ich mir das Bild auch vorgestellt. Freut mich, dass die Geschichte dir gefallen hat.

... ein Hauch von Erotik zwischen beiden Frauen
Der Erste der das endlich mal anspricht und nicht verschämt wegguckt....
also Kontraste stärken, dann haben wir da ein kleines Textjuwel - wie ich finde.
Dankeschön :D, dann geh ich jetzt sofort am Stil arbeiten, wer möchte denn kein Textjuwel in seiner Sammlung haben?

 

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