Die tanzende Kugel
Die tanzende Kugel
Es war einmal ein großes Wesen, das war so groß, dass man es nicht mehr erkennen konnte. Wenn man es sah, dachte man, man sähe nichts. So groß war es.
Dieses Wesen schaute auf ein kleines Kügelchen, das wie ein Staubkorn durch den Raum tanzte. War das lustig oder lästig? Ich könnte es wegpusten, dachte das große Wesen, dann wäre ich es los und müsste nicht mehr darüber nachdenken. Nun verhielt es sich aber so, daß es selbst wenige Augenblicke zuvor mit einem leichten Atemstoß die kleine Kugel zum Tanzen gebracht hatte, und was man selbst in Gang bringt, das lässt man nicht einfach los. Also beschloss das große Wesen, die kleine Kugel näher zu betrachten, fing sie mit lockerem Griff so ein, daß sie weiter tanzen konnte, und legte sie unter ein Mikroskop. Mit Mühe kniff es ein Auge zusammen und blinzelte mit dem anderen in das Gerät. Es sah jetzt, daß die kleine Kugel sich in regelmäßigen, eliptischen Bahnen bewegte. Es sah, dass eine weitere, noch viel kleinere Kugel sich um sie herum bewegte. Es sah auf der größeren Kugel ein Gewimmel von unzähligen unvorstellbar kleinen Wesen. Es sah blaue Flüssigkeit fast überall, Flüssigkeit, die nicht herunter tropfte, sondern nur ein wenig hin und her schwappte. Und wie es sich über sein Forschungsobjekt beugte, vernahm es, beinahe unhörbar, ein feines, feines Geräusch, das dem Sirren einer Mücke ähnelte. Da kam es auf die Idee, ein Mikrophon an die Kugel zu halten und das Geräusch zu verstärken. Es setzte sich zum Hören einen Kopfhörer auf. Langsam drehte es dann das Geräusch lauter, und es stellte nach anfänglichem Schrecken fest, daß es die Summe vieler tausend Klänge und Töne war, die von verschiedensten Orten auf der kleinen Kugel kamen. Und es erfand einen Trick, mit dem es die Klänge filtern konnte, sodass es nun viele Sender hatte wie bei einem Radiogerät. Zuerst hörte es Schüsse krachen und Donner rollen, was ihm so wenig behagte, daß es vor Entsetzen beinahe schon das Kügelchen zerdrückt hätte. Aber dann wurde die Entdeckung zum Genuss. Mit einemmal verstand das große Wesen, warum die kleine Kugel nach einem einzigen Anstoß nicht mehr aufhören wollte, sich zu drehen: Da war phantastische Musik überall, und zu der mußte man tanzen! Und es waren die klitzekleinen Wesen, die die Musik machten. Sie atmeten Luft ein - und Töne aus. Nicht nur aus ihren Mündern, nein, auch aus ihren selbstgemachten Schachteln und Röhrchen, die sie spielten, atmete es klangvoll in den Raum. Das rührte und bewegte das große Wesen so sehr, dass es beschloß, die kleine Kugel wie sein eigenes Auge zu hüten. Und es vergoss eine riesige Träne. Glücklicherweise fiel sie knapp an der kleinen Kugel vorbei ins Nichts.