Die Schreibmaschine
„Eisenbart Büromaschinen“, heißt der Laden im östlichen Teil der Stadt. Die Zunft, die der gelernte Meister vertritt, ist bereits Geschichte. In den Gelben Seiten steht ganz einfach - Repariere Schreibmaschinen auch ältere Modelle -.
Zu seiner Kundschaft zählen vor allem ältere Herrschaften. Er kennt sie alle, die Schreibmaschinenmodelle mit den wohl klingenden Frauennamen wie, Mercedes, Gabriele oder Erika. Er hat den Beruf auch zu seiner Sammelleidenschaft gemacht. Jede seiner ausgestellten Mechanikwunder hat seine Geschichte. Doch eine erweckt in ihm besondere Erinnerungen.
Es war kurz nach der Wende. Ein älterer Herr besuchte an einem späten Nachmittag seinen Laden. Er trug unter dem Arm, einen geschlossenen Behälter, der unweigerlich die Konturen einer Schreibmaschine verriet.
„Mein Name ist Tetzel, Arnim Tetzel“, sagte der Fremde, nachdem er die Last auf die Holztheke abgelegt hatte.
„Ich möchte diese Schreibmaschine hier abgeben“, fuhr er fort.
„Das könnte eine Erika sein“, meinte der Meister übereifrig und zielstrebig, denn er kannte gut den Koffer der Schreibmaschine und dieser war ein Original.
„Wenn das Innere so gut erhalten ist wie die Schatulle, dann könnte ich Ihnen einen fairen Preis anbieten“.
„Nein, nein, ich möchte Ihnen die Maschine kostenlos überlassen“, erwiderte der alte Mann.
„Aber warum sollten Sie dass?“, wollte der Mechaniker wissen.
Nun erzählte der Besucher, dass die Schreibmaschine gar nicht seine sei, sondern die seines verstorbenen Vaters. Sein Vater nämlich, schrieb vor dem Kriege für eine Lokalzeitung Kurzgeschichten. Als er dann eingezogen wurde, verschloss er die Maschine und gab an, dass er erst den Koffer wieder öffnen würde, wenn der Krieg vorbei wäre. Doch die Gelegenheit bot sich nie mehr. Sein Vater verschwand spurlos in Russland und die Schreibmaschine blieb unter Verschluss. Weder seine Mutter noch er selbst vermochten die ganze Zeit über, den Kasten aufzuschließen, denn die Hoffnung, dass er zurückkehren würde, war immer gegenwärtig. Als nun seine Mutter vor drei Wochen verstarb, erbte er das gute alte Stück. Doch auch er widerstrebte sich weiter die Schutzhülle, zu öffnen. Er beschloss daraufhin die Schreibmaschine, zu verschenken. So gelangte die Schreibmaschine in den Besitz des Mechanikers. Doch auch dieser weigerte sich lange, die Schreibmaschine aus ihrem Schoner zu befreien. Jeden Tag, wenn der Mechaniker in seiner Werkstatt saß und an kaputten Geräten herum werkelte, sah er den schwarzen Koffer vor sich.
Dann an einem Sonntagmorgen begab er sich extra in seine Werkstatt, besessen von dem Gedanken, endlich einen Blick in die Schreibmaschine zu werfen.
Es war noch sehr früh und das fahle, schwache Morgenlicht drang nur beschwerlich in seinen Laden ein. Vorsichtig stellte er die Büomaschine auf seine Werkbank. Er kannte das Modell sehr gut, doch wurde er den Gedanken nicht los, warum er so zögerlich an die Sache ranging. Er hatte die letzten fünfzig Jahre, viele Geräte repariert, gewaschen, getrocknet und geölt. Jede kleine Schraube kannte er an dieser Schreibmaschine und doch, irgendetwas schien ihn innerlich zu bewegen. Als er den Schutz entfernt hatte, war ihm sofort klar, dass es sich um eine Erika handeln würde, sein fachmännisches Auge hatte ihn also doch nicht getäuscht. Aber nicht die Begutachtung der alten Schreibmaschine weckte seine Neugierde; sondern das vergilbte Blatt, das noch um die Schreibwalze klemmte. Vorsichtig drehte er am Walzendrehknopf und befreite das Schreibpapier aus ihrer Halterung. Obwohl das Blatt über fünfzig Jahre unberührt geblieben war und einen stabilen Gelbstich aufwies, konnte man die, vom Schreiber hinterlassenen Zeichen auf dem Blatt noch sehr gut lesen. Der Brief war eine Art Vermächtnis an seine Frau Luise und an seinen Jungen Arnim. Als hätte der Soldat Tetzel eine böse Vorahnung gehabt, nimmt er bereits Abschied von seinen Lieben. Als der Mechaniker den Bogen behutsam auf die Werkbank niederlegte, überwältigte ihn ein bedrückendes Gefühl.
Noch am gleichen Tage besuchte Arnim Tetzel erneut die Werkstätte. Durch die schwarze Hornbrille las der alte Mann, die letzten Worte, die sein Vater vor fast sechzig Jahren, eines Abends vor seiner Abreise in den Krieg, getippt hatte. Der Brief endete mit den Worten “Gott schütze Euch, Hugo“. Vorsichtig fältelte er den Bogen und steckte ihn in einen Briefumschlag, bedankte sich und wollte den Laden verlassen. Doch dann, als er auf der Türschwelle stand, trat der Meister an ihn heran und fragte ihn:
„Herr Tetzel, ich muss Ihnen gestehen, dass ich den Brief ebenfalls gelesen habe“.
Der alte Mann sah ihn unverwandt an und meinte, dass er nichts dabei fände. Das ermutigte den Mechaniker, der daraufhin dem Besucher eine seltsame Frage stellte.
„Herr Tetzel, Sie haben mir bei ihrem ersten Besuch gesagt, dass Sie einen Sohn haben. Wie haben Sie ihren Erstgeborenen genannt?“
Auf diese Frage hin musste Tetzel lächeln, denn er wusste, dass der Handwerkermeister ihm die Frage stellen würde, wenn er den Brief gelesen hatte.
„Hugo“, lautete die kurze Antwort.
„Welch ein Segen, Sie haben ungewollt den letzten Willen ihres Vaters erfüllt“, antwortete der Mechaniker und war über die Antwort sichtlich berührt.
„Das glaub ich nicht“, widersprach ihm der alte Herr schmunzelnd.
„Wie bitte?“
“Als mein Sohn gebar, bestand meine Mutter gebieterisch darauf, ihn nach meinem Vater taufen zu lassen“.
„Aber dann …“
„Genau“, unterbrach ihn Tetzel, “obwohl meine Mutter bis zu ihrem Tode standhaft behauptete, niemals den Schrein der Schreibmaschine aufgeschlossen zu haben, musste Sie den Brief bereits vor langer Zeit gelesen haben“.