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Die rote Glocke

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23.06.2009
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Die rote Glocke

Die rote Glocke
Eigentlich hasse ich Bauernmöbel. Dieses Holz, an dem sich schon Generationen von Würmern satt gefressen haben, das erst nach Moder und Fäulnis riecht und nach der Lasur wie ein Chemiebaukasten mit Wachsüberzug. Ich mag diese üppigen Formen nicht, das ganze rustikale Geklotze und ganz besonders die aufgemalten Kornblumen oder blutenden Jesus-Herzchen. Ja, ich hasse Bauernmöbel, aber ich bin gezwungen, mit ihnen zu arbeiten.
Aber nicht mehr lange. Mein Chef, Matthias Berngruber, hat mir mal aus der Patsche geholfen. Ich hatte ziemlichen Mist gebaut, der mir wahlweise ein paar Jahre Knast oder eine russische Kugel eingebracht hätte. Dank Berngrubers Hilfe, er war gerade in Vorpommern, um einen Nachlass aufzukaufen, konnte ich den Hals noch aus der Schlinge ziehen. Aber seither bin ich ihm wie ein Sklave ausgeliefert. Und, was fast noch schlimmer ist, seither lebe ich in Niederbayern.
Ich verstehe die Leute nicht, ich meine ihre Sprache, und wenn ich beispielsweise ihre Witze verstehe, verstehe ich nicht, was daran lustig sein soll. Aber im Wirtshaus schwabbeln die Bäuche bei jedem Scherzchen, als würden sie von tausend Gänsefedern gekitzelt. Und die Leute dreschen vor Lachen auf die Tische ein, dass es einem in den Ohren schmerzt.
Genauso würde ich auch gern auf die Bauernmöbel eindreschen, auf die muffigen Schränke, die hässlichen Kommoden, die bunten Betten, die beim Vögeln knarzen und quietschen, dass es das ganze Dorf mitbekommt. Aber ich bin nun mal gelernter Schreiner und stehe noch in der Schuld Berngrubers. Aber nicht mehr lange. Er hat mir versprochen, meine Schuld sei bald getilgt, er, der "Hias", wie ihn die Eingeborenen nennen. "Hias", das ist doch keine Sprache. Heute will er mit mir meinen letzten Job besprechen.
Wäre ich religiös, dann würde ich zum Herrgott beten, dass das mein letzter Schrank wäre, den ich mit einer ekelhaften, die Nasenschleimhäute verätzenden Beize überziehe.
Mit einem lauten Niesen kündigte sich Berngruber an. "Servus!", brummte er mir zu und schnäuzte, dass die Scharniere an den Bauernschränken wackelten. Offensichtlich hatte ihn eine Frühjahrserkältung erwischt.
"Klaus, lus amoi."
Ich heiße Klaas, aber das konnte ich diesem Trottel in all den Jahren nicht beibringen. Dass "lusen" zuhören bedeutet, hatte ich allerdings mittlerweile schon verstanden. Oder besser noch: "dagneist".
"Pass auf. Wennst den Job gscheid machst, samma pari, vastehst? Dann konnst macha, wosd wuist. Wennstn vasaust, deafst no amoi a Johr Schränk obboazn, is des klar?"
Und wie das klar war.
"Mei Oide ist doch a recht a bigotte. Und weil iatz dann Ostern is, wui sie…"

Der Job war nicht einfach, auch für einen geübten Dieb und Einbrecher wie mich nicht. Normalerweise lief es so bei uns ab. Wenn Berngruber in einem Haus war und das alte Mobiliar besichtigte, dabei aber noch den einen oder anderen Schatz entdeckte, von dem sich die jeweilige Familie entweder nicht trennen wollte oder - was weitaus öfter vorkam - von dessen Wert sie keinen blassen Schimmer hatte, dann wurde ich darauf angesetzt. Allerdings mit ein paar Monaten Verzögerung, es sollte ja nicht auffallen, wobei die meisten gar nicht bemerkten, dass die Bibel aus dem 18. Jahrhundert oder das Bild mit dem röhrenden Hirschen, das sie für grausamsten Edelkitsch hielten, nicht mehr auf ihrem Dachboden vor sich hinmoderten. Berngruber verkaufte dann diese Sammlerstücke an Hermann Anzinger, den größten Hehler im Umkreis von fünfzig Kilometer. Zur Tarnung betrieb dieser übrigens eine Konditorei. Das muss man sich mal vorstellen. Wie die klassischen Mafiosi mit ihrer Pizzeria verkaufte der Kleingangster Schwarzwälderkirsch und "Auszongne".
Ja, normalerweise führten mich meine Ausflüge auf abgelegene Höfe oder in alte Kleinstadthäuser. Aber für meinen letzten Job musste ich in eine Kirche einbrechen, genau genommen in eine kleine Kapelle, die aber den Status einer Wallfahrtskirche hatte. St. Vitus lag auf einem Hügel, von Birken umkränzt, von weitem sichtbar. Die Kapelle öffnete nur an ausgewählten Tagen ihre Pforten, so auch an Ostern.
Ich bin nicht katholisch, der ganze Brimborium ist für mich nicht nachvollziehbar. Weihwasser, heilige Quellen, Reliquien. Das ist für mich nichts anderes als der Totem von Manitou oder so ein Zeug. Die Legende besagt, dass am Karfreitag vor 1000 Jahren oder so ein Schmied namens Vitus durch die Lande zog. Auf halbem Weg wurde er von einem Mann in einem sackartigen Gewand aufgehalten.
„Was machst du hier, Vitus? Weshalb bist du nicht in der Kirche und gedenkst des Kreuztodes deines Herrn?“, fragte der Wanderer.
„Ich bin mein eigener Herr und gehe meinen Geschäften nach – an jedem Tag. Und jetzt geh mir aus dem Weg“, antwortete der Schmied barsch.
Da breitete der Wanderer seine Arme aus und es wurden Wundmale an Händen sichtbar und auch seine Füße begannen zu bluten.
„Du irrst, Vitus. Ich bin dein Herr“, sprach der Wanderer mit donnernder Stimme.
Da warf sich Vitus demütig in den Staub und bat um Verzeihung. Und wie von Geisterhand begann ein Glöcklein im Wagen des Schmieds zu läuten, ein Glöcklein, das für den Bäcker im Nachbardorf bestimmt war und das sich blutrot gefärbt hatte. An der Stelle, an der Jesus dem Ungläubigen erschienen war, wurde eine Kapelle errichtet, deren Heiligstes das rote Glöcklein ist. Und an Ostern kommen Pilger aus der ganzen Region, um das Bimmeln zu hören und sich das berühmte Weihwasser zu holen, das am Karsamstag und am Ostersonntag in kleinen Fläschchen ausgegeben wird.
"Mei Oide ist doch a recht a bigotte. Und weil iatz dann Ostern is, wui sie am Karsamstag des Weihwasser von dene Kuttenbrunzer in Sankt Vitus. Oba i steh ma doch do ned Haxn in Bauch. Außerdem hob i am Samstag scho wos anders vor", hatte Berngruber gesagt.
Ich wusste, was er vorhatte. Sie hieß Ludmilla und ging im altehrwürdigen Leierkasten in München anschaffen.
„I brauch a Flascherl von dem Weihwasser und...“, dann nieste er kräftig und schnäuzte sich, „a Kruzifix und a so a rotes Glocke.“
Da wollen sie Kirchen ausrauben und können nicht mal Deutsch, diese Niederbayern. Eine rotes Glocke! Ich meine, ein bisschen deutsche Grammatik kann man doch lernen. Der Butter und der Kartoffel sagen sie und die Füße gehen bis zur Leiste hoch.
Die Kapelle lag einsam und verlassen auf ihrem Hügel. Ich hatte das Auto auf der anderen Seite des Waldes geparkt und kam durch das Unterholz. Die letzten 500 Meter musste ich einen Feldweg entlang gehen. Als ich ankam, blickte ich um mich, aber es war niemand zu sehen. Das alte Kirchenschloss war nicht leicht zu knacken, aber einen Profi schreckte es nicht. Nach fünf Minuten klickte es, ein Geräusch, das ich über alles liebe, und die Pforten der Kapelle öffneten sich.
Es war frisch in der Kapelle, die warmen Apriltage hatten das dicke Gemäuer noch nicht aufzuheizen vermocht. Durch die alten Fenster fiel von oben gebündeltes Licht und erfüllte den Raum mit hellem Glanz. Das würde die Arbeit erleichtern. Die Wände waren mit barocken Figuren bemalt, also fetten Engeln und pathetischen Heiligen.
Wegen des erwarteten Ansturms am morgigen Karfreitag hatte man die Weihwasser-Fläschchen bereits vorbereitet, wie Berngruber es vorhergesagt hatte. Eine ganze Batterie stand neben dem Altar. Sogleich schnappte ich mir eine. Der erste Teil des Auftrags war erledigt. Das rote Glöcklein stand auf dem Altar. Es wurde immer zur Wandlung geläutet, als Erinnerung an die Kreuzigung. Katholischer Käse. Für mich war das ein Kupfer-Glöckchen, das sie irgendwann mal, als es Patina ansetzte, mit Mennige bestrichen haben und das deshalb rot schimmert. Für das wertvolle Teil hatte ich ein Samtbehältnis dabei, es sollte ja nicht beschädigt werden. Erst wollte ich mich jedoch dem Kruzifix zuwenden. Die Frage war nur, welches Berngruber meinte. Denn es standen zwei zur Auswahl, allerdings war das frei schwebende über dem Altar zu groß, also entschied ich mich für das auf dem Tabernakel. Und gerade als ich zugreifen wollte, hörte ich einen Schlüssel, der sich in das Portal bohrte.
Ich werde selten panisch, aber einen Anflug von Hektik konnte ich nicht verleugnen. In dieser Kapelle gab es keine Nischen, keine Nebenräume und keine dunklen Ecken, in die man sich hätte verkriechen können. Einzig der Beichtstuhl stach mir ins Auge. In letzter Sekunde sprang ich in die erste Kabine oder wie man das nennt.
Pfarrer Lohner, ein wohlgenährter wie gestrenger Mann der Kirche, trat ein und mit ihm vier Damen aus dem allerkatholischsten Frauenbund im Schlepptau, seine vier Grazien. Ich sah nichts, hörte aber alles. Und was ich da vernahm, gefiel mir keineswegs. Der Geistliche hatte seinen Schäfchen offensichtlich eine spontane Privataudienz gewährt, weil sie sich beim letzten Schmankerlbasar im Pfarrheim so verdient um die Gemeinde gemacht hätten. Deshalb nahm er ihnen an diesem geweihten Ort die Osterbeichte ab.
Als der Pfarrer in den für ihn vorgesehenen mittleren Raum des Beichtstuhls ging, war ich nahe dran, selbst zu beten. Doch ich wurde auch so erhört. Denn das erste sündige Schaf ging in die andere Kabine oder wie man das nennt. Sündendusche wäre ein schöner Ausdruck.
Ich duckte mich, um durch das Holzgitter nicht gesehen zu werden. Dumpf erklangen die Worte in dem Beichtstuhl. Aber nicht dumpf genug, um die Stimme der sündigen Frau nicht zu erkennen: Es war Magdalena Berngruber, die Frau meines Brötchengebers und Sklavenhalters, das bigotteste Weib nördlich der Alpen, eine, die alle Korintherbriefe noch rückwärts aufsagen konnte und die aufgrund ihrer zahlreichen Wallfahrten bei jedem "Miles and more"-Programm der Kirche schon so viele Bonusmeilen gesammelt hätte, dass sie dreimal um den Globus reisen könnte. Und laut Berngruber betete sie nach dem monatlichen Geschlechtsverkehr jedes Mal drei Ave Maria. Welche Sünden hätte die Schrulle denn schon loszuwerden? Meine Neugier war erwacht.
"Was hast du denn zu beichten, meine Tochter?", fragte der Pfarrer in ruhigem Ton.
"Das übliche, Herr Pfarrer. Ich war manchmal etwas jähzornig wegen meinem Mann, weil der immer so nach Bier stinkt, wenn er vom Wirt kummt..."
Ich weiß, ich bin des Öfteren ja dabei, dachte sich der Pfarrer, den Beichten von Leuten, die es wahrlich nicht nötig hatten, gelegentlich doch etwas langweilen.
"Und manchmoi war ich ned ganz ehrlich. Diese Person von gegenüber is einmal kumma und hat mi gfragt, ob i an Butter…"
Es heißt die Butter, nicht der Butter, du Analphabetin, dachte ich mir.
"Und i hob gsagt, dass i nix da hob, obwohl ich noch 3 Stückl im Kühlschrank ghabt hab. Weil dieser Person geb i nix. Die hat doch zwei uneheliche Kinder, und eins von einem Neger, gell. Und getauft sind's a ned."
"Der Herr liebt alle seine Geschöpfe", antwortete der Pfarrer mit Gemütsruhe.
"Und einmal ist mir sogar ein unkeuscher Gedanke gekommen. Ich hab diesen George Clooney gesehen und mir gedacht…Sie wissen's schon. Aber nur einen Moment und nur in Gedanken, nicht in Worten und Werken."
Klar, Clooney würde sich ja sofort auf diese Schnepfe stürzen, wenn er sie sähe.
"Bete drei Vaterunser und deine Sünden seien dir vergeben, mein Kind", meinte der Pfarrer lakonisch.
"Na, eine Sach hob i no…"
Was mochte jetzt noch kommen? Unkeusche Gedanken beim Anblick von Stangenspargel?
"I hob mit dem Anzinger eine Art besonders Verhältnis." Die Berngruberin druckste herum, als würde sie eine Orgie beichten wollen. "Wia soll i sagn, seine Busserl san hoid de bestn und er hod mir an Haufn Busserl gebn." Dann gluckste sie beglückt auf.
Die Chefin und der Anzinger, der beste "Geschäftspartner" vom Berngruber. Und bei ihrem Mann hatte sie nie Lust. Ich lachte mir ins Fäustchen. Seltsamerweise war die Strafe für das Verhältnis kaum gestiegen, drei Ave Maria brummte ihr der Pfarrer noch zusätzlich auf.
Ich hatte Glück. Die anderen drei Sünderinnen gingen gleichfalls in die andere Kabine und hatten ein ähnlich dünnes Sündenregister. Nach der Beichte bekam jede Gläubige noch ihre Weihwasserfläschchen, dann löste sich die Runde auf. Erleichtert verließ ich den Beichtstuhl, nachdem der Pfarrer die Pforten verriegelt hatte.
Schnell packte ich das Kruzifix, es war schwerer als erwartet, und das rote Glöcklein, das Weihwasser hatte ich ja schon. Vorsichtig ging ich hinaus und schaute mich um - niemand war zu sehen. Dann spazierte ich durch den Wald zu meinem Auto, ganz gemächlich, um ja nicht aufzufallen. Allerdings fuhr ich nicht nach Hause, ich hatte eine bessere Idee.

Hermann Anzinger hatte ein kleines Häuschen am Stadtrand, es hatte etwas von einem Lebkuchenhäuschen, kein Wunder bei einem Konditor. Das Haus war unauffällig, niemand konnte erahnen, dass sich im Keller Diebesgut und andere heiße Ware nur so stapelten. Eine brave, honorige Existenz und keiner hatte den angesehenen Bürger in Verdacht. Nur Frau und Kinder fehlten ihm noch zur perfekten Tarnung.
Anzinger kam gegen halb sieben nach Hause, nachdem er seine Konditorei zugesperrt hatte. Ich erwartete ihn, eine Strumpfmaske über den Kopf gezogen, im Flur. Gerade als er seinen Mantel ausziehen wollte, packte ich ihn von hinten, stülpte ihm einen kleinen Kartoffelsack über den Kopf und warf ihn zu Boden. Dann sprang ich ihm ins Kreuz, dass es knackte, riss ihm den Arm nach hinten und flüsterte mit eiskalter Stimme.
"Keinen Mucks, Anzinger, sonst mach ich dich alle. Ich mach dich lang, du Kackbratze."
Anzinger schrie auf vor Schmerzen.
"Wos…wos willstn?", presste er hervor.
"Dass du die Frau vom Che…vom Berngruber in Ruhe lässt."
"Wos soll des hoaßn?"
"Die hast du zum letzten Mal flach gelegt, kapiert?" Ich riss seinen Arm herum und schlug ihm aufs Ohr. Das schmerzte.
"Aaah. Flach legen? Die Henna?"
"Ach klar, hast du sie nicht geküsst, hä?" Ich schlug noch mal zu.
"Die küssen? Eher küss ich ihren Bernhardiner", stieß er mit verzerrter Stimme hervor.
"Klar doch, klar doch. Ich glaub dir alles." Ich packte seinen Schopf und stieß ihm das Gesicht auf den Boden, dass das Blut nur so aus der Nase herausschoss. "Und die tausend Busserl, wie ihr das nennt, hat sie auch nicht von dir bekommen."
"Doch, die schon."
"Gibst du's also alles zu?"
"Ja, aber lass mich in Ruah."
Ich gab ihm noch einen Schlag mit auf den Weg und verduftete dann schnellstens durch den Hintereingang.

Der Chef würde zufrieden sein - und ich hätte endlich meine Schuld getilgt und könnte dieses Land wieder verlassen. Nie wieder Bauernmöbel polieren, dachte ich.
"Dreister Raub in der Wallfahrtskirche St. Vitus" titelte das einheimische Käseblatt. Die Karfreitagsmesse würde abgesagt, weil das Heiligste aus der Kapelle entwendet worden sei. Der Journalist fragte sich, welch verderbtes sittenloses Subjekt zu so einer infamen Tat fähig sei. Ich grinste in mich hinein. Berngruber würde überglücklich sein, zumal ich auch noch seine Ehre gerettet hatte, indem ich den Lover seiner Frau vermöbelte.
Ich saß mit den Füßen auf dem Tisch Zeitung lesend in der Werkstatt, als mein Chef hereinpolterte.
"I hob an neien Auftrag für di", kommandierte er sofort.
"Was denn, ich dachte, das in der Kirche wäre mein letzter Job gewesen", entgegnete ich ihm.
"Hoid dei ungwaschne Fotzn und tua deine Haxn do runta", herrschte er mich an.
Ich tat, wie mir befohlen. "Aber ich habe alles zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt", sagte ich und zog das Weihwasserfläschchen hervor.
"Des brauch i nimma, mei Oide war gestern in St. Vitus und hod sich selber ein Flascherl gholt. Du musst wos auftreibn für mi, und zwar des rote Glockerl und des Kruzifix, des gestern in der Kapelln gstohln wordn san. Mei Frau hat einen Nervenzusammenbruch kriagt. Bis des Klump ned wieda da is, ho i keine ruhige Minutn mehr."
Nun verstand ich die Welt nicht mehr. Er hatte mich doch zum Diebstahl animiert. Nach einer Sekunde des verdutzten Innehaltens, grinste ich und zog die gewünschten Gegenstände hervor.
"Nicht leichter als das. Die hab doch ich geklaut, Chef."
In diesem Moment schlug ein Hammer auf mich ein. Berngrubers Kinnhaken konnten einen ausgewachsenen Bullen fällen.
"Du Hirsch, du viermotoriger, du Riesenrindviech, du Schoaßgsicht, du…" Die Schimpftirade beinhaltete noch zahlreiche bayerische Ausdrücke, die ich nicht wiedergeben mag, zumal ich einige auch nicht verstand.
"Aber Chef", versuchte ich mich am Boden liegend zu rechtfertigen, "Sie haben doch gesagt, ich wiederhole: 'I brauch a Flascherl von dem Weihwasser' und dann niesten Sie, schnäuzten sich und sagten so was wie 'und a Kruzifix und a so a rotes Glocke.' Das habe ich doch gehört.“
"Du bist der größte Hornochs, der überhaupt rumlafft. Ich hob mi gschneiz und gsagt 'Kruzifix, so a Rotzglockn'. Mir is a Rotzglockn, wia hoaßt des auf Hochdeitsch, ein Rotzpfropf, so was ist mir aus der Nasn runterghängt, du Schoaßbrems, du saudamische."
Berngruber war kaum zu besänftigen. Er hatte Schaum vor dem Mund, sein Gesicht glühte. Aber ich hatte noch einen Trumpf.
"Dafür habe ich Ihre Ehre wieder hergestellt - ich hab's den Anzinger kräftig vermöbelt."
Der Satz konnte den brodelnden Vulkan nicht gerade abkühlen, ganz im Gegenteil, er heizte ihn sogar noch an.
"Was?", schrie er wütend auf, "das hast auch noch du verbrochen?" Blanke Mordlust blitzte aus Berngrubers Augen.
"Der hatte was mit ihrer Frau, Chef, ganz sicher, ich hab's gehört."
"Der Anzinger? Der is vom andern Ufer, du Zipfeklatscher. Der is ein Hinterlader, vastehst."
"Aber Ihre Frau sagte, Sie habe ein Verhältnis mit Anzinger."
"Ja freilich haben die ein besonders Verhältnis. Mei Weib verschafft ihm einen Haufn Aufträge, der dearf jedes Kaffeekranzl vom Frauenbund ausrichtn, und des san richtig vui. Und dafür kriagt sie massenweise süßes Zeig."
"Jaja klar, süßes Zeug, Busserl hat sie bekommen, hat sie gebeichtet."
"Freilich, Nougat-Busserl, de Spezialität vom Anzinger. Und mei bigottes Weib hält süßes Klump in da Fastenzeit für eine Sünd, du Oschgsicht."
Dann knallte er mir noch eine, dass ich galaxienmäßig Sterne sah.
"Des is dafür, dass du meina Oidn beim Beichtn zuahörst", dann schlug es noch einmal ein, "und de is dafür, dass der Anzinger mir die Zusammenarbeit aufkündigt hod, weil ihn so ein Depp verdroschn hat, der was von meiner Frau erzählt hat. Der einzige Hehler weit und breit weg."
"Es tut mir leid. Das Problem ist eure Sprache…"
Und schon hatte ich seine Faust in der Magengrube.
"Aber die Sprach verstehst scho, oder? Für den Mist, den du angstellt hast, deafst no vui Bauernschränk abbeizn, des sag i dir. Ein Jahr bleibst no da - und wehe du Saudepp baust no einmal so einen Scheißdreck. Und jetzt bringst sofort des Kruzifix und de Glockn zruck."
Mit polternden Schritten zog Berngruber ab. Noch einmal ein Jahr Bauernmöbel abschleifen. Mir wurde schlecht. Ich hasse nämlich Bauernmöbel, aber das habe ich, glaube ich, schon mal gesagt.

 

Hi Werner,

auch diese Geschichte von dir hat mir gefallen. Der Begriff "kurzweilig" aus meiner letzten Kritik trifft auch auf diesen Text zu. Wieder kommt der Humor nicht zu kurz, wird aber an keiner Stelle zu aufdringlich.

Die Charaktere bleiben oft recht eindimensional, aber nun denn, wir sind hier in einer Kurzgeschichte und nicht in einem 600-Seiten-Roman. Zumal die Figuren hier sogar etwas tiefer sind als in deiner Geschichte "Ausgeweidet".

Trotzdem noch ein paar Details:

Wenn Berngruber in einem Haus war und das alte Mobiliar besichtigte, dabei aber noch den einen oder anderen Schatz entdeckte, von dem sich die jeweilige Familie entweder nicht trennen wollte oder - was weitaus öfter vorkam - von dessen Wert sie keinen blassen Schimmer hatte, dann wurde ich darauf angesetzt.
Warum? Wenn sie von dem Wert keinen blassen Schimmer hatten, hätte man ihnen den Krempel vielleicht auch für zwei Euro fuffzich abschwatzen können.

Oba i steh ma doch do ned Haxn in Bauch. Außerdem hob i am Samstag scho wos anders vor", hatte Berngruber gesagt.
Aber dein Protagonist hätte sich anstellen können, statt so einen Aufwand mit hohem Risiko zu betreiben. Das ist mein Hauptkritikpunkt. Der ganze Einbruch ist eigentlich komplett überflüssig.

Das alte Kirchenschloss war nicht leicht zu knacken, aber einen Profi schreckte es nicht. Nach fünf Minuten klickte es, ein Geräusch, das ich über alles liebe, und die Pforten der Kapelle öffneten sich.
hörte ich einen Schlüssel, der sich in das Portal bohrte.
Hatte dein Protagonist die Tür wieder verschlossen? Das steht hier nämlich nicht. Würde ich ergänzen.

Es war Magdalena Berngruber, die Frau meines Brötchengebers und Sklavenhalters, das bigotteste Weib nördlich der Alpen, eine, die alle Korintherbriefe noch rückwärts aufsagen konnte und die aufgrund ihrer zahlreichen Wallfahrten bei jedem "Miles and more"-Programm der Kirche schon so viele Bonusmeilen gesammelt hätte, dass sie dreimal um den Globus reisen könnte.
:lol:

Nach der Beichte bekam jede Gläubige noch ihre Weihwasserfläschchen,
Hätte dein Prot nicht hier schon stutzig werden müssen?

Fazit: Aus meiner Sicht wieder leichte Logikschwächen. Das ist schade, denn der Text ist ansonst gut und auch gut geschrieben.

Viele Grüße
Kerstin

 

Hallo Werner Gerl,

willkommen auf kurzgeschichten.de. :)

Obgleich mir deine Geschichte gut gefallen hat, sie liest sich so in einem weg und wirkt sehr lebendig, hadere ich ein wenig damit, ob du gut daran getan hast, sie in diese Rubrik zu stellen.
Sie hat nämlich irgendwie nicht mit der Art von Spannung und Thrill zu tun, die man so üblicherweise erwartet.
Ohne Frage hat deine Geschichte einen Spannungsbogen, aber der sollte einer guten Geschichte stets innewohnen. Was mir fehlt ist die Spannung, die sich aus dem Krimiplot oder demjenigen eines Thrillers ergibt.
Deine Geschichte ist irgendwie nicht so recht ein Krimi oder ein Thriller.
Für mich wäre deine Geschichte gut in der Abteilung Humor oder Alltag aufgehoben.

Ein wenig Kritik hab ich ebenfalls in Bezug auf die Verwendung des Wortes "bigott" anzubringen. Der Ehemann klassifiziert seine Frau als bigott ein, aber ist diese Bezeichnung nicht schon zu analythisch für einen ansich schlichten zupackenden Mann? Das wirkt auf mich etwas unrealistisch.

Bigott ist Wertung, nämlich, dass sie eine übertrieben Frömmelnde ist. Diese Geschichte geht nicht tiefer auf die Charaktere ein, das ist kein Mangel, denn eine Kurzgeschichte hat nun mal nicht immer den Raum wie ein Roman, die Unterschiedlichkeit und oftmals auch Widersprüchlichkeit der Charaktere darzulegen.
Hier fehlt mir also beim Mann die klare Linie. Entweder er lehnt seine Frau in ihrer bigotten Frömmelei ab und dann findet er es eher amüsant, dass sein Sklave das Kruzifix und die Glocke gestohlen hat oder aber er findet sie zwar ein wenig übertrieben in ihrem Gebahren um den Glauben, aber dann passt das Wort bigott mit seinem für mein Gefühl zu wuchtigem negativen Touch nicht ganz.

Ein bisschen mehr hätte ich übrigens noch gerne darüber erfahren, weshalb dein Protagonist sich wie der Haussklave verhalten muss. Du hast ansich alles in Kurzform angedeutet, aber es wirkt auf mich etwas lieblos wie es da steht. Es gelingt mir nicht als Leser dem einen oder dem anderen Zu- oder Abneigung entgegen zu bringen am Anfang.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Werner,

ein Teufelskreis! Wenn ich ein gläubiger Mensch wäre, würd ich für den Klaus ... äh Klaas beten, das er da schleunigst raus findet.
Hat mir sehr gefallen, deine Geschichte.


Dank Berngrubers Hilfe,
Da hätt ich gern mehr erfahren, um die Zwangslage zu verstehen.

Ja, ich hasse Bauernmöbel, aber ich bin gezwungen, mit ihnen zu arbeiten.
Aber nicht mehr lange. Mein Chef, Matthias Berngruber, hat mir mal aus der Patsche geholfen.
Das Fette gehört nicht in diesen Absatz, sondern in den davor. So wie es da steht, erwarte ich einen Plan, wie dein Bauernmöbelhasser seiner Zwangslage entwischen will. Fand aber nur eine Rückblende.

Ich weiß, ich bin des Öfteren ja dabei, dachte sich der Pfarrer, den Beichten von Leuten, die es wahrlich nicht nötig hatten, gelegentlich doch etwas langweilen.
Da du aus der Ich-Perspektive (Klaas) schreibst, kann Klaas nur spekulieren, was der Pfarrer sich wohl denken mag.

Die Karfreitagsmesse würde abgesagt, weil das Heiligste aus der Kapelle entwendet worden sei.
Das halte ich für unwahrscheinlich. Kenn mich aber in solchen Dingen nicht gut aus.

Gruß
Asterix

 

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