Die Tränen eines Clowns
Die Tränen eines Clowns
„Sie müssen wissen, mein Problem nahm ständig an Grösse zu. Es existierte schon immer, doch in letzter ist es wie ein gefüllter Luftballon, kurz vor dem Platzen. Ich glaube, ich wäre auch geplatzt, hätte ich sie niemals aufgesucht. Und doch ist das Ventil noch offen, das die Luft bis zum äussersten in mich hinein pumpt“.
Der Mann befand sich auf einer modernen blauen Liege. Am einen Ende wuchsen seine riesigen schwarzen Schuhe wie Türme in den Himmel empor, an dem anderen Ende befand sich seine orangefarbenes Haar im Afrolook. Seine Hosen war lang, zu lang, und an den Knien mit gelben Flicken ausgestattet. Als Zentrum dieser bizarren Erscheinung erhob sich eine faustgrosse, rote Kugelnase aus seinem weissgeschminkten Gesicht empor.
Neben ihm sass eine junge, gutaussehende Frau. Ihr Name war Kate. Sie war eine ernste Person, von Beruf Psychiaterin. Der Mann war ihr neuster Kunde.
„Könnten sie mir denn ihr Problem ein bisschen genauer beschreiben?“, fragte sie den Mann, der reglos an die Decke starrte.
Zuerst schien er sie gar nicht gehört zu haben, doch dann antwortete er: „Es ist der Spot. Egal wo ich bin, die Leute lachen über mich. Ich kann im Supermarkt, auf der Strasse oder sonst irgendwo sein, die Leute lachen. Betrete ich einen Raum, drehen sich sofort die Kinder um, zeigen mit den Fingern auf mich und geben dieses kindische Lachen von sich. Wie ich diese Geräusch nur hasse! Doch die Menschen haben mich schon immer ausgelacht und es wird auch immer so bleiben...“
Kate spürte, der Mann war den Tränen sehr nahe. Sie hatte recht. Er zog eine farbige Kette von zusammen geknoteten Taschentüchern hervor und strich die Tränen aus den Augen. Geduldig wartete sie, bis er fertig war.
„Sie sagten, man hätte schon immer über sie gelacht. Erinnern sie sich an Ereignisse aus ihrer Vergangenheit? Vielleicht ihrer Kindheit?“
„Meine Kindheit ist nicht etwas, an das ich mich gerne erinnere. Sie war nicht sehr schön. In der Schule war überall dieses Geräusch. Sie wissen schon, das Lachen. Meine Lehrer konnten mich an manchen Tagen gar nicht unterrichten, da sie von einem Lachkrampf geschüttelt auf dem Boden lagen. Nicht einmal von meinen eigenen Eltern war ich sicher. Nur in meinem Schrank, ganz hinten zusammengekauert, war ich allein. Hier gab es niemand, der über mich lachen konnte!“
Ein erneutes Weinen, hervor gerufen, durch Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, liess ihn erzittern. Die Tränen kullerten seine Wange herunter und tropften auf die in seinem Hemd steckende Blume.
Währendessen hatte Kate eine Zwischenprognose aufgestellt:
„Ich denke, sie haben eine simple Persönlichkeitsstörung. Das Lachen nehmen sie als Beleidigung auf, ja als Angriff. Aber haben sie vielleicht schon mal darüber nachgedacht, dass die Leute vielleicht gar nicht über sie, sondern mit ihnen lachen?“
Er schaute verdutzt auf. Diese Behauptung machte für ihn keinen Sinn. Und auch wenn es Sinn machen sollte, gefiel es ihm nicht
„Mit mir? Ich habe niemals gesagt, dass ich lachen will. Und das soll schon gar keiner mit mir tun. Wissen sie, ich habe die Kehrseite der Medaille gesehen. Für Sie ist die Welt da draussen heil, schön, es ist ein ewiger Sommernachmittag. Doch ich kenne auch die schlechte Seite der Welt. In meinen jüngeren Jahren war ich beim Militär. Nicht nur beim Militär, ich war im offenen Einsatz im Vietnam. Dort habe ich Dinge gesehen, denen sie nicht einmal in Alpträumen begegnen werden. Das Blut meiner Kameraden, die Bombardierung ganzer Dörfer und sinnlose Mörderei an Kindern. Und wissen sie, was ich als erstes tat, als ich wieder zu Hause war? Ich schrieb ein Buch über meine Geschehnisse. Es sollte den Leuten zeigen, was für ein Drecksloch der Krieg war. Doch es wurde kein weltbewegendes, emotionales Drama, wie ich es erhofft hatte. Die Kritiker bezeichneten es als Buch, das einem vor Lachen die Tränen in die Augen trieb. Es sei so witzig, die Erlebnisse wären komödiantisch und so endete mein Buch als humorvollstes Buch des Jahres auf der Bestsellerliste. Und jeder der es las, lachte. Über das Buch und über mich“.
Kates Uhr zeigte ihr, dass die Sprechstunde bald vorbei war. Sie mochte den Mann nicht. Am liebsten würde sie seinen Fall so schnell wie möglich in die Katen legen und zu normalen Patienten, wie Massenmörder oder Sektenführer zurück kehren.
„Ich sehe ihr Problem ist sehr gross. Doch man kann es nicht einfach in einem Schritt beseitigen. Sie müssen einen langen Weg gehen, am Ende stehen sie in einem neuen Leben, das ihnen gefällt. Und ich weiss auch schon, wie sie beginnen sollten: Ziehen sie sich diese alberne Nase ab!“
Sie zeigte auf seine rote Kugelnase, die sich unter den Augen befand, welche Kate nun entgeistert anstarrten.
„Was ist mit meiner Nase?“, fragte er, scheinbar schockiert.
„Sie sollten sie wegnehmen, die sieht dort lächerlich aus!“
„Wegnehmen? Wie bitte sollte ich meine Nase wegnehmen?“
Kate war am Ende ihrer Nerven. Sie packte die Nase Mannes und zog mit aller Kraft daran.
„Aua!“, schrie er, „Sie tun mir weh!“
„Sie muss weg! Nehmen sie diese verdammte Nase ab!“
Die Hände schützend vor dem Gesicht, versuchte er Kate abzuwehren, doch in seiner Position gelang es ihm nicht.
„Weg damit! Lächerliche Nase!“, kreischte Kate ununterbrochen.
Der Mann schrie wie am Spiess, doch sie liess sich dadurch nicht beirren. Sie verlagerte ihr Gewicht nach hinten, lehnte sich zurück und riss ein letztes Mal mit aller Kraft.
Eins schreckliches Geräusch, als würde man Stoff auseinander reissen, ertönte. Der Mann kreischte vor Schmerz , seine Brust bäumte sich auf, dann sank er zurück und blieb reglos liegen.
Kate hielt die rote Nase. In ihrer blutverschmierten Hand.