Die Verdammten
Ich hatte es mir angewöhnt mittags, nachdem ich mein tägliches 5stündiges Schreibpensum beendet hatte, in das Café unweit meiner Wohnung zu gehen und dort bis abends zu bleiben. Ich saß immer alleine, meist mit einem Buch oder einem Stapel Tageszeitungen. Man möchte mir wohl nicht absprechen, dass Kaffeehäuser die besten Orte für Kreativität sind. Viele der Stammgäste haben zu Figuren in meinen Büchern, die sie sicher von den Bestsellerlisten kennen, beigetragen. Die alte Frau in blau am Fenstertisch wurde zu Lady Connelly in meinem Werk "Nachtblume", der Säufer mit dem Bürstenschnitt erhielt eine kleine Rolle in ebenjenem Buch. Ich war es gewöhnt, in Ruhe gelassen zu werden, außer von der netten Kellnerin, die mir immer den Whiskey nachfüllte. Deshalb überraschte mich es um so mehr, als eines regnerischen Nachmittags plötzlich zwei Beine in braunen Cordhosen in mein Blickfeld rückten. Ich sah von meinen Notizen zu einer Literaturdokumentation auf und bemerkte einen Mann um die fünfzig, der die Hose mit einem hässlichen Jackett und einem Hemd ergänzt hatte. "Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei?," lispelte er und schüttelte seinen Regenschirm über meinen ausgestreckten Füßen aus. Ich sah mich um; es waren genügen Tische frei. "Nun," antwortete ich mit kaum verhohlener Abneigung in der Stimme, "Normalerweise schätze ich die Einsamkeit mehr als die Gesellschaft anderer Menschen. Es sind doch viele Tische frei, oder nicht?" Er lächelte mich an als hätte ich ihm angeboten ihm sofort einen Ferrari zu schenken und die Spritkosten für die nächsten zwanzig Jahre zu übernehmen. Und dann geschah das Unfassbare: er setzte sich tatsächlich zu mir. Ich war versucht ihn zu schlagen, wissen Sie, meine Geduld war noch nie die beste. "Es tut mir Leid, falls Sie mich missverstanden haben, aber ich schätze Ihre Gesellschaft nicht."
Er lächelte noch breiter, und ich erkannte das seine Backenzähne allesamt plombiert waren. "Ist das denn Ihr Tisch?"
Langsam reichte es mir. Ich packte meine Sachen und wollte aufstehen, als plötzlich eine schwammige Hand meinen Arm umklammerte. "Bitte..helfen Sie mir.." Seine blauen Augen waren wässrig geworden, und mir schien als sähe ich Rotz aus seiner Nase rinnen. Es war mir peinlich.
"Hören Sie, ich habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen, und ich wüsste nicht wie ich Ihnen helfen könnte."
"Es geht um ein Problem, ein ernstes Problem. Ich weiß dass Sie Horrorschriftsteller sind, und ich habe alle Ihre Werke gelesen, sogar 'Draußen am Fluss'." Ich hörte auf meinen Arm aus seiner Umklammerung befreien zu wollen. Draußen am Fluss war mein Erstlingswerk gewesen, nie in Buchform erschienen, nur einige alte Manuskripte existierten noch, soweit ich wusste.
"Glauben Sie mir, ich kenne Sie. Ol' Tom Brandy aus 'Draußen am Fluss' ist die beste Figur die Sie je geschaffen haben."
Verblüfft ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl sinken. Dieser Mann war mir unheimlich. Hatte ich einen Bruder, von dem ich nichts wusste? Ein personifiziertes Alter Ego?
"Nun, was ist dieses Problem bei dem ich Ihnen helfen soll?"
Eine Menge Whiskeys später saß ich wie angenagelt auf meinem Stuhl und lauschte diesem Mann. Wie hatte ich ihn abwimmeln wollen können? Wie hatte ich so unfreundlich sein können? Hard, so hatte er sich vorgestellt, schrieb geniale Geschichten. Er hatte mir eine seiner Kurzgeschichten vorgelesen, mich in seinem ausführlichen Wissen über Literatur gebadet, mir die Augen wieder geöffnet für die Schönheit der Worte. Dieser Mann war eine Muse. "Aaah, Hard, was sagen Sie, gehen wir zu mir nach Hause und leeren die Bar?"
Er lehnte sich zurück, grinste wieder sein breitestes Grinsen und erwiderte dann: "Gehen wir zu mir. Ich denke, ich kann auch Ihren verwöhnten Gaumen beglücken."
Es waren kaum zehn Minuten Fußmarsch bis zu seinem Haus, einem kleinen schäbigen Vorstadthaus mit welken Geranien auf den Fenstersimsen. Hard versuchte seinen Schlüssel in das Schloss zu stecken, doch er war etwas mehr als angeheitert und traf das Loch nicht. Hilfreich drückte ich auf die Klingel. Beinahe sofort öffnete eine kleine, schlanke Frau mit großen braunen Augen. "Hardy, Schatz, wen hast du uns da mit gebracht?" "Aaaah..hui...," ächzte Hard und schwankte wie ein Schiff auf See. "Mein Gott, du hast wieder getrunken, nicht? Kommen Sie rein, ich bin Isabelle, willkommen in unserem zuhause. Wollen Sie etwas essen?"
Das Haus war von innen noch kleiner als von außen. Soweit ich erkennen konnte, bestand es aus nichts mehr als einem Wohnzimmer, einer Küche, einem kleinen Bad und einem verschlossenen Raum, der, wie ich stark vermutete, das Schlafzimmer sein musste. Wir saßen auf der Couch, die wohl nie eine Federung gehabt hatte, und ließen uns von Isabelle mit Broten bewirten. "L-le-lesen Se ma diese hier, Rainer,"lallte Hard, offensichtlich zu besoffen um sein Werk selbst vortragen zu können. Er reichte mir einige Blätter Papier. Ich las die Überschrift: Die Gesandten des Teufels. Ich las weiter und ich musste feststellen dass dieser Text der mit Abstand das Beste war, das mir je untergekommen war. Es ging um eine kleine Gruppe von Höllenwesen, die auf die Erde geschickt werden und dort die Gestalt von Menschen annehmen. Ihre Energie beziehen sie, in dem sie Menschen die Seelen aussaugen. Ihr Ziel ist es, die Welt an sich zu reißen. Ich war wie gefesselt von diesem Stück Literatur, es rann mir kalt den Rücken hinunter. "H-h-opp Rainer, auf zu 'ner k-kl-kleinen Hausbesichtigung," ächzte Hard und erhob sich. Isabelle folgte ihm zu der noch geschlossenen Tür. "Hier ist mal unser Schlafzimmer," sagte sie, lächelte und öffnete die Tür. Ich wurde von der Hitzewelle, die herausdrang, beinahe umgeschmissen, doch Hard fing mich auf-und stieß mich hinein. Meine Wimpern schmolzen und klebten zusammen, was das Augenöffnen nicht leichter machte. Doch schließlich erkannte ich einen großen Käfig, unter dem ein Feuer brodelte. Hard, unbeeindruckt von der Hitze, schob mich in den Käfig und schloss die Tür. Ich war unfähig zu schreien, ich war unfähig irgendetwas zu tun. Ich sah wie Isabelle und Hard lachten, dann griffen sie sich an den Haaransatz und zogen ihre Gesichter ab. Ich schrie, endlich, endlich befreit. Die beiden hielten ihre grinsenden Antlitze in der Hand, und da wo diese hingehörten befanden sich jetzt hässliche, pelzige, warzenüberwucherte Wangen, große rote Glubschaugen und ein breiter, schmallippiger Mund. "So, großer Dichter, neuer Shakespeare," dröhnte Hard, plötzlich kein bisschen betrunken mehr, "die besten Geschichten sind eben doch die wahren, nicht?" Das letzte, was ich spürte, waren ihre Münder, die sich durch das Käfiggitter an meine Brust drückten und etwas aus mir heraussaugten.
Sie fragen sich, wie ich diese Geschichte verfassen kann. Halten mich für einen hanebüchenen Lügner. Doch ich will Ihnen etwas sagen. Ohne Seele kann man nach dem Tod nicht Himmel oder Hölle zugeordnet werden. Es ist viel schlimmer als die Hölle. Man sitzt fest, kann nichts tun. Wir sind die Verdammten. Auf immer und ewig.