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Die Schändung
Immer wieder holt er mächtig aus, tritt voller Wucht in die dünnen Halme, auf denen sich die Ähren trocken und schwer nach der Sichel sehnen. Viele knicken ein, der Fruchtstand fällt und verstreut sein reifes Korn zwischen die Steine des staubigen Bodens. Die Sonne steht lotrecht über ihm, heiß lastet ihr Licht über dem flachen Land und zwischen den gelben Feldern und dem wolkenlosen Himmel verzerrt die Hitze jede Kontur.
Ihm ist schlecht von all der Angst, die seine Kehle einengt. Der Magen rebelliert, doch sooft er sich auch breitbeinig an den Rand des Ackers stellt und dem Würgen folgt – außer einem dünnen Faden weißlichen Speichels rinnt keine Erleichterung aus dem schwarzen Loch seines Mundes. Danach wischt er über die Lippen, schließt die Augen, wirft den massigen Kopf in den Nacken und schreit in die Hitze, als könne die Welt seine Tat ungeschehen machen. Es ist ein mühsames Ringen der Stimme, gequält und einem weidwunden Eber gleich, bis es in einem kindlichen Schluchzen endet. Dann schlingt er die geröteten Arme um seinen dünstenden Leib und greint in der Stille.
Sein Ziel ist das Flussbett, in dem jedes Jahr das kalte Wasser bis zu einem Rinnsal verkommt und in den ausladenden Kurven flache Tümpel bildet. Hier wimmelt es von Teichjungfern und dem großen Blaupfeil, von Kaulquappen und Ringelnattern. An den Rändern färbt sich der Schlamm zunehmend grün und verströmt den Geruch erhitzter Fäule.
Reinhold Gauterer kennt hier jede Flusswindung, Pappel oder verkrüppelte Weide. Während die anderen Jungen in seiner Nachbarschaft bereits mit dem Mofa ins nahe Stockach fahren, um dort vor der Eisdiele nach den nackten Beinen der Mädchen zu schielen, streift er noch durch die Auen. Er zerrt die fleckige Trainingshose bis unter seine schwabbelige Brust, obwohl ein schwarz-rot-gestreiftes Paar Hosenträger das Rutschen verhindern soll. Es ist eine Bewegung des Zorns, der Enttäuschung – laut zieht er schniefend seine Nase hoch.
Was musste sie sich auch sträuben. Er hatte ihr nicht wehtun wollen. Schon gar nicht so, dass sie jetzt da unten am Fluss liegt in der Sonne und ihre Haut ganz rot wird und kleine Blasen wirft.
Missmutig stapfte er die Böschung hinauf, seine schmutzigen Füße zertraten die dunklen Brennnesseln mit ihren bröseligen Rispen. Oben angekommen, stützte er sich an den rissigen Stamm einer Pappel, deren Krone laublos wie ein bleiches Geweih in den Himmel starrte, sah nochmals über die Schulter, vergewisserte sich, dass sie dort reglos lag am Rande eines Tümpels. Nackt in der Sonne, als sei sie eingeschlafen.
Dann lief er aus dem Schatten des Flusstales hinaus in die Hitze, am Rande des Weizenfeldes entlang. Leise knisterten die Spelze, als schnippe einer mit den Fingernägeln und das Schaben der Zikaden lag wie ein geräuschvoller Teppich um ihn herum. Schweiß rann aus seinem dünnen Haar, das ihm wie eine Badekappe auf der Kopfhaut klebte. Unter den Achseln, auf dem Rücken und der Brust hatten sich dunkle Flecken gebildet. Er zog das verblichene Shirt über den Kopf, wischte sich damit über die Arme, das Gesicht, als er das klebrige Teerband der Verbindungsstraße erreichte. Hier, auf diesem Stück, wo nur einmal am Tag ein Auto fuhr und keine Spur von seiner Tat zeugte. Ging bis zum verwitterten Unterstellhäuschen, in dem es nach Urin und trockenem Holz roch. In den Ecken wehten staubige Reste ausgedienter Spinnweben. Achtlos warf er das feuchte Shirt hinter sich, überlegte angestrengt, wie er jetzt Zuhause diesen Unfall erklären sollte, aber damit war Reinhold vollkommen überfordert.
Er hatte sie abgepasst. Hier an dieser Haltestelle. Roswitha war die älteste Tochter der Krämers, die keine drei Kilometer von hier ihren kargen Hof bewirtschafteten. Trat er bis zur Mitte der Straße, konnte er, keine zwanzig Schritte entfernt, die Einmündung des Weges zu ihrem Haus erkennen. Im Winter stand dort sichtbar ein kniehoher, grauer Fels, der jetzt vom Gras der Wiese verdeckt war. Dort saß sie jeden Wochentag und wartete auf den Bus, der sie in die nächste Stadt zur Schule brachte.
Vor sechs Jahren hatte er sie früh morgens entdeckt, angesprochen und sich gefreut, dass sie die Blumen nicht gleich achtlos zur Seite warf, die er ihr nebenher pflückte. Sie war nicht wie die anderen Kinder aus der Nachbarschaft, die ihn hänselten und manchmal mit Steinen bewarfen. Reinhold war nicht lange zur Schule gegangen. Ihn hatte es nicht interessiert, was dort gesprochen wurde. Er verstand nicht, warum er dort eingesperrt stundenlang Zahlen und Buchstaben sortieren musste. Bei ihm purzelten sie missgestaltet über die Zeilen des Blattes und oft nahm Herr Schultens sein Heft und hielt es der ganzen Klasse hin.
„Seht her, der dumme Reinhold zeigt euch, wie ihr es nicht machen sollt.“
Der dumme Reinhold schämte sich dann und nach einem Winter brauchte er nicht mehr zur Schule zu fahren. Sein Vater ließ ihn weiter die Tiere füttern, das Heu umdrehen und die Zuckerrüben roden.
Manchmal, im Sommer, saß seine Mutter hinter den Ställen auf einer roh gezimmerten Bank und starrte über die Felder in die untergehende Sonne. Dann legte er seinen massigen Leib neben sie auf die freie Sitzfläche und bettete den Kopf in ihren Schoß und schloss die Augen. Ihre schwielige Hand strich über seine Arme. „Ach, mein lieber Bub“, seufzte sie leise und für ihn war dann die Welt in Ordnung.
So auch am Tag zuvor, als er seine Mutter beiläufig fragte, ob sie die Roswitha kenne. Ruckartig schlug sie eine Hand vor den Mund, rieb sich mehrmals mit dem Zeigefinger ihr ausgeprägtes Kinn. Anhand ihrer Reaktion erschrak er ein bisschen, setzte sich auf und starrte in das Gesicht der älteren Bäuerin, die nervös seinem Blick auswich und auf ihrer Unterlippe nagte.
„Mutter, was ist? Ist es nicht recht, dass ich die Roswitha kenne?“
Mehrmals schluckte Frau Gauterer, die Sonne berührte den Horizont und aus den langen Schatten aller Gegenstände kroch langsam die Dunkelheit. Eine spürbare Kühle griff nach ihrer Haut, als wollte eine unsichtbare Macht ihre Hässlichkeit entblößen. Aber irgendwann musste sie ihrem Sohn die ganze Wahrheit sagen – erst recht, wenn er sich anschickte, seiner Schwester den Hof zu machen.
„Ich hab damals in Messkirch auf dem Finanzamt gearbeitet – hab dort den Herrn Krämer kennengelernt. Kurze Zeit später zog ich zu ihm auf den Hof und nach einem Jahr hab ich Euch zur Welt gebracht. Dich und die Roswitha. Das heißt, die Roswitha kam zuerst.“
"Und Papa?" Ein fast lautloses Flehen füllt die kurze Pause.
"Das ist eine lange Geschichte, Bub. Schlussendlich nahm uns Dein jetziger Vater auf - die Roswitha wollt er nicht hergeben." Leise und fast weinerlich fügt sie hinzu:"Der Krämer wollt mir weh tun."
Seine Mutter schweigt, den Erinnerungen nachhängend, ihre rauen Hände kneteten die nackten Oberarme. Reinholds Augen lugten angespannt zwischen den wulstigen Lidern hervor und in seinem Magen kreiste eine bleiernde Schwere.
Er spürte mehr, als dass er verstand und dass es nicht richtig war, dass Roswitha jetzt seine Schwester sein sollte. Ihm war, als sei nicht die Sonne untergegangen, sondern als sei die Erde gekippt und verdunkelte nun den Stern, der all sein rotes Licht über den Himmel ergoss und die dünnen Wolkenbänder in Blut badete. Reinhold schlief nicht die Nacht, starrte aus dem Fenster zu den blinkenden Sternen hinauf; seine Hände unter der Bettdecke umgriffen immer wieder dieses harte Stück Fleisch zwischen seinen massigen Oberschenkeln, das wie ein Tier inbrünstig nach Nahrung schrie. Nach einer bestimmten Art von Nahrung, die ihm jetzt offenbar entzogen werden sollte. Die Vorstellung war unmöglich für ihn, Roswitha nicht mehr begehren zu dürfen. Seine Schwester, seine Zwillingsschwester.
Immer wieder kreiste seine Mutter zwischen seinem angeblichen Vater und dem Hans Krämer auf seinem alten Lanz, hörte er schwitzend das kleine Käuzchen unten vom Fluss sein törichtes ‚komm mit‘ rufen.
Als der Bus Staub aufwirbelte, pfeifend und fauchend die Türen öffnete, stieg sie alleine aus, sah dem röhrenden Ungetüm hinterher, bis er um eine Kurve bog und sie in der sommerlichen Stille zurückließ. Roswitha erkannte ihn sofort, als er schwitzend aus dem Getreidefeld auf sie zukam.
„Hallo Reinhold – na, kommst Du vom Fluss?“ Ohne Scheu sprach sie ihn an, steuerte aber gleichzeitig mit kleinen Schritten auf die Einfahrt zu ihrem Elternhaus zu.
„Ja, dort hab ich eine Kreuzotter gefunden – eine riesige“, übertrieb er und breitete seine Arme aus. Das violette Kleid mit seinen dünnen Trägern schmiegte der Wind an ihren Körper und Reinhold sah zum ersten Mal die kleinen Brüste mit den auffällig großen Warzen unter dem Stoff. Missmutig tapste er auf ihre Höhe, griff ohne Vorwarnung nach einer dieser zarten Erhebungen und kniff so schmerzhaft zu, dass Roswitha wütend nach seinen Arm schlug und aufschrie.
„Spinnst Du? Was ist los mit Dir? Hat dir die Sonne dein Hirn verbrannt?“ Verärgert und unsicher geworden, versuchte sie sich vor seinen Blicken zu schützen, doch Reinhold stellte ihr den Fuß, hieb kräftig mit seinen klobigen Füßen nach ihren zarten Fesseln.
Nur mit Mühe hielt sie sich aufrecht, schrie jetzt in hoher Tonlage, die Augen ängstlich vor Schreck geweitet.
„Sei still – so sei doch still“, brüllte er in fast gleicher Lautstärke, griff nach ihrem Haar und zog ihren Kopf nach unten. Gebückt stand sie vor ihm, mit ihren dünnen Armen fuchtelnd und er sah diese geschwungene Hüfte, diese zwei weichen Pobacken, schlug das Kleid nach oben und krallte seine feisten Finger hinter das Gummiband des weißen Slips. Fast wahnsinnig vor überschäumender Lust und erdrückender Scham riss er den Fingerbreit Stoff entzwei und entblößte ihren Unterleib.
„Du hast Haare da unten, du bist ja eine Frau“, stöhnte er und schlug mit der freien Hand auf ihren Rücken ein. Er ließ sich in die Hocke fallen, zog sie mit sich auf den heißen Straßenbelag, grapschte nach ihrem Geschlecht. Roswitha nutzte die Ablenkung und befreite sich aus seinem Griff, versuchte auf Händen und Knien dieser Hölle zu entkommen. Aber er erwischte die Fessel ihres rechten Fußes und panisch klammerte sie sich an das erreichbare Gras am Wegesrand. Ächzend drehte er ihr Bein und schreiend folgte sie dem schmerzhaften Zwang, kam auf dem Rücken zu liegen.
„Du mieses Schwein – lass los – du Sau“, ihre Stimme überschlug sich, kreischend und spuckend schlug sie nach seinem massigen Leib, den er jetzt zwischen ihre Beine zwängte, auf ihren zarten Körper wuchtete. Er spürte die brennende Hitze in seinem harten Glied, wie es sich in der Hose an ihrem Becken rieb, drückte mit dem Unterarm gegen ihren Hals.
Sie lag vor ihm. Bleich und der Wind spielte sanft mit ihren roten Locken auf der Stirn, die Knie aufgescheuert und blutig, zwei kleine rote Lippen in den dunklen Haaren unter dem violetten Saum des Kleides. Die geröteten Stellen schmerzten überall dort, wo ihre kleinen Fäuste getroffen hatten. Reinhold fasste an sich hinab und seine Finger wurden nass, während er sich bückte und nach ihrer Hand griff.
„Roswitha – komm, tut mir leid – wach auf“, doch kein Lächeln kehrte in ihr entspanntes Gesicht.
„Los doch – wach doch auf – wenn du willst, zeig ich dir auch meine Kreuzotter.“
Er hatte sie in seinen Armen hinab zum Fluss getragen, ihr erzählt, dass sie seine Schwester sei und keine Angst vor ihm zu haben brauche; Roswitha neben einem Tümpel abgelegt, ihr das Kleid ausgezogen, zusammengefaltet und mit der Schultasche unter ihren Kopf geschoben. Den Slip vergrub er an einer sandigen Stelle unter dicken Steinen. Es sah aus, als läge sie in der Sonne und sei eingeschlafen. Der Anblick wirkte beruhigend auf Reinhold und er wollte endlich nachhause.
Sie liegt jetzt sicher immer noch dort. Er kann nicht nachhause, solange sie dort liegt.
Reinhold tritt so heftig in die Flucht der Ähren, dass er das Gleichgewicht verliert und in die Furche fällt. Wütend umschließt er ein Bündel Halme, reißt sie aus dem trockenen Boden und schleudert sie in das Feld.
„Ich habe nichts getan – hört ihr? Sie ist an der Hitze gestorben!“
Zikaden lärmen und die Unbarmherzigkeit der Sonne martert sein Denken.
Verzweifelt sackt sein Kopf nach hinten, ermattet läßt er sich auf den Rücken fallen, ein Bein angewinkelt. Erde klebt in seinem Nacken; als er die Augen öffnet, wiegt sich volle Frucht vor dem blauen Himmel. Ein Marienkäfer klettert an einem Stängel empor und vom Fluss her kommen sie. Tiefe Stimmen von Männern, die nicht fröhlich klingen.
Reinhold wälzt sich zur Seite und weint in seinem Arm. Verschwommen sieht er den ersten Halm mit drei trockenen Blättern. Neben diesem wieder Halme, fortlaufend, hintereinander, versetzt, ein Wald, undurchdringlich, endlos und er verliert sich seufzend.