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Diktatur der Freiheit

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18.04.2002
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Diktatur der Freiheit

„Können wir anfangen? Es ist gleich neun! Wir beginnen die Aufzeichnung mit Kamera zwei, Halbtotale. Heh! John, schwenk mal den Mikrogalgen aus dem Bild!“

„Herr Präsident, Sie haben über das Thema ‚Herrschaftsformen’ promoviert - sind Sie eigentlich gerne Regierungschef?“
„Natürlich bin ich gerne Herrscher.“
„Sogar ein absoluter ...“
„… diesen Begriff schätze ich nicht so sehr, er erinnert an Ludwig den XIV, Versailles, verschwenderische barocke Feste. Ich bin moderner, sehe mich eher als jemanden, der die Idee des Guten erkannt hat, deshalb weiß, was vorteilhaft für das Volk ist. Ein Despot, der das Notwendige auch mit Gewalt durchsetzt.“
„Aber Gewalt widerspricht doch der Verfassung?“
„Sicherlich, zu Recht verbietet dieses Schriftstück jegliche Blutplanscherei, ich kann nämlich kein Blut sehen, mir wird dann übel. Ich finde: Gewalt - ja, aber nicht sichtbar, eher subtil, das ist man dem Volk schuldig.“
„Wir, also das Volk, lieben Sie ja auch gerade deswegen. Noch nie vorher hat ein Herrscher uns so sehr unterdrückt, der Freiheit beraubt, ohne dass es uns etwas ausmachte.“
„Ja, das ist ein Ergebnis harter Arbeit, was tut man nicht alles, dem Volke zuliebe - sogar aus lauter Ehrlichkeit lügen! Man sieht: Mäßigung ist für das Funktionieren eines Staates unabdingbar. Die Bürger mäßigen ihr Freiheitsbedürfnis, die Führung ihren Wahrheitsdrang.“
„Als wir einmal schon fast anfingen am System zu zweifeln, haben Sie zum Glück rechtzeitig als Ablenkung in ihrer berühmten Rede bewiesen, dass die im Westen angrenzenden Nachbarn unsere größten Feinde sind, schließlich können diese kein ‚Ka’ aussprechen.“
„Wir sind doch nicht dumm! Wir lassen uns nicht verschaukeln! Bei einem harmlosen Wort wie ‚Kanal’ lassen wir uns nicht ein ‚anal’ unterschieben! Erst verstümmeln sie unsere Sprache, dann rauben sie unsere Kinder, dann unsere Frauen, dann unsere Freiheit!“
„Toll, wie hervorragend Sie ihre eigene Rede zitieren! Das mit der Freiheit ist eine meiner Lieblingsbetrügereien - man kann uns ja nicht nehmen, was wir nicht haben, aber der Feind sah durch den Nachweis der Freiheitsberaubung natürlich noch feindlicher aus ...“
„… wer will schon wirklich Freiheit, die ständige Qual der Entscheidung, so etwas kann man dem Volk nicht antun. Es braucht Führung durch Vorschriften, außerdem ein Überwachungssystem ...“
„… um das uns das Ausland beneidet, wir sind die Besten.“
„Natürlich darf man den Untertanen nicht gleich mit ‚Identifikations-Chip unter die Haut pflanzen’ kommen.“
„Mir auch nicht!“
„Sie sind ja auch ein ganz kritischer Vertreter der im hintersten Dunkel wirkenden Journalisten.“
„Ein Intellektueller, Herr Präsident! Als erste Maßnahme der Überwachung reicht sicher auch ein Fingerabdruck im Pass, wegen der Bedrohung von außen.“
„Sicherlich, aber so ein Kontrollsystem muss halt schleichend eingeführt werden, so dass sich nie jemand betroffen fühlt, bis vollendete Tatsachen geschaffen worden sind.“
„‚Bist du freiheitsberaubt, wird dir nicht sorgenschwer dein Haupt’ - ein froh machender, wenn auch etwas holpriger Propagandaspruch!“
„Ich muss hier noch einmal klarstellen: Man kann niemandem etwas rauben, was es nicht gibt.“
„Das bringen noch nicht einmal Sie fertig?“
„Ach ja, bedauerlicherweise, weil meine Vernunft durch Mut übermäßige Begierde zügelt, Sie wissen doch, die professionelle Mäßigkeit. Nur - um darauf zurück zu kommen - für persönliche Freiheit braucht man Willensfreiheit, doch so etwas gibt es nicht.“
„Wirklich? Auch nicht bei Idealisten?“
„Vielleicht doch, aber da es keine Idealisten mehr gibt, ist die Überlegung überflüssig. Wie gern hätte ich solche Schwarmgeister als Toleranzalibi benutzt! Wir hatten diese Leute unter Naturschutz gestellt, versucht, sie mit ihren geliebten Wahrheiten zu füttern, ein Vermehrungsprogramm aus Steuergeldern finanziert, trotzdem sind sie ausgestorben.“
„Meinen Sie, es gäbe keine wirkliche Entscheidungsfreiheit weil sich die Erde um die Sonne bewegt, die Sonne mit der Milchstraße, die Milchstraße zum Virgo-Haufen hin und das alles mit anderen Riesenmassen zusammen wiederum in Richtung ‚Große Wand’ rast? Wir sind also ein Spielball des Universums?“
„Nein, Sie Superintellektueller: Durch diese Bewegungen werden sie wohl kaum beim Gang in den Supermarkt beeinflusst oder wenn sie sich im Ohr kratzen möchten. Ich meine nicht die letztendliche Bedeutungslosigkeit unserer Willensäußerungen, sondern etwas viel näher Liegendes: Nehmen wir einmal an, Sie treffen die Entscheidung mich nicht zielgerichtet zu interviewen, sondern zu erschießen ...“
„… das würde ich nie tun!“
„Sehr lobenswert.“
„Ich würde doch dann meinen Job verlieren, stimmt's?“
„Oh Mann! Jedenfalls - ganz gleich, was Sie tun, die Frage ist: Haben Sie wirklich eine Entscheidung in freier Wahl getroffen oder mussten Sie so handeln, wie Sie gehandelt haben, weil Sie aufgrund ihrer Gene, Persönlichkeit, gesellschaftlichen Prägung nicht anders konnten?“
„Aber dann hätte nicht ich gehandelt, sondern die Summe meiner persönlichen Umstände.“
„Doch - ihr ‚Ich’ wäre dann die Sie ausmachenden Gegebenheiten.“
„Eigentlich könnte ich für meine Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden!“
„Ja, einer Bestrafung würden Sie aber aus prinzipiellen Gründen nicht entgehen.“
„Auf unseren Polizeiapparat ist halt Verlass. Mein Schwager ist sogar Oberkommissar, ein Chefspitzel. Wenn der nun alle Daten von mir kennen würde, könnte er mein Handeln voraussagen!“
„Nur theoretisch. Vielleicht ist es möglich, Entscheidungen aber auch ganz frei zu treffen.“
„Das würde mir nicht gefallen - dann wäre ich für alles verantwortlich, wie schnell hat man doch einen Fehler gemacht, wie soll ich das vermeiden, ich armer Mensch, ich komme in`s Gefängnis, ich bin doch intellektuell, ich … “
„… keine Bange, nachgewiesene Verantwortung für gewisse Taten ist bei uns nicht unbedingt ein Kriterium, jemanden einzusperren.“
„Gott - äh, ich meine: Ihnen sei Dank! Das beruhigt mich.“
„Ich bin gerne großzügig gegenüber meinen Mitmenschen, selbst wenn es Untertanen sind. Haben Sie nicht gemerkt, dass, wenn eine Entscheidung frei geschieht, ohne eine Festlegung durch Ihre Persönlichkeit, sie gewissermaßen willkürlich geschieht? Wenn Sie unabhängig von Ihren Erfahrungen, Ihren Vorlieben - unabhängig von alledem, was Sie als Person bestimmt, eine Wahl treffen - wer oder was verursacht dann die vollzogene Handlung?“
„Vielleicht die Regierung, perfekt gemachte Propaganda: ‚Wir sind die Besten, wir sind gut, wir arbeiten für die Regierung, das macht Mut’!“
„In gewisser Weise schreckt es aber sogar mich ab.“
„Wieso ... ja? Die Hauptsache ist doch, Herr Präsident, nicht persönlich verantwortlich zu sein, sonst würde man in dauernder Angst leben, etwas falsch zu machen.“
„Deshalb bietet die Regierung auch die Ausbildung zum Berufsphobiker an: Man pflegt seine individuellen Ängste, fühlt sich aber trotzdem in einer Gruppe geborgen, ist problemlos überwachbar, was Intellektuelle wie Sie gar nicht bemerken, einfach Klasse.“
„Ja, so einer Gruppe gehöre ich schon lange an.“
„Welche Angst plagt Sie denn?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Na los! Vertrauen Sie mir.“
„Aber natürlich. Es ist nur die Angst nicht rechtzeitig entscheiden zu können, ob die mich ausmachenden Umstände Sie während des Gesprächs erschießen werden ...“

 

Prima. Vermeintliche Freiheit hintergründig beleuchtet.
Guter Gedanke, sind wir in unseren Entscheidungen wirklich frei? Wenn ja, handeln wir entsprechend, oder doch lieber angepasst.

Allerdings hätte ich den Interviewer gerne etwas hinterfragender, so bleibt er etwas arg duckmäuserisch und weniger (vermeintlich) objektiv kritisierend. Das nimmt für meinen Geschmack etwas die Spannung.

Lieben Gruss
dot/

 

Hallo dotslash,

danke für deine Anmerkung!
Der Frager darf nicht zu sehr nachhaken, sonst ist seine Rolle als Speichellecker nicht durchzuhalten.
Nur beim zweiten Teil geht es um die Freiheit, aber die Abschnitte hängen natürlich zusammen.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon!

Deine Dialog-Geschichte vereint, auf locker verwobene Weise, politische, philosophische und satirische Elemente über Diktatur und Freiheit in sich. Steht im ersten Teil noch die manipulative Einschränkung von Freiheit des Staatsbürgers durch einen absoluten Herrscher im Vordergrund, ist es im zweiten Teil der mehr oder weniger "freie" Wille des Individuums, der behandelt wird. Das Ganze ist mit deutlich ironischem Unterton und einem garstigen Ende verziert. Guter Text - schön böse!

Bei folgenden Sätzen fielen mir übrigens Parallelen zur aktuellen politischen Lage auf:

Man sieht: Mäßigung ist für das Funktionieren eines Staates unabdingbar. Die Bürger mäßigen ihr Freiheitsbedürfnis, die Führung ihren Wahrheitsdrang.“
„Sicherlich, aber so ein Kontrollsystem muss halt schleichend eingeführt werden, so dass sich nie jemand betroffen fühlt, bis vollendete Tatsachen geschaffen worden sind.“
Das erinnert mich irgendwie an ...


Lieben Gruß
Antonia

 

hello Woltochinon,

hat mir gut gefallen. Zunächst fürchtete ich, jetzt wird's eine unterirdisch schlechte Satire, dann kam noch Adolfs Sprrrachduktus und ich wollte schon aufgeben.
Doch dann wurde es interessant. Es stellt sich ja tatsächlich die Frage, welchen Sinn z.B. unser Strafrecht haben kann, das auf verantwortliches Handeln setzt. Einen Beweis für freien Willen und damit für verantwortliches Handeln hat aber noch niemand erbringen können. Ähnliches gilt natürlich für das 'Leistungsprinzip', denn ähnlich wie 'Schönheit' vermag kaum jemand seine 'Leistungsfähigkeit' zu wählen.

Diesen Satz kapiere ich nicht:
'...wenn eine Entscheidung frei geschieht, ohne eine Festlegung durch Ihre Persönlichkeit, sie gewissermaßen willkürlich geschieht...' - wo soll denn ohne Persönlichkeit der Wille herkommen? Meintest Du 'unwillkürlich'?

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo Antonia,

es freut mich sehr, wenn dir der Text gefallen hat. Ich habe gar nicht gedacht, dass ich „schön böse“ schreiben kann. Als ich die Geschichte überlegt habe, habe ich überhaupt nicht an politisches Tagesgeschehen gedacht, sondern nur an im Prinzip allgemeingültige Merkmale von missbrauchter Herrschaftsmacht. Dein Hinweis auf das Aktuelle ist erschreckend, aber zutreffend.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo gox,

vielen Dank für deinen Kommentar!

Ich musste jetzt mal richtig überlegen, wegen dem Unterschied zwischen „willkürlich“ und „unwillkürlich“. In der Geschichte muss es „willkürlich“ heißen (wahrscheinlich ändere ich das ein wenig), es geht ja darum, dass etwas geschieht, als sei es die Folge einer Willkür, nicht weil man es selbst bestimmt. Wenn man aber sagt: Das mache ich unwillkürlich so, meint man damit seltsamerweise aber etwas, was man macht, als wenn es einfach geschieht. Hmm...
Der erste Teil soll natürlich auch interessant sein, ein wenig Philosophie von Platon ist da versteckt.
Freut mich, wenn das Gesamturteil positiv ausfällt.

L G,

tschüß... Woltochinon

 

Jo, Woltochinon!

Ich hab auch erst die Geschichte angelesen und war nicht so begeistert. Ein paar maue Witzchen und dieses rollende "r" - aber dann wurde es richtig interessant, schön zu lesen, auch tiefgründig.
Hab sogar mehrmals lachen müssen - witzig, wie du alles hinterfragst, noch dazu auf eine unterhaltsame Art.

Aber den Anfang, den Anfang würde ich überdenken.

In diesem Sinne
c

 

Hallo chazar,

inhaltlich - so habe ich das zumindest geplant - soll der erste Teil auch etwas hergeben, aber wenn´s nicht deutlich wird, nützt es ja nichts. Danke für die wichtige Rückmeldung.
Meinst du, ich so die Rs weglassen? War mir da auch nicht so sicher.
Super, wenn dir der zweite Teil gefallen hat und der Humor ankommt.

Danke,

tschüß... Woltochinon

 

Ja, die "r"s würde ich weglassen.

Aber gut, ich hab heute noch manchmal an die Geschichte denken müssen - das sagt schon was, oder?

Gruß
c

 

Hallo chazar,


"ich hab heute noch manchmal an die Geschichte denken müssen"

ich auch... :) wir hatten gerade eine Diskussion über die Durchsetzung von Macht in einem Staat.
Der Grund, warum ich den Sprachfehler des Diktators eingebaut habe, war die Idee, dass das Volk, welches kein "Ka" ausprechen kann, ihn genauso verleumderisch behandeln könnte, wie er es mit ihnen tut.
Ich warte mal, vielleicht gibt es noch eine Meinung dazu. Ansonsten - kill your darlings!

Danke für die Rückmeldung.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

hat mir gut gefallen deine Geschichte, die Mischung aus Satire, Gesellschaftskritik und Philosophie.

Noch nie vorher hat ein Herrscher uns so sehr unterdrückt, der Freiheit beraubt, ohne dass es uns etwas ausmachte.
subtile, moderne Form von Macht, wunderbar. Da stellt sich die Frage, welche Machtausübung weniger autoritär ist - die ehrliche brutale, oder diese schleichende, subtile die du beschreibst. Und die Tatsache, wie oft wir freiwillig unsere Freiheit verzichten und sie aus Bequemlichkeit gerne aufgeben - erschreckend.

Auch mir hat der zweite Teil besser gefallen, weil ich die Fragestellung einfach spannend finde, in wiefern wir wirklich einen freien Willen haben oder nicht durch unsere Gene und Erfahrung geprägt sind und so handeln, weil wir es in dem Moment nicht anders können. Die Gefahr, die daraus und im Endeffekt auch aus jeder religiösen Haltung entsteht, hast du gut dargestellt - damit streiten wir jede Verantwortung für unser Handeln ab.

Verknüpft man nun den ersten Gedanken mit dem zweiten ergibt sich folgendes Bild: wir verzichten nicht freiwillig auf unsere Freiheit, weil es weder freien Willen und somit auch keine Freiheit als solche gibt ;) Insofern wäre der Gedanke naheliegend, dass der Prot sogar der adäquate Herrscher für uns Menschen ist.

Das Ende fand ich ein wenig flach, hat mich nicht wirklich überzeugt.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,

vielen Dank für deine ausführlichen Anmerkungen. Du schreibst:

„Insofern wäre der Gedanke naheliegend, dass der Prot sogar der adäquate Herrscher für uns Menschen ist.“

Ja, das ist so ein Problem. Platon war nicht für die Demokratie, seine (zugegeben idealistische) Idee eines Staates ging von einem Herrscher bzw. einer Herrscherkaste aus, die sich dem Guten verpflichtet fühlt und Vernunft durch Mut übermäßige Begierde zügelt. Demokratie beinhaltet immer die Gefahr der Einigung auf den kleinstmöglichen Nenner und der Handlungsunfähigkeit. Trotzdem - eigentlich ein kleiner Preis verglichen mit der Alternative.

„Und die Tatsache, wie oft wir freiwillig unsere Freiheit verzichten und sie aus Bequemlichkeit gerne aufgeben - erschreckend.“

Genau - gerade im Moment geht es uns doch an den Kragen (mit den altbekannten Argumenten, ‚äußerer Feind’), wenn ich dran denke, welch Widerstand gegen die im Vergleich harmlose Volkszählung aufkam...

Den Schluss mit dem Paradoxon hielt ich eigentlich für ganz passend. Oder meinst du, ich soll direkt damit schließen, ohne die drei ausleitenden Zeilen?

L G,

tschüß... Woltochinon

 

Im allgemeinen sehr gut, da muß ich dich Loben. Interessant verknüpft sich die erste Frage des Journalisten mit dem Anzweifeln des freien Willens: ?Natürlich bin ich gerne Herrscher? sagt der Präsident ? und beteuert sodann die Entbehrlichkeit der Freiheit, wobei ihm der Journalist gerne beipflichtet. Dabei kann man ?Macht? doch als eine recht weiträumige Freiheit betrachten - wenn die entbehrlich ist, stellt sich die Frage: Warum ist der Präsident denn gerne Regierungschef, wenn man Freiheit und damit auch Macht ohnehin nicht hat und daher nicht behaupten muss? Wozu dann der Polizei- und Überwachungsstaat? Widerspricht sich der Präsident selbst? Nein, er lügt, oder missleitet uns zumindest, und zwar auf die wunderbarste Art und Weise, versucht, Resignation zu erzeugen.
Solches und Ähnliches hat mich prächtig amüsiert. Nicht gefallen hat mir hingegen folgendes: Ob beabsichtigt oder nicht, manches in dieser Geschichte hört sich nach der Amerikanerfresserei großen Stils an, wie sie die Antiglobalisten und Linksradikale betreiben. Die Benennung der Geschichte, ?John? am Anfang, der Fingerabdruck, der demnächst (oder doch jetzt schon?) bei Amerikanern Pflicht sein soll ? alles winkt nur gen Westen. Versteh mich nicht falsch, ich habe ja nichts dagegen, dass man der Supermacht mal eins auf den Deckel verteilt, nur nimmt ähnliches langsam überhand. Es liest sich halt so, als ob du Bush als den ?großen Diktator? hinstellen möchtest, was auf ihn trotz all seiner Bosheit nicht so sehr zutrifft. So habe ich das verstanden. Vielleicht bin ich ja auch zu sehr auf dieses Thema fixiert. Genug davon, wenn man vom aktuellen politischen Bezug absieht, den du ja nicht einbauen wolltest, ist deine Geschichte sehr gelungen, sodass sie in einem Jahr, wenn der ?aktuelle Bezug? (so hoffe ich) schwindet, womöglich einen noch besseren Eindruck hinterlässt.

Ach ja, bevor ich es vergesse. Warum nimmst du die Idealisten aus der Freiheitslosigkeit raus? Das ist ziemlich idealistisch :)

Gruß,
A.v.M.

 

Hallo Anton von Mi,

danke für deine interessanten Ausführungen: Das stimmt - Macht ist (bzw. gibt) eine große Freiheit. Doch klar, hier wird mit zweierlei Maß gemessen (Quod licet Iovi, non licet bovi). Mir geht es in dem Text um immer wiederkehrende Merkmale, eines davon ist das genannte. Hitler hilt das Volk zum Schluss sogar für unwürdig, überhaupt zu existieren, wenn es schon nicht seiner Machterhaltung dienen konnte. Machiavelli rät dem Fürsten, das Volk zwecks Machterhalts zu betrügen usw. Insofern hat die Geschichte auch nichts mit den USA zu tun, es geht um ganz allgemeine Mechanismen. Ich zeige diese zum Teil an aktuellen Beispielen, Stichwort Fingerabdruck. Der soll auch in Deutschland eingeführt werden (ist einfach ein Symbol für weitergehende Kontrollmechanismen), mit dem Verweis, man hätte in Spanien damit schon lange keine Probleme - ohne Hinweis darauf, dass ein Diktator ihn dort eingeführt hat (nicht wegen Terroristen, sondern wegen der Opposition).

„Warum nimmst du die Idealisten aus der Freiheitslosigkeit raus? Das ist ziemlich idealistisch :)

Nun, die Idealisten sind ausgestorben, sie trifft es zuerst, nur der Tod macht sie frei (oder eine Revolution, dann sind sie an der Spitze und übernehmen über kurz oder lang den Part der abgesetzten Macht).
Es gibt aber Gerüchte, dass einige Idealisten hinter dem 1984 m hohem Il Lega Litaet Gebirge leben und irgendwelche Riten - sowas mit humanitärer Ver- (oder war es Auf-)klärung? - unverbesserlicher Weise zelebrieren. ;)

Danke für die Anmerkung,

tschüß... Woltochinon

 

„Ich würde doch dann meinen Job verlieren, stimmt´s?“ - Der Satz war einfach göttlich!

Ansonsten fand ich es von der behandelten Thematik her teilweise ganz interessant, aber das Interview an sich fand ich doch etwas seltsam: kein Diktator würde in einem Fernsehinterview so offen darüber reden, dass er die Leute eigentlich nur verarscht. Ich hätte da ehr (wenn auch auffällige) Euphemismen erwartet. Dass der "Moderator" das ganze auch noch mitspielt, macht es teilweise auch schwer, zu erkennen, wer denn gerade spricht.

Oh, und den Schluss fand ich jetzt auch nicht so toll.

 

Hallo Chris PI,

jetzt habe ich gerade noch, gewissermaßen im letzten Moment, deinen Beitrag gesehen.

Natürlich hat die Geschichte einen skurrilen Touch, satirische Übertreibungen, doch trotzdem täuschst du dich an dieser Stelle:

„kein Diktator würde in einem Fernsehinterview so offen darüber reden, dass er die Leute eigentlich nur verarscht“.

- Den Leuten wurden schon ganz andere Dinge gesagt: Hitler (und noch einmal ganz deutlich Goebbels) hat dem Volk gesagt, dass sie den ‚totalen Krieg’ beginnen wollen, ganz offen. Ansichten, wie: „Ein Despot, der das Notwendige auch mit Gewalt durchsetzt“ werden immer wieder in der Geschichte vertreten und auch akzeptiert. Die einzelnen Aussagen zielen auf spezielle soziologisch bekannte Phänomene.
Wenn ein Diktator seine hungernden Untertanen zwingt, ihm eine Ruhmeshalle zu bauen (s. Nordkorea), dann zeigt er ihnen auch ganz unverhohlen, wie er sie eigentlich „verarscht“. Oft glauben die Herrscher (und ihre Claqueure, siehe Interviewpartner), tatsächlich, was sie sagen - so absurd es auch scheinen mag (die Mauer war ein Bollwerk gegen die Kapitalisten, auch wenn die Schussanlagen in die falsche Richtung zielten).

Den Schluss habe ich nun geändert, das Paradox bildet nun ein offenes Ende.

Vielen Dank für deine Anmerkung. (Bin jetzt länger abwesend).


L G,

tschüß... Woltochinon

 

Hi Wolto,

die Geschichte gefiel mir sehr gut. Ich bin normalerweise kein Fan von Dialoggeschichten, aber die Idee, einen Diktator einmal wirklich die Wahrheit sagen zu lassen, fand ich sehr bestechend.
Die philosophische Betrachtung ergibt sich hier sehr natürlich aus der Thematik, ohne grüblerisch herbeigepeitscht zu werden. Das fand ich auch sehr schön.

Natürlich gefällt mir die Geschichte auch deshalb, weil Du damit zwei Kernthemen aufgreifst, die ich auch schon gern behandelt habe.

Ich befände mich nun in dem Dilemma, sie empfehlen zu müssen. Glücklicherweise hat das bereits jemand für mich übernommen. Puh! ;)

Beste Grüße,
Naut

 

Hallo Naut,

„Ich bin normalerweise kein Fan von Dialoggeschichten“

- Ich auch nicht :D Lange Zeit hatten meine Geschichten überhaupt keinen Dialog. Zum Glück lernt man dazu, umso wertvoller ist dein Lob gerade bei dieser Geschichte für mich.

„die Idee, einen Diktator einmal wirklich die Wahrheit sagen zu lassen, fand ich sehr bestechend“

- Ich glaube, die sagen immer die Wahrheit, die können gar nicht anders, als das zu sagen, was für wahr halten ;)

Danke für deinen netten Kommentar,

tschüß… Woltochinon

(P.S. Schick mir mal eine PN, auf welche von deinen Geschichten du dich beziehst, finde Vergleiche immer spannend)

 

Hallo Woltochinon!

Ich bin auch kein Freund von Dialoggeschichten, aber dieser hier war wirklich interessant und gleichzeitig unterhaltsam zu lesen. Und irgendwie, als wären die Protagonisten nackt. :D

Deine Betrachtungen über die Freiheit, bzw. wie wir derer beraubt werden, sind interessant. Und dabei gar nicht einmal so überspitzt.

„Als wir einmal schon fast anfingen am System zu zweifeln, haben Sie zum Glück rechtzeitig als Ablenkung in ihrer berühmten Rede bewiesen, dass die im Westen angrenzenden Nachbarn unsere größten Feinde sind, schließlich können diese kein ‚Ka’ aussprechen.“
„Wir sind doch nicht dumm! Wir lassen uns nicht verschaukeln! Bei einem harmlosen Wort wie ‚Kanal’ lassen wir uns nicht ein ‚anal’ unterschieben! Erst verstümmeln sie unsere Sprache, dann rauben sie unsere Kinder, dann unsere Frauen, dann unsere Freiheit!“
Eine bekannte Theorie: Bevor das Volk aufmüpfig wird, kommt ein neuer Feind ins Spiel, gegen den wieder alle zusammenhalten sollen. Und sei die Begründung für das Feind-Sein noch so an den Haaren herbeigezogen, Hauptsache, das Volk ist wieder eins mit der Führung. Das sehe ich hier sehr schön umgesetzt.

Da, wo es um die Entscheidungsfreiheit geht, hat mir diese Aussage ausgesprochen gut gefallen:

„Ich würde doch dann meinen Job verlieren, stimmt´s?“
Wie ich oben schon sagte: Die Protagonisten sind so richtig nackt.

An manchen Stellen hätte ich mir gewünscht, daß Du noch ein bisschen tiefer ins Detail gehst. Zum Beispiel den Grund für das Aussterben der Idealisten und wie das Vermehrungsprogramm aussah, das ja anscheinend nicht gegriffen hat – das sind Ideen, von denen ich gern mehr erfahren würde. ;) – Aber ich bin halt auch immer so kleinlich, oder neugierig, was hinter den Ideen steckt, die ja eigentlich nicht so wichtig sind für die Aussage(n). Insgesamt war sie wirklich sehr in Ordnung. :) (Vielleicht schreibst Du mir ja mal eine Extra-Geschichte über das Aussterben der Idealisten und das Vermehrungsprogramm? ;))

Der kleine Rest hier der Reihe nach:

»„Herr Präsident, Sie haben über das Thema ‚Herrschaftsformen’
promoviert - sind Sie eigentlich gerne Regierungschef?“«
– der Zeilenwechsel ist irgendwie fehl am Platz

»Gewalt - ja, aber nicht sichtbar, eher betrügerisch, das ist man dem Volk schuldig.“«
– Statt »betrügerisch« würde ich vielleicht »diplomatisch« oder »mit diplomatischem Geschick« verwenden, ist ja eigentlich dasselbe, aber eben diplomatischer. :D

»aber der Feind sah durch den Nachweis der Freiheitsberaubung natürlich noch feindlicher aus...“«
– Diese Punkte an manchen Satzenden würde ich großteils streichen, und wenn Du sie läßt, würde in allen Fällen eine Leertaste vor die drei Punkte gehören.

»„‚Bist du freiheitsberaubt, wird dir nicht sorgenschwer dein Haupt’«
– das »dir« würde ich streichen, damit der zweite Teil nicht so viel länger ist als der erste und weil so ein Spruch kein »dir« braucht; evtl. würde ich auch im ersten Teil auf »der Freiheit beraubt« verlängern.

»„Eigentlich könnte ich für meine Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden!“«
– ich würde das auf »eventuelle Taten« oder sowas in der Art umformulieren, »meine Taten« klingt so, als gäbe es tatsächlich welche.

»nachgewiesene Verantwortung für gewisse Taten ist bei uns nicht unbedingt ein Kriterium jemanden einzusperren.“«
– nach »Kriterium« gehört meiner Meinung nach ein Beistrich

»„‚Gott’ - äh, ich meine ‚Ihnen sei Dank’! Das beruhigt mich.“«
– warum die inneren Anführungszeichen? »„Gott – äh, ich meine: Ihnen sei Dank! Das beruhigt mich.“«


@Naut, welche ist denn die zweite Deiner Geschichten, die das bzw. eins der Themen behandelt? Die zwei Uhren, das ist klar - das Thema kommt eindeutig hier vor. Aber die zweite … hm, vielleicht die Höhle des Schleiers?


Alles Liebe,
Susi :)

 

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