Mitglied
- Beitritt
- 29.12.2006
- Beiträge
- 28
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Die Zeit, Abschied zu nehmen
Lang erstreckten sich die bewaldeten Täler unter den Blicken des alten Mannes. Alles in dieser Gegend war ihm bekannt. Seit sein Urgroßvater die Alm gekauft hatte, war es Familientradition, hier oben in den Bergen zu wohnen. Freilich, neu war die Hütte nicht mehr. Überall krachte und knirschte das Gebälk; das Holz ächzte und stöhnte unter dem Gewicht seiner Jahre. Doch es war sein Haus und es hatte immer noch den Charm, den es schon seit jeher versprüht hatte.
An den Serpentinen, die sich wie ein kleines Flüsschen an den Berg schmiegten, kam ein Auto zum Vorschein, nur erkennbar durch reflektierendes Licht auf der Frontscheibe.
„Mein Sohn“,
murmelte der Alte beinahe tonlos und schüttelte den Kopf. Warum musste gerade er die Kette brechen? Warum musste sein Sohn einer dieser Stadtfräcke werden?
Zu alt sei die Hütte, zu gefährlich und abgeschieden der Platz. Zum Teufel, er lebte hier schon sein ganzes Leben, und jetzt sollte es zu gefährlich sein?
Leise ertönte das Ticken der vom Großvater geschnitzten Kuckucksuhr.
Tradition, was bedeutet dem jungen Volk heute noch Tradition?
Langsam kam das Auto näher. Der Blick des Mannes fiel auf seine gepackten Koffer. Seufzend blickte er sich erneut in seinem Wohnzimmer um.
Nie wieder hier; nie wieder zu Hause.
Ins Altersheim würde man ihn bringen. Versorgt müsse man werden. Verächtlich schnaubte er. Als ob er nicht für sich selbst sorgen könnte.
Das Auto fuhr in die Einfahrt; die Zeit, Abschied zu nehmen war gekommen.