Was ist neu

Die Wolke

Mitglied
Beitritt
16.12.2004
Beiträge
3
Zuletzt bearbeitet:

Die Wolke

Er saß mit zwei Gefährten am Rande des Gletschers am sogenannten Brotzeitstein. Die Sonne ging gerade auf und tauchte die Berge links von ihnen in ein rötlichgoldenes Licht. Es war kalt, bitterkalt und sie froren. Sie wollten noch eine Kleinigkeit essen und trinken, bevor sie die Steigeisen anlegten und über den Gletscher hinauf zum Gipfel stiegen. Er kaute auf einen Müsliriegel herum, spülte mit einem Schluck Tee nach und studierte die ausgetretene Aufstiegsspur.

Als er zu den Gipfeln hochblickte, fühlte er wieder diese Traurigkeit. Rudl fehlte, Rudl war nicht mit dabei, würde nie wieder mit dabei sein. Er war tot, vor drei Wochen abgestürzt. Sie waren zu zweit einen Grat geklettert, er hatte diese Seillänge geführt, gerufen, dass sie nicht schwer sei, aber gefährlich brüchig. Er hatte sich schon an den Felshaken eingehängt, „Stand“ gerufen ... und dann dieses Poltern. Das Seil hing plötzlich locker herab, kein Ruck, nichts... Keine Antwort auf seine Rufe ... nur Stille. Als er später weiter kletterte, sah er nur einen frischen Ausbruch am Fels. Die Bergwacht barg Rudl erst zwei Tage später. Warum Rudl und nicht er?

Seine beiden Gefährten hatten schon ihre Kletterkombinationen angelegt und begannen das Seil aufzurollen. Er verstaute seine Feldflasche im Rucksack, schlüpfte in seinen Sitzgurt und legte seinen Brustgurt an. Die anderen knüpften bereits die Schleifknoten ins Seil, die bei einem Sturz in eine Spalte verhindern sollten, dass man zu tief fiel. Jeder wusste, was er zu tun hatte und keiner sagte etwas. Sie froren und wollten möglichst bald ihre Handschuhe überziehen und sich in Bewegung setzen, um wieder warm zu werden. Er legte die Steigeisen an, schnappte sich seinen Seilschwanz, verstaute ihn unter der Patte des Rucksacks, verschraubte den Karabiner. Die beiden anderen warteten auf ihn. Er nickte und der erste ging los. Er, als Letzter der Seilschaft, sah noch einmal zurück. Sie waren allein. Keine andere Bergsteigergruppe war bis jetzt ihren Spuren gefolgt.

Sie waren ein gut eingespieltes Team. Sie achteten darauf, dass das Seil gespannt war. Die Hinteren ließen den vorne nicht aus den Augen. Bei dieser Kälte ein Spaltensturz, noch dazu ohne fremde Hilfe, nein, sie passten auf. Ohne in Wort zu sagen, stiegen sie dahin. Als er sich umdrehte, bemerkte er eine Wolke. Sie verdeckte das Tal und zog langsam zu ihnen hoch. Er hatte sie vorher nicht bemerkt. Nach einer Weile wendete er sich wieder um, die Wolke war immer noch da. Sie kam rasch näher und versperrte nun bereits den Blick zum Gletscherrand. Ehe sie sich versahen, wurden sie von dem grauen Nebel eingehüllt.

Der Erste blieb stehen, nahm den Rucksack ab und holte die Karte, den Kompass und die Marschtabelle hervor. Der Nebel war so dicht, dass er, der hinten stand, kaum seinen Kameraden vorne sehen konnte. Grau verschwamm er mit den Nebelfetzen, tauchte kurz wieder auf und war schon wieder verschluckt.
"Warten wir ein bisschen", ließ sich der erste hören, "die Wolke wird schon wieder aufreißen."
Sie standen und froren. Die Zeit zog sich, es kam ihnen vor, als vergingen Stunden. Die Kälte kroch durch die Kleidung. Sie rieben sich die Hände und stampften mit den Füßen. Und plötzlich, so schnell wie die Wolke sie eingehüllt hatte, gab sie sie wieder frei. Die Nebelfetzen sanken tiefer und tiefer, die Gipfel waren frei und lagen in einem wunderbar weißen Licht vor ihnen. Und sofort spürten sie auch die Kraft der Sonne. Ihm wurde wohlig warm. Komisch, dachte er, so eine Wolke habe ich auch noch nicht erlebt.

Sie stiegen weiter, stapften durch Neuschnee, der auf dem Gletschereis lag und die Spalten tückisch verdeckte. Einige Male sicherten sie sich gegenseitig über dünne Schneebrücken hinüber und dann stapften sie erneut einen monotonen Schneehang hinauf. Es lief phantastisch, nicht ein Mal mussten sie stehen bleiben, um nach Luft zu ringen. Sie stiegen mit einer Leichtigkeit dahin, die sie erstaunte, und doch kam es ihnen völlig selbstverständlich vor, dachten sie nicht darüber nach. Er blickte hinauf zum Gipfel, man konnte schon das Kreuz glänzen sehen. Als er sich umwandte, bemerkte er, dass die Wolke noch immer über dem Tal hing. Eigentlich sollte er von hier die Hütte, ja auch den Talort sehen können. Stattdessen hing ein grauer Vorhang über den tieferen Regionen. Darüber jedoch strahlte die Sonne, sehr hell, sehr weiß und doch, als er seine Gletscherbrille abnahm, blendete ihn das Licht nicht. Er drehte seinen Kopf. Ihn umgab ein unvergleichliches Panorama, tausend Gipfel und noch mehr, schien ihm. Er konnte sich nicht satt sehen, es war phantastisch. Und da hatte er wieder dieses seltsame Gefühl. Irgend etwas fehlt da am Himmel ... ja, das war es, er konnte keinen einzigen Kondensstreifen entdecken, keinen einzigen ...

Es dauerte noch einige Zeit, bis sie ganz oben waren. Im Geröll legten sie ihre Steigeisen ab, bevor sie sich einen Platz zur Rast suchten. Er war überrascht, wie viele Bergsteiger um das Gipfelkreuz saßen. Man konnte nicht sagen, wer zu wem gehörte. Irgendwie saßen sie alle durcheinander, keiner gehörte zu irgendeinem anderen und doch, so dachte er, gehörten alle zusammen.

Seine Kameraden wechselten ihre verschwitzte Kleidung und begannen, ihre Brote zu verzehren. Sie sprachen nichts, sie lächelten sich nur an und konnten sich nicht satt sehen an den Bergen. Er schaute sich um. Am Gipfelkreuz lehnte ein Mann, der ihn zu beobachten schien. Er wollte sich ihm zuwenden, wurde aber durch den Zuruf eines seiner Gefährten abgelenkt. Überall saßen und standen die anderen Bergsteiger herum, doch er hörte keine Gespräche. Er hatte das Gefühl, dass hier oben eine feierliche Stimmung herrschte. Nein, dachte er, eher eine heitere Gelassenheit. Er betrachtete die fremden Bergsteiger, bemerkte, dass sie z.T. recht altmodisch bekleidet waren. Da drüben trug einer eine Knickerbocker und eine Jacke aus Cord. Nur auf alten Fotos hatte er eine solche Ausrüstung schon einmal gesehen. Er wandte sich ab und vertiefte sich in die Bestimmung der einzelnen Gipfel. Sein Freund bot ihm einen Schluck Tee an und meinte: "Es wird Zeit, sonst tragen die Schneebrücken nicht mehr." Mit einem Gefühl des Bedauerns erhob er sich. Er hätte es hier noch eine Ewigkeit ausgehalten. Was ist dir da durch den Kopf gegangen? Eine Ewigkeit! dachte er. Doch, eine Ewigkeit.

Vor ihm lagen die Ausrüstungsgegenstände der anderen. Das gibt es doch nicht. Da liegen Holzschaftpickel und Hanfseile. Womit die Leute heute noch in den Bergen unterwegs sind. Er wollte seine Kameraden darauf aufmerksam machen, aber sie waren schon zu weit weg. Er blickte noch einmal zurück zum Gipfelkreuz. Der Bergsteiger lehnte noch immer am Kreuz. Er sah ihm ins Gesicht, das Gesicht kannte er doch, nie würde er es vergessen. Der Mann lächelte ihm zu und winkte. Er stand da und lächelte und winkte und es kam ihm vor, als wäre ihm alles vertraut, jede Geste, einfach alles. Das gibt es nicht ... Rudl ... du liegst seit ein paar Wochen auf dem Friedhof. Wie kann jemand einem anderen so ähnlich sehen.

"Nun mach schon, sonst biwakieren wir deinetwegen noch! Der andere Abstieg ist auch nicht viel kürzer." Die Freunde waren schon fertig. Schnell legte er die Steigeisen an und band sich ein. Während er hinter den anderen herstapfte, sah er noch einmal zurück. Der Mann stand noch immer da und lächelte und winkte. Und ich könnte schwören, du bist es, Rudl ... so hoch sind wir doch gar nicht, vielleicht bist du noch nicht richtig akklimatisiert ... hoffentlich wirst du nicht höhenkrank ... Seine Gedanken kreisten immer wieder um den Mann am Gipfel. Das gibt es doch nicht, dachte er immer wieder, das gibt es doch nicht.

Sie folgten einer Spur, die sich geschickt zwischen riesigen Spalten hindurchwand. Neben ihnen öffneten sich Risse im Eis, so groß wie Kirchenportale. Grünlich schimmerte es aus der Tiefe zu ihnen hoch. Und plötzlich endete die Spur vor einem riesigen Abbruch. Der Führende legte sich auf den Bauch, um das Gelände unterhalb zu sondieren. Kreuz und quer zerrissenes Eis, Seracs - Eistürme, die jeden Moment einstürzen konnten, und keine Möglichkeit, wo die Spur weiter nach unten führen konnte. Er zog den Führer heraus, sie verglichen die Beschreibung mit ihrer Marschskizze.
"Ich möchte wissen, wo wir hier sind", sagte der Erste und studierte wieder die Möglichkeiten eines Abstiegs durch die zerrissene Eisflanke. Er nahm seinen Kompass aus der Tasche des Anoraks und begann einen markanten Gipfel anzuvisieren. Noch bevor er die Marschzahl genau abgelesen hatte, war der Berg verschwunden, verdeckt von über den Kamm ziehenden Wolkenfetzen.
"Abstieg wie Aufstieg?" fragte er.
"Gehen wir auf Nummer sicher", lautete die Antwort und "Auf ein Biwak kann ich gut verzichten!" "Also zurück, zurück auf den Gipfel!"

Der Weg zurück war mühsam. Immer wieder blieb einer von ihnen stehen und rang nach Luft. Das Wetter trübte sich ein. Wo vorher noch andere Berge zu sehen waren, befand sich nun eine graue Wand und bald darauf wurden auch sie von den Wolken eingehüllt. Er konnte den ersten nicht mehr sehen, er folgte dem verschwimmenden Umriss des Mittelmanns, der hin und wieder ganz im Nebel verschwand. Plötzlich begann er zu frieren er und ein Gefühl der völligen Verlassenheit überkam ihn, nein, es sprang ihn an wie ein wildes Tier. Wie eine Marionette stieg er aufwärts, in die Richtung, die das Seil ihm wies. Das diffuse Licht verschluckte alle Orientierungspunkte und nach kurzer Zeit hatten sie ihre Spur verloren. Mit Hilfe der Marschskizze und des Kompasses versuchten sie, wenigstens die Richtung zum Gipfel beizubehalten. Doch immer wieder zwangen breite Spalten ihnen eine andere Richtung auf. Noch wollte es keiner aussprechen, und doch war es jedem der drei klar, heute würden sie weder noch einmal den Gipfel, noch die Hütte erreichen. Sie würden biwakieren müssen. Der Erste, als Ältester, blieb schließlich neben einer Felswand stehen, drehte sich um und meinte:
"Ich glaube, wir sollten eine Entscheidung treffen ..."
Der Mittlere nickte nur kurz und nahm den Rucksack ab.

Zwischen Fels und Eis klaffte ein Bergschrund, gerade groß genug, dass sie es sich ein wenig gemütlich machen konnten. Wieder merkte man, dass sie ein gut eingespieltes Team waren. Jeder wusste, was zu tun war. Der eine schmolz Eis, der andere kramte Suppenpäckchen und Teebeutel hervor und er kümmerte sich um den Platz, an dem sie die Nacht verbringen würden. Er verspürte kein Hungergefühl, vor Durst aber waren seine Lippen ausgetrocknet und aufgesprungen. Die Tütensuppe hatte ihn kaum gesättigt, aber sie löschte seinen Durst, wenigstens fürs Erste. Er fröstelte, doch er konnte seine Unterwäsche nicht mehr wechseln, das hatte er schon auf dem Gipfel getan. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als alles überzuziehen, was sich noch an Kleidung im Rucksack befand. Wenigstens waren seine Füße trocken. Und dann wurde es auch schon dunkel. Sie zwängten sich in den Biwaksack und versuchten, es sich auf den Rucksäcken und dem Seil so bequem wie möglich zu machen. Jeder hing seinen Gedanken nach, jeder wusste, was im anderen vorging, warum sollten sie noch viel reden. Sie alle waren keine Neulinge und wussten, was ihnen bevorstand. Also versuchte jeder, möglichst bald einzuschlafen, sie würden eh bald wieder wach werden.

Er schreckte hoch, sein Freund hatte sich im Halbschlaf bewegt und etwas gemurmelt, was er nicht verstehen konnte. Er sah hoch, da waren Sterne. Ihn fröstelte, bald würde er frieren und trotz Gymnastik würden seine Zähne vor Kälte aufeinanderschlagen. Wenn er Glück hatte, dann hatte er noch genug getrunken und würde wenigstens keine Krämpfe bekommen. Warum musste er immer auf Berge steigen? Er dämmerte wieder hinüber. Er hörte seinen Namen rufen und sich antworten: "Rudl, was ist?" Er fuhr hoch. Seine Kameraden waren auch wach, er spürte wie sein Nebenmann zitterte.
"Du hast geträumt ... Du bist viel mit ihm gegangen, mit dem Rudl?"
"Ja, wir waren Spezl, vielleicht sogar mehr als das ..."
Und wieder hing jeder seinen Gedanken nach. An Einschlafen war nicht mehr zu denken. Eng drängten sie sich zusammen, froren trotzdem und die Krämpfe, jetzt waren sie auch da.

Er sah noch immer Sterne blinken, doch am Himmel zeichnete sich bereits ein fahler rötlicher Schein ab. Es wird auch Zeit, dachte er, wahrscheinlich bin ich doch schon zu alt. Als sie sich gegenseitig wieder erkennen konnten, schälten sie sich aus dem Biwaksack. Er konnte sich kaum bewegen, steif vor Kälte. Nur langsam kam der Kreislauf wieder in Schwung. Er sah sich um, keine Wolke war zu sehen, der Himmel war klar. Das Tal lag noch in völliger Dunkelheit. Er schaute die Gletscherfelder hinab. In den Blockfeldern vor dem Gletscher konnte er wandernde Lichtpünktchen erkennen, Alpinisten auf dem Weg zum Berg. Da, wo sie herkamen, sah er eine Hütte. Er kannte sie, dort waren gestern früh auch sie aufgebrochen, es war ihre Hütte. Das ist doch völlig unmöglich, wir waren doch auf der anderen Seite des Berges.

Eine Stunde später erreichten sie den Brotzeitstein. Sie legten die Eisausrüstung ab, verpackten Pickel und Seil. Seine Kameraden schulterten den Rucksack und marschierten sofort wieder los.
"Sollen wir dir auch schon einen Kaffee bestellen?" grinste der Jüngere der beiden.
"Ja, ich komme gleich!"
Als er seinen Rucksack hochhob, sah er im Schatten des Brotzeitsteins einen alten Mann sitzen, weiße Haare, weißer Schnauzer, eine kalte Pfeife zwischen den Zähnen.
Er grüßte ihn: "Servus! Was machst denn du schon da heroben?"
"Habt´s biwakiert? Ja, der Berg ...", antwortete der Alte. Er schaute mit leuchtenden Augen hoch und sagte nach einer Weile: "Ich warte auf eine Seilschaft, die mich mit nach oben nimmt!"
Sie lächelten sich zu. Er wünschte ihm noch schnell einen schönen Tourentag und lief den beiden anderen hinterher. Nach einiger Zeit drehte er sich um und sah den Alten neben dem Brotzeitstein sitzen. Er winkte ihm zu und der andere winkte zurück.

Sie saßen um den Kachelofen herum. Langsam wurde ihnen warm. Neben dem Fenster hingen Fotos, Bilder von Bergsteigern: auf Gipfeln, beim Klettern, am Tisch, in der Küche. Auf einem erkannte er den Alten. Gar kein Zweifel, der Schnauzer, sogar die Pfeife steckte in seinem linken Mundwinkel. In diesem Moment kam die Hüttenwirtin herein und fragte, ob sie noch etwas bräuchten.
„Nein danke, alles bestens.“
Er fragte, wer der Alte sei.
"Mein Vater, der alte Hüttenwirt", kam ziemlich einsilbig die Antwort.
Er achtete nicht drauf.
"Mit wem will er heute auf den Gipfel?" fragte er.
Sie lächelte verwirrt.
"Komisch, du bist dieses Jahr schon der Dritte, der ihn gesehen haben will ..."
"Warum ist das komisch?" wollte er wissen.
"Ja", sagte sie und schaute zum Fenster hinaus, "letztes Jahr im Juli, auf dem Weg zur Hütte herauf, da ist der Jeep umgestürzt. Der Arzt hat gesagt, er muss sofort tot gewesen sein ..."

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hannes!

So, nun zu Deiner zweiten Geschichte!

Erstmal vorneweg: Du scheinst Dich recht gut im Berg auszukennen, das macht Deine Geschichten mit ziemlicher Sicherheit lebendig für alle, auf die das ebenfalls zutrifft (wie mich).
Was aber das eine oder andere Nordlicht angeht (nicht böse sein) fürchte ich, dass es da durchaus Probleme mit so Sachen wie den Schleifknoten geben könnte. Da gerade die Fachbegriffe auch nicht unbedingt notwendig wären, würde ich fast empfehlen, die ein wenig einzugrenzen.

Gut, nun zum eigentlichen Text. Dieser hat mich, im Gegensatz zur letzten Geschichte, leider etwas zwiegespalten zurückgelassen.
Sprachlich ist er sauber, keine Frage, auch Dein Stil gefällt mir nach wie vor gut.

Sehr gefallen haben mir auch die Stellen, an denen Du Gefühle schilderst, die vermutl. jeder Bergsteiger kennt: die Einsamkeit, die Frage "Warum mach ich das eigentlich" (Messner hat hierzu mal gesagt: Der Mensch steigt auf Berge,weil sie da sind), und auch sehr schön das Gemeinschaftsgefühl:

Er war überrascht, wie viele Bergsteiger um das Gipfelkreuz saßen. Man konnte nicht sagen, wer zu wem gehörte. Irgendwie saßen sie alle durcheinander, keiner gehörte zu irgendeinem anderen und doch, so dachte er, gehörten alle zusammen.
Schön, hat mir gefallen.

Was ich nicht ganz kapiert habe ist die Grundlage des Rudi-Stranges:

Sie waren zu zweit einen Grat geklettert, er hatte diese Seillänge geführt, gerufen, dass sie nicht schwer sei, aber gefährlich brüchig. Er hatte sich schon an den Felshaken eingehängt, „Stand“ gerufen ... und dann dieses Poltern. Das Seil hing plötzlich locker herab, kein Ruck, nichts... Keine Antwort auf seine Rufe ... nur Stille. Als er später weiter geklettert war, sah er nur einen frischen Ausbruch am Fels.
Kurz: er steigt vor, hat Stand, Rudi stürzt, und dann? Hatte er sich nicht eingebunden? Dann wäre er ja nicht nur selber schuld, sondern hätte auch seinen Kameraden beim Vorstieg gefährdet.
Sorry, mir erschließt sich hier der Vorgang nicht ganz.

Ja, und was ich auch ein bisschen komisch finde, ist dass dein Protagonist schon drei Wochen nach Rudls tödlichem Unfall wieder in den Bergen unterwegs ist. Ich habe, Gott sei Dank, da selber keine direkte Erfahrung, könnte mir aber so was für mich selber nicht vorstellen.

Achso, ein Tempusfehler ist noch drin: "Als er später weiter geklettert war, sah er nur einen frischen Ausbruch am Fels."
müsste heißen: "hatte er nur [...] gesehn"


So, nun aber zur eigentlichen Textkritik:

Was mir hier ein wenig fehlt, ist ein zentraler Handlungsstrang, ein Motiv oder irgendsowas.

Gut, da ist dieser Berg, und die Wolke, und auf einmal sind da lauter Leute, die eigentlich schon tot sind, eingeschlossen Rudl und den Hüttenwirt.
Gut und schön, als Motiv sehr hübsch und angenehm.

Allerdings hast Du das ganze ziemlich zerklüftet, so dass es schwer fällt, der Geschichte komplett zu folgen. Das Biwakieren z.B. hättest Du, so treffend es auch beschrieben sein mag, weglassen können, denn zur eigentlichen Handlung trägt es nicht bei.

Und dann hättest Du vielleicht am Ende noch ein bisschen eine Auflösung bringen sollen: Warum tauchen Rudl, der Wirt und die ganzen anderen wieder auf? Was hat es mit der Wolke auf sich, vielleicht wenigstens andeutungsweise?
Hat der Protagonist irgendwas von der Erfahrung?

Tut mir leid, aber so wie das ganze derzeit ist, lässt Du den Leser ein wenig im Dunkeln tappen.


Mein erstes Fazit:

Sauber geschrieben, für Bergsteiger der treffenden Beschreibungen halber ein Genuss, leider vom Plot noch etwas verbesserungsbedürftig.


Schoene Gruesse,
Innozenz Charousek


Anbei noch ein wenig Textsach:


Ohne in Wort zu sagen, stiegen sie dahin.
ein Wort

Sie stiegen mit einer Leichtigkeit dahin, die sie erstaunte, und doch kam es ihnen völlig selbstverständlich vor, dachten sie nicht darüber nach.
irgendwo fehlt da ein Wort, ausserdem klingts seltsam: es erstaunte sie, und doch dachten sie nicht darüber nach, denn es kam ihnen selbstverständlich vor. Für mich widersprüchlich.

Er betrachtete die fremden Bergsteiger, bemerkte, dass sie z.T. recht altmodisch bekleidet waren.
Besser ohne Abkürzungen.

 

Hallo Hannes,

dieses Mal konnte ich mit deiner Geschichte leider nicht das Geringste anfangen. Das hat zwei Gründe. Erstens - ich wohne in Norddeutschland. Berge? Kann man das essen? Du hast mich mit dem ganzen Bergsteigerslang völlig erschlagen, ich war so damit beschäftigt, mir alles vorzustellen, dass ich auf die Story leider gar nicht weiter achten konnte. War schlicht überfordert.
Zum Zweiten vermisse ich, wie Charousek auch, den Plot. Da sind Leute, die steigen auf einen Berg, sehen mehr Leute, die alle tot sind, und gehen wieder. Das finde ich ein bisschen dünn - das wirkt so, als würden die einen Wettkampf machen, wer von denen am glaubwürdigsten lügen kann, das ist dann der, dem die anderen so etwas abkaufen (siehe auch diese seltsame Fernsehsendung mit William Riker).

Handwerklich und stilistisch ist sie trotz der Länge sauber. Nur konnte ich leider nichts damit anfangen.

gruß
vita
:bounce:

 

Vita schrieb:
Erstens - ich wohne in Norddeutschland. Berge? Kann man das essen? Du hast mich mit dem ganzen Bergsteigerslang völlig erschlagen, ich war so damit beschäftigt, mir alles vorzustellen, dass ich auf die Story leider gar nicht weiter achten konnte. War schlicht überfordert.

Ja, sigst, genau des hob I gmoant...
:shy:

 

Hallo Vita ,hallo Innozenz,

schade, dass euch die Erzählung nicht so besonders gefallen hat. Ich meine, sie ist besser als „Oben am See“. Als Bergsteiger merkt man nicht, wenn man „Bergsteigerslang“ schreibt und hier glaube ich liegt das eigentliche Problem: Für wen schreiben wir? Doch für uns selbst, wir müssen mit dem Schreiben ja nicht unser Geld verdienen. Und für Bergsteigerstories wird sich halt nur ein sehr kleiner Kreis interessieren. Und vita, es geht nicht um eine glaubhafte Lüge. Es geht eher um das Motiv des „Fliegenden Holländers“, der ruhelos auf dem Meer herumgeisternden toten Seefahrer bzw. im Gebirge herumziehenden verunglückten Bergsteiger. Ich habe einige Male erleben müssen, dass Freunde und Bekannte auf rätselhafte, nicht nachvollziehbare Art in den Bergen verunglückt sind. Der Unfall ist also bewusst so geschildert. Und ich habe erfahren (müssen), dass die meisten „fanatischen Bergsteiger“ nicht von ihrer Leidenschaft lassen (können), auch wenn ein Freund auf einer gemeinsamen Tour ums Leben gekommen ist. Ein Beispiel dafür, das mehr oder weniger jeder kennt, dürfte das Drama der Brüder Reinhold und Günther Messner sein.
Was anderes: Mir gefällt die Art, wie ihr die Texte hier besprecht und kritisiert: Einerseits knallhart und ehrlich, andererseits aber auch höflich und einfühlsam.

Hannes

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom