Die Tochter des Terroristen
„Hey, heißt nicht deine Freundin Salliri mit Nachnamen?“
Verdutzt blickte ich auf.
„Ja, wieso?“
Lino grinste sein spitzbübisches Lächeln und schob mir die Zeitung hin:
„Weißt du eigentlich was ihr Vater so treibt?“
Ich runzelte die Stirn und griff mir die Zeitung.
Terroristen-Helfer geschnappt!
Der 43 Jährige Abdullah Salliri wurde gestern von der Polizei verhaftet. Er wird in zwei Wochen dem Strafrichter vorgeführt. Salliri steht unter dem Verdacht Spenden in Deutschland gesammelt zu haben. Unter dem Vorwand sie für arme Familien in Afghanistan zu sammeln, flossen die Gelder tatsächlich an terroristische Vereinigungen.
„Das heißt doch gar nichts“, murmelte ich schockiert und mein Bruder lachte.
„Na, ich hab’ Denja ja immer für etwas suspekt gehalten!“
Die Zeitung traf ihn am Kopf.
Nervös schritt ich über den menschenleeren Flur. Immer wieder warf ich einen Blick über die Schulter, bis ich mein Schließfach erreicht hatte.
„Hey, Tessa, auch zu spät?!“
Mir wurde heiß und kalt zu gleich und als ich mich aufrichtete, gelang mir ein schiefes Grinsen.
Denja küsste mich zur Begrüßung auf die Wange.
„Spitze, jetzt können wir ja zusammen zum Unterricht gehen!“
Ihre dunklen Augen hatten sich direkt auf mich gerichtet, aber ich wich ihrem Blick aus. Warum war sie in der Schule? War sie nicht am Boden zerstört, dass ihr Vater verhaftet wurde?
Als ich mit Denja das Klassenzimmer betrat, hatte ich den Eindruck, dass alle Augen auf uns ruhten.
Sie wissen es, dachte ich und sank auf meinem Stuhl zusammen.
„Hast du es auch gelesen?“, fragte ich und sah unsicher zu Christoph auf.
„Was?“
„Na, das mit Denja.“
Christophs Lächeln verschwand und er nickte betreten.
„Was soll ich denn jetzt machen? Sie tut so, als wäre nichts!“
Für einen Moment sah mich mein Freund sorgenvoll an.
Es war ein kalter Novembertag. Der Wind peitschte und der Matsch klebte an unseren Schuhen, aber ich hatte mich mit Christoph trotzdem nach draußen auf den Schulhof verzogen, mit der Absicht Denja nicht zu begegnen. Erfolglos. Gerade als Christoph mir antworten wollte, rannte Denja auf uns zu. Ich blickte hoch zu Christoph und sah gerade noch, wie sich seine attraktiven Gesichtszüge verhärteten.
„Tessa! Ich muss dir etwas - “
„Terroristenbraut!“
Der Ausspruch war nicht laut, kam von nicht besonders intelligenten Menschen und doch hallte er in meinem Ohr wieder. Denja gefror ein paar Meter vor mir zur Eissäule.
Die zwei Jungs, die gern andere Menschen tyrannisierten, gingen grinsend weiter und überließen mich meinem Schicksal. Es kam mir vor wie Stunden, die Denja und ich uns gegenüber standen, ohne, dass eine von uns auch nur ein Wort sagte. Dann zitterte Denja und begann zu weinen. Ganz leise, kaum merklich. Christoph murmelte etwas Unverständliches. Noch immer konnte ich mich nicht bewegen, dann ging ich zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schulter.
„Du weißt es auch, oder?“, schluchzte Denja leise und ich nickte nur.
„Lass sie, Tessa.“
Christoph stand plötzlich neben mir und zog mich sanft am Arm. Ich blickte von einem zur anderen, verbittert sahen sie sich an.
Mein innerer Kampf begann. Der Träumer kämpfte mit dem Realisten, der Optimist mit dem Pessimist, David mit Goliath.
David beschwor mich an das Gute im Menschen zu glauben, doch sein übermächtiger Gegner Goliath lachte höhnisch und zeigte auf das Mädchen mit dem bestickten Tuch.
Ich bemerkte ihre unergründlich tiefen, dunklen Augen.
Goliath siegte und ich hasste ihn dafür; David zog sich schmollend zurück.
Langsam zog ich Christoph weg und entschied mich für den sicheren Weg.
Denja stand allein im Regen, nur den kleinen David zu ihren Füßen.