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Die Trollblume
Im Lande Irgendwo, da wurde irgendwann in einer ärmlichen Hütte inmitten eines finsteren Waldes ein Mädchen geboren. Und weil die Eltern sich das Kind so sehr gewünscht hatten, wurde dieses Ereignis mit allen Freunden und Verwandten gefeiert. Natürlich durften auch die Waldbewohner nicht fehlen, deshalb wurden auch die Feen, Elfen, Zwerge, Trolle und viele andere zu diesem Fest geladen.
Alle gaben dem kleinen Mädchen ihre besten Wünsche mit auf den Lebensweg: Klugheit, Anmut, Schönheit sowie ein großes gütiges Herz und alle Vorzüge, die sich denken lassen. Nur ein Troll wurde ganz neidisch auf des Mädchens Liebreiz, der alle Gäste bezaubert hatte. So beschloss er, sich an dem Mädchen zu rächen, obwohl es doch ganz unschuldig war, und er wünschte nichts sehnlicher, als dass das Kind stürbe.
Lange suchte er nach Verbündeten, aber wen er auch ansprach, niemand wollte dem Mädchen etwas Böses antun, denn je älter es wurde, desto lieblicher, klüger und schöner wurde das Kind. Schließlich besann sich der Troll auf den Gevatter Tod und stattete ihm einen Besuch ab. Er brachte viele Geschenke mit und versprach ihm unermessliche Schätze, wenn er das Mädchen zu sich holen würde.
Der Tod war unschlüssig und bat sich Bedenkzeit aus. Er machte sich auf den Weg und strich eine ganze Woche um die Hütte herum, beobachtete das Mädchen und war ganz entzückt von seiner heiteren Art und seinem kindlichen Zauber. Da beschloss der Tod, das Mädchen am Leben zu lassen, denn es dauerte ihn, wenn es in so jungen Jahren und völlig unschuldig schon hätte sterben müssen.
Als der Troll auf eine Entscheidung drängte, teilte ihm der Tod mit, dass er das Mädchen nicht zu sich holen könne. Um aber dem Troll dennoch zu Willen zu sein, machte der Tod den Vorschlag, der Troll möge sich eine tückische Krankheit suchen und mit dieser handelseinig werden. Wäre das Mädchen erst richtig krank, dann könne der Tod vielleicht doch das Mädchen zu sich holen.
Lange überlegte der Troll und noch länger suchte er, denn er wollte vermeiden, dass die Krankheit sofort bemerkt würde. Er wünschte sich eine heimtückische Krankheit, die in aller Stille ihr Werk verrichten würde, so dass eine Heilung nur noch sehr schwer möglich wäre. So kam er auf die Leukämie. Die Leukämie war von dem Vorschlag des Trolls sofort angetan, denn schon lange hatte sie kein so junges und liebreizendes Opfer gehabt. Die beiden Bösen, der Troll und die Leukämie, wurden sich schnell einig und besiegelten ihren Pakt mit allerlei Beschwörungen.
Als die Leukämie es sich so recht bequem in dem zarten Körper des Mädchens gemacht hatte und die Menschen die Krankheit erkannten, da fiel den Eltern plötzlich ein, dass der Troll bei der Geburt des Kindes schon ganz neidisch gewesen war und seinen Wunsch so leise gemurmelt hatte, dass ihn niemand verstand. Sie vermuteten, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen konnte und der böse Troll seine Hand im Spiele haben musste; sicher hatte er eine Verwünschung ausgesprochen. Sie berieten sich mit ihrer Tochter, die inzwischen schon zehn Jahre alt war.
Dank der guten Wünsche zu seiner Geburt war das Mädchen reich an klugen Gedanken, und so beschloss es, den Troll mit einer Gabe zu der Zeit, wenn die Trolle in den Wäldern umher streifen und nach Geschenken von den Menschen Ausschau halten, auszusöhnen. So lange aber das Mädchen überlegte, ihm fiel kein passendes Geschenk ein, denn die Trolle verfügen über reiche Schätze und sind nur schwer zufrieden zu stellen.
In seiner Not fragte das Mädchen die Bäume des Waldes um Rat, doch die sagten: „Wir wissen kein passendes Geschenk. Der Troll ist neidisch auf deine Schönheit, also frage die Blumen. Sie sind viel schöner als wir und verströmen liebliche Düfte, vielleicht können sie dir helfen“.
Ein Wacholderstrauch, der in der Nähe stand, hatte das Gespräch mit angehört und rief das Mädchen zu sich. „Pflücke meine Beeren und bereite einen Sud davon. Wenn du davon trinkst, kannst du in die Zukunft schauen. Vielleicht hilft dir das“. Das Mädchen folgte diesem Rat und hatte bald darauf die Vision von einem wunderschönen, wie Gold glänzenden Blumenball, den es noch niemals vorher gesehen hatte. „Das ist bestimmt das passende Geschenk; es ist eine schön anzusehende Blume und gleicht dabei einer Kugel aus purem Gold“, dachte das Mädchen bei sich. Doch es suchte vergeblich in den finsteren Wäldern danach.
In seiner Verzweiflung wandte sich das Mädchen an eine Elfe, die ihre Patin war. Die Elfe kannte eine solche Blume auch nicht, aber sie war die Schutzbefohlene der Schlüsselblume, und so riet sie dem Mädchen: „Gehe bis zum Ende des Waldes. Dort, am Rande, findest du die Schlüsselblume. Sie ist hilfsbereit und weise, denn sie hat den Schlüssel zu den Geheimnissen der Wälder. Bestimmt hat sie einen Rat für dich“.
Das Mädchen schöpfte frischen Mut und fand schließlich die Schlüsselblume. Mit den besten Grüßen von der Elfe trug das Mädchen sein Anliegen vor, und die Schlüsselblume gab ihm bereitwillig Auskunft: „Die Blume, die du suchst, wächst ganz in der Nähe. Folge dem Bach dort hinten, bald wirst du an eine Wiese gelangen. Dort wächst das Goldköpfchen, wie wir diese Blume nennen“.
Es dauerte nicht lange, so hatte das Mädchen die Wiese erreicht. Sofort erkannte es die Blume, die ihr nach dem Wacholdergetränk erschienen war. „Liebes Goldköpfchen“, sprach das Mädchen, „lange habe ich nach dir gesucht. Gern würde ich dich mitnehmen, um einen bösen Troll zu versöhnen, der mich an eine schreckliche Krankheit verschachert hat. Dir aber soll kein Leides geschehen, denn ich pflanze dich mit all deinen Wurzeln ein und sorge für dich“. Das Goldköpfchen hatte Mitleid mit dem Mädchen und stimmte in den Vorschlag ein.
So geschah es also, und auf einer Waldlichtung fand das Goldköpfchen eine neue Heimat. Das Mädchen hatte es so gepflanzt, dass der Troll die Blume gar nicht übersehen konnte. Das Mädchen aber sprach zum Troll: „Ich habe für dich diese Blume gesucht. Sie soll dir für immer gehören und dich an deine Goldschätze erinnern. Ihre Schönheit aber möge deinen Neid und deine Missgunst beschwichtigen und dich bessern. Wenn du mich von der bösen Krankheit befreist, soll die Blume fortan deinen Namen tragen, so dass die Menschen immer in Güte deiner gedenken“.
Der Troll, der auch recht eitel war, zeigte sich von diesem Geschenk nicht nur sehr angetan, sondern er entbrannte sofort in heißer Liebe zu dieser Blume. Hatte ihm doch noch nie etwas so Schönes ganz allein gehört! Umgehend eilte er zur Leukämie, um den Vertrag mit ihr zu lösen. Um aber nicht undankbar zu erscheinen, verwies er die Krankheit an den Tod und gab ihr den Rat, sich von ihm ein anderes Opfer nennen zu lassen.
So gelang es dem Mädchen, den Troll, die Krankheit und den Tod zu besiegen. Fortan aber ist das Goldköpfchen auch unter dem Namen Trollblume bekannt, und selbst der lateinische Name „Trollius“ legt Zeugnis davon ab. So lange ist das schon her.