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Die Wanderung
(überarbeitete Version)
„Komm schon, du Lahmarsch“, rief mir Joleen mit einem frechen Grinsen im Gesicht zu. Sie sah so verdammt scharf aus in ihrem bauchfreien Top und der kurzen Jeans, die ihren Arsch wirklich wunderbar zur Geltung brachte. Die langen braunen Haare hatte sie zu einem lässigen Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei jedem ihrer Schritte über den steinigen Feldweg ein bisschen hin- und herschwang.
Ich hatte keine Ahnung, wieso so eine Hammerfrau mit einem Durchschnittstypen wie mir zusammen war, aber ich wusste, heute Abend in unserer Pension würden wir das Bett so schnell nicht mehr verlassen.
„Wollen wir nicht mal eine Pause machen?“, schnaufte ich. Der Wanderweg verlief zwar nur ein wenig bergauf, aber es reichte, um mich ans Ende meiner jämmerlichen Kondition zu bringen. In der Stadt brauchte ich schließlich keine, jedes Ziel konnte ich bequem per Straßenbahn oder mit dem Taxi erreichen. Aufzüge und Rolltreppen sorgten dafür, dass sich mein Fitnesslevel nicht wirklich verbesserte.
Wahrscheinlich hatte Joleen auch gerade deshalb diesen Ausflug ins Grüne vorgeschlagen. Weg von dem ganzen Trubel, einfach mal eine Auszeit gönnen. Dass das Ganze jetzt hier in Arbeit ausarten würde, konnte ich ja nicht ahnen.
Joleen machte ein bisschen wandern gar nichts aus, sie besuchte zweimal die Woche ein Fitnessstudio. 'Ich mach das, um hübsch für dich auszusehen.' sagte sie dann immer. Hier in unserem bergigen Urlaubsparadies zeigte sich nun, dass so eine gewisse Grundfitness jedoch nicht nur für ein schönes Äußeres gut war.
„Bis da vorn zur Bank schaffst du es aber noch“, antwortete sie auf meine Frage und zeigte auf besagtes Möbel aus Holz, welches sich ein Stück weiter am Wegesrand befand. Der Weg dahin war gesäumt von saftigen Lichtungen, an die sich ein dunkelgrüner Nadelwald anschloss. Die strahlende Sonne und der wolkenlose blaue Himmel verwandelten das Ganze in ein wunderschönes Fleckchen Erde mit Postkartenoptik. Und sicherlich um einiges schöner, wenn man es sich zu Hause am PC ansieht und sich nicht schwitzend hindurchquält.
Nach scheinbar endlos vielen Schritten ließ ich mich theatralisch auf die Bank gleiten, holte die Wasserflasche aus meinem Rucksack und trank einen extra großen Schluck. Joleen interessierte meine überspitzte Erschöpfung jedoch gar nicht. Sie hatte ihr Handy rausgeholt und scrollte durch eine Website.
„Hey, ich denke, wir sind hier um die Natur zu genießen, leg das Ding weg“, mahnte ich sie grinsend ab und versuchte ihr das Smartphone aus der Hand zu nehmen. Sie wich unbeirrt aus und las einfach weiter.
„Hier in der Gegend muss es irgendwo einen Wasserfall geben“, sagte sie.
„Wo hast du das denn schon wieder gesehen?“, fragte ich verwundert.
„Facebook natürlich“, antwortete sie, die Augen immer noch auf ihr Telefon geheftet.
„Die Leute posten aber auch jeden Mist. Hier steht zum Beispiel was von einer Kunstausstellung, bei der jemand Skulpturen aus Zigarettenstummeln baut, sehr appetitlich. Oder hast du Lust auf eine Rassekaninchenausstellung?“, fuhr sie fort und grinste mich nun an.
„Oh ja bitte, ich schwärme für Rassekaninchen“ antwortete ich lachend.
„Die können den ganzen Tag faul herumsitzen und fressen. Das wäre genau das richtige für dich“, stichelte Joleen grinsend und schubste mich spielerisch.
Ich ließ mich zur Seite fallen und protestierte lachend: „Hey, das ist häusliche Gewalt, ich zeig dich an.“
Dann setzte ich mich wieder auf, nahm Joleen in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ich hatte wirklich keine Ahnung, womit ich sie verdient hatte.
„Spinner“, sagte sie lächelnd und sprang von der Bank auf. Dann nahm sie meine Hand und zog daran. „Komm, die Pause ist vorbei, weiter geht’s.“
„Na gut, aber bitte gemütlich, ich will mich hier schließlich erholen“, antwortete ich, während ich mich ebenfalls langsam erhob.
Wir setzten unsere Wanderung Hand in Hand fort und irgendwie begann es auch mir zu gefallen. Mit einer schönen Frau in der freien Natur, das hatte schon was.
„Lass mal dahinten lang gehen, der Weg sieht spannender aus“, sagte Joleen und zeigte dabei auf eine kleine Abzweigung, die sich vom Feldweg aus in den Wald ergab. Dort war nur ein Trampelpfad, gesäumt von kleineren Bäumen und dichten Büschen.
„Wenn ich mir eine Zecke einfange, mach ich dich dafür verantwortlich“, scherzte ich, während ich ihr folgte. Sie hatte meine Hand die ganze Zeit nicht losgelassen und lief jetzt vor mir, sodass ich mich an diese immer gleichen Instagram-Pärchenbilder erinnert fühlte.
„Keine Sorge, ich werde dich heute Abend ganz gründlich untersuchen“, antwortete sie und zwinkerte mir zu. Okay, das würde ich mir natürlich gefallen lassen.
Mit ihrer freien Hand schob Joleen die Äste der Büsche zur Seite, um sich einen Weg durch das stellenweise doch recht dichte Gestrüpp zu bahnen. Hin und wieder bekam ich dann einen zurückschnellenden Zweig ins Gesicht.
„Pass bisschen auf, sonst hab ich bald ein blaues Auge“, protestierte ich gegen diese unsanfte Behandlung.
„Was denn, kommt bei dir die Prinzessin durch?“, stichelte Joleen. Dann pflückte sie eine violette Blüte vom Wegesrand ab und hielt sie mir unter die Nase. „Hier Majestät, damit Ihr nicht eingeschnappt seid.“
Ich nahm die Blüte mit einem Grinsen entgegen, wartete einen Moment und schnipste sie ihr dann direkt ins Gesicht. „Behalt deinen Mist“, sagte ich, woraufhin sie mir frech die Zunge herausstreckte. Ich liebte es so mit ihr herumzublödeln.
Unser Weg führte uns weiter durch den unverändert dichten Wald. Der Trampelpfad wurde jedoch bald ein Stück breiter, sodass wir wieder nebeneinander laufen konnten.
„Hast du überhaupt noch eine Ahnung, wo wir sind?“, fragte ich.
„Entspann dich mal, wir werden schon irgendwo rauskommen. Und notfalls lass ich uns navigieren“, antwortete Joleen souverän und zeigte dabei auf das Smartphone in ihrer Hosentasche.
Wir liefen also, aber mit der Zeit kam es mir so vor, als würden wir nicht wirklich vom Fleck kommen. Auch der strahlende Sonnenschein war nicht mehr ganz so intensiv und brachte auch nicht mehr wirklich Wärme auf die Haut. Es war, als wären wir an irgendeiner Stelle unbemerkt durch ein Portal gelaufen und nun in einem etwas düstereren Teil der einst schönen Gegend gelandet. Joleen schien das jedoch nicht so wahrzunehmen, unbeirrt lief sie weiter den Waldweg entlang.
„Du, wollen wir nicht umkehren? Die Landschaft vorhin hat mir besser gefallen“, brachte ich meine Bedenken nun an.
„Wieso, hier ist es doch auch schön“, bekam ich zur Antwort. Da ich aber auch nicht als Spielverderber gelten wollte, beließ ich es dabei. Joleen hatte schon recht, irgendwo würden wir aus dem Wald rauskommen. Und ich hatte mir ja die ganze Zeit schon vorgenommen, mal etwas abenteuerlustiger zu werden.
„Schau mal da vorn, ein Gebäude“, sagte Joleen plötzlich. Ich musste kurz überlegen, was sie meinte, aber dann sah ich zwischen den Bäumen etwas Mauerwerk hervorblitzen.
„Wer will denn bitte so abgeschieden leben?“, fragte ich etwas verunsichert. Ich hatte genug Horrorfilme gesehen, um zu wissen, dass einsame Häuser mitten in der Pampa nur von Psychopathen bewohnt wurden.
„So wie es aussieht keiner mehr“, antwortete Joleen.
Wir gingen weiter auf das Gebäude zu, das wie ein verlassenes Wohnhaus wirkte. Je näher wir kamen, desto unheimlicher fand ich es. Irgendwie ging von ihm eine Kälte aus und etwas in mir sträubte sich dagegen weiter zu gehen. Ich blieb stehen und starrte das steinerne Gebilde an. Da, wo normalerweise Fenster und Türen sein sollten, klafften nur pechschwarze Löcher. Ich bildete mir ein, dass etwas mich aus dem Dunkel heraus anstarrte, auch wenn absolut nichts zu erkennen war.
Auf Joleen hingegen schien das alte Haus eine Faszination auszulösen. Sie hatte meine Hand losgelassen und war unentwegt weiter auf den Eingang zugelaufen. Ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen verschwand sie in dem Gemäuer.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich das realisierte.
„Hey, komm da wieder raus“, rief ich ihr hinterher. Aber ich erhielt keine Anwort. „Joleen?“
Ich erschauderte kurz bei dem Gedanken, das Gebäude betreten zu müssen, als ich plötzlich einen gellenden Schrei aus dem Inneren hörte. Mein Herz fing wie wild an zu pochen und Adrenalin strömte durch meinen ganzen Körper.
Ich rannte Hals über Kopf ins Haus, aber meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Hektisch schaute ich mich um, aber was ich dann sah, konnte ich nicht fassen.
Joleen lag dort in der Ecke eines Raumes, schrie und wand sich. Irgendetwas krallte sich in ihrem Gesicht fest. So ein Ding hatte ich noch nie zuvor gesehen. Es war weiß, fast schon durchsichtig und hatte keine klare Form. Würde ich an Geister glauben, hätte ich definitiv gesagt, dass das einer ist.
Ich bekam Panik. Kalte Schweiß lief mir den Rücken hinunter und ich spürte meinen Puls an meinen Schläfen pochen.
Hilflos schaut ich mich um. Auf dem Boden sah ich einen Ziegelstein liegen, den ich in meiner Verzweiflung ergriff. Dann ging ich auf das surreale Wesen los, was sich immer noch fest in Joleens Gesicht verbissen hatte.
Mit meiner improvisierten Waffe schlug ich auf die formlose Gestalt ein. Ich hörte ein Knacken, als ich das Wesen damit traf und wusste, ich war erfolgreich. Wie von Sinnen hob ich den schweren Stein immer wieder und schlug damit zu. Immer wieder traf er das Wesen und verletzte es. Ich dachte nicht mehr nach, wollte nur noch dieses grässliche Vieh töten.
Ich schlug zu, bis ich keine Kraft mehr hatte. Meine Muskeln brannten vom endlosen Heben und Senken des Steins, doch ich hielt ihn weiterhin umklammert, während ich zitternd nach Luft rang.
Dann fiel mir auf, dass es still war. Keine Schreie mehr. Langsam und ängstlich wanderte mein Blick nach unten auf Joleens Körper. Sie bewegte sich nicht mehr. Mir kam ein schrecklicher Gedanke.
Ich war zu spät, hatte zu lang gebraucht. Dieses Ding hatte Joleen umgebracht und lag nun regungslos auf ihrem Gesicht. Ich hatte versagt. Die Frau, die ich liebte, lag tot vor mir.
Ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Ein Kloß schnürte meine Kehle zu. Ich wollte schreien, aber es ging nicht. In meinem Kopf war nur noch Leere. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte.
Langsam erhob ich mich von dem Leichnam und sah mich zitternd und völlig hilflos um. Plötzlich fiel mir auf, dass ich nicht allein im Raum war. Zwei gespenstische Augen starrten mich von der Wand gegenüber an. Da stand jemand, hatte mich die ganze Zeit beobachtet. Hatte gesehen, wie dieses Ding Joleen angegriffen hat und hatte nichts dagegen getan. In mir breitete sich ein Gefühl der Hilflosigkeit gemischt mit einer unfassbaren Wut aus.
Und dann wurde es mir schlagartig klar. Er war es. Er hatte dieses Wesen beschworen, hatte es auf meine Frau gehetzt. Und jetzt starrte er mich an, bereit mir dasselbe anzutun. Mein Herz raste. Ich war wie gelähmt. Meine Wut wich der Angst. Ich sah zum Ausgang. Wieder zu der Gestalt. Wieder zum Ausgang. Und dann, als hätte irgendetwas in mir endlich realisiert, in was für einer Gefahr ich mich befand, konnte ich meine Beine wieder bewegen. Ich rannte, als wäre der Teufel hinter mir her. Immer Richtung Ausgang, hin zum Licht, hin zur Rettung. Ich stürzte hinaus, völlig außer Atem, wollte noch ein letzten Blick zurück werfen. Da wurde ich ohnmächtig.
Weißes Licht blendete mich. Ich fand mich in einem Zimmer mit hellen Wänden wieder. Statt meiner Wanderkleidung trug ich nur noch ein OP-Hemd, und auf meiner Brust waren mehrere Sonden angebracht, die über Kabel mit einem Gerät verbunden waren, was im Takt meines Pulses leise Piepgeräusche von sich gab.
Ich sah an meinem Arm herab und bemerkte eine Kanüle darin, welche mit einem Tropf verbunden war, in dem sich eine durchsichtige Flüssigkeit befand. Erst als ich darüberstreichen wollte, wurde mir bewusst, dass meine Arme mit Handschellen an das Bett gefesselt waren.
Ich bekam sofort Panik. Hektisch sah ich mich um, rüttelte wie ein Verrückter an den Fesseln, aber sie gaben nicht nach. Dann plötzlich öffnete sich die mir gegenüberliegende Tür.
Herein traten ein Mann in weißem Kittel mit Halbglatze, der im gehen auf das Klemmbrett sah, was er vor sich hielt. Begleitet wurde er von einem weiteren Mann in hellgrauem Hemd und Jeans, der seinen Ausführungen lauschte. Panisch bemerkte ich die Waffe, welche im Halfter am Gürtel der zweiten Person hing.
„Ich habe meine Zweifel hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit. In seinem Blut wurden größere Mengen von Colchicin nachgewiesen, ebenso bei der zweiten Person. Das erklärt auch die Bewusstlosigkeit als Sie ihn aufgefunden haben“, erklärte der Mann im Kittel seinem Begleiter.
„Oh, Sie sind ja schon wach“, sagte er dann, als er den Kopf hob und mich ansah. „Wie fühlen Sie sich?“
„Wer sind Sie? Und was haben Sie mit mir vor?“, schrie ich ihm entgegen und riss dabei an meinen Fesseln. Wieder sah ich mich um, aber ich fand keine Möglichkeit aus der Situation zu entkommen. Mein Herz schlug wie wild, was das Gerät, an was ich angeschlossen war, auch mit schnellem Piepsen meinen beiden Kidnappern verriet.
„Ganz ruhig, wir wollen Ihnen nichts tun. Ich bin Dr. Schenk und Sie befinden sich im St. Marien Hospital. Mein Kollege hier ist Michael Gundmann vom LKA“, sagte der Mann im Kittel in ruhigem Ton. Kurz dachte ich, er würde lügen, aber was er sagte, machte zu irgendwie mehr Sinn, als die wirren Theorien, die sich schon in meinem Kopf zusammengesetzt hatten. Ich befand mich schlichtweg in einem Krankenhaus. Allmählich beruhigte sich mein Herzschlag ein wenig.
„Wozu die Handschellen?“, fragte ich und nickte dabei mit dem Kopf in Richtung meiner gefesselten Handgelenke.
„Zu Ihrer eigenen Sicherheit“, antwortete der mir als Gundmann vorgestellte Beamte. „Ich würde Ihnen gern noch einige Fragen stellen, dann nehme ich sie Ihnen ab. Ist das für Sie in Ordnung?“
Ich nickte.
„Also, woran können Sie sich erinnern, bevor Sie hier erwacht sind?“
„Ich war mit meiner Lebensgefährtin wandern“, begann ich meine Ausführung.
„Wie heißt sie?“, fragte Gundmann.
„Joleen Schönhaus“, antwortete ich.
Plötzlich fiel es mir wieder ein. Das alte Haus. Der Angriff. Die Gestalt. Joleen. Sofort schossen mir Tränen in die Augen.
Gundmann sah das, notierte sich etwas auf einem kleinen Notizblock und sagte: „Fahren Sie fort, was ist dann passiert?“
„Ich weiß, das klingt jetzt absolut verrückt, aber sie müssen mir glauben, genau so war es“, stammelte ich und begann zu erzählen. Wie wir den schmalen Waldweg genommen hatten, das gespenstische Gemäuer, was wir entdeckten, das Monster, was Joleen angriff, ich, wie ich es erschlug, die umheimliche Gestalt im Schatten.
Sowohl der Doktor als auch Gundmann schwiegen während meiner gesamten Ausführung, nur hin und wieder kritzelte der Kommissar etwas in seinen Block.
„... und dann bin ich hier aufgewacht. Aber ich hab keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin“, beendete ich meinen Monolog zitternd und mit Tränen, die mir über die Wangen liefen.
„Ein Wanderer hat Sie entdeckt, bewusstlos auf der Erde liegend. Sie können von Glück reden, dass er zufällig auch dort entlang gekommen ist“, erklärte mir Gundmann.
„Sagen Sie, haben Sie Erfahrung mit Betäubungsmitteln?“, schaltete sich Dr. Schenk ein.
„Nicht wirklich“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Wie kommen Sie darauf?“
„Nun, in Ihrem Blut wurde Colchicin nachgewiesen, ein starkes Alkaloid. Es ist vor allem in den Blüten und Samen einer Pflanze namens Herbstzeitlose vorhanden. Diese Pflanze ist dafür bekannt, dass sie häufig von jungen Menschen benutzt wird, um sich zu berauschen“, sagte Dr. Schenk.
Schlagartig erinnerte ich mich. „Ist das so eine Blume mit violetten Blüten?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits erahnen konnte.
„Exakt“, antwortete Dr. Schenk.
Daraufhin erklärte ich, wie wir beim herumalbern mit der Pflanze in Kontakt gekommen waren. Plötzlich ergab die wirre Geschichte aus meiner Erinnerung auch einen Sinn, ich hatte tatsächlich die ganze Zeit über das Gefühl, wie berauscht gewesen zu sein.
„Ihre Lebensgefährtin, Frau Schönhaus, Sie sagten sie wäre angegriffen worden. Von einer für Sie nicht klar definierbaren Gestalt. Einem Tier oder etwas ähnlichem. Ist das korrekt?“, fragte mich Gundmann nun mit einem skeptischen Tonfall.
Ich schluckte und nickte. Wenn wir wirklich auf Drogen gewesen sein sollten, hatte ich mir dann alles nur eingebildet? Lebte Joleen vielleicht ja noch und lag im Nebenzimmer, ebenso verwirrt wie ich?
„Joleen Schönhaus wurde in Ihrer Nähe aufgefunden. Tot, mit einer weißen Plastiktüte über dem Kopf. Sie verstarb an einer Schädelfraktur, ausgelöst durch stumpfe Gewalteinwirkung“, sagte Gundmann und nahm mir damit schlagartig wieder die aufgekeimte Hoffnung. „Ich nehme Sie hiermit fest wegen Totschlags. Sie haben das Recht zu schweigen. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Solange bis Ihre volle Schuldfähigkeit festgestellt ist, kommen Sie in Untersuchungshaft.“
Ich erstarrte vor Schock. Vor meinem inneren Auge setzten sich die Puzzleteile aus meiner Erinnerung langsam zu einem Bild zusammen. Joleen, wie sie sich im Rausch die Plastiktüte über den Kopf gezogen haben musste und dann Panik bekam. Ich, wie ich den Ziegelstein nahm und immer wieder auf ihren Kopf einschlug, bis sie leblos unter mir lag.
Was hatte ich getan? Ich war ein Mörder. Ich hatte im Rausch des Gifts die Frau erschlagen, die ich liebte. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf und meine Kehle schnürte sich zu. Mir war unglaublich schlecht und das Atmen fiel mir schwer. Ich wollte nicht mehr weiterleben. Ich konnte es nicht, nicht bei dem, was ich getan hatte.
Tränen rollten über meine Wangen, als ich die Fesseln gelöst bekam und man mir die Sonden und die Kanüle entfernte. Dann musste ich meine eigenen Klamotten wieder anziehen. Schließlich fesselte mir Gundmann die Hände erneut hinter dem Rücken und führte mich ab. Ich ließ es geschehen ohne mich zu wehren. In mir war etwas gestorben. Mein letzter Gedanke, bevor ich in das Polizeiauto stieg, war Joleen.