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Die Weihnachtssuppe
Die Weihnachtssuppe
Von Familien gibt es zwei Sorten. Fremde und die eigene. Der Huber Bartl mag nur fremde. Wegen der Töchter. Daheim aber sind Töchter Schwestern und erwerben dadurch einen schrecklichen Charakter. Automatisch. Und das färbt ab auf die ganze Familie.
Neulich jedoch, da hat der Bartl beim Friseur das Schnabelbacher Tagblatt gelesen, als Schutzwall gegen die Miri, weil die beim Haareschneiden ewig redet. Jedenfalls liest er da auf Seite 2, direkt neben der Werbung für Malzbonbons: Beste Zukunftsvorsorge - immer noch die eigene Familie. Da ist er arg ins Nachdenken gekommen. Stimmt, hat er sich schließlich gesagt und an seinen leeren Geldbeutel gedacht. Familie ist gut, allein schon auf dem Friedhof. Wie schaut denn das aus, wenn dein Name ganz allein auf dem Grabstein steht? Bartl Huber, darunter ein paar Kringel - und sonst nichts. Wenn aber der Vater und vor allem die Schwester, wenn die schon mal den Grabstein vorfüllen, geht’s gleich viel geselliger zu auf dem Marmorklotz. Und den eigenen Namen brauchts nachher gar nicht mehr, weil ja schon die andern für ein ausgewogenes Design sorgen. Und lohnender in der Anschaffung ist ein Familiengrabstein allemal, weil gutes Verhältnis von Name und Klotz. Oder Quadratmeter und Gebein. Da ist sich der Bartl noch nicht ganz sicher. Wie auch immer, jedenfalls hat er nicht nur ein Sippengrab bestellt und den Klotz, sondern die Familie zur Weihnachtssuppe eingeladen.
Allerdings nicht bei sich daheim, da hätt die Mutter einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil Junggesellenbude vom Feinsten und Staubflinserln im Kochtopf. Also bei den Eltern. Jetzt ist das aber schwierig, weil, wo eine Familiensuppe gekocht wird, da liegt auch das Rezept-Hausrecht. Und überhaupt Fremdkochen in der Küche einer Mutter? Oh je, USA und Nato nichts dagegen. Da hat der Bartl also erst mal der Mutter auf dem Eis ein bisschen gegen den Stock gestupst, nur ganz leicht, dass sie sich den Arm aufhaut und einen feinen Gips kriegt.
Und als er dann am Heiligabend Vormittag an der Tür läutet, ist der Bartl ganz guter Dinge, weil jetzt kann nichts mehr schief gehen und die Karotten hat er auch dabei. Und die paar Pilze, die er extra besorgt hat, die lassen sich ganz leicht im Hosensackerl aufbewahren.
Aber statt der alten Klingel tönt ihm Gesang entgegen, als hätten die Engelein sich schon früh um elf zusammengerottet: Stihill Stihill still weiheils Kindleihein … Saisonglocke, denkt der Bartl, warum nicht. Und freut sich bei dem Gedanken an schlafende Kindlein, weil der Bub der Schwester dann aus dem Weg ist. Aber noch bevor das nächste stihill verendet, öffnet sich die Türe und der Vater versperrt mit seinem dicken Bauch den Durchlass. Dass auch ja alle die Schuhe ausziehen. Auf Geheiß der Mutter.
Und wie er so da steht, der Vater, kommt von hinten auch schon der Hundsbub, der elende, und hast du nicht gesehen, durch die Beine vom Vater durch, dem Bartl gegen das Knie. Leider schläft er also nicht, der Saubub, sondern hat dem Hund die Schüssel geklaut. Und der ihm jetzt hinten nach und auch noch gegen das Knie. Jetzt wird der Bartl beim Kochen sitzen müssen. Nicht einfach. Wahrscheinlich wollen Hund und Bub dem Weihnachtsfraß entgehen, dem familiären, was der Bartl verdammt gut verstehen kann, denn Weihnachten ist eine mentale Belastung. Der Vater sieht dem Bartl das auch gleich an, also darf er mit den Schuhen in die Küche hinken und erst mal ein Schnapserl trinken.
Aber da dann die Mutter und wirft gleich einen Blick nach unten. Bub, sagt sie. Und das u so langgezogen, dass der Bartl es noch hören kann, da ist das zweite b schon lang vorbei. Merk dir, sag ich dir, nie an Weihnachten mit Schuhen in die Wohnung, weil Ruin von Parkett und Familie und überhaupt.
Und neben der Mutter der Rest der weiblichen Phalanx: Schwester und Schwesterngattin. Den Vater, den Hundsbub und den Hund selber hauts gleich wieder raus aus der Küche. Eiwei, denkt der Bartl, mit den Männern hätt man reden können. Aber die?
Bei der Schwester ist das jetzt so. Die hat sich erst einen Kerl nach dem andern angelacht, und immer ists schief gegangen. Und der Bub will auch nicht folgen. Jedenfalls hat die Schwester auf einmal keine Lust mehr gehabt auf Männer. Nicht mal im Bett.
Komisch, denkt der Bartl, dass die Leute immer gleich ans andere Ufer wechseln müssen, wenn was schief geht. Könnt ja sein, dass es einfach am grauslichen Geschmack liegt? Oder die Schwester hat sich immer recht aufgeführt? Der Bartl könnt da so einiges erzählen. Jedenfalls wär er für sich nie auf die Idee gekommen, eine Blonde mit einem Busen so rund wie Germknödeln gegen einen Mann einzutauschen. Da kann er orientiert sein, wie er will.
Eigentlich hat der Bartl gar nichts gegen den schwesterlichen Uferwechsel gehabt, weil je mehr fremde Frauen, desto besser, aber warum hat die Wahl auf eine Zackerldünne fallen müssen? So brüchig hat die ausgeschaut, wie ein abgestorbener Baum im Winter und dann auch noch einen schwarzgelb gefärbten Haarhelm auf dem Kopf.
„Was macht jetzt die Bienenhelma in der Küche“, sagt er und schabt missmutig mit den Schuhen auf dem Boden herum, damit die Mutter abgelenkt ist. Und die geht auch gleich raus aus der Küche mit ihrem Gipsarm, um die Kehrschaufel zu holen und die Schlappen für den Bartl.
„Weil ich zufällig Köchin bin? Und der Herrn Schwager nicht?“, sagt die Schwesterngattin und spricht nicht nur so klar, dass die Wörter im Mund herumkrachen, sondern verzieht auch noch ganz hochdeutsch die Lippen, was der Bartl bei Frauen gar nicht mag.
„Und sag nicht immer Bienenhelma zu ihr“, setzt die Schwester nach, „sie heißt Fernanda.“
Und der Bartl wundert sich, wie ansteckend Beziehungen sind, denn bei der Schwester ist das Hochdeutsche auch schon in die Mundwinkel gekrochen.
Als dann der Vater und die Mutter wieder in der Küche sind, geht es los, wer soll jetzt die Suppe kochen. Und weil die Mutter zeigen will, dass sie mit der Zeit geht, und eine tolerante Person ist, sagt sie: „Der Bua kocht und nicht die Lesbische.“ Also verstehst du, das ist jetzt heute nicht mehr einfach. Sagst du, der soll kochen, der ausgemacht war, denkt jeder, das neue Familienmitglied wird unbegründet ausgeschlossen. Nennst du den Grund und sagst, „Lesben können nicht kochen“, sagt jeder, du bist ein bigottes, intolerantes Arschloch. Sagst du aber am Ende gar „Heut kocht die Helma“, dann glaubt jeder, das hast du nur gesagt, weil Toleranz beweisen, aber nichts dahinter. Und in Wirklichkeit noch schlimmer, weil verbrämte rassistische Subversion, und du hast was gegen Männer. Also denkt man am besten alles auf einmal, kürzt es ordentlich zurecht, und zwischen den einzelnen Wörtern pausierst du. Und ganz wichtig: obergescheit gucken in den Pausen, als stünd jede einzelne für eine Mondlandung. Dann denken die Zuhörer, es ist schwer was dahinter und sind von der Vielfalt der Aspekte erschlagen.
Obergescheit gucken, das kann die Mutter vom Bartl auf jeden Fall. Das muss man ihr hoch anrechnen, weil für Mütter ist das ja auch nicht einfach, wenn die Tochter eine Frau nachhause bringt, weil da müssen sie immer alles zweimal sagen. Obwohl, der Mutter vom Bartl, der wars schon recht egal, wen die Tochter heimbringt, Hauptsache die Tochter ist unter der Haube. Und der Vater traut sich eh nichts zu sagen, weil schlechtes Gedächtnis und noch viel schlechtere Augen, der hat noch nicht mal gemerkt, dass der neue Mann einen Busen hat. Wenn auch nur ein Wimmerl von einem Busen.
Als der Bartl dann endlich allein in der Küche ist, setzt er die Zwiebeln an und brät sie so dunkelbraun, dass sich gleich der Rauchpieper beschwert. Das regt dem Bartl seine Bronchien wiederum an, dass er selbst erst mal eine rauchen muss. Dabei sieht er natürlich nicht, dass die Schwester hinter seinem Rücken an den Topf schleicht und die Qualmzwiebeln mit Nelken und Zimt und Kardamom aufmöbelt. Als der Bartl wieder reinkommt, riechts nach Weihnachten, der Topfboden schaut mehlig aus und die Rüben dünsten auch schon mit.
Und weil er so einen Appetit hat auf Zigaretten, drängts ihn wieder hinaus zum Verschnaufen. Da kommt dann die Mutter aus der Küchenkammer scharwenzelt, da hat sie schon die ganze Zeit gewartet. Weil Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Das hat die Mutter auch schon dem Lenin beigebracht und der daraufhin ein ganzes Weltreich gegründet. Natürlich war das nicht sie direkt, sondern nur die Sowjet-Inkarnation der UrBartlmutter. Die aktuelle Ausgabe jedenfalls hat die ganze Zeit beobachtet, wie die Tochter mit neumodischem Gelump das Weihnachtsgericht verunstaltet. Also macht sie sich gleich über die Suppe her und schmalzt sie tüchtig auf, schneidet Sellerieziegel und ein ordentliches Stück Gselchtes in den rauchenden Bodensatz und haut sich dabei zehnmal den Gips an vor lauter Hast und Zorn über die fehlende Brauchtumspflege.
Als der Bartl wieder reinkommt, ist im Topf schon wieder mehr los und überall liegen Gipsbröckchen, dass der Bartl lieber gleich wieder rausgeht, um sich das Hirn über die wundersame Topffüllung zu martern und ob die Gipsbröckchen hoffentlich vor dem Topf halt gemacht haben. Als er wiederkommt, ist der Topf noch voller, eine Weinflasche steht rum und der greinende Hundsbub boxt den Opa und fragt, warum er den Schokoladenhasen ertränkt hat. Aber den Bartl stört das alles nicht, draußen auf der Bank ist er ganz bei sich und den Zigaretten und dazwischen sitzt er vor dem Topf und rührt gemütlich. Nur als der Vater beim nächsten Mal ganz wehleidig aus der Küche kommt, und die Pfeife ist weg, da fragt sich der Bartl schon, was die alle an seiner Suppe verloren haben und füllt lieber ein Töpfchen ab. Für sich, weil er hat eine Allergie; und die letzte Zutat, die braucht er eh nicht in seinem Teller. Und dann schüttet er mit viel Liebe die gute Pilzmischung in die brodelnde Suppe.
Die hat er beim Voodoo gekauft, seinem alten Kumpel, und jetzt für die Suppe schön gehäckselt, mit Gummihandschuhen versteht sich, falls was an der Haut kleben bleibt. Sogar ein bisschen Knollenblätter sei dabei, hat der Voodoo gesagt, aber nicht tödlich, wenn vorsichtig dosiert, deshalb nimmt der Bartl lieber noch einmal eine Handvoll Pilze extra und schmeißt sie in die Suppe und würzt mit Chili hintennach, damit die Suppe nicht komisch schmeckt.
Der Voodoo hat schon immer gern mit exotischen Gewürzen gehandelt. Gut ist das gegangen, der Bartl hätt das nie geglaubt, aber der Voodoo hat kaum arbeiten müssen, so gern haben die Schnabelbacher ein bisschen in anderen Dimensionen herumgekraxelt. Jetzt ist der Voodoo älter und gereift, da erweitert man sein Repertoire. Jedenfalls hat er jetzt Gewürze gegen den bösen Blick und für den guten. Am besten gehen die Pilze gegen die Verwandtschaft. Die sind auch viel stärker als die gegen den bösen Blick. Und weil's dem Bartl ernst ist mit der Familie, nimmt er halt nochmal ein bisschen mehr.
Der Bartl rührt und raucht und raucht und rührt, und die Suppe wird voller und voller, ganz ohne sein Zutun, und er wundert sich, dass die ganze Verwandtschaft Mienen aufgelegt hat, als hätten sie beim Jamie Oliver einen Kochkurs belegt, extra für den Bartl, um ihm den unwissenden Koch-Arsch zu retten.
Nur die Schwägerin, die hat keine Miene. Kommt aber auch aus der Küche. Wenn jetzt der Bartl wüsste, dass sie seine Extra-Ration in die Familiensuppe geschmissen hat und sein Teller nun frisch aus dem großen Topf stammt, dann würd er ihr Beine machen. Aber das weiß er ja nicht.
Und als sie alle beim Essen sind, und jeder schon einen Teller intus hat, wirds dem Bartl ganz warm und er fühlt sich unbändig lustig. Und alle sehen hübsch aus mit ihren zerklüfteten Nasen und den abstehenden Ohren, so riesig sind die, dass der Hundsbub sich darin einwickeln kann. Alle schmeißen Brotstückchen an die Wand und küssen sich links und rechts, und die Mutter sitzt beim Vater auf dem Schoß und fährt ihm mit dem Gips in den Pullover, weils den Vater so kribbelt, dass er allweil lacht. Und dann singen sie ganz laut und führen sich so heftig auf, selbst der Hundsbub, dass es dem Bartl einen Moment direkt leid tut, dass seine Familie schon bald den Grabstein vorfüllt.
Als der Bartl am nächsten Morgen aufwacht und sich noch denkt, dass alle ganz lustig beieinander waren und schad drum, aber mit dem Geld wird man die Familie teilersetzen können, da guckt er nach links und sieht, was ihn die ganze Zeit so mächtig am Kinn juckt. Da hat er nämlich den Bienenhelm von der Schwestergattin am Kinn und der zwickt ihn infernalisch bis in die Nase hinein und die Helma selbst ist so blank am ganzen Leib wie eins von den Engelein am Vormittag, nur an den Füßen, da baumeln die Schlappen vom Bartl. Und das haut ihn um. Da ist es dann auch egal, dass der Voodoo ihm die falschen Pilze gegeben hat, die nämlich, die einen so schön an den Rand der sexuellen Begierde treiben und darüber hinaus, Gruppensex mit Hund nix dagegen. Und da wird’s ihm ganz schwummrig und er fragt sich, was er die ganze Nacht, und dann kommt auch schon die Schwester und der Bartl wünscht sich, er hätte nie einen Teller Weihnachtssuppe kochen wollen. Weil Verhör bei der Polizei nix gegen das Verhör einer Schwester.