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Die Schlacht um die Blaue Burg

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10.10.2004
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Die Schlacht um die Blaue Burg

Alec ließ seinen Blick grimmig über die Landschaft schweifen. Der Herbst hatte sein Werk getan und den Wald und die Felder davor in ein buntes Farbenmeer getaucht. Ein kalter Wind spielte mit seinen langen, schwarzen Haaren und ließ ihn frösteln.
Der Herbst. Ja, der Herbst. Er erinnerte Alec schmerzhaft daran, dass alles vergänglich war. Selbst die mächtige Blaue Burg würde sich eines Tages in Wohlgefallen auflösen.
Die Zeit würde an ihr nagen bis sie schließlich einstürzte oder sie würde von Invasoren eingenommen werden.
Trotzig hielt Alec sein Gesicht gegen den immer stärker werdenden Wind. Nein, gegen die Zeit selbst würde er niemals ankommen, aber mit Invasoren würde er fertig werden. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um die Burg seiner Vorfahren zu beschützen.
Er trat einen Schritt zurück und griff nach seinem Schwert. Mit einem wütenden Schrei hob er es in die Luft. Dann drehte er sich um und erhob die Stimme.
»Hört mich an, Händler, Bauern, Soldaten!« Er ließ das Schwert sinken und stützte beide Hände auf den Knauf.
»Der Tag, auf den wir uns solange vorbereitet haben, ist endlich gekommen. Die Truppen des Bösen stehen vor dieser schönen Burg und werden sie angreifen. Und eines sage ich euch: Sollen sie es doch versuchen!« Er reckte das Schwert wieder gen Himmel. »Bei allem, was heilig ist, wir werden die Blaue Burg niemals preisgeben, niemals!«
Als seine Worte verhallt waren, senkte sich Stille über das Turmzimmer. In einer dunklen Ecke quiekte eine Maus, sonst war nichts zu hören. Ein kalter Windstoß schickte sich wieder an, das Fenster zu passieren. Alec schloss eiligst die schweren Holzläden und tauchte das Zimmer in Dunkelheit. Als sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, steckte er das Schwert zurück in die Scheide und lehnte es an die Wand. Dann setzte er sich seufzend auf einen Schemel.
Na also. Wenn er sich konzentrierte, schaffte er es. Die Worte hatten in seinen Ohren gut geklungen, aber wie würden sie die Menschen aufnehmen? Er war sich unsagbar dämlich vorgekommen, als er sie gebrüllt hatte, aber irgendwann musste er ja schließlich üben. Undenkbar, wenn er bei seiner Rede vor der Schlacht stotterte. Die Menschen würden einem stotternden Befehlshaber nur zaghaft folgen, das wusste er ganz genau. Wenn es soweit war, musste er Ruhe und Selbstsicherheit ausstrahlen.
An der Zimmertür ertönte ein Klopfen.
»Herein!«, brüllte er, mit jener Selbstsicherheit, die er gerade wieder aufgefrischt hatte. Und die er liebend gerne für immer behalten hätte.
Die Tür schwang auf und Sylvester, der junge Wachmann trat ein. Das Licht, das durch die Tür in das Zimmer fiel, erhellte es nur geringfügig. Ein geringschätziges Lächeln umspielte seine Lippen. Er würde doch nicht etwa gelauscht haben?
Sylvester verbeugte sich unterwürfig. »Sir Alec, ich erlaube mir, Euch mitzuteilen, dass der Händler gerade in der Burg eingetroffen ist.«
Alec stand so schnell von seinem Stuhl auf, dass Sylvester zusammenzuckte.
»Lloyd T-Tyler, der Kerl mit dem langen, schwarzen B-B-Bart?« Großer Gott, da war es wieder. Das vermaledeite Stottern. Die Geißel, die ihm auferlegt war, seit er sprechen konnte. Wenn er alleine war, fiel es ihm leicht, flüssig zu sprechen, vermutlich, weil ihn garantiert niemand tadeln würde, wenn er einmal ins Stocken geraten sollte. Das änderte sich, sobald eine andere Person anwesend war. Konnte es sein, dass dieser Mickerling seine Sicherheit geraubt hatte? Alec genoss trotz seines Sprachfehlers einigen Respekt, was auf seine hünenhafte Gestalt und auf seine Kampfkünste zurückzuführen war. Und, nicht zu vergessen, dass er Burgherr war. Aber der Respekt könnte viel größer sein, würde er von seinen Gesprächspartnern nicht immer als geistig minderbemittelt deklariert werden.
Sylvester war das Stottern lächelnd übergangen und antwortete seinem Herrn: »Ja, der Kerl mit dem langen, verfilzten Bart. Ihr solltet Euch beeilen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er lange bleiben wollte.« Alec nickte. Er ging zu dem runden Holztisch, der inmitten des Raumes stand, und nahm das Pergamentblatt, das darauf lag. Er faltete es zusammen und steckte es in seine Manteltasche. Dann ging er raschen Schrittes aus dem Turmzimmer, und Sylvester folgte ihm. Sie stiegen die lange Wendeltreppe hinab, passierten das große eisenbeschlagene Tor des Turms und betraten schließlich den Burghof. Heute war Markttag und Händler trafen den ganzen Tag über in der Burg ein. Manche kamen aus der unmittelbaren Umgebung, andere von weit her. Lloyd Tyler gehörte zu jenen, die eine lange Reise auf sich genommen hatten.
Der Burghof war voller Menschen, die sich lärmend unterhielten. Händler bauten ihre Stände auf, leibeigene Bauern schafften große Mengen Stroh in die Lager der Burg. Sylvester hatte die Führung übernommen und brachte seinen Herren direkt zu dem gesuchten Händler.
Jetzt sah er ihn. Tyler war mit seinem Wagen in den Burghof gefahren, machte aber keine Anstalten, ihn abzuhängen und das Pferd von seiner Pflicht zu entbinden. Er war von seinem Wagen gestiegen und blickte suchend in die Menschenmenge. Alec packte Sylvester an der Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Renn los und sag Cole, dass er schnellstens kommen soll.« Sylvester nickte und verschwand in der Menge.
Wenn sich die Menschen nur flüsternd unterhalten würden, hätte ich keine Probleme, dachte Alec resignierend. Vermutlich lag es an der Lautstärke. Oder böse Stottergeister merkten, wenn er redete und legten ihm Steine in den Weg, sobald er das Wort erhob. Wenn er flüsterte, hörten sie ihn anscheinend nicht.
Alec wischte den Gedanken beiseite und ging auf den Händler zu. Tyler kannte er gut von früher, er war ein immer fröhlicher Mensch, den anscheinend nichts in eine missmutige Stimmung versetzen konnte.
»Was für eine Ehre, Sir Alec de Marvis höchstpersönlich!«, sagte er fröhlich lachend, als er den großen Mann mit dem rabenschwarzen Haar erblickte. Doch Alec ließ sich nicht täuschen. Er hatte das Entsetzen in den Augen des Händlers gesehen, bis es vom Lächeln überdeckt worden war.
»Lloyd, schön, dass Ihr Euch w-w-wieder einmal in meiner B-Burg blicken lasst!« Alec packte die Hand des Händlers und schüttelte sie so fest, dass sein Lächeln erstarb.
»Vati, Vati!« Ein Junge löste sich aus der Menge und rannte auf den Händler zu. Er hatte strohblonde Haare und zerschlissene Kleidung. Alec schätzte sein Alter auf neun Jahre. Tränen der Freude rollten über sein rosiges Gesicht.
»Jake! Du hast mir ja so gefehlt!« Lloyd umarmte seinen Sohn liebevoll. Alec beobachtete die ganze Szene mit gemischten Gefühlen. Kinder… Dieser Wunsch würde ihm wohl auf längere Zeit verwehrt bleiben.
»Jake, ich möchte dir Sir Alec de Marvis vorstellen. Er ist der Herr der Blauen Burg.« Jake schüttelte artig die Hand des Burgherren und verbeugte sich schüchtern.
Wirklich ein netter Junge, dachte Alec, während er tunlichst darauf achtete, ihm nicht die Hand zu zerquetschen.
Plötzlich tippte ihm jemand auf die Schulter. »Sir Alec, Ihr habt nach mir rufen lassen? Was kann ich für Euch tun?«
Er drehte sich um und blickte in das grinsende Gesicht von Cole, dem Scharfrichter.
Cole war eine eindrucksvolle Erscheinung. Er war so groß, dass selbst Alec zu ihm aufsehen musste, und sehr breit gebaut. Sein Gesicht wurde von einer langen Narbe geprägt, die auf der Stirn seines kahlen Kopfes ihren Anfang nahm, und am Nasenrücken endete. Cole war gänzlich in schwarz gewandet, die Kapuze, die zu seiner Kluft gehörte, hatte er zurückgeschlagen.
Dem Händler war das Lachen endgültig vergangen, sein Sohn war beim Anblick des Scharfrichters angstvoll zurückgewichen.
»Was soll das?«, fragte Tyler irritiert, dessen Blick argwöhnisch zwischen Alec und Cole pendelte.
»Nun«, erwiderte Alec, »ich brauche ihn, um Euch festzuhalten, weil… (er setzte kurz aus und schloss konzentriert die Augen) Ihr wegrennen werdet, wenn ich Euch b-b-bitte, mit mir mitzukommen. Ist doch so, oder? Halt ihn fest, Cole!«
Während er gesprochen hatte, hatte sich der Händler tatsächlich umgedreht und sich angeschickt, durch das Tor der Burg zu verschwinden.
Nach zwei Schritten Richtung Ausgang sprang ihm Cole mit einem Riesensatz hinterher und hielt ihn fest. Alec konnte ein spitzbübisches Lächeln nicht vermeiden. Ja, auf den guten alten Cole war Verlass.
Lloyd Tyler wehrte sich heftig und schrie aus Leibeskräften. Alle Augen auf dem Burghof waren nun auf sie gerichtet. »Kein Grund zur Aufregung, Leute!«, brüllte Cole mit seiner tiefen Stimme, dann senkte er sie und fragte Alec:
»Wohin mit ihm, mein Herr?«
»In dein Arbeitszimmer.« Der Scharfrichter grinste und zog den schreienden Mann mit sich.
Dem Sohn des Händlers standen die Tränen in den Augen. »Was habt ihr mit meinem Vater vor?«, fragte er verzweifelt. Alec tätschelte lächelnd den Kopf des Jungen.
»Keine Angst, Junge. Ihm wird ni… nichts geschehen. K-k-komm mit mir mit.«
Und so gingen die vier unter den Augen der gaffenden Menschenmenge zu den Kerkern der Blauen Burg.

Die Folterkammer wurde von rußenden Fackeln in ein flackerndes, rötliches Licht getaucht. Coles Maschinen waren ein Alptraum aus Holz und Eisen. Sie warfen bedrohliche, flackernde Schatten an die Wände aus kaltem Stein.
»So ein Glück«, sagte Cole strahlend, »als ich zu Euch gerufen wurde, bin ich gerade mit dem Ölen der Werkzeuge fertig geworden. Es ist jetzt alles im besten Zustand. Soll ich mit den Daumenschrauben anfangen?«
»Nur, wenn er sich weiterhin wehrt.«
Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Tyler hörte auf, gegen Coles Griff anzukämpfen und hing nur noch schlaff in seinen Armen. Cole ließ ihn los und machte eine einladende Geste Richtung Streckbank. »Wenn sich der Herr bitte setzen würde…«
Die Streckbank war das einzige Mobiliar in der Folterkammer, auf das man sich setzen konnte, ohne dass sich Eisenstacheln in den Hintern bohrten. Zögernd bewegte sich Tyler auf die Streckbank zu und nahm Platz. Sein Junge verdeckte die Augen mit den Händen.
Alec baute sich vor Tyler auf und verschränkte die Arme.
»Nun, ich… ich höre. Was haben Euch die schwarzen Männer versprochen, dass Ihr für sie meine sch-sch-schöne Burg ausspioniert?
Tyler konnte zuerst die Überraschung in seinem Blick nicht verbergen, dann setzte er ein Lächeln auf. »Was redet Ihr da nur für einen Schwachsinn? Ich und spionieren!« Er versuchte zu lachen, scheiterte aber kläglich.
Alec gab seinem Scharfrichter einen Wink. Dieser nahm eine große Zange von einem Wandhaken. Bedrohlich hielt er sie vor das Gesicht des Händlers.
»Ist sehr schmerzhaft, das könnt Ihr mir glauben. Normalerweise bearbeite ich damit Arme oder Beine, aber für Euch ehrenwerten Herr mach ich mal ’ne Ausnahme.«
Die Zange näherte sich bedrohlich Tylers Schritt.
»Schon gut, schon gut«, sagte Tyler, während er vor der Zange zurückwich, »ich gebe es zu!«
So kenn ich meinen Lloyd. Wahrlich schwer zu knacken, dachte Alec zufrieden. Ein Seitenblick auf Cole zeigte ihm, dass er nicht sonderlich froh darüber war.
Tyler fuhr fort: »Sie überfielen mich, als ich auf der Waldstraße unterwegs war. Furchtbare Männer in schwarzen Rüstungen, die sich von üblichen Wegelagerern unterschieden. Sie nahmen mir meine wertvollsten Waren und gaben mir den Auftrag, die Blaue Burg auszukundschaften. Anzahl der Soldaten, die Qualität ihrer Waffen, der Zustand der Burg, solche Sachen halt.« Ängstlich sah der Händler zu der Zange auf, die Cole in einer Art und Weise hielt, als wollte er ihm im nächsten Augenblick den Schädel einschlagen.
»Tyler, diese Männer werden morgen m-m-meine Burg angreifen. Wenn Ihr ihnen helft, werden wir k-keine Chance haben, gegen sie zu bestehen. In dieser Burg befinden sich viele Frauen und Kinder. Wollt Ihr wirklich an deren Tod schuld sein?«
Der Händler schüttelte betreten den Kopf.
Alec fuhr fort: »Habt Ihr ihn… ihnen… ihnen…«
»Ihnen irgendetwas vorab über die Blaue Burg erzählt?«, half Cole ihm aus. Alec schenkte ihm einen dankbaren Blick. »Zum Beispiel über die zweite Burgmauer?«
»Nein, nichts. Kein einziges Wort.«
Cole drehte sich zu Jake um, der elend an der Wand lehnte. »He, Junge, sagt er die Wahrheit?«
»Der Junge war nicht dabei.«
»Was?«, rief Cole überrascht aus und sah Alec an. Dieser teilte seine Überraschung nicht im Geringsten.
»Ich war alleine, als ich den Wald durchquert habe. Ich weiß natürlich, dass es sehr gefährlich ist, auf der Waldstraße alleine unterwegs zu sein, war ja nicht der erste Überfall, den ich erlebt habe.« Er sah auf seine Hände und seufzte.
»Und weiter?«, fragte Cole.
»Normalerweise fahren immer mehrere Gespanne zusammen durch den Wald. Sie warten am Waldesrand, bis sie mindestens zu zweit den Wald durchqueren können. Da ich noch einige Geschäfte zu erledigen hatte, habe ich Jake mit einem befreundeten Händler mitfahren lassen, da ich befürchtete, dass gegen Abend niemand mehr da sein würde. Und genauso war es dann.« Alec nickte. Die Probleme der Händler mit den Strauchdieben im Wald waren ihm nur allzu bekannt.
»Nach dem Überfall bin ich spät in der Nacht beim Rasthaus eingetroffen, aber mein Sohn war mit den anderen Händlern schon längst Richtung Burg weitergezogen. Das ist alles. Mehr kann ich Euch nicht erzählen.«
Alec nickte. »Und w-w-wenn Ihr mit brauchbaren Informationen zurückkehrt…«
»Bekomme ich die gestohlenen Waren zurück.«
Stille senkte sich über die Kammer. Nur die Fackeln, stumme Zeugen des Gesprächs, prasselten weiter fröhlich vor sich hin.
»Ihr wisst, was ich von Euch verlangen werde«, sagte Alec mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war.
»Ich kann es mir vorstellen.«
»Nun denn…« Der Burgherr griff in die Tasche seines Mantels und zog ein Stück Pergament hervor. Er entfaltete es und hielt es dem Händler unter die Nase.
DAS hättest du nicht erwartet, was?, dachte Alec, während er grinsend das völlig verdatterte Gesicht des Händlers musterte. Apropos Gesicht: In dem verfilzen Bart hatte sich gerade etwas bewegt…
Angewidert wandte sich Alec ab.
Lloyd Tyler schaffte es endlich, seiner Verblüffung Ausdruck zu verschaffen. »Ihr tragt eine Karte der Burg mit Euch?«
Alec nickte. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass Tyler seine Zeichnung gleich als Karte der Festung erkannt hatte. Er hatte die Burg ohne zweite Burgmauer und Burggraben gezeichnet. Die Waffen, die in der Burg vorzufinden waren, hatte er neben der Zeichnung aufgelistet, ebenso die Anzahl der Wachsoldaten.
Der Händler nahm sie entgegen und musterte sie genauer.
»A-all-alle Informationen, die Ihr… braucht, sind auf der Karte. Natürlich sind sie komplett falsch, aber ich hoffe, dass mei… meine Feinde darauf reinfallen.«
»Und wenn Eure Feinde nicht lesen können?«
»M-m-macht Euch deswegen keine S-S-Sorgen, der Anführer kann es.«
Cole meldete sich wieder zu Wort. »Verschwindet jetzt. Schleppt Euren verfaulenden Kadaver in den Wald und gebt den schwarzen Männern die Karte. An Eurer Stelle würde ich beten, dass sie drauf reinfallen.« Er machte die gleiche Geste, mit der er zuvor auf die Streckbank gewiesen hatte, nur diesmal Richtung Tür.
Der Händler stand auf und nahm seinen Sohn, dessen Gesicht leichenblass war, in den Arm. Dann faltete er die Karte zusammen und steckte sie ein.
»Woher habt Ihr gewusst, dass ich den Auftrag hatte, Eure Burg auszukundschaften?«, fragte der Händler leise.
Als Alec nichts sagte, antwortete Cole für ihn. »Ein Vögelchen hat’s ihm gezwitschert«, sagte er trocken, während er die Zange wieder an die Wand hängte.
Nach diesen Worten gingen sie langsam aus der Folterkammer, ein eingeschüchterter Mann mit seinem verängstigten Kind. Alec tat es schrecklich Leid, was er Tyler angetan hatte, er hatte sein freundliches Wesen immer geschätzt. Gut, er hatte seine Burg ausspionieren wollen, aber was hatte er für eine Wahl gehabt? Wenn man sich seine Kleider und die des Jungen ansah, konnte man sehen, dass er nicht gerade wohlhabend war. Der arme Mann…
»Sir Alec, ich würde ihm nicht so leichtfertig vertrauen. Was ist, wenn er uns dennoch verrät?«, sagte Cole sorgenvoll.
»Keine Angst, das wird nicht geschehen.« Alec seufzte. Was er jetzt tun musste, hasste er wie die Pest.
»Tyler!«, schrie er dem Mann hinterher. Der Händler zuckte zusammen und drehte sich langsam um.
»Hattet Ihr wirklich gedacht, dass Ich Euch t-t-trauen würde? Ich muss mich darauf verlassen k-können, dass Ihr meinen Feinden die K-Karte übergebt.«
Er hatte respekteinflößend klingen wollen, aber sein Sprachfehler hatte sein Vorhaben vereitelt. Wieder einmal.
Alec deutete auf Jake. »D-d-der Junge bleibt hier.«
Als hätte man ihm den Befehl dazu gegeben, stürmte Cole auf die beiden zu und riss das Kind brutal aus der Obhut seines Vaters.
Der Händler versuchte erst gar nicht, seinen Sohn zu beschützen. Jake hatte der Schrecken derart fest gepackt, dass es schien, als wäre es ihm völlig gleich, was mit ihm geschehen würde.
»Verschwindet, Tyler«, sagte Cole, als Tyler keine Anstalten machte zu gehen.
Der Händler bedachte seinen Sohn mit einem letzten traurigen Blick, dann drehte er sich um und ging niedergeschlagen Richtung Burghof.
»Für diese Tat werdet Ihr in der Hölle schmoren, de Marvis«, sagte er mit belegter Stimme, dann war er verschwunden.
Stumm standen die drei in dem kalten Kellergewölbe und blickten in die Richtung, in der der Händler gegangen war. Alec wollte zu Jake etwas Tröstendes sagen, brachte aber nichts heraus. Er hatte Jake seit ihrer Begegnung auf dem Burghof ins Herz geschlossen. Der Junge hatte in ihm die brennende Sehnsucht nach einem eigenen Kind erweckt. Jake war genauso, wie Alec sich einen zukünftigen Sohn nur wünschen konnte. Es zeriss ihm das Herz, wenn er daran dachte, was er ihm angetan hatte. Wenn ihm nur etwas einfallen würde, um den Schmerz des Jungen zu lindern…
Jake, hör zu, es tut mir leid. Aber ich hatte keine andere Wahl.
Ziemlich jämmerlich, aber er würde es versuchen.
Doch als er sich auf die Höhe des Jungen begab und sein tröstendes Wort an ihn wenden wollte, fing Jake derart herzzerreißend zu weinen an, dass es ihm endgültig die Sprache verschlug.
»Vati, Vati, neiiiiin!«
Dieser enthemmte Gefühlsausbruch traf ihn wie ein schneller, unglaublich brutaler Schlag.
Er sah hilflos zu Cole, doch dieser zuckte nur mit den Achseln.

Das verzweifelte Schluchzen verfolgte ihn noch viele Jahre, im Wachen, wie im Träumen.
Und all die Verletzungen, die er sich später bei der Schlacht zuzog, übertrafen allesamt nicht den Schmerz, den ihm dieser kleine Junge zugefügt hatte.

***

Der Mond war aufgegangen und warf sein milchiges Licht auf die Festung. Der Burgherr stand einsam auf dem Wehrgang der inneren Burgmauer und blickte geistesabwesend zum Wald. Das Mondlicht reichte gerade aus, um das Rasthaus am Waldesrand zu erkennen. Rechts daneben befand sich der Waldweg, den man jetzt allerdings nicht sehen konnte. Morgen würde eine Horde schwerbewaffneter Krieger aus dem Wald hervorbrechen; sie würden rasch, viel zu rasch bei der Burg eingetroffen sein. Unter Alec befand sich das innere Burgtor, das Tor mit der Zugbrücke. Sie war herabgelassen, überspannte den tiefen Wassergraben und endete am äußeren Tor. Alec hatte es seinen Männern erspart, sie hochzuziehen. Nach Einbruch der Dunkelheit war das Tor geschlossen worden. Seine Zimmerleute hatten sich sofort an die Arbeit gemacht und es mit Brettern verstärkt. Natürlich nur so, dass man es auch wieder öffnen konnte. Die Menschen aus den Bauerndörfern mussten sich schließlich noch in die Burg retten können.

Die Sonne strahlt am wolkenlosen Himmel, als sich die Horde vor der Burg sammelt. Die Zugbrücke wird lärmend hochgezogen. Die Bauern, die vor Walters Schergen geflüchtet sind, werden im Burghof bewaffnet. Manche tragen die Situation mit Fassung, anderen ist die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben…

»Sir Alec?« Eine unsichere, fast ängstliche Stimme hinter ihm. Der Burgherr erwachte aus seinem tranceähnlichen Zustand und wandte sein Gesicht fragend dem jungen Wachmann zu.
»Alle, die dem Inneren Zirkel angehören, haben sich versammelt. Sie warten nur noch auf Euch.« Alec musterte Sylvesters Gesicht, so genau, wie es das Mondlicht zuließ. Kein missbilligendes Grinsen mehr wie heute Vormittag. Vielmehr Respekt und etwas Angst.
Gut. Sehr gut.
Ohne Sylvester eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Alec die Burgmauer, indem er über eine Steintreppe in den Burghof hinabstieg. Der Burghof war am Tag so voller Menschen gewesen, dass man seine wahre Größe erst jetzt erfassen konnte.
Vor vielen Jahren, bevor die innere Burgmauer und der Wassergraben auf seine Veranlassung hin gebaut worden waren, war er schon fast verschwenderisch groß gewesen. Wunderschöne Gärten hatten ihn gesäumt und dem Betrachter eine Vorstellung des Wohlstandes und der Macht seiner Familie gegeben. Doch das Paradies hatte dem seelenlosen Bollwerk weichen müssen.
Mit den Gedanken in der Vergangenheit, hatte Alec mittlerweile die innere Burg betreten und bewegte sich zielstrebig auf den Festsaal zu.
Dort angekommen, öffnete er die schwere, zweiflügelige Tür. Im Saal befanden sich etwa zwei Dutzend Menschen, die sich lärmend unterhielten. Als sie Alec erblickten, verstummten sie augenblicklich. Sie erhoben sich von ihren Stühlen und sahen ihn ehrfürchtig an.

Ach, könnte dieser Moment doch ewig anhalten…
Randall, der weißhaarige Hauptmann der Burgwache, erhob das Wort zur Begrüßung.
»Der Innere Zirkel, jene, die wissen, begrüßen Euch, Sir Alec, Hellseher und Herr der Blauen Burg!«
»Heil Seher!«, stimmten die übrigen Mitglieder an.
»Ich grüße euch ebenfalls, meine treuen Freunde und Verbündete!«
Er liebte diese Treffen, hier war er in seinem Element. Die bewundernden Blicke erfreuten sein Herz und ließen ihn weniger stottern. Hoch über der Tafel war sein Wappen aufgehängt: Eine blaue Burg auf weißem Grund, über der ein Auge schwebte. Gina, die einzige Frau im Saal, lehnte mit verschränkten Händen an der Wand und sah ihn mit einem sorgenvollen Blick an. Alec ignorierte sie, ging zum Ende der Tafel und setzte sich. Die Mitglieder des Inneren Zirkels taten es ihm gleich.
Links von ihm saß Cole, rechterseits Randall. Auf der Tafel waren Wein und andere Getränke vorzufinden. Er blickte Achtung heischend in die Runde.
»Meine lieben Freunde, morgen ist er da, jener schicksalhafte Tag, auf den wir uns so viele Jahre vorbereitet haben. M-m-morgen wird entschieden, ob wir Walter dem Grausamen standhalten können oder untergehen.« Ein Raunen ging durch die Runde.
»Schön, dich zu sehen, Yalon!«, sagte er voller Freude zu einem jungen Mann mit zerfurchtem Gesicht, den er gerade am anderen Tischende erblickt hatte. »Ich freue m-m-mich, dass du wohlbehalten von deiner Reise zurückgekehrt bist. D-d-du wirst bald Gelegenheit bekommen, deine Geschichte zu erzählen, aber ich möchte zuerst Cole bitten, uns die Ereignisse des Vormittags zu schildern.«
Alec wies mit einer Handbewegung auf den Scharfrichter. »Ich erteile dir das Wort, m-mein Freund.«
Cole nickte und erhob sich. Er erzählte den Mitgliedern der verschworenen Gemeinschaft alles über die Vorfälle am Vormittag. Als er zu dem Punkt kam, wo Alec ihm befohlen hatte, dem Händler sein eigenes Kind zu entreißen, setzte aufgeregte Murmeln ein. Alec schielte Richtung Gina. Ihr sorgenvoller Blick war einem vorwurfsvollen gewichen.
»War das unbedingt nötig, mein Seher?«, wollte Martin, ein rothaariger Mann mit gütigen Augen, wissen. Martin war der Aufseher der leibeigenen Bauern, die Walters Horde morgen als Erstes begegnen würden.
»Leider ja. Wenn T-Tyler seinen Sohn mitgenommen hätte, wäre es ihm leicht gef-f-fallen, uns zu verraten. Wenn sein Kind aber mit uns zusammen in der Patsche sitzt, wird er alles tun, um es zu schützen.«
»Und was ist, wenn er so wütend auf Euch ist, dass er uns trotzdem verrät?«
Diese Frage hing lange in der Luft. Doch dann bekam der Bugherr glasige, teilnahmslose Augen, die mitten ins Nirgendwo zu blicken schienen. Sein Kopf fiel in den Nacken, der Mund war sperrangelweit offen.
Stille senkte sich über den Saal. Niemand wagte es, ein Geräusch von sich zu geben, es schien, als hätten einige sogar zu atmen aufgehört. Schließlich erwachte Alec wieder aus der Erstarrung und schüttelte den Kopf.
»Keine Sorge, das wird nicht geschehen.«
»Hattet Ihr diesbezüglich gerade eine Vision?«, fragte Martin ehrfürchtig.
Alec nickte.
Einige starrten ihn mit unverhohlener Ehrfurcht an, andere falteten die Hände zum Gebet und dankten Gott, dass er den Burgherrn mit dieser Fähigkeit gesegnet hatte.
»Habt ihr den Jungen in den Kerker geworfen?«, fragte Martin leise, nachdem er mit dem Beten fertig war.
Da war er wieder, dieser große Schmerz, den Jake verursacht hatte.
Vati…
»Nein, ich habe die Schneiderin gebeten, auf ihn aufzupassen«, sagte Alec niedergeschlagen. Er nahm einen Schluck Wein und ließ den Kopf hängen.
»Mein Seher, erlaubt mir, Euch jetzt Auskunft über meine Reise zu den Schotten zu geben«, sagte der Kundschafter. Seine blauen Augen leuchteten aufgeregt in ihren dunklen Höhlen.
Der Burgherr sah von seinem Weinglas auf und machte eine auffordernde Geste.
Yalon stand auf und begann zu sprechen.
»Ich habe in den letzten Wochen drei Clans der Schotten besucht. Ich habe ihnen unsere Probleme erläutert, und ich bin bei Zweien nur auf Feindseligkeiten gestoßen. Sie waren nicht interessiert an den Prophezeiungen, die ich ihnen im Gegenzug für eine militärische Unterstützung angeboten habe.«
»Zum Teufel mit den Schotten!«, schrie jemand aufgebracht. Und: »Wenn wir doch bloß nicht durch diesen verdammten Wald von England abgeschnitten wären, könnten wir auf Unterstützung unserer Landsleute zählen!«
Der Burgherr machte eine beschwichtigende Handbewegung, die die Männer verstummen ließ. Der Kundschafter fuhr fort: »Wie gesagt, nur zwei der drei verweigerten ihre Unterstützung. Die MacCallahans haben uns ihre Zusage erteilt. Im Gegensatz zu den anderen Clans konnte ich sie mit den Prophezeiungen für unsere Pläne gewinnen. Sie können uns morgen zweihundert bewaffnete Männer schicken.«
»Diese Lügen kenne ich«, sagte Randall rechts von Alec verächtlich. »Trau niemals einem Schotten. Sie nehmen unsere Präsente, versprechen das Blaue vom Himmel und kuschen, wenn es hart auf hart kommt. Niemals werden sie ihre Ärsche erheben, um uns Engländern zu helfen! Was sagt Ihr dazu, Seher Alec?«
Als Antwort darauf fiel der Burgherr wieder in Trance. Als er wieder erwachte, schüttelte er nur betreten den Kopf. »So gern ich es auch könnte, ich sehe immer nur Aspekte der Zukunft, niemals die Zukunft in ihrer Gesamtheit. Meine Visionen lassen sich nur bis zu einem gewissen Grad steuern.
(zwei…)
Was die Unterstützung durch die Schotten angeht, tappe ich völlig im Dunkeln. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
(vier…)
»Glaubt einem alten Mann, Sir Alec!«
»Ich glaube dir ja, Randall, natürlich waren die Schotten schon immer zweifelhafte Verbündete, aber sie sind leider auch unsere einzigen Verbündeten.«
Fünf! Fünf gottverdammte Sätze ohne Aussetzer! Gelobt sei Jesus Christus!
Alec setzte ein zufriedenes Grinsen auf, das Randall mit einem verwirrten Blick quittierte.
»Lasst uns z-z-zum (verdammt!) strategischen Teil kommen«, sagte er, während er aufstand und zu einem Tisch in der Ecke des Festsaals ging. Nach und nach folgten ihm die Mitglieder des Inneren Zirkels und versammelten sich kreisförmig um den Tisch. Nur Gina blieb weiterhin auf ihrem Platz an der Wand stehen. Sie hatte die Hände noch immer verschränkt und starrte auf ihre Füße, so, als ginge sie das alles nichts an.
Auf dem Tisch befand sich eine große Karte, auf der die Burg und die umgebende Landschaft abgebildet waren. Im Süden war der große Wald, der von der Waldstraße durchschnitten wurde. Darüber waren die Bauerndörfer eingezeichnet, die allesamt in seinem Besitz waren. Dann, weiter nördlich, befand sich schließlich die Burg. Im Gegensatz zu der Karte, die er heute Vormittag ausgehändigt hatte, waren bei dieser die zusätzliche Burgmauer und der Wassergraben eingezeichnet.
»Erläutere uns deine Strategie für morgen, Randall«, sagte Alec schließlich.
Der Hauptmann schien vor Stolz größer zu werden. Seine Augen leuchteten. Er deutete mit dem Finger auf den Wald und fing an. »Wie wir alle wissen, ist hier vor einigen Tagen Walters Horde eingetroffen. Sie verhalten sich derart unauffällig, dass wir morgen von ihnen völlig überrascht worden wären, hätten wir nicht einen Hellseher als Burgherren.« Er bedachte Alec mit einem Lächeln.
»Walter wird gegen Mittag aus dem Wald hervorbrechen. Dann wird er schnurstracks durch die Bauerndörfer durchmarschieren und die Menschen vor sich hertreiben.«
»Gegen Mittag?«, fragte Martin, der Aufseher der Leibeigenen hilflos. »Ziemlich dehnbarer Begriff. Werden wir sie wenigstens kommen hören?« Er sah Alec hilfesuchend an.
»Keine Angst. Walters Horde s-setzt sich aus tausend bis zweitausend Männern zusammen. Auch wenn sie sich bis jetzt leise ve-ver-verhalten haben, wenn sie erst einmal losmarschieren, und sich der Waldgrenze nähern, wird das unüberhörbar sein«, sagte Alec. »Fahr fort, Randall!«
»Wie Ihr wollt, Seher. Die Leibeigenen werden nicht den Kampf aufnehmen, denn Walters Horde im freien Feld anzugreifen wäre töricht. Sie sollen nur rennen. Das erweckt den Eindruck, dass wir völlig überrascht worden sind. Wenn ich Euren Visionen glauben darf, und ich versichere Euch, das tue ich, werden die Leibeigenen samt ihren Anführer unversehrt in der Blauen Burg eintreffen.« Alec nickte.
»Dann wird das Burgtor geschlossen und die Leibeigenen werden in Windeseile bewaffnet. Ich hoffe, dass wir sie in den letzten Jahren ausreichend in den Kampfkünsten geschult haben, um gegen Walters Horde bestehen zu können.«
Er deutete auf die innere Burgmauer. »Wir werden unsere Bogenschützen hier aufstellen. Auf dem Wehrgang der inneren Burgmauer sind sie besser vor den Aggressoren geschützt. Die Leibeigenen und die übrige Burgwache stellen wir an der Außenmauer auf. Wenn uns Gott gnädig ist, wird Walter an den zwei Burgmauern scheitern. Sollte er trotzdem in die Blaue Burg gelangen, warne ich euch. Er kennt alle übrigen Teile der Burg wie seine Westentasche.
Wenn er erst einmal in der Festung ist, wird sie schnell fallen. Wir können nur hoffen, dass ihn die zusätzliche Burgmauer und der Wassergraben überraschen.«
Er sah Alec an. »Habt Ihr dem noch was hinzufügen, mein Seher?«
»Nun«, sagte Alec. »Da wäre schon noch etwas Wichtiges…«


Spärliches Kerzenlicht erhellte sein Schlafgemach. Er saß auf dem Bett und vergrub den Kopf in den Händen. Gina stand vor ihm und sah ihn vorwurfsvoll mit ihren grünen Augen an. Diesen Blick hatte sie seit dem Treffen des Inneren Zirkels nicht mehr abgelegt.
»Findest du nicht auch, dass du ein wenig zu weit gegangen bist?«, fragte sie schließlich. Er sah zu ihr auf. Eine Strähne ihres langen, blonden Haares fiel in ihr hübsches Gesicht.
»Ich bitte dich, hör auf damit.«, sagte Alec flehend. Schon oben im Festsaal war er sich ungeheuer schäbig vorgekommen, als ihn Martin darauf angesprochen hatte. Jetzt, wo Gina es ihm auch vorwarf, kam er sich wie der schlechteste Mensch auf Erden vor.
»Du weißt sehr gut, dass es nötig war, also spar dir deine scheinheilige Betroffenheit.«
Darauf erwiderte sie nichts.
Alec vergrub sein Gesicht wieder in den Händen. »Ich ertrage es nicht länger. All diese Mühen, die ich auf mich genommen habe, nur um diesen verdammten Irren zu schlagen…«
…für diesen Frevel werdet Ihr in der Hölle schmoren…
…Vati, Vati, neiiiiin…
…habt Ihr den Jungen in den Kerker geworfen?

Er fing leise zu weinen an. Gina setzte sich neben ihn auf das Bett und legte ihm tröstend den Arm um die Schultern. Bei Gina brauchte er sich nicht zu verstellen. Bei Gina musste er nicht den selbstsichern Anführer spielen. Sie würde es ihm sowieso nicht abnehmen.
»Egal, wie es morgen läuft, ich glaube an dich. Ganz fest.«
Er sah sie traurig mit seinen verquollenen Augen an. »Du musst nur an dich selbst glauben«, sagte sie und küsste ihn.

***

Er stand vor dem Außentor und blickte in die Burg. Drinnen waren die Vorbereitungen für die Schlacht im vollen Gange. Knappen rannten wie aufgescheuchte Hühner umher und schafften Waffen aus der Waffenkammer in den Burghof, das Hämmern des Schmieds konnte er bis hierher vernehmen und die Männer der Burgwache legten sich ihre Kettenhemden an. Rufe und Flüche hallten über die Burg.
Er entfernte sich etwas von der Festung und sah sie sich zufrieden an. Ihre wunderschönen, dunkelblau getünchten Mauern, der majestätische Turm in der Mitte, auf dem sein Banner wehte…
Ja, für Walter würde sie genauso aussehen, wie er sie in Erinnerung hatte. Außen zumindest.
Er trug sein Schwert bei sich, was sonst nicht sehr oft vorkam. Alec zog es aus der Scheide und betrachtete es prüfend. Keine Scharten oder Kratzer verunzierten es, natürlich nicht. Der Schmied hatte es schon vor einer Woche geschliffen und poliert. Er prüfte es aus reiner Nervosität. Sein Gesicht spiegelte sich in der Klinge, sah ihm mit einem verstörten Blick entgegen. All die Jahre, die er mit dem Wissen um die kommende Schlacht gelebt hatte, waren nicht spurlos an ihm vorübergezogen; tiefe Sorgenfalten zeichneten sein Antlitz.
Mit schweißnassen Händen steckte er es in die Scheide und ging zurück in seine Burg.
Als er den Burghof betrat, kam ein dicklicher Mann mit Glatze auf ihn zugerannt.
»Sir Alec, Sir Alec!«, rief er, während er aufgeregt mit der Hand winkte.
»Stimmt es, was Eure Männer sagen?
Er nickte. »Meine Späher haben heute Morgen eine g-g-große Armee in den Wäldern erblickt.« Und fügte mit kritischem Blick hinzu: »Ich hoffe, Ihr könnt kämpfen.«
Der Dicke nickte eifrig, Angst war in sein Gesicht geschlichen. »Natürlich, was wäre ein Händler nur ohne sein Schwert?«
»Gut. Sehr gut.« Alec klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Bevor der Händler noch etwas sagen konnte, war der Burgherr schon Richtung Waffenkammer unterwegs, um Randall von einer folgenschweren Dummheit abzuhalten.

Die fleißigen Knappen hatten schon fast alle Waffen auf den Burghof verfrachtet, weshalb kaum noch Kriegswerkzeuge vorzufinden waren. Randall stand mit dreien seiner Männer vor einem großen Holzfass, und sie machten Anstalten, es zu öffnen.
Randall sah zu Alec auf, wobei sich sein Gesicht erhellte. »Sir Alec! Ist der ehrenwerte Herr vorbeigekommen, um einen Schluck von meinem speziellen Kampfgebräu zu trinken?«
Die Männer von der Burgwache grunzten zustimmend.
»Nein«, sagte er kopfschüttelnd, »der ehrenwerte Herr ist vorbeigekommen, um euch d-d-das Saufen zu verbieten.« Kaum zu sagen, wer von ihnen das längere Gesicht machte.
»Aber Sir Alec, das Gebräu macht uns tapfer, wagemutig, tollkühn und bärenstark«, jammerte einer der Männer.
»Selbstverständlich. Wenn ihr davon nur nicht so betrunken werden würdet«, erwiderte Alec trocken. Dann ging er zu Randall und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich sehe für deine Zukunft schwarz, wenn du vor der Schlacht säufst.« Randall zuckte zusammen.
Der Hauptmann entfernte sich von dem Fass, wobei er es mit einem bösen Blick bedachte.
»Ich danke Euch, Seh… Sir Alec, dass Ihr uns vor einem schweren Fehler bewahrt habt.«
In seinem Blick war jedoch keine Spur von Dankbarkeit zu erkennen.
»Ich lasse es nicht zu, dass ihr es dem Feind zu leicht macht«, sagte Alec, dann verließ er die Waffenkammer.

An die restlichen Stunden des Vormittags konnte er sich später nur mehr schwach erinnern.
Er inspizierte Waffen, tröstete ängstliche Mütter und ihre weinenden Kinder, gab den Soldaten Ratschläge und erteilte seinen Arbeitern Anweisungen. Kurz, er tat das, was man von einem umsichtigen Burgherrn erwartete. Doch je näher die Mittagszeit rückte, desto mehr zitterten seine Hände, desto mehr schwitze er, desto mehr wuchs seine panische Angst.

Und dann war er schließlich da. Jener Augenblick, auf den er sich so lange Zeit vorbereitet hatte. Jener schicksalhafte Moment, der all die Jahre sein Denken beherrscht hatte.
Walters Horde brach aus den Wäldern hervor. Und mit den schwarzen Männern Angst, Zweifel, Schrecken und Schmerz. Und der Hellseher stellte sich ihnen entgegen.


***

Seine Feinde hatten vor der Festung Stellung bezogen, außer Reichweite der Bogenschützen. Ein Mann in schwarzer Robe, der auf einem weißen Schimmel vor ihnen auf- und abritt, reckte sein Schwert in die Luft und schrie seinen Mannen Worte zu, auf die sie mit lautem Brüllen antworteten.
Was du kannst, kann ich schon lange…
Mit einem wütenden Schrei zog Alec sein Schwert (wobei ihm fast der Griff entglitt), reckte es gen Himmel (Jesus, hoffentlich bemerken sie mein Zittern nicht) und drehte sich um. Er stand auf dem Wehrgang der inneren Burgmauer, direkt über dem Tor. Die Zugbrücke war hochgezogen. Jeder in der Burg, der kämpfen konnte, hatte seinen Blick auf ihn gerichtet.

Zum ersten Mal seit Stunden keimte wieder so etwas wie Zuversicht in ihm auf. Es war dasselbe Phänomen wie bei den Treffen des Inneren Zirkels. Die Blicke seiner Männer flößten ihm neuen Mut ein, nachdem er schon gedacht hatte, er hätte ihn ganz verloren. Er stützte seine Hände auf den Knauf des Schwertes, klammerte sich förmlich daran.
Lieber Gott im Himmel, lass mich jetzt nicht versagen…
Ein Junge, dessen leuchtende Augen ihm nicht die Angst, die er zweifellos hatte, anmerken ließen; ein alter Mann, der ihn voller unverhohlener Bewunderung ansah; ein kahlgeschorener Leibeigener, gezeichnet von Jahren knochenharter Arbeit, bereit das Leben für seinen Herren zu lassen…
Mut, Zuversicht, Selbstvertrauen. Die kleine Flamme, die stets zu verlöschen gedroht hatte, wurde ein regelrechtes Fegefeuer. Kalte Wut blitzte in seinen Augen auf, als er zu sprechen begann.
»Hört mich an, Händler, Bauern, Soldaten!«
Klar wie kalte Winterluft, laut wie ein Donnergrollen. Seine Angst war zwar nicht ganz aus seiner Stimme verschwunden, aber er störte sich nicht daran.
Er holte tief Luft, und konzentrierte sich auf die von langer Hand einstudierten Worte.
Der Tag, auf den wir uns solange vorbereitet haben, ist endlich gekommen. Die Truppen des Bösen stehen…
»Der Tag, auf den wir uns solange vorbereitet haben, ist endlich gekommen. Die Truppen des Bösen stehen… vor dieser schönen Burg und werden sie angreifen. Und eines sage ich euch: Sollen sie es doch versuchen!«
Zustimmendes Brüllen, welches ihm zeigte, dass er in seiner Wortwahl richtig gelegen hatte. Er zwang sich zu einem grimmigen Lächeln, und nachdem er sich den letzen Satz wieder in Erinnerung gerufen hatte, fuhr er fort.
»Bei allem, was heilig ist, wir werden die Blaue Burg niemals preisgeben, NIEMALS!«
Hinfort mit euch, Stottergeister!
Alles ging im ungeheuren Brüllen unter, die Burg selbst schien zu erbeben.
»ALEC, ALEC, ALEC!« Und vereinzelt: »HEIL SEHER!«
Eine warme, unheimlich wohltuende Woge…
Doch lange war es dem Herrn der Burg nicht vergönnt, die donnernde Zustimmung seiner Leute zu genießen.
Hinter seinem Rücken erschallte ein Horn. Die Horde war zum Angriff übergegangen. »Bezieht eure Stellungen!«, befahl Alec und drehte sich um.

Eine schreiende, wogende Masse, die sich schnell wie der Wind den Mauern der Burg näherte. Ihre Gesichter waren vom Ruß schwarz wie die Nacht, eiserne Rüstungen schützten ihre Körper.
Zuerst kamen die Bogenschützen, die, soweit es Alec von seiner Position aus erkennen konnte, allesamt mit Kurzbögen ausgestattet waren. Ihnen folgten jene Männer, die mit Schwertern, Knüppeln und Lanzen bewaffnet waren. Bunt gemischt dazwischen die Träger, die die zahlreichen Sturmleitern beförderten. Und mitten unter ihnen eine große Ramme, die aus mehreren Baumstämmen des Waldes gefertigt war. Ein wohlkoordinierter, lange geplanter Angriff. Walter der Grausame hatte sich unter seine Leute gemischt; sein Pferd stand verlassen im Hintergrund.
Alec hob den linken Arm, die Hand zur Faust geballt. »Pfeile los!«
Rechterhand wiederholte Randall seinen Befehl. Die Bogenschützen, ausgerüstet mit den besten Langbögen, die ihr Herr in zehn Jahren hatte auftreiben können, taten, wie ihnen geheißen. Ein Pfeilhagel regnete auf die Heranstürmenden nieder.
Die Pfeile durchbohrten Helme, durchschlugen Brustpanzer, bliesen so manchem wild Entschlossenen das Lebenslicht aus, aber sie konnten die anstürmende Horde nicht im Mindesten stoppen.
Da Alec von seinem Platz aus nur ungenügend die Leute an der äußeren Mauer befehlen konnte, verließ er ihn und eilte zu ihnen. Dazu musste er eine der wackligen Holzbrücken überqueren, die sich über den Wassergraben spannten. Bei Bedarf konnten sie durch Schwerthiebe auf die tragenden Seile zum Einsturz gebracht werden.
Seine Männer standen dicht an dicht auf dem Wehrgang, hauptsächlich Leibeigene, deren gepflegte Waffen im krassen Gegensatz zu ihrem heruntergekommenen Äußeren standen, und, vereinzelt dazwischen, die Mitglieder der Burgwache.
Links von ihm, direkt über dem äußeren Tor, befand sich ein riesiger Kessel, in dem heißes Öl köchelte. Auf dem Wehrgang waren außerdem noch schwere Wurfgegenstände vorzufinden.
»Macht Platz!«, brüllte Alec, und seine Mannen gehorchten ihm bereitwillig.
Er beugte sich über die Brüstung und warf einen Blick auf die Horde, genau in jenem Augenblick, als Walters Bogenschützen zu schießen begannen.
Ein verschwommener Schatten, der blitzschnell auf ihn zuflog…
Brennender Schmerz flammte auf, als der Pfeil sein Ohr streifte. Neben ihm fiel ein Bauer schreiend zu Boden – ein weiterer Pfeil hatte sich in sein Auge gebohrt.
Rasend vor Wut bückte sich Alec und hob einen schweren Stein vom Boden hoch. Diesmal musste er keinen Befehl geben - nach und nach taten es ihm seine Männer gleich. Mit einem zornigen Schrei warf er den Stein über die Brustwehr und sah ihm nach.
Der Knabe - denn das war er zweifellos, der Ruß vermochte es nicht, darüber hinwegzutäuschen - hatte auf seinem Gesicht einen Ausdruck überraschenden Erstaunens, als er Alecs Stein auf sich herabfallen sah. Er hob sich vom Rest der Masse ab, vielleicht wegen seiner kindlichen Statur.
Großer Gott, diese Wahnsinnigen müssen ihn zum Kämpfen gezwungen haben…
Da stand er, Sekunden zuvor noch im Begriff, Walters Söldnern beim Aufstellen einer Sturmleiter zu helfen, um jetzt seinem Schicksal hilflos entgegenzusehen…
Dann schlug ihm der unbarmherzige Stein den Schädel ein, und Alec vernahm das schreckliche Geräusch, das Knochen machen, wenn sie zerschmettert werden.
Jene innere Stimme, die sich jedes Mal mahnend meldete, wenn er Grenzen überschritt, schrie gellend auf. Übelkeit stieg in ihm auf, und er wandte sich ab, indem er hinter der Brustwehr in Deckung ging. Hier, im geschützten Bereich, offenbarte sich ihm schon jetzt die grausame Realität dieser Schlacht.
Der ohrenbetäubende Kampfeslärm, dazu Schmerzensschreie überall. Seine Männer, wie sie die Steine auf die Horde schmetterten. Der Gestank des heißen Öls, der ihm fast den Atem raubte. Der Bauer mit dem Pfeil im Auge, der blutüberströmt und regungslos am Boden des Wehrgangs lag.
Mein Gott, er ist Vater zweier Kinder, dachte Alec bestürzt.
Über ihm sirrte ein weiterer Pfeilhagel Richtung Feind.
Aber es blieb keine Zeit, über tote Väter zu trauern, und keine Zeit, sich mit dem Tod eines Kindes, das dem Feind gedient hatte, auseinanderzusetzen. Über der gesamten Länge der Mauer tauchten die oberen Enden von Sturmleitern auf.
»Bringt sie zu Fall!«, bellte Alec und stemmte sich gegen eine von ihnen. Doch das war leichter gesagt als getan. Unweit von ihm entfernt schafften es seine Männer tatsächlich, eine der Leitern umzuwerfen, aber seine wurde mit aller Kraft gegen die Mauer gehalten. Alec gab fluchend auf und griff zu seiner Waffe.
»Schwerter ziehen!«, befahl er, und dieses Mal wiederholte der rothaarige Aufseher Martin seinen Befehl. Die ersten Wagemutigen kamen die Sturmleitern hoch, mitten in die wartenden Arme der Verteidiger. Und wurden gebührend mit Stahl und Klinge empfangen.

Die Mittagssonne tauchte sein Schwert in gleißendes Licht, bevor er es in den Wanst eines riesigen Kerls rammte und es sich blutrot färbte. Der Kerl, der für seine Größe ungewöhnlich flink die Leiter hochgeklettert war, stieß einen Schrei aus, wie ihn Schweine beim Abstechen von sich geben. Dann stürzte er von der Leiter und nahm den Nachfolgenden gleich mit.
Alec verzog angewidert das Gesicht.
Kämpfen mit dem Schwert hatte ihm schon immer Spaß gemacht, solange er an Strohpuppen geübt oder Schaukämpfe geführt hatte. Aber Töten war etwas Anderes.
Die Geschichten seines Vaters, denen er als Kind immer andächtig gelauscht hatte, hatten stets von glorreichen Helden gehandelt, die sich ruhmreich durch die Jahrhunderte metzelten. Als er vor langer Zeit erstmals selbst erfahren hatte, was es heißt, einen Menschen umzubringen, hatte er schon fast sehnsüchtig auf das Hochgefühl gewartet, das der Tat hätte folgen sollen. Stattdessen hatte er zuerst gar nichts gefühlt. Als er Tage später über seine Tat nachgedacht hatte, war er in Tränen ausgebrochen.
Einen ruhmreichen Kampf würde er nie führen können, dessen war er sich jetzt sicher. Töten war einfach schrecklich, nicht mehr, nicht weniger. Er hatte das Gefühl, sich mit jedem Menschen, den er umbrachte, von sich selbst zu entfremden.
Während er auf der Mauer über das Töten sinnierte, köpfte er mit einer scheinbar beiläufigen Bewegung einen unvorsichtigen Feind. Doch tief in seinem Inneren kehrte die Trauer, die ihn einst dazu bewogen hatte, um seiner Feinde wegen zu weinen, zurück.
Reiß dich zusammen, du darfst jetzt auf keinen Fall Schwäche zeigen, wies er sich selbst zurecht.
Seine Feinde wurden des Kämpfens nicht müde, und schon kam ein weiterer Söldner über die Leiter in die Burg. Der Schweiß hatte den Ruß in seinem Gesicht verwischt, der Mund war zu einem teuflischen Grinsen geöffnet. Seine Augen waren weit aufgerissen und flackerten im Wahn.
»Huansohn!«, grölte der Irre. »Huansohn!«
Er war mit einem verrosteten Prügel bewaffnet, der vor langer Zeit einmal ein Morgenstern gewesen sein musste. Er schwang sich geschickt von seiner Leiter und landete auf dem Wehrgang. »Hüah!«, plärrte der Morgensternmann, während er mit seiner Waffe nach Alec ausholte. Alec wich dem Schlag aus und machte sich zum Angriff bereit.
Doch das war nicht mehr nötig.
Zack! Der linke Arm des Morgensternmannes löste sich von seinem Körper und flog in den Burggraben. Er sah ihm nach und erblickte dabei den Wassergraben. Auf seinem dummen Gesicht machte sich Verwirrung breit.
»Wadda?«, fragte er entgeistert. Und leise hinzufügend: »Au-a.«
Dann wurde er von demselben Bauern, der ihm schon den Arm abgetrennt hatte, in den Graben gestoßen. Schreiend stürzte er in das trübe, tiefe Wasser und ging unter. Einer von Alecs Leibeigenen hatte wieder einmal bewiesen, dass die vielen Stunden Kampfausbildung nicht umsonst gewesen waren.
Während an Alecs Platz der wütende Ansturm noch zurückgehalten werden konnte, waren Walters Männer unweit von ihm entfernt durchgebrochen.
Er klopfte dem Bauern anerkennend auf die Schulter - was dieser ihm mit einem Lächeln dankte – und begab sich zu der kritischen Stelle.
Dort war die Hölle los: Eine kleine Gruppe seiner Feinde, die stetig wuchs, hatte auf dem Wehrgang einen Brückenkopf errichtet. Viele seiner Leute lagen abgeschlachtet am Boden, die Gesichter vor Schmerz grauenvoll verzerrt, die Gliedmaßen in absonderlicher Weise von ihren Körpern abgewinkelt.
Während über ihm der nächste Schwarm Pfeile Richtung Horde flog, brüllte Alec einen Befehl zum Angriff. Ein paar Wackere, die von der Schlacht noch nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden waren, folgten ihren Herren bedingungslos.
»Werft die Schweine in den Graben!«, hörte sich Alec brüllen. Mit entschlossenem Blick, sein blutgetränktes Schwert vor sich gestreckt, rannte er in die Arme seiner Feinde.
War es seine ungestüme Schnelligkeit? Der Schrei, den er beim Rennen ausstieß? Oder die Flammen in seinen Augen? Was immer den Mann dazu bewogen hatte, er hatte entschieden, sein Leben lieber durch Ertrinken zu beenden, als sich dem furchterregenden Burgherrn zu stellen. Und er war nicht der einzige. Als Alec beim Brückenkopf ankam, waren drei Diener Walters in den Burggraben gesprungen, ohne jemals die Klinge seines Schwertes gespürt zu haben. Keine weiteren Gedanken an sie verschwendend, rammte er sein Schwert in den nächstbesten Feind, der sich anbot.
Es war ein schon alter Mann, aber die Tatsache, dass er es bis hierher geschafft hatte, sprach für seine von den Jahren ungetrübten kämpferischen Fähigkeiten.
Der Alte stieß einen zittrigen Schrei aus, als seine Eingeweide aus der Bauchhöhle quollen. Er ging in die Knie, als wollte er sie aufnehmen und zurückstopfen.
Vielleicht schockierte ihn dieser Anblick so sehr, dass seine Aufmerksamkeit nachließ.
Oder es war seine ungestüme Wut, die ihn blind für alles um ihn herum machte.
Wahrscheinlich war etwas von beidem schuld daran, dass er die Keule erst so spät sah…

Sie traf ihn mitten im Gesicht. Er konnte noch spüren, wie etwas in ihm brach. Durch die ungeheure Wucht des Schlages wurde er zurückgeschleudert und landete brutal auf dem Rücken. Ihm wurde schwarz vor Augen…

Nacht. Dunkle, stille, herrliche Nacht.

Als er wieder zur Besinnung kam, sah er zuerst alles verschwommen, doch nach und nach erfasste er die Welt wieder mit grausamer Klarheit.
Oh selige Schwärze, warum hast du mich nicht für immer zu dir genommen?
Sein Kopf schien vor Schmerz zu platzen, und er brüllte gequält auf. Er wollte die Hand heben und sein Gesicht befühlen, aber schon diese kleine Bewegung kostete ihm große Anstrengung. Kupferner Blutgeschmack breitete sich im Mund aus.
Jesus Christus, wie lange war er bewusstlos gewesen?
Als Antwort erblickte er einen dunklen Schatten, der sich drohend über ihm aufbaute. Er hielt eine stachelbesetzte Keule in den Himmel, jederzeit bereit, sie niedersausen zu lassen. Alec konnte nur stumm daliegen und auf das Ende warten. Er wollte die Augen schließen, konnte aber weiterhin nur wie gebannt auf die Waffe starren.
Wer weiß, vielleicht…
Da! Ein mehrfaches, lautes Sirren. Sein vermeintlicher Henker erstarrte in der Bewegung, hielt kurz inne und… brach zusammen. Er fiel genau auf den verwundeten Burgherrn und hauchte röchelnd seinen letzten Lebensfunken aus. Leere, ausdruckslose Augen, die ihn anstarrten…
Alec sah voller Erstaunen, was seine Bogenschützen angerichtet hatten. Ein wahrer Wald von Pfeilen steckte in seinem Körper, einer von ihnen hatte sich geradewegs durch den Kopf gebohrt und war dort stecken geblieben. Er sah über ihn hinweg und erblickte seine Soldaten, die ihm den Rücken zuwandten und von dem ganzen Schauspiel wahrscheinlich gar nichts mitbekommen hatten. Es gelang Alec, den Toten von sich herunterzustoßen.
Dann packte er mühsam das Schwert und wollte aufstehen, um den Kampf wieder aufzunehmen. Doch dazu kam es nicht mehr. Zwei kräftige Hände packten Alec, und zogen ihn fort. Sie schleiften ihn über eine der Verbindungsbrücken, zurück zu der inneren Burgmauer, weg von den erbittert kämpfenden Menschen.

»Keine Sorge, Sir Alec, wir werden Euch schon wieder auf Vordermann bringen«, sagte die tiefe Stimme des Scharfrichters, als sie am inneren Wehrgang angekommen waren.
»Ve-ve-verdammt, lass mich los C-Cole! Meine Männer verrecken wie die Fliegen, sie brauchen jedwede Unterstützung, die w-w-wir aufbringen können!«
Cole tat, wie ihm geheißen, ließ los und kniete sich neben ihn hin. Seine Kapuze war tief ins Gesicht gezogen, und unterstrich sein ohnehin beängstigendes Aussehen. Seine Augen funkelten, die lange Stirnnarbe trat rötlich hervor.
»Ich muss unbedingt zurück«, flehte Alec.
Daraufhin tat der Scharfrichter etwas, was wahrlich selten bei ihm vorkam. Er sprach mit seinem Herren, als wäre er ein Mann von gewöhnlichem Stand, und versuchte ihm damit zu vermitteln, wie schlimm es um ihn wirklich stand.
»Alec, hast du vielleicht auch nur eine kleine Vorstellung davon, wie übel dein Gesicht zugerichtet ist? Du blutest wie ein Schwein und kannst…«

WUMM!, erschallte es aus der Richtung, wo sich das Tor befand. Der Herr der Burg wandte sein zerstörtes Antlitz dem Geräusch zu, und der Scharfrichter tat es ihm gleich. WUMM!
Die Horde hatte begonnen, an der Tür höflich um Einlass zu bitten.

»Hilf mir auf«, sagte Alec leise. Der Scharfrichter packte seine Hand und beförderte ihn auf die Beine. Schwankend stand er da, ein starkes Schwindelgefühl drohte, ihn in die Knie zu zwingen.
»Öl«, flüsterte Alec, während er versuchte, auf den Beinen zu bleiben. Cole, der ihn stützte, nickte bejahend.
»GIESST DAS ÖL AUF DIESE HUNDESÖHNE!« Er brüllte so laut, dass es in den Ohren schmerzte.
Als die Männer am Kessel Coles Befehl befolgten, und den mörderisch heißen Inhalt auf Walters Rammbock-Kommando schütteten (WUMM!), war Alec froh, nicht sehen zu müssen, was das Öl mit ihnen anstellte. Es hatte bestimmt nur eine Handvoll Bemitleidenswerte getroffen, aber diese wenigen schrieen so grauenhaft laut, dass Alec ein kalter Schauer über den Rücken lief.
Er berührte vorsichtig sein Gesicht, und zuckte vor Schmerz zusammen.
»Ist es wirklich so schlimm, Cole?« Als Antwort sah ihn Cole mit einem Blick an, der Bände sprach. Er reichte ihm einen dreckigen Lumpen. »Presst ihn auf die Wunde«, sagte er sorgenvoll, während das Kommando das Tor erneut erzittern ließ. Alec löste sich von Cole und ging schwankend zur Brustwehr, wobei er sein Schwert hinter sich her zog. Dort angekommen, stütze er sich schwerfällig auf das Mauerwerk.
Trotz seiner starken Schmerzen, und dem Schwindelgefühl, das ihm große Probleme bereitete, machte sich hämische Vorfreude in ihm breit.
Der Seher beobachtete, wie das Tor erneut unter dem gewaltigen Stoß erzitterte. Er schloss die Augen.

Vor dem Tor steht Walters Rammbock-Kommando. Nicht, dass sich diese Kerle in irgendeiner Weise vom anderen Pöbel unterscheiden, aus dem sich die Horde zusammensetzt. Alec nimmt sich einfach die Freiheit, sie so zu nennen.
Jene armen Teufel, die das Öl erwischt hatte, sind aus dem Weg geschafft worden. Das Kommando ist jetzt so auf seine Aufgabe konzentriert, dass es auf die warnenden Rufe der Kameraden, die in die Burg eingedrungen sind und den Wassergraben erblickt haben, nicht eingeht. Viele Warnrufe gehen außerdem im Lärm der Schlacht unter. Hinter dem Kommando sammeln sich Kampfhungrige, bereit dazu, loszustürmen, wenn das Tor berstet.
Die Männer des Kommandos preschen erneut vor und treffen mit der Ramme krachend auf das Holz. Es ist der fünfte Stoß.
Und beim siebten zerbricht das Tor.

WUMM!
(sechs…)
Er wartete auf den richtigen Augenblick…
Und als er gekommen war, schlug der Hellseher die Augen auf. »Sieben!«, sagte er laut.

Das Tor sprang donnernd und splitternd auf, so als hätte er es ihm befohlen.
Walters Söldner, allen voran das Kommando, rannten wie die Wahnsinnigen in den Untergang. Die Ramme bewegte sich mit derartiger Wucht vorwärts, dass an ein Anhalten nicht zu denken war. Diejenigen, die es schafften, stehen zu bleiben, wurden von den Nachstürmenden ins tiefe Nass gestoßen.
Einfach herrlich mitanzusehen, wie die Vorderen schreiend im Wasser strampelten, während noch immer Krieger das Tor passierten! Wie sie sie durch ihre schiere Masse ertränkten…
Irgendwann schien sich herumgesprochen zu haben, dass hinter dem Tor kein Burghof wartete. Der Strom versiegte. Diejenigen, die nicht von ihrer Rüstung unter Wasser gezogen wurden, klammerten sich hilflos an die Ramme.
Nicht mehr lange.
Er warf einen Blick auf die Bogenschützen. Sie zielten bereits auf die schwimmende Meute. Alec hörte den Befehl des Hauptmanns, dann begannen sie zu schießen.
Wasser, das sich blutrot färbte…

Es war überwältigend, aber die Finte mit dem Graben war einer der letzten Trümpfe, den die Verteidiger ausspielten. Danach würde alles schnell gehen. Sehr schnell.

Der Herr der Burg drehte sich um und ging zurück zu Cole. Der Blutstrom versiegte langsam, das Schwindelgefühl war schwächer geworden, aber er fühlte sich trotzdem außerstande, weiterzukämpfen.
»Cole«, sagte er leise. »Es… es sind zu viele. Die erste Mauer wird bald fallen, dann werden sie den… Graben mit ihren Leitern überbrücken. Bring die Ver-Verbindungsbrücken zum Einsturz und leiste s-s-so lange wie möglich Widerstand.«
Im Gesicht des Folterknechts war keine Regung zu sehen, aber Alec wusste, dass ihn die Wahrheit doch schwer getroffen haben musste.
»Ich gehe zum Bader, meine Wunden versorgen.«
»Ihr wollt uns also tatsächlich verlassen.« Es war keine Frage.
Alec nickte langsam und ging schwerfällig Richtung Burghof.
»Fast hätte ich’s vergessen.« Er wandte das übel zugerichtete Etwas, das einmal sein Gesicht gewesen war, dem Scharfrichter zu. Dieser sah ihn fragend an.
»Sieht zwar furchterregend aus, aber es wäre b-b-besser, wenn du die Kapuze zurückschlägst. Es sei denn, du… du willst völlig überraschend getötet werden.« Mit diesem Rat ließ er ihn alleine.

Während der Bader seine Wunden mit Alkohol säuberte, dachte er über die drohende Niederlage nach. Die Stimme seines Vaters drängte sich in seine Gedanken.
Alec, wie willst du jemals die Führung über meine Burg übernehmen, wenn du so verdammt weichherzig bist?
War er schuld daran? Nein, niemals. Er hatte alles Menschenmögliche getan, aber sie waren einfach zu zahlreich.
Ach wirklich? Wirklich alles?, fragte eine Stimme in seinem Kopf.
»Die Schotten«, sagte er leise und reuevoll. Statt einen unfähigen Kundschafter zu schicken, hätte er sie selbst überzeugen müssen. Mit ihnen hätten sie die Schlacht gewonnen, ganz sicher. Jetzt war es zu spät.

***

Mit bandagiertem Kopf stand er im Burghof und wartete auf das Ende. Die Horde hatte sich schon fast bis in den Bughof vorgearbeitet. Die ersten Wagemutigen waren bereits auf der inneren Mauer aufgetaucht. Noch hielten die Verteidiger stand.

Doch dann hatten sie auch diese letzte Hürde überwunden. Ein wahrer Schwall schwarzer Männer stürzte sich über die Treppen in den Burghof, die Überlebenden aus Alecs Reihen vor sich hertreibend.
Endlich erwachte er aus seiner Lethargie, und schrie aus Leibeskräften:
»Rote Burg! ROTE BURG!«
Und die verbliebenen Verteidiger wussten, was sie zu tun hatten.

Während eine Handvoll seiner Männer den Befehl ausführten, schloss sich Alec den Flüchtenden an, die in den Turm stürmten.
Leicht Verletzte, Entmutigte und jene, denen Gliedmaßen abgeschlagen worden waren. Sie alle strömten ängstlich in den Turm, zu ihren Frauen und Kindern. Diese vor Angst stinkende Menschenmenge, die sich im Dunkel des Turms zusammendrängen, und auf das grausame Ende warten würde… Einfach jämmerlich.
Alec unterschied sich nicht im Geringsten von ihnen. Vielleicht hatte er sogar die größte Angst, weil er wusste, was sie erwartete. Er passierte als Letzter das Tor, und erteilte den Befehl zum Verschließen.
Doch bevor das Tor lärmend ins Schloss fiel, vernahmen die Verteidiger den Klang eines stürmisch geblasenen Horns. Ein Klang wie aus einer fremden Welt, in der Hoffnung noch existierte.
Das war doch nicht möglich!
Ein Raunen ging durch die Menge, und auf Alecs verbundenem Gesicht erschien ein triumphierendes Lächeln. Er entfernte sich von dem Tor und ging - immer noch lächelnd -Richtung Wendeltreppe. Er warf einen kurzen Blick auf die Menge. Frauen und Kinder hockten zu seinen Füßen, manche weinten, manchen stand einfach nur die Angst ins Gesicht geschrieben.
Jake war nirgends zu entdecken. Gott sei Dank.

So schnell, wie sein lädierter Körper es zuließ, rannte er die Wendeltreppe hoch. Plötzlich hielt er an, blieb mitten auf der Treppe stehen und drehte sich um. Niemand war ihm gefolgt.
»Gina!«, rief er aus Leibeskräften. »Gina!«
Ein Schatten erschien vor ihm. Er verdichtete sich, nahm Gestalt und Farbe an.
Alec konnte sich gut an jenen Tag erinnern, als er diese… Fähigkeit das erste Mal erblickt hatte. Damals war er so verängstigt gewesen, dass er kein Wort herausgebracht hatte. Heute erfüllte sich sein Herz jedes Mal mit unverhohlener Freude, wenn sie so vor ihm erschien.

Gina war vor langer Zeit in seinem Leben aufgetaucht. Damals hatte sich Alec in einer ausweglosen Situation befunden, und sie hatte ihm ihre Hilfe angeboten. Seitdem wachte sie über ihn. Gina hatte Alec einmal erzählt, dass sie einem himmlischen Orden angehören würde, und dass sie verpflichtet sei, den Menschen zu helfen.

Schließlich stand sie vor ihm. Eine wundeschöne Frau, die ihn mit einem Lächeln auf den Lippen ansah. Er verspürte das starke Bedürfnis, sie zu küssen, dachte dann aber an sein verbundenes Gesicht, und ließ es bleiben.
»Was ist denn, Alec?«, fragte sie schließlich, immer noch bezaubernd lächelnd.
»Komm mit auf die Turmspitze, ich zeig dir etwas!«, sagte er voll kindlichen Eifers.
Er nahm sie an der Hand und führte sie die Wendeltreppe hoch. Nach langem Stufensteigen erreichten sie endlich die Falltür, die zu Spitze führte. Er stieß sie auf und kletterte ins Freie.

Während er die Falltür schloss, eilte Gina zur Brüstung und warf einen Blick auf die Szenerie, die sich unten abspielte.
»Die Burg brennt… toll, Alec!«
»Ich weiß! Greifen die Schotten die Horde bereits an?«
Als sie nichts erwiderte, stürmte er selbst zur Brüstung.
Schwer zu beschreiben, was er in diesem Moment fühlte. Leere, gepaart mit grausamer Gewissheit kam wohl am nächsten. Langsam drang die unumstößliche Wahrheit in sein Gedächtnis ein.
Nirgends war auch nur eine Spur von verbündeten Kämpfern zu sehen. Die meisten Söldner der Horde versuchten das Feuer zu löschen, bis auf jene, die das Tor des Turms bearbeiteten. Sie hatten die Zugbrücke heruntergelassen und schöpften Wasser aus dem Burggraben. Riesige Blutlachen verunzierten Boden und Mauerwerk.
Er war erstaunt über seine eigene Naivität. Das Hornsignal war höchstwahrscheinlich das Signal für das Ende der Schlacht gewesen.
Der beißende Rauch der Brandherde ließ seine Augen tränen. Alec wandte sich ab und setzte sich auf den Holzboden. Er ließ seiner Frustration freien Lauf, indem er die Schotten mit den wüstesten Beschimpfungen verwünschte, die er kannte.
»Was gedenkst du nun zu tun?«, fragte Gina, nachdem seine Schimpfkanonade verstummt war.
»Ich werde mich an meinen einzigen noch lebenden Verwandten wenden«, sagte der Burgherr mit einem Anflug von Wahnsinn in seiner Stimme.
»Das hatte ich befürchtet«, seufzte Gina.

Die Horde riss das Tor nieder und stürmte in den Turm. Alec und Gina vernahmen die Schreie der armen Menschen, als die Söldner die Männer abstachen und die Frauen vergewaltigten.
Danach geschah eine Weile lang nichts.

Schließlich öffnete sich die Falltür und das rußige, dümmliche Gesicht eines jungen Mannes tauchte auf.
Alec erhob sich und ging auf ihn zu. »Handlanger«, sagte er herrisch, »sage Sir Walter de Marvis, dass der Herr der Blauen Burg ihn erwartet!«
Der junge Mann blickte ihn mit schreckstarren Augen an.
»Keine Angst«, sagte Alec selbstgefällig, »ich werde weder dir, noch deinem Herrn etwas zuleide tun.« Spach’s, zog sein Schwert und warf es in hohem Bogen in den Abgrund.

»So kenne ich dich ja gar nicht«, meinte Gina bewundernd, als der Mann verschwunden war.
»Der Wahnsinn ist ein wahrhaft mächtiger Verbündeter«, erwiderte Alec und begann damit, sich den Kopfverband herunterzureißen.

Nach einer Weile öffnete sich die Falltür abermals und zwei schwer bewaffnete Männer betraten die Turmspitze.
Sie flankierten die Tür, als würden sie als Nächstes eine Zeremonie ausführen wollen.
Gina schien das baldige Auftauchen des Grausamen nicht besonders zu interessieren. Sie blickte in die untergehende Sonne und spielte traumvergessen mit ihrem langen Haar.
Alec jedoch starrte wie gebannt auf das gähnende Loch. Er konnte in der Tiefe schwere Schritte hören. Aus der Dunkelheit erschien ein Kopf mit weißem lockigem Haar.
Die Männer an der Falltür nahmen Haltung an. Mit bewundernswerter Eleganz entstieg Walter dem Loch und richtete sich auf. Seine Wangen waren gerötet, seine braunen Augen strahlten voller Güte. Ein Hauch von einem Lächeln umspielte seine Lippen. Walter war in einem schwarzen Talar gewandet, ein großes silbernes Kreuz hing an seinem Hals.

Walters Vater, der Großvater Alecs, hatte seinen Sohn schon immer wegen seines religiösen Eifers gehasst, der selbst den eines Priesters in den Schatten stellte. Er trieb es immer wieder zu weit, bis er eines Tages enterbt wurde. Dass sein jüngerer Bruder nun alles bekommen sollte, während er leer ausgehen würde, hatte ihn endgültig wahnsinnig gemacht.
Als kleiner Junge war Alec Zeuge geworden, wie Walter seine Mutter aus Wut darüber zuerst vergewaltigt, und dann umgebracht hatte. Dann war er geflüchtet, und Alec war weinend aus seinem Versteck gekrochen und zu seinem Vater gelaufen. Nie hatte er das Gesicht seines Vaters vergessen, als er seine geschändete Frau erblickt hatte.
Dieser verhasste Mann hatte ihn all die Jahre in seinen Alpträumen besucht, und nun stand er wieder vor ihm.

Alec starrte ihn voller Abscheu an. »Willkommen daheim, Onkel«, sagte er schließlich. Keinerlei Reaktion in den gütigen Augen.
»Mein Gott, bist du das, Alec?« Eine schwerfällige, sonore Stimme. »Du siehst ja… furchterregend aus. Wo ist dein Vater?«
»Die Syphilis hat ihm schon vor Jahren den Garaus gemacht.«
Walter faltete die Hände und schloss die Augen.
»Oh Herr«, deklamierte er inbrünstig, »erbarme dich der Seele meines verworfenen Bruders, so wie du dich schon der Seele meiner sündigen Schwägerin erbarmt hast.«
Er machte das Kreuzzeichen, öffnete die Augen und blickte seinen Neffen voller Mitgefühl an.
»Spar dir deine Gebete, Gott erhört sie sowieso nicht. Gott hat sich längst von dir abgewandt.«
Walter seufzte. »Mein armer, verirrter Junge.« Er warf einen Blick auf Gina.
»Verliert zuerst kapital die Schlacht, verkriecht sich dann mit seinem Feinsliebchen auf der höchsten Zinne und erzählt mir schlussendlich, dass mich Gott verlassen hat.«
»Spar dir deine Ausschweifungen. Ich weiß, dass deine Verluste erheblich waren. Die Burg, die du immer so begehrt hast, liegt in Trümmern und der Rest brennt dir vor der Nase weg.« Zum ersten Mal verschwand die Wärme aus Walters Augen.
»Ich hoffe, du hast viel Freude mit dieser rauchenden Ruine.« Er machte eine allumfassende Geste und kicherte hämisch. Es war herrlich, was für Auswirkungen die Präsenz eines Irren auf seine Sprachfähigkeiten hatte. Oder war es der eigene Wahnsinn?
»So hast du dir das nicht vorgestellt, was?«, sagte Alec schließlich. »Ich spucke auf dich und deine stinkende Horde!« Auf seine Worte folgten sogleich Taten. Walter zuckte zusammen, als hätte ihn jemand geschlagen. Alecs blutiger Rotz tropfte von seinem Gesicht. Die Leibwächter warfen sich nervöse Blicke zu, griffen aber nicht ein.
Alec machte ein paar Schritte rückwärts. »Gina, es ist so weit!«
Walter hob die Hand und wischte sich das fassungslose Gesicht ab.
»Du räudiger Diener Satans, woher hast du bloß von meinen Plänen gewusst?«, fragte Walter leise.
»Mir nach Gina!« Er rannte los. Rannte auf Walter zu (der blitzschnell zu seiner Waffe griff), schlug einen Haken Richtung Brustwehr, schwang sich über sie und sprang in den Abgrund.

In einem scheinbar bis in alle Ewigkeit fortwährenden Augenblick stürzte er in die Tiefe.
Eigentlich konnte er zufrieden sein. So lange hatten sie dem Feind noch nie standgehalten. Bei den unzähligen Malen, wo die Horde die Burg angegriffen hatte, war er heute am Besten verfahren.
Bei jedem Mal war er geschickter geworden, bei jedem weiteren seiner vielen Leben hatte er Walter länger standgehalten.
Er war gestorben. Oh ja, er war viele Tode gestorben. Er war geköpft, erstochen, erschlagen worden. Einmal war er in Coles Folterkammer bis zum qualvollen Ende malträtiert worden. Irgendwann war die Erkenntnis gekommen, dass der Sturz vom Turm der schmerzloseste Tod war.

Alec schlug hart auf dem Steinboden auf und starb noch im selben Moment.
Es erklang traumhaft schöne Musik, schöner als alles, was jemals auf Erden gespielt worden war, aber sie spielte nicht für ihn. Trauer machte sich in ihm breit.
Ihm würde das Himmelreich noch lange Zeit verwehrt bleiben.
Schließlich packte Gina seine Seele und sie reisten in die Vergangenheit, die sich ihnen mit all ihrer schillernden Pracht offenbarte. Sie flogen die schimmernden Seelenschatten des Vergänglichen entlang, bis sie schlussendlich bei dem vierzehnjährigen Jungen ankommen würden, der Alec einst gewesen war.
Er war dazu verdammt, immer weiter zu machen, immer wieder von neu zu beginnen, bis er eines Tages siegen würde.
Eines Tages.

* ∞ *

 

Anmerkungen des Verfassers

Der Charakter des Alec hat von Anfang an ein derart dynamisches Eigenleben entwickelt, dass mir ein Entgegensteuern nicht immer möglich war (oder ich nicht immer wollte).
Dazu gehört auch sein Sprachfehler. Eigentlich nicht von mir beabsichtigt, aber trotzdem in der Geschichte. Ich hoffe, dass diese Eigenheit nicht zu sehr stört.

Zum Stottern selbst
Zitat auf stottern.de: "Kein Stotterer stottert ständig. Es gibt welche, die sogar fehlerfrei singen können o.ä.
Die Ursache des Stotterns ist manchmal auf ein Kindheitstrauma (sic!) zurückzuführen."

 

Hi Blaine,

gute Güte, das ist ja ein Monster von Geschichte ;) Mal sehen, wie weit ich heute komme...

Lloyd, schön, dass Ihr Euch w-w-wieder einmal in meiner B-Burg blicken lässt!

lasst


„A-all-alle Informationen, die Ihr… (konzentriertes Augenschließen) braucht, sind auf der Karte.

Die Klammer an dieser Stelle finde ich ein bisschen komisch, das klingt so nach Chatsprache. Kannst du da nicht einfach einen Nebensatz draus machen?


Cole meldete sich wieder zu Wort. „Geht jetzt. Geht in den Wald und überbringt den Männern mit den schwarzen Rüstungen die Karte. Möge sie uns den entscheidenden Vorteil verschaffen“

Hmmm... dass der Scharfrichter hier das Wort ergreift und Anweisungen gibt, kommt mir ein wenig komisch vor. Außerdem spricht er sehr gebildet. Wenn der Burgherr doch anwesend ist, hätte ich gedacht, dass der Scharfrichter sich mehr zurück hält, aber sicherlich ist das auch Geschmackssache.

Für diesen Frevel werdet Ihr in der Hölle schmoren, de Marvis

Frevel finde ich in diesem Zusammenhang irgendwie das falsche Wort. Frevel ist schließlich ein Verstoß gegen die Religion. "diese Tat" wäre mMn sinnvoller.

Es zeriss ihm das Herz, wenn er das dachte, was er ihm angetan hatte.

daran

dass es ihm entgültig die Sprache verschlug.

endgültig

Der Burgherr stand einsam und verlassen auf dem Wehrgang

hmmm... du kannst natürlich nichts dafür, aber diese doppelten Adjektive, die doch dasselbe aussagen, stören mich extrem. Ich finde, gerade hier langt wirklich eines... ;)

Alec musterte Sylvesters Gesicht (so genau, wie es das Mondlicht zuließ)

hier kannst du die Klammer wirklich weglassen

Im Saal befanden sich etwa zwei duzend Menschen,

Dutzend

Eine blaue Burg auf grünem Grund,

hehe, soll ich mal kleinlich sein? Farbe auf Farbe geht meines Wissens bei der Heraldik nicht, nur Metall auf Farbe oder Farbe auf Metall, sprich, als Hintergrund für Blau entweder Gelb (für Gold), Weiß (für Silber) oder Rot (für Kupfer), ist aber natürlich ein winiges Detail, das außer mir wieder keinen stört ;)

Ich hoffe, dass wir sie in den letzten Jahren ausreichend genug in den Kampfkünsten geschult haben

auch hier langt eines der Adjektive

bliesen so manch wild Entschlossenen das Lebenslicht aus

Entschlossenem

in dem siedend heißes Öl köchelte.

hmm... ja, wenn es siedet, dann kocht es auch ;) Auch hier nur eins von beiden, bitte.

Neben ihm fiel ein Bauer schreiend zu Boden – ein weiterer hatte sich in sein Auge gebohrt.

ein weiterer Bauer? :D

Aber es blieb keine Zeit, über tote Väter zu trauern, und keine Zeit, sich mit dem Tod eines Kindes, das dem Feind gedient hatte, Auseinanderzusetzen.

klein

„Schwerter ziehen!“, bellte Alec, und dieses Mal wiederholte der rothaarige Aufseher Martin seinen Befehl. Die ersten Wagemutigen kamen die Sturmleitern hoch, mitten in die wartenden Arme der Verteidiger.

Warum versuchen sie nicht erst mal, die Leitern weg zu stoßen? Ist das nicht das, was man klassischerweise tut?

stieß einen Schrei aus, den Schweine beim Abstechen von sich geben.

hmmm... "den" gefällt mir nicht so ganz. Wie wäre es mit "wie ihn" ?

Er konnte noch spüren, wie etwas in ihm resignierend brach.

gefällt mir nicht recht. Wenn, dann "resigniert", aber auch das finde ich irgendwie unpassend, weil es sich für mich wie eine bewusste Entscheidung anhört

Es hatte bestimmt nur eine handvoll Bemitleidenswerte getroffen

Handvoll

Während der Bader seine Wunden mit Alkohol säuberte (wobei Alec schmerzvoll zusammenzuckte),

hier würde ich nicht nur die Klammer, sondern auch ihren Inhalt weglassen. Ich denke, das erklärt sich von selber, jeder kann sich vorstellen, wie Alkohol in Wunden brennt.

hatte ihn entgültig wahnsinnig gemacht.

endgültig

Walters Vater hatte ihn schon immer wegen seines religiösen Eifers gehasst, der selbst den eines Priesters in den Schatten stellte. Er trieb es immer wieder zu weit, bis er eines Tages enterbt wurde. Dass sein jüngerer Bruder nun alles bekommen sollte, während er leer ausgehen würde, hatte ihn entgültig wahnsinnig gemacht.

Äh, irgendwie habe ich aus diesem Abschnitt nicht das verwandschftliche Verhältnis rauslesen können. Walters Vater hass seinen älteren Sohn? Und dann erbt sein jüngerer. Der ist dann Alecs Vater? Na ja, vielleicht kannst du das etwas deutlicher machen.

Holla, das Ende hat mich doch sehr überrascht :D
So, nun. Also mir gefällt die Geschichte sehr gut. Die Schilderung der Schlacht und die Persönlichkeit des Alec hast du wirklich gut hinbekommen. Der Sprachfehler und seine Zweifel lassen ihn wirklich menschlich und als Individuum erscheinen, Respekt. Der Schluss ist überraschend und gelungen. Ist es so, dass immer Gina ihn in die Vergangenheit bringt? Da war ich mir jetzt nicht ganz sicher.
Verstehe ich das richtig, dass Alec gar keine Visionen hat, sondern all das weiß, weil er es immer wieder elebt? Eigentlich eine sehr traurige Vorstellung.
Trotz der Länge liest sich die Geschichte flüssig und gut, der Stil gefällt mir. Alles in allem halte ich sie also für sehr gelungen (von meinen kleinen Anmerkungen oben abgesehen).
:thumbsup:

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hallo Blaine,

ich muss mich Felsy da anschließen. Zuerst habe ich mich gewundert, was diese Geschichte hier in Fantasy macht, aber als Gina dann plötzlich mit irgendwelchen Teleportier-Aktionen anfing, wusste ich Bescheid :D
Es ist dir sehr gut gelungen, den Protagonisten darzustellen. Gerade durch seinen Sprachfehler wirkt er sehr menschlich. Die Rolle der Gina ist mir ein bisschen zu unausgearbeitet - wer ist sie, was ist sie, warum kann sie ihn zurück in die Vergangenheit holen etc. pp. Das wäre etwas, woran du noch arbeiten könntest.

Mir ist ein bisschen was an Textkram aufgefallen, aber ich bin viel zu fertig, um den jetzt noch runterzuarbeiten (scheiß-Medikamente!). Das Ende der Geschichte gefällt mir sehr gut. Der Text liest sich flüssig, ich hab ihn in einem Rutsch runtergelesen!

gruß
vita
:bounce:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Felsenkatze, hallo vita!

Erst einmal möchte ich mich bei euch für die positive Kritik bedanken. Hab mich gefreut wie ein Schneekönig...
Dann hat sich die monatelange Arbeit doch gelohnt (ja, ich bin wirklich so langsam :crying: )

Ich habe eine Situation aus meinem Buchprojekt (hab noch keine einzige Zeile geschrieben) genommen und sie für eine Kurzgeschichte adaptiert.
Im Buch weiß man allerdings, wieso der Prot hellsehen kann. Die Situation ist dort um einiges komplizierter (mit einer weiteren Burg in der unmittelbaren Umgebung). Die Schlacht geht auch anders aus (nein, die Schotten kommen auch dort nicht).

@ Felsenkatze: Danke für die Fehler, Seltsamkeiten und Unstimmigkeiten, die du entdeckt hast. Werde mich gleich ans Werk machen

Walters etwas unklar formulierte Verwandtschaftsverhältnisse werden gleich als Erstes angegangen. Ich liebe diesen Irren :baddevil:

Die Sache mit Cole... hmmm, ich glaube, ich lasse ihn etwas weniger gebildet sprechen. Dass er plötzlich Anweisungen erteilt, hat damit zu tun, dass er weiß, wie ungern Alec vor Leuten spricht, und er ebenfalls weiß, dass Alec ihn dafür nicht rügen wird (Er hat ihm ja schon vorher geholfen)

Zu den Leitern... Ich habe wohl bei der Schlacht von Helms Klamm (die Modell für diese Geschichte stand) zu wenig aufgepasst. Sie ziehen ihre Schwerter und dann... oh! Die werfen die Leitern ja wirklich um...
Alec wird den Befehl dazu gleich erteilen :)

Sein Wappen: Danke, das wusste ich nicht! Wird auch geändert

Ist es so, dass immer Gina ihn in die Vergangenheit bringt? Da war ich mir jetzt nicht ganz sicher.
Ja, Gina bringt ihn jedes Mal in die Vergangenheit zurück. Sie handelt nicht aus eigenem Ermessen, sie gehört einem himmlischen Orden an. Die Mitglieder dieses Ordens machen sowas ständig, wollen wohl die Welt verbessern :engel:
Zuerst war wohl ein positives Motiv dahinter, aber die Tatsache, dass Walter so schwer zu besiegen ist, und sie immer wieder von neu beginnen müssen, macht einen Fluch daraus.

Verstehe ich das richtig, dass Alec gar keine Visionen hat, sondern all das weiß, weil er es immer wieder elebt? Eigentlich eine sehr traurige Vorstellung.
Ja, du liegst richtig. Seine "Visionen" sind Flashbacks. Nach einigen Durchläufen kommen die wie von selbst :D
Er erinnert sich also an die Zukunft, die ja schon ein paar Mal seine Vergangenheit war. :silly: (dieser Satz verwirrt mich, aber ich glaube, er stimmt).
Beim Treffen des Inneren Zirkels hat er einfach eine Show abgezogen, um die Menschen zu beeindrucken.


@ vita: Schade, habe mich so auf deine berühmtberüchtigte Fehlerliste gefreut ;)
Vielleicht hast du mal Zeit, wenn dich deine Medikamente nicht mehr beeinträchtigen, würd mich freuen!

Die Rolle der Gina ist mir ein bisschen zu unausgearbeitet - wer ist sie, was ist sie, warum kann sie ihn zurück in die Vergangenheit holen etc. pp. Das wäre etwas, woran du noch arbeiten könntest.
Ziemlich schwierig, Informationen über sie unterzubringen, ohne etwas zu verraten, werde es aber trotzdem versuchen

Gruß,
Blaine

 
Zuletzt bearbeitet:

So, ich habe alle eure Vorschläge umgesetzt (hoffentlich zufriedenstellend)
Die Sache mit den Leitern wurde erweitert, ebenso erfährt man mehr über Gina

Gruß,
Blaine

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo gbwolf,

So. Jetzt hoffe ich mal, du redest noch ein Wort mit mir
Hehe... Da hättest du meinen Text viel mehr auseinandernehmen müssen ;)
Über Kritik freu ich mich fast mehr als über Lob (Sie hilft einem, es besser zu machen, während Lob zwar Freude [und bei dem Lob deiner Vorgängerinnen war die Freude wirklich groß] auslöst, dann aber verpufft).

Du wünscht dir also eine Dämonen-Gina? Ich fürchte, das geht nicht. Nicht, weil ich meine Himmels-Gina so lieb habe. Sie wird in der langen Fassung sowieso durch einen Mann mit Zylinder und einer eisernen Augenbinde ersetzt :cool:
Dafür kriegt Alec endlich eine Frau... :queen:
Dämonen müssen sich in meiner Welt an (physikalische?) Gesetze halten. Sie können nur kurze Zeit in unserer Welt bleiben. In die Vergangenheit zu reisen hätten sie auch nicht hingekriegt. Gina kann es selbst nicht. Sie benutzt dazu den "Seelenhorizont" der Himmlischen Warte.

Für mich hat sich die Story auch die ganze Zeit sehr danach angefühlt, als wäre es Teil eines Großen Ganzen
Stimmt. Die Geschichte gehorcht relativ komplizierten Regeln und Gesetzen, die die ganze Zeit im Hintergrund ablaufen (das Gesetz der "verlorenen Kinder" kommt sogar in dieser Geschichte vor, nur niemand hat's bemerkt).
Der Teil mit dem Hellseher und der Schlacht wird in der längeren Version fast nebensächlich. Aber ich schweife ab...

Den Abschnitt mit den Verwandschaftsverhältnissen fand ich auch verwirrend – für dich ist klar, wer zu wem gehört, aber für den Leser halt schwer zu durchschauen.
Lies mal die neue Version.

Hast du vielleicht vorher „Die Orks“ gelesen?
Nö. Ich bin kein wirklicher Fan von Tolkien-Sekundärliteratur. Da lese ich lieber das Orginal.

Walter ist dir zu flach? Er hat seine eigene traurige Geschichte, die ich leider nicht unterbringen konnte (die Geschichte hat schon jetzt 10.662 Wörter, was wäre geworden, wenn ich seine Geschichte auch noch mithineingenommen hätte? 22.678? 30.815?
Sie ist schon jetzt viel zu lang

Die Sache mit den Bogenschützen... Hmmm, ich denke, da sie nur wenige haben, wollen sie diese besonders schützen. Bei so einer Großen Anzahl von Feinden brauchen sie sowieso nich groß zu zielen, deshalb lass ich sie mal auf der 2ten Burgmauer stehen. Das sie dezimiert werden, ist eigentlich logisch- werde die Stelle trotzdem ändern.

Zitat:
etwas sagen konnte, war der Burgherr schon Richtung Waffenkammer unterwegs, um Randall von einer folgenschweren Dummheit abzuhalten.


Sehr wirr, da man noch nicht weiß, wer „Randall“ ist. Auch der nächste Abschnitt könnte etwas deutlicher sein.

Hehe! Randall war die ganze Zeit beim Treffen des Inneren Zirkels (der Typ, der Alec begrüßt)

bliesen so manch wild Entschlossenen(m) das Lebenslicht aus
Weiß irgendwer, was nun passt? Felsy hat das "m" ausgebessert, du das "n"

Mein Statement zum ganzen Hollywood Klamauk: Ja, manche Sachen sind von mir bewusst so "cool" geschrieben worden, macht doch Spaß! Dass die ganze Coolness nicht jedermanns Sache ist, ist auch klar. Ich wollte einfach ein dichtes Schlachtgetümmel beschreiben, mit vielen Wendungen und Überraschungen. Dass sie moderne Sprache reden, ist auch logisch. Hätt ich sie wie Menschen des Mittelalters sprechen lassen, wäre die Geschichte ins Korrektur-Center verschoben worden ;)
"Seyd wilkommen, holte Mayd!" :rotfl:

Puuhhh... Ich hoffe, ich hab zu allem deinen Anmerkungen einen Kommentar abgegeben...

Die unschönen Wortdoppelungen, Unstimmigkeiten etc. werde ich morgen abend editieren (Scheiß Nachmittagsschicht) - Aber alles, was du vorgeschlagen hast, werde ich nicht ändern. Ich liebe Hollywood-Schlachten!
Helms Klamm, Schlacht um Gondor, die Gladiator-Anfangsschlacht, die vielen Schlachten in Braveheart- herrlich! :D :ak47:

edit: Deine Aufforderung an mich, endlich mit dem Schreiben zu beginnen, hat mir geschmeichelt. Leider muss ich noch viel lernen, um die vielen komplexen Situationen beschreiben zu können, die dort vorkommen. Mich hat ja diese Geschichte schon an die Grenzen meines schriftstellerischen Könnens gebracht.

Ich danke dir für deine vielen Vorschläge!

Gruß,
Blaine


So... habe ein paar deiner Vorschläge umgesetzt. Die unschönen Wortdoppelungen beim Tor... Irgendwie unmöglich, die Szene ohne das häufige verwenden von "Tor" zu beschreiben, sorry.

Das gleiche gilt für die vielen "würde" am Anfang. Entweder hab ich ein Blackout, oder es ist wirklich nicht möglich.

Die "grausamen" Krieger sind weg. Und die Bogenschützen sind wieder vollzählig. Hab noch ein paar weitere Sachen geändert, sie fallen mir aber im Moment nicht ein...

Gruß,
Blaine

 

@Blaine: Jetzt, wo ich deine Rezi über den DUNKLEN TURM gelesen habe, hab ich auch deine Story gelesen. Das Ende erinnert mich aber doch seeeeeeehr an die King-Saga, hmmmm? ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Blaine,

Hat mir ganz gut gefallen, auch wenn die (gute) Idee der Geschichte nicht völlig neu ist, aber welche ist das schon? (Hat was von "Täglich grüßt das Murmeltier", aber noch viel mehr von einer Star-Trek- und einer Akte-X-Folge und irgendeinem trashigen Film mit James Belushi)
Das meiste, was ich zu sagen hätte, ist schon gesagt worden. Eines hab ich aber vielleicht doch beizutragen:

bliesen so manch wild Entschlossenen(m) das Lebenslicht aus
Weiß irgendwer, was nun passt? Felsy hat das "m" ausgebessert, du das "n"
Wenn ich nicht irre heißt es entweder "manch wild Entschlossenem" oder "manchem wild Entschlossenen". Aber ich würde auch nicht mein ganzes Geld drauf wetten.

Zur "coolen" Sprache:Klar, authentisch mittelalterlich kann man seine Figuren kaum reden lassen. Aber ich denke, wirklich klamaukartig sollte die Sprache nur sein, wenn es auch die Geschichte als solches ist. Mir ist eine gute Mischung aus Pathos und moderner, lockerer Sprache am liebsten. Aber das sagt sich leicht.

 

Hallo ihr zwei,


Das Auftauchen der Geschichte aus der Versenkung werde ich endlich nutzen, um ein bisschen Hollywood herauszukürzen.
Wenn euch die Geschichte an den Dunklen Turm erinnert hat, solltet ihr mal die nächste lesen (dauert noch einige Zeit, bis die rauskommt): Verfolgungsjagd in der Wüste, Palaver in einer Höhle - einfach schröcklich, wie mich die Saga hier beeinflusst hat.
Ich werde bei meinen Fantasygeschichten in Zukunft angeben, was für Inspirationen ich aus der Dunklen-Turm Saga habe.

@forsakingmax: Du spielst auf das Ende der Saga an, oder?
Ich habe mit dem Schreiben der Story anfang November 2004 begonnen. Und wie es bei Kurzgeschichten oft der Fall ist - ich wusste natürlich schon von Anfang an, wie es ausgeht.
Der siebte Teil kam aber erst im Dezember heraus. Deshalb: Das Ende ist wirklich mein Kaffee - obwohl ich eine Inspiration von "Täglich grüßt das Murmeltier" natürlich nicht ausschließe :D
Das Einzige, was ich wirklich übernommen habe, ist das Aussehen und die Persönlichkeit des Zeitlosen Fremden (Walter).
Da Walter eine meiner Lieblingsfiguren aus der Saga ist, dachte ich mir, es wäre ganz lustig, ihn auch in dieser Geschichte auftreten zu lassen.
Und wirklich: Das Schreiben der Turmspitzenszene hat mir einen Heidenspaß gemacht.

@Woodwose: Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Hinsichtlich des Murmeltierfilmes gebe ich dir Recht. Aber wenigstens war die Idee mit den Präsens-Flashback-Visionen neu :p

Wenn ich nicht irre heißt es entweder "manch wild Entschlossenem" oder "manchem wild Entschlossenen". Aber ich würde auch nicht mein ganzes Geld drauf wetten.
Danke für den Tipp, werde mir mal ansehen, ob man die Formulierung so verwenden kann

Die Sache mit der coolen Sprache werde ich mir noch einmal ansehen. Die Wölfin hatte nicht ganz unrecht: "Scheiße, Cole, ist es wirklich so schlimm?", passt nicht ins Mittelalter.


Liebe Grüße,
131aine

 

Ja, Walter ist ja auch eine geniale Figur, die leider ein zu kurzes und unspektakuläres Ende genommen hat. Aber das ist Off-Topic.

 

Stimmt, der Zeitlose Fremde hat Giftgas- und Nuklearanschläge überlebt, und wird zum Schluss von einem Baby umgebracht. Einfach zum Heulen.
*Off-Topic aus*

Ich habe ein bisschen moderne Sprache rausgekürzt. Bei dem "wild Entschlossenen" war ich mir aber nicht sicher. Mir kommen alle Versionen falsch vor.

 

Hey Plasma,
Danke, dass du dir Gedanken über diese harte Nuss gemacht hast. Jetzt habe ich 8 verschiedene Vesionen zu Auswahl, aber meine diesbezügliche Verwirrung ist nicht kleiner geworden. Ich bin viel zu betriebsblind, um die grammatikalisch korrekte Schreibweise noch selbst herauszufinden. Werde trotzdem nochmal drüberlesen - notfalls baue ich alle Vorschläge ein :D

 
Zuletzt bearbeitet:

also, einmal von der Expertin :D:

Es ist ein Dativ. Wem wird das Lebenslicht ausgeblasen? Also hat der Plasmachirurg Recht ;)

gruß
vita
:bounce:

 

Danke, du hast mich endgültig überzeugt. Nach Monaten der Unklarheit habe ich jetzt endlich diesen lästigen Fehler editiert.

Ich werde mir als Strafe meinen arg vernachlässigten Grammatik-Duden reinziehen *grusel*

 

Hi Blaine,

du hast es aber auch mit den Unsterblichen, wie? :)

Der Text findet meinen (fast) uneingeschränkten Beifall. War klasse zu lesen, sowohl von der Handlung, als auch vom Stil her und die Charakterisierung des Prots ist dir wirklich super gelungen. Dafür schonmal: :thumbsup:

Jetzt aber zu den Mäkeleien.


Ja, der Kerl mit dem langen, verfilztem Bart
Müsste mich hier schwer täuschen, wenn es nicht trotz Dativ "verfilzten" hieße.

Die Steckbank war das einzige Mobiliar
Die ist kein Nadelkissen. :D Streckbank.

Der Burgherr erwachte aus seinen tranceähnlichen Zustand
Seinem

Dann ging zu Randall und flüsterte ihm ins Ohr
Dann ging er...

Es war ein ältlicher Knabe, aber die Tatsache, dass er es bis hierher geschafft hatte, sprach für seine von den Jahren ungetrübten kämpferischen Fähigkeiten.
Der Alte stieß einen zittrigen Schrei aus
"ältlicher Knabe" hört sich grausam an. Knabe ist für mich ein Kind und ein ältlicher Knabe demnach ein Jugendlicher. Ich würde an dieser Stelle "Greis" oder ähnliches empfehlen.

Die ersten Wagemutigen waren bereits auf der inneren Mauerer aufgetaucht
Mauer

OK... das wars soweit auch schon. Nur vielleicht noch eine kleine Empfehlung. Aufgrund der Zeit in der dein Text spielt, würde ich Alec anstatt "Onkel" "Oheim" sagen lassen, als er Walther gegenübersteht.


Jetzt muss aber auch nochmal Lob heraus. Wie schon erwähnt finde ich die Geschichte inhaltlich super. Meine Lieblingsszene ist die hier:

Ein Junge, dessen leuchtende Augen ihm nicht die Angst, die er zweifellos hatte, anmerken ließen; ein alter Mann, der ihn voller unverhohlener Bewunderung ansah; ein kahlgeschorener Leibeigener, gezeichnet von Jahren knochenharter Arbeit, bereit das Leben für seinen Herren zu lassen…
Mut, Zuversicht, Selbstvertrauen. Die kleine Flamme, die stets zu verlöschen gedroht hatte, wurde ein regelrechtes Fegefeuer. Kalte Wut blitzte in seinen Augen auf, als er zu sprechen begann.
-> Gänsehautszene! Top! :thumbsup:


Es war mir in jedem Falle eine Ehre, die Geschichte lesen zu dürfen. Saugut!

Grüße, Zens

 

Hi Zens!

du hast es aber auch mit den Unsterblichen, wie?
Ja, meine beiden letzten Geschichten sind im Grunde genommen das Gleiche. Aber da ich sie mit so langen Abständen hintereinander poste, merkt das eh keiner *lach*

Die Fehler, die du hervorgehoben hast, habe ich verbessert. Der "ältliche Knabe" ist weg, du hast Recht, der war wirklich fürchterlich. Nur die Sache mit dem "Oheim" habe ich nicht übernommen, sorry. Dass das "Onkel" heißt wuste ich nicht, also heißen Dank an dich, du hast mich wieder ein bisschen klüger gemacht.
Rein von Stil her habe ich mir alle Freiheiten erlaubt, die sich Ken Follett in "Die Säulen der Erde" erlaubt. Dieses Buch ist mein absolutes Vorbild für Geschichten, die im Mittelalter spielen, und Follett hat sich auch einiges erlaubt (x-beliebig, Scheiße).
Meine Geschichte spielt zwar im Mittelalter, ist aber trotzdem als eine moderne anzusehen. Also verwende ich auch eine moderne Sprache. Und es ist nicht garantiert, dass jeder weiß, was "Oheim" heißt, obwohl sich einem Unwissenden der Sinn des Wortes durch reines Textverständnis trotzdem erschließen dürfte.

Der Text findet meinen (fast) uneingeschränkten Beifall. War klasse zu lesen, sowohl von der Handlung, als auch vom Stil her und die Charakterisierung des Prots ist dir wirklich super gelungen. Dafür schonmal: :thumbsup:
Ein größeres Kompliment hättest du mir gar nicht machen können :shy:
Es war mir in jedem Falle eine Ehre, die Geschichte lesen zu dürfen. Saugut!
Danke, du hast mir mit diesen Statements den Tag gerettet :)
Immer, wenn ich nicht gut drauf bin, werde ich diese Kommentare lesen.

Da Alecs Schwäche jedem gefallen hat, werde ich sie auf eine andere Figur in meinem Roman übertragen (bei ihm selbst wäre das auf Buchlänge unerträglich, vor allem für mich :D)

Liebe Grüße
131aine

 

Hi Blaine,

diese Geschichte fand ich zu lang. Nicht, weil ich etwas gegen Geschichten dieser Länge hier hätte, sondern weil ich denke, dass sie in der Mitte, der Schlachtbeschreibung deutliche Längen aufweist.
Dafür handelst du dann vor allem die Auflösung, die Verwandtschaftsbeziehung zwischen Walter und Alec, den Bruch der Familie etwas kurz ab.
Schön finde ich wirklich deine Charakterisierungen, die auch dem Henker noch etwas menschliches geben. Schön finde ich auch die in die Schlacht eingebetteten Überlegungen über das Töten, um diese Charakterisierung zu bewerkstelligen.
Allerdings hat die Geschichte die ihr eigene optimale Länge für mich noch nicht erreicht.

Ja, auf den guten alten Cole war verlass.
Verlass
Ich habe ihnen unsere Probleme erläutert, und ich bin bei zwei nur auf Feindseligkeiten gestoßen
bei zwei von ihnen oder bei Zweien

Lieben Gruß, sim

 

Hi sim!

diese Geschichte fand ich zu lang. Nicht, weil ich etwas gegen Geschichten dieser Länge hier hätte, sondern weil ich denke, dass sie in der Mitte, der Schlachtbeschreibung deutliche Längen aufweist.
Mit der Länge ist das so eine Sache: Mache finden den Anfang viel zu lang (ich zum Beispiel ;)).
Die Schlacht selbst zu kürzen wäre etwas unglücklich, da die einzelnen Szenen ineinander übergreifen.

Dafür handelst du dann vor allem die Auflösung, die Verwandtschaftsbeziehung zwischen Walter und Alec, den Bruch der Familie etwas kurz ab.
Ich wollte nur das Nötigste Beschreiben, da sonst die Geschichte zu lang geworden wäre. Ellenlange Erklärungen hätten nur geschadet.

Schön finde ich wirklich deine Charakterisierungen, die auch dem Henker noch etwas menschliches geben. Schön finde ich auch die in die Schlacht eingebetteten Überlegungen über das Töten, um diese Charakterisierung zu bewerkstelligen.
Freut mich, so etwas zu hören, besonders von dir.

Fehler habe ich ausgebessert.
Danke für's Lesen und Kritisieren!

Liebe Grüße
131aine

 

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