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Die Schriftstellerin
Mit seinem besten Anzug bekleidet stand David vor ihrer Haustür. Die Klingel grinste ihn höhnisch an. Auf dem Schild neben ihr stand mit geschweiften Lettern „Anne Baumann“. Er kannte ihren Namen, und es war ihr Haus.
Wie er so dastand hatte er das Gefühl, jeder auf der Straße und aus den Nachbarhäusern würde auf ihn starren, sich über ihn lustig machen, wie er mit einem Strauß Blumen in der Hand vor ihrer Tür stand und glauben konnte, dass Anne Baumann wirklich jemals etwas für ihn empfinden könnte. Doch jetzt war er hier, soweit gekommen wie er es noch nie gewagt hatte, bis zu ihre Haustür, und jetzt würde er nicht mehr gehen.
Er klingelte.
Die Tür blieb verschlossen.
Vorsichtig legte er den Blumenstrauß vor die Türe. Ein Zettel war nicht an dem Strauß; keine anonyme Liebeserklärung und auch kein romantisches Gedicht.
Dann ging er.
Auf dem Weg nach Hause hielt er an dem kleinen Café des Ortes, in dem er oft war, wenn es ihm zu schlecht ging, um allein zu sein, aber er dennoch ungestört sein wollte. Das große Transparent über dem Eingang strahlte ihn beim Betreten nichtssagend an.
Er setzte sich an den kleinen Tisch in der Ecke, die in den letzten Monaten sein Stammplatz geworden war.
Die Karte schaute er sich nicht an; die wie überall viel zu hohen Preise wollte er nicht und was anderes konnte er nicht sehen.
Die Kellnerin kam, doch sie wusste schon, was er wollte, kam merklich nur aus Höflichkeit und zur Sicherheit zu ihm. Kurz darauf brachte sie ihm wie immer freundlich lächelnd einen Kaffee.
Die Tasse war mit einem eleganten Schriftzug bestückt, vielleicht der Name des Getränkes, das man ihn sie goss. David trank seinen Kaffe, ließ seine Blicke über die Tische wandern, sah den Leuten zu, die dort saßen, Zeitung lassen, die Karte studierten, mit ihren Handy spielten oder einfach nur miteinander quatschten.
Da sah er sie. Anne saß ein paar Tische weiter, tippte auf ihrem Laptop herum, hielt ab und zu inne, um nachzudenken, um einen Schluck Kaffee zu nehmen, schrieb weiter. Vermutlich schrieb sie an einem neuen Buch; drei hatte sie schon geschrieben, keine Bestseller, aber mit viel positiver Kritik bestückt, wie David gehört hatte, was darauf hoffen ließ, dass ihr nächstes Buch einer werden könnte.
David hatte all ihre Bücher. Unbenutzt warteten sie in einem Regal bei ihm zuhause darauf, gelesen zu werden. Es waren seine einzigen Bücher, dafür behandelte er sie auch wie Schätze, hatte noch nie eine ihrer Seiten aufgeschlagen, keine Verschlechterung ihres Zustandes riskiert.
David trank seinen Tasse Kaffee eilig aus, gab der netten Bedienung wie immer ein großzügiges Trinkgeld und verließ das Cafés.
Von draußen konnte er durch die Glaswand des Cafés Anne sehen, wie sie immer noch dasaß und tippte. Wie wunderschön sie aussah, wie ihre Augen beim Schreiben glänzten, wie sich ihre Miene dem anpasste, was sie schrieb, lächelte, wenn es scheinbar etwas Lustiges, verfinsterte, wenn es vielleicht etwas Trauriges war.
Er sah ihr noch einen Augenblick zu, versuchte ihr Schönheit in seine Gedanken zu brennen. Dann verschwand er, vorbei an mit Plakaten beklebten Wänden, auf denen für ihn rätselhafte Hieroglyphen standen, und dem Wissen, dass Anne allezeit unerreichbar für ihn bleibt.