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Die Würde
„Runter mit der Hose!“, sagte Friedrich im gewohnten Befehlston. Doch seine Stimme zitterte und die Worte kamen gepresst aus seinem Mund, als würde dieser sich weigern auszusprechen, was Friedrich seit einer Ewigkeit dachte: Endlich den Hintern seiner Tochter sehen. Nackt sehen. Dieses Luder hatte ihn lange genug gereizt, jetzt war es endlich vorbei damit.
Gut, der Papst Franziskus hatte vor einigen Tagen nichts von nackt gesagt, aber erlaubt hatte er: Das Schlagen auf den Po. Das sei würdevoll, hatte er gesagt, im Gegensatz zum Schlagen ins Gesicht. Dabei hatte er, Friedrich, gerade das für entschuldbar gehalten. Es kann jedem Mann die Hand mal ausrutschen, nicht wahr? Wenn so eine Göre Widerworte gibt, die einem redlichen Mann wie ihm die Zornesröte ins Gesicht treiben, dann kann es freilich passieren, dass er Gewalt über sich verliert, oder?
„Umdrehen!“
Seiner Frau geht es ja nicht anders. Keine langen Diskussionen, so eine Ohrfeige stoppt das Gezeter sofort. Und sie hat sich für ihre Handlungen genauso wenig vor der Tochter zu verantworten, wie er. Wo kämen wir denn hin, wenn Kinder bestimmten, was im Haus und anderswo zu geschehen hat? Und sagt nicht die Bibel, wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald?
Gut, er hat keinen Sohn, in heutiger Zeit sind Weiber den Männern jedoch gleichgestellt, also müssen sie auch nach den gleichen Methoden erzogen werden. Was für Söhne gut ist, muss auch für Töchter gelten, die Gleichberechtigung verlangt das. Die Emanzen hätten halt daran denken sollen, dass Gleichheit zugleich Nachteile haben kann.
„Über die Lehne beugen!“
Mit Bedacht strafen, das sei okay, hatte der Papst gesagt. Und mit Bedacht heißt: Nicht aus einem augenblicklichen Ärger heraus, sondern nach Plan. Deswegen wird in seinem Haus ab sofort jeden Freitag gestraft. Oder eben nicht. Wenn während der Woche nichts vorfallen sollte, dann wird das Strafgericht selbstverständlich entfallen. Zumindest in seinem Haus wird es gerecht zugehen. Gerechtigkeit ist etwas, was heute leider Gottes nicht sehr hoch im Kurs steht. Laufend werden Verbrecher zu viel zu milden Strafen verurteilt. Oder gar nicht verurteilt: Sie können sich mit einem Geständnis und einer milden Gabe an eine gemeinnützige Organisation freikaufen.
„Marlene, du bist jetzt dran!“
Friedrich hatte sich auf dem Sofa bequem gemacht. Er war in dieser Angelegenheit Richter und als solcher nicht für den Vollzug zuständig. Gut, er hatte das Ganze arrangiert, den Stuhl so hingestellt, dass seine Tochter ihm nun ihren nackten Hintern zeigte, schlagen werde er sie trotzdem nicht. Dafür war seine Frau da, schließlich war sie für die Erziehung der Tochter zuständig – heißt es doch in der Bibel: Rute und Strafe gibt Weisheit; aber ein Knabe, sich selbst überlassen, macht seiner Mutter Schande.
Mutter, nicht Vater!
Er war ja kaum zuhause, musste Geld verdienen, wie sich das für einen Mann gehört. Er war schon immer der Meinung, dass Frauen ins Haus gehörten. Küche, Kinder, Kirche, dafür war sie verantwortlich. Jahrtausendelang hat das gegolten, und es gibt keinen Grund, warum das nicht wieder gelten sollte. Nur weil die Achtundsechziger ein wenig Unruhe stifteten? Das ist längst vorbei, noch drei Jahre und dann ist ein halbes Jahrhundert um, seitdem diese Chaoten die gottgewollte Ordnung durcheinander gebracht haben.
„Marlene, auf was wartest du?“
„Muss … muss ich das wirklich tun?“
„Natürlich. Es sei denn, du willst, dass ich es tue? Aber du weißt: Ich schlage härter.“
Das war eine deutliche Drohung, doch Marlene zögerte weiter, schien immer noch unschlüssig.
„Aber ist das nicht verboten?“
„Wir haben das ausdiskutiert, Marlene: Das mit dem Verbot der Züchtigung war lediglich eine kurzzeitige Verirrung des Zeitgeistes. Der Papst hat jetzt endlich dagegen aufbegehrt und Tacheles gesprochen. Vor etlichen Journalisten. Und der Vatikan hat das hinterher bestätigt: Es war kein Versehen – Papst meinte das ernst.“
„Trotzdem könnte es Unrecht sein. Wenn Thekla … wenn Thekla das in der Schule erzählt, dann …“
„Thekla wird nichts erzählen. Du kennst unsere Tochter schlecht. Sie wird uns nicht ins Gefängnis und sich selbst in ein Heim bringen wollen. Oder, Thekla?!“
Thekla sagte nichts, es schien als ob sie die Frage gar nicht gehört hätte. Dafür bohrte Marlene weiter: „Und wenn sie hinterher nicht sitzen kann?“
„Dann melden wir sie krank. Aber du musst sie ja nicht blutig schlagen. Sechs Schläge, das kann sie verkraften, schließlich ist sie schon groß. Das Wichtigste sind ohnehin die Schmerzen. Und der größte Schmerz wird an der Oberfläche der nackten Haut gespürt, wo sich die Nerven befinden.“
„Ihr Vergehen war ja nicht so groß, Friedrich. Außerdem konnte sie nicht wissen, dass daraus diese harsche Konsequenz folgen wird. Ich meine, wir sind bisher …“
„Was bisher war, spielt keine Rolle mehr. Wir haben jetzt freie Hand. Und bedenke, wenn wir nicht jede Übertretung, jede Aufmüpfigkeit und Gemeinheit behandeln wie Gott Sünde behandelt, wird das Weltbild Theklas ein falsches sein."
Marlene zögerte noch, rang mit sich, dann hob sie doch den Arm. Und ließ ihn sinken.
„Tu‘s, Marlene, denn es steht geschrieben: Gesegnet sei der Schmerz.“
„Ich kann nicht.“
„Doch, du kannst, denn es steht geschrieben: Geheiligt sei der Schmerz.“
„Ich … ich …“
„Verherrlicht sei der Schmerz. Tu’s endlich!“
Und Marlene tat es. Mit sichtlicher Anstrengung zwar, dennoch tat sie es. Sie schlug zu und wiederholte dabei Friedrichs Worte: „Gesegnet sei der Schmerz.“ Und beim nächsten Schlag: „Geheiligt sei der Schmerz“. Und beim dritten: „Verherrlicht sei der Schmerz.“
Dann stoppte sie und schaute ihren Mann fragend an. Er aber sah sie nicht. Er sah allein die drei Striemen auf dem Arsch seiner Tochter. Sie färbten sich langsam rot. Auf der rechten Backe war es besonders schlimm. Marlene hatte mit ihrem Kochlöffel zweimal fast die gleiche Stelle getroffen. Zwar nur mit der flachen Seite, allein die kreisrunden Abdrücke überschnitten sich und bewirkten eine stärkere Rötung.
Das war nicht schön. Weil es die Symmetrie störte. Auf die perfekte Symmetrie der Arschbacken, gehörten parallele Striche und nicht dieses Durcheinander! Es war ein Fehler, die Bestrafung seiner Frau zu überlassen. Er wusste ja: Sie war unfähig, einen Nagel in die Wand einzuschlagen. Ein einziges Mal hatte sie das versucht – und konnte danach tagelang ihren linken Daumen nicht mehr richtig benutzen. Wie konnte er dann erwarten, dass sie drei Parallelschläge hinkriegt!
Andererseits hätte er auch vorsorgen und rechtzeitig eine richtige Peitsche kaufen können. Aber er hatte sich zuerst nicht getraut in den Erotik-Shop zu gehen und dann, als er nach Alternativen suchte, war er zu spät bei dem Laden für Reiterbedarf erschienen. Die schlossen schon um achtzehn Uhr. Das ist ja wie früher, dachte er, als es noch ordentliche Ladenöffnungszeiten gab und nicht dieses Durcheinander, in dem jeder Ladenbesitzer macht, was er will. Friedrich war überzeugt, dass wird sich auch bald ändern, der neue Papst wird dafür sorgen. Weil ohne Ordnung geht es einfach nicht. Man sieht ja an seiner Tochter, wohin dieses Laisser-faire führte.
Tja, seine Tochter. Sie stand da, über die Stuhllehne gebeugt, und präsentierte ihm ihren wohlgeformten Arsch. Die Schlafanzugshose, die ihr zuerst noch um die Knie hing, war ihr ganz hinunter gerutscht beim Versuch, ihm nicht mehr zu zeigen als unbedingt nötig. Wenigstens ist sie schamhaft, dachte Friedrich, immerhin das hat Marlene ihr beigebracht: Trotz Hose nicht da zu sitzen wie ein Mann. Oder eben Beine eng beieinander halten, wenn sie sich vorbeugt.
Breitgespreizt sitzen dürfen nur Männer. Und jetzt maßen sich das auch die behosten Weiber an. In den dreißiger Jahren hat diese Unsitte angefangen, und heutzutage gibt es bloß noch im Sommer welche, die ein Kleid tragen oder einen Rock anziehen, wie das seit alters her üblich und vorgeschrieben war. Ja, früher standen aufs Hosentragen schwere Strafen, die Inquisition verstand da keinen Spaß - nicht nur Johanna von Orleans musste deswegen dran glauben. Fünfhundert Jahre später wurde sie von der gleichen Kirche zur Heiligen erklärt, und was folgte dem? Weiber in Hosen! „Mach‘ weiter, Marlene.“
„Aber … aber … das wird zu viel. Siehst du …“
„Ja, sehe ich. Ist nur deine Schuld. Wenn du etwas genauer wärst, wäre das nicht passiert.“
„Ich kann halt nicht besser.“
„Unsinn. Geh‘ einfach auf die andere Seite und bearbeite die andere Arschbacke!“
„Aber …“
„Mach‘ endlich! Oder willst du den ganzen Abend damit verbringen?“
Das war natürlich gelogen. Er wünschte sich ja, dass das lange dauert. Dieser prächtige Hintern, diese weiße Halbmonde aus Fleisch, und der dunkle, undeutlich zu sehende Raum dazwischen, das könnte er ewig betrachten. Doch nächstes Mal beim besseren Licht! Die Deckenbeleuchtung machte so zu viel Schatten und die Stehlampe stand ungünstig. Er will alles sehen, nicht nur den Hintern, nicht wahr, er ist schließlich kein Fetischist, der sich ausschließlich für bestimmte Körperteile oder Dinge interessiert!
Okay, schon dieser eingeschränkte Einblick auf die Intimzone seiner Tochter hat Einiges bewirkt bei ihm, die plötzliche Enge in der Hose kam nicht von ungefähr. Er wollte sich in den Schritt greifen, um da etwas mehr Platz zu schaffen, aber der Blick seiner Frau, die auch dahin schaute, hielt ihn für einen Moment davon ab.
„Nun mach‘ endlich“, sagte er leicht verärgert und zeigte mit der Armbewegung auf die andere Seite. Sobald jedoch seine Frau die neue Stellung bezogen und mit der Züchtigung der Tochter fortgesetzt hatte, war sein Ärger verflogen. Ist gar nicht so schlecht, dachte er, wenn sie sieht, dass ihn das Ganze erregt.
Die drei restlichen Schläge waren wesentlich schneller verabreicht als die ersten. Das war ihm auch wieder nicht recht, aber er sagte nichts. Weil er die leicht geröteten Wangen seiner Frau sah. Er stand auf und ging schweigend ins Schlafzimmer. Dort angekommen drehte er als erstes die zwei Heilgenbilder an der Wand um. Das war ein Ritual, das sie beide seit der Hochzeitnacht praktizierten. Und das mit der Bestrafung würde auch ein Ritual werden, schließlich kannte er seine beiden Weiber gut: Die Tochter wird sich von ein paar Schlägen nicht bessern, und wenn doch, wird seine Frau schon einen Grund finden, dass wenigstens am Freitag die Welt wieder eine vom alten Schlag sein wird – Franziskus sei Dank.