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Die unersättliche Hexe
„Lirum, Larum, Löffelstiel ...“, sabberte die kleine Hexe vor sich hin. Dabei rann ihr gieriger Speichel aus dem zahnlosen Mund. Das Objekt ihrer Begierde schwamm in einem riesigen kupfernen Kessel voll siedender Flüssigkeit, der auf dem Herd stand. Ein menschlicher Kopf, schon halb verwest, trieb auf dem Sud, ab und an die Wand des Kessels berührend und dabei jedesmal einen glockenartigen Ton erzeugend.
Die Hexe nahm einige Gewürzbeutel zur Hand und streute etwas daraus in die Flüssigkeit. Dann zückte sie ihren Zauberstab. „Eins...zwei, drei – Leben schnell herbei“, zischte sie. Der Kopf öffnete die Augen. Weißliche gallertartige Klumpen starrten die Hexe an.
„Oje, Oje“, machte der Kopf, während er sich in dem Gebräu drehte. „Mir wird so schwindlig.“
„Ha ha ha“, kreischte die Hexe schrill und vollführte kleine Hopser vor Freude, wobei ihre lange Nase in bedenkliche Schwingungen geriet und sie fast ihren großen Hut verloren hätte.
Der Zauber wirkte. Dann gab sie rasch noch einige wichtige Zutaten in den Kessel: Ein Krötenherz, ihren noch vom letzten Vollmond stammenden Urin, ein paar abgebrochene Zehennägel, in Stücke geschnittenes Fleisch einer Fledermaus, kleingehackte Spinnenbeine, eine Prise getrockneten Schneckenschleim, Rattenaugen und etwas frischen Nasenrotz. Mit ihrem großen Holzlöffel rührte sie alles kräftig um. Dampf stieg zischend in die Höhe als die Flüssigkeit aufschäumte und der Kopf stieß – klong – an die Wand des Kessels.
Gespannt wartete die Hexe vor dem Kessel, über dem sich undurchdringlicher Nebel bildete. Dieses Kribbeln im Bauch! Dieses herrliche Gefühl der Vorfreude! Ob das Rezept "Iwanuschka" auch ihren Geschmack traf? Dann schlug sie die Hände zusammen und ihr runzliges Gesicht erhellte sich, als würde der Weihnachtsmann seinen Sack präsentieren. In dem Dampf wurde eine menschliche Gestalt sichtbar. Der Nebel zerteilte sich und ein Jüngling entstieg dem Kessel, so schön, wie ihn sich die Alte in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte. Das Haar hing in blonden Locken um sein klares Gesicht mit der geraden Nase und den blauen Augen und der Mund wurde auf’s Anmutigste von einem Grübchen verziert.
Das Hexlein konnte sich gar nicht satt sehen an diesem Grübchen. Doch es war noch so viel mehr zu entdecken. Genießerisch, wie ein Feinschmecker, der jeden Bissen auskostet, ließ sie den Blick langsam, ganz langsam, immer tiefer wandern. Die muskulösen Arme und die breite unbehaarte Brust entlockten der Hexe einen spitzen Aufschrei des Entzückens. Aber auch der flache Waschbrettbauch war nicht übel. Und erst der pralle herabhängende Schwengel, der so einiges versprach. Die Hexe leckte sich die Lippen und verweilte mit ihrem Blick an dieser Stelle, bevor sie als Nachtisch auch noch die strammen Beine des Jünglings in Augenschein nahm. Der Bursche ließ die Musterung ohne Regung über sich ergehen. Sein Gesichtsausdruck deutete darauf hin, dass er gerade im Land hinter dem Regenbogen Gänseblümchen pflückte.
Das alte Weib strich dem Jüngling zärtlich über das Gesicht.
„Zur Liebe bist du gemacht, und lieben wirst du mich, mein schöner Junge“, hauchte sie ihm ins Ohr. Dann packte sie ihn am Arm und zerrte ihn zu dem an der Wand stehenden Bett. In Blitzesschnelle entledigte sie sich ihrer Kleidung, klatschte dreimal in die Hände und beschwor murmelnd den Zauber der Schönheit. Es machte „Plopp“ und eine nackte junge Frau rekelte sich an Stelle der Hexe auf dem Bett, rothaarig, gertenschlank, mit pfirsichgleicher Haut und straffen Brüsten. Ihre vollen Lippen lächelten verführerisch und grüne Augen strahlten den Jüngling an.
„Komm“, lockte sie ihn mit honigsüßer Stimme und winkte einladend mit der Hand. Der junge Mann, offenen Mundes und mit kugelrunden Augen, näherte sich, von dieser fleischgewordenen Venus angezogen wie eine Motte vom magischen Schimmer einer Kerze. Von Liebesglut entflammt legte er sich neben sie, stammelte unzusammenhängende Worte und bedeckte ihre Haut mit heißen Küssen. Er streichelte Hals und Brüste der Schönen und während seine Hand langsam nach unten wanderte, schnurrte das Hexlein wie eine Katze und ihr Blut geriet in Wallung. Die Katze wurde zum wilden Puma und warf den Jüngling auf den Rücken, bereit ihre Beute mit Haut und Haar zu verspeisen. Sie grapschte nach dem dicken Lümmel und führte ihn hinein in das Gelobte Land und es begann ein verwegener, teuflischer Ritt, bei dem das Hexlein vor Vergnügen quiekte wie eine gekitzelte Sau. Ach, könnte es ewig so weiter gehen. Nur Besenreiten war schöner. Immer wilder, immer schneller wurde der Ritt und dann kam er, der Sprung über den Abgrund, bei dem für einen endlos langen Augenblick die Zeit stillzustehen schien...
Der Zauber, gebrochen durch die Kraft jenes einzigartigen Moments der Liebe, verblasste. Sie konnte es am Gesicht des Burschen ablesen. Im gleichen Maße, wie die Maske der Schönheit von ihr abzubröckeln begann, wie ihr Haar wieder grau und ihre Haut runzlig wurden, sich tiefe Falten in ihr Gesicht gruben und schlaff herabhängende Schläuche ihre drallen Brüste ersetzten, weiteten sich die Augen ihres Liebhabers immer mehr vor Entsetzen, seine Miene spiegelte Ekel und Abscheu wider und der Mund öffnete sich zu einem gellenden Schrei. Verzweifelt zappelte der Undankbare unter ihr und versuchte sogar, sie, die er noch vor Sekunden mit glühender Leidenschaft geliebt hatte, von sich wegzustoßen!
So war es jedesmal. Männer! Seelenlose Tiere, nur auf Äußerlichkeiten fixiert! Mit einem Seufzer schnipste die Alte den Jüngling zu den anderen in ihr unterirdisches Verlies. Vielleicht würde sie ihn später wieder benutzen. Der Typ war im Bett teuflisch gut. Wobei, wenn sie es sich recht überlegte, dem Italiener von gestern, sehnig und braun gebrannt, mit feurigen schwarzen Augen, konnte er doch nicht das Wasser reichen. Und erst der mit den dicken Augenbrauen, die ihm einen irgendwie satanischen Zug verliehen. Sehr attraktiv. Oder der...
Die Alte schwelgte in ihren Erinnerungen.