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Die Zufriedenen kommen wieder
Die Zufriedenen kommen wieder
Eine misslungene Casino-Recherche
"Siebzehn, zwei, zwei," sagt die Asiatin mit blauem Oberteil und reicht dem Croupier fünf Jetons zu je zwanzig Euro. Einen legt er auf das Feld mit der 34, zwei wirft er auf scheinbar zufällige Zahlfelder. Sie landen auf der 25 und der 17. Mit seinem Rateau schiebt er die Jetons auf die Mitte dieser Felder und schleudert die letzten beiden mit zwei schnellen Handbewegungen zum rechts sitzenden Kollegen, der sie auf die 2 und die 6 legt. Ich blicke auf die Karten, die fast alle Gäste mit sich tragen. Sie zeigen einen Kreis mit den Zahlen von 0 bis 36 in der Reihenfolge, wie sie auf den Roulette-Scheiben angeordnet sind. Ich finde die Sequenz 2 - 25 - 17 - 34 - 6: Die blaugekleidete Asiatin spielt also auf nebeneinanderliegende Zahlen, auf die 17 und die zwei rechten und linken Nachbarn. Sie dreht sich hastig weg, ihr Zopf wirbelt herum, sie verschwindet zum nächsten Tisch. "Zero, eins, eins," höre ich dort von ihr, "und Achtundzwanzig, zwei, zwei." Die Jetons fliegen.
Die Spielbank liegt in einem Kurort am Tegernsee. Meterhohe Fenster zeigen Bergketten, über denen die Sonne die vormittäglichen Regenwolken durchbricht. Keiner außer mir achtet auf den Regenbogen. Ständig kreisen Kellner durch die verrauchte Luft im Saal und leeren die Aschenbecher auf den Tischen. Viele Stimmen schwirren durch den Raum, einzelne Worte verstehe ich: Zahlen, Setzanweisungen, die hier Annoncen heißen, am lautesten das "Danke" der Croupiers für die Trinkgelder. Ich suche die Asiatin, denke an ihre 17 und setze zwanzig Euro auf Ungerade. Kurz darauf nimmt der Croupier die Kugel und lässt sie im Kessel kreisen. Auf der 19 bleibt sie liegen: zwanzig Euro Gewinn für mich. Die Asiatin, inzwischen zwei Tische weiter, schaut kurz zurück auf die Anzeigetafel. Ihr Gesicht bleibt beim Verlust von hundert Euro regungslos.
"Wir leben vom Trinkgeld," hatte mir ein Croupier vor einigen Tagen gesagt, den ich in der Bar meines Hotels kennen gelernt hatte. "Nur die zufriedenen Gäste geben Trinkgeld, und zufrieden sind nur die Gewinner," lautet seine Logik - "Die Zufriedenen kommen wieder." Er hatte meine Neugier geweckt und ich hatte beschlossen, die Zufriedenen für eine Reportage ausfindig zu machen.
Aus meinen anfänglichen zweihundert Euro habe ich bald über vierhundert gemacht, jetzt gehe ich zum Nebentisch mit einem Mindesteinsatz von zehn Euro. Hier schwärmen mehr Gäste herum als an den Tischen zu zwei und fünf Euro. Eine Frau in den Sechzigern mit goldener Kette, gelbem Pullover, grüner Strickjacke und roter Dauerwelle drängt mit einem Lächeln zum freien Stuhl direkt neben dem Croupier. Die bunte Miss Marple gibt ihm ein Bündel Hunderter, er grüßt sie freundlich mit Namen und schiebt ihr mehrere Stapel der für Stammspieler markierten Jetons zu. "Die ersten sechs; Finale drei, fünf, sieben," grüßt sie zurück. Der Croupier verteilt die Jetons.
Die Taschen voller Geld pirsche ich zwischen den Tischen herum, auf der Jagd nach Chancen, euphorisch von den bisherigen Gewinnen. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden, ich habe es nicht bemerkt. Miss Marple lächelt zufrieden bei Gewinnen und verbissen bei Verlusten. Die Asiatin bleibt bei einer gewonnenen 16 stehen. Der Croupier schiebt ihr eintausendachthundert Euro zu und sagt "Läuft doch gut heute." "Ich liege Dreitausendfünfhundert hinten" widerspricht sie ohne Minenspiel und steckt die Jetons ein. Ich setze hundert Euro auf ein Drittel, gewinne dreihundert und schiebe einen der Jetons dem Croupier zu, der ihn mit einem "Danke" in den Tronc steckt. Ich erschrecke, wie wenig mich diese Summen berühren.
Über neunhundert Euro! Zufrieden und stolz pausiere ich auf ein Bier an der Bar. Neben mir sitzt ein Herr mit grauen Haaren, grauem Sakko und grauer Krawatte. Er ähnelt den anderen Gästen so sehr, dass ich ihn nicht wiedererkennen werde. "Na Herbert, hast du noch was?" fragt ihn die rundliche Frau im dunkelgrünen Kostüm und goldgeränderter Brille mit einem Lachen. "Nee," lacht Herbert zurück. "Ich habe meine Arbeit getan. Alles ist weg. Zwei Chips habe ich noch der Rosie gegeben, jetzt kann ich Bier trinken." Herbert wohnt im Sauerland, ist gerade zu Kur hier. "Ich habe bei so was immer Pech," erzählt er mir. "Wenn ich für meinen Enkel auf der Kirmes einen Teddybären gewinnen soll, kann ich einen ganzen Eimer Lose kaufen und ziehe trotzdem nur Nieten." Dennoch kennt er viele Casinos und findet vor allem Baden Baden und Hohensyburg viel schöner. Herbert warnt mich: Bekannte hätten ihr gesamtes Erbe von über einer Million verzockt. "Zero, zwei, zwei," höre ich die ruhelose Asiatin vom nächstgelegenen Tisch. "Mich juckt's wieder in den Fingern," verabschiede ich mich von Herbert. Ich meine nicht die Asiatin selbst, sondern ihr Spiel.
Durchsage um 22:10 Uhr: "Der letzte Bus fährt in einer Viertelstunde." Miss Marple steht auf, lässt sich an der Kasse die Jetons ausbezahlen und geht. Von ihrem Lächeln ist nur eine Erinnerung übrig. Ich will hinterher, sie interviewen, doch auf dem Tisch liegen gerade zweihundert Euro von mir, die Kugel rollt, meine Hände schwitzen. Als ich kurz danach versuche, den Verlust möglichst ausdruckslos zu verkraften, ist Miss Marple schon weg.
Bei einem Stand von dreihundertfünfzig Euro fasse ich ärgerlich den Entschluss, aufzuhören. Ich steige die drei Stufen zum Blackjack-Bereich hoch und betrachte von oben die zwischen den Roulette-Tischen treibende Menge mitsamt der ausdauernden Asiatin. Beim Blackjack stehen drei Teenager mit Haaren voller Gel in der Ecke. Sie spielen nicht selbst, sondern wetten auf die zwei grauhaarigen Spieler vor sich. Der Blonde setzt vierzig Euro und schaut seine Freunde ängstlich lächelnd an. Die nicken anerkennend. Als hätten sie noch nie so viel gesetzt, denke ich und hole meine Jetons wieder hervor. Mit zitternden Knien kehre ich zu den Roulette-Tischen zurück.
Später verlasse ich mit hundertfünfzig Euro das Casino, ohne die Chance genutzt zu haben, rechtzeitig aufzuhören und die weiterhin kreisende Asiatin auszufragen. Doch ich werde wieder kommen.