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Donna Claires Sanftheit, die Russen und ein schöner Rücken
Er hat so einen schönen Rücken, denke ich. Dabei fahre ich mit der linken Hand über seine sanfte Haut, die sich über die Schultermuskeln spannt. Es ist schön, diesen Rücken zu streicheln, denke ich; und sicher auch, ihn zu- und während ich es denke, tue ich es, beuge mich vor, küsse die kleinen Knochenhöcker des Rückgrats, die sich unter der Haut abzeichnen.
Er liegt vollständig still, rührt kein Glied; nur sein Atem geht gleichmäßig und ruhig. Ich lege meine offene Hand auf seine Hüfte, um diesen Atem zu spüren; einfach nur, um das andere Leben neben mir zu genießen, das Blut fließen zu fühlen, er hat auch sehr schöne Hüften...
Als er den Kopf leicht dreht, um mich anschauen zu können, kann ich meinen Blick nicht vom Spiel seiner Nackenmuskeln wenden. Als würde ein Meer zurückströmen- eine organische, vollkommen gleichmäßige Bewegung.
"Weisst du...", sagt er sanft, und ich spüre die Vibration seines Körpers, die seine Worte auslösen, in meiner linken Hand.
"Weisst du, das war sehr schön. Würdest du... noch einmal meinen Rücken küssen?" - "Gern", flüstere ich zurück.
Meine Stimme ist nicht so schön wie seine, denke ich dabei. Nicht so... beruhigend, naja, männlich eben; eher hysterisch, manchmal... Ich habe eine kleine - Mädchen - Stimme. Während ich mich wieder vorbeuge und einen zärtlichen Kuss meiner viel zu spröden Lippen auf seinen Leib hauche, muss ich daran denken, wie sich meine Stimme überschlagen hat, als er mich heute angesprochen hat, ob er mit mir tanzen könnte.
Ich lege meinen Kopf auf seinen Körper, nachdem ich ihn geküsst habe. Hoffentlich stört es ihn nicht.
Meine Stimme hat mich gestört, als ich ihm da ein aufgeregt kieksendes 'Gern!' zurückgequietscht habe. Aber es war natürlich trotzdem ein Augenblick: all diese Kleinkinder da, saufend, um 'cool' zu sein, sich prügelnd, um 'hart' zu sein, und dann die primitivsten Anmachen der Welt- und dazu als Kontrast er; so ernst, so sanft und doch so sicher...
Ich weiß nicht, was mir am besten gefällt an ihm. Aber auf jeden Fall hat sich meine Stimme peinlich überschlagen, als ich 'Ja' gesagt habe, ich war verdammt nervös, kleine - Mädchen - nervös, und... -
"Sprich doch bitte", sagt er plötzlich.
Verwundert frage ich: "Warum?"
"Es klingt so schön, wenn ich spüren kann, wie deine Worte entstehen. Wenn ich deine Worte nicht nur aus deinem Mund hören kann, sondern- direkt von deinem Körper zu meinem Körper... Verstehst du?"
"Ja", flüstere ich. Ich glaube, das ist es, was ich am meisten mag an ihm: er lässt mich fühlen, dass er mich wirklich schön findet, interessant und begehrenswert, und nicht nur- einen Körper... was weiß ich, was Männer so toll finden. 'Bisschen Busen, lange Beine...
Na, und er ist eben anders.
"Du bist anders", sage ich, denn er möchte, dass ich spreche, und in seiner Nähe wage ich es, dass zu sagen, was ich denke.
"Die anderen... Da waren so viele beschissene Leute. Diese ganzen Russen, die da um ihre Autos rumstanden, jeden anmachen. Ich weiß nicht. Hast du gesehen, wie sie plötzlich auf Maik losgegangen sind? Ach, denn kennst du natürlich nicht... Dieser Kleine, der mit den blonden Haaren, naja, der, auf den plötzlich diese ganze Horde losgegangen ist."
Ich schließe die Augen, bei ihm fühle ich mich sicher.
"Und dann- irgendein blödsinniges Gelaber, diese typischen Sprüche- wollen sich nur prügeln... Diese Prügelrussen, weisst du, 'Hast du mal ne Zigarette', und dann gleich- die haben ihm ins Gesicht geschlagen!"
Ich rege mich auf, hoffe, das meine Stimme dabei nicht wieder so schrecklich hoch und spitz klingt, aber- es ist eine beschissene Sache.
"Infantile Idioten. Warum verkloppen die sich nicht untereinander? 'Sind doch genug Russen da..."
"Bitte", unterbricht er mich, "Bitte, lass das doch. Es ist hier doch so schön. Die Musik ist so schön, die Wärme ist so schön, und-", und bei diesen Worten spüre ich plötzlich seine warme Hand auf meiner Stirn, er streichelt mein Gesicht, "du... du bist schön..."
Er sagt das mit so einem süßen Tonfall, er senkt die Stimme, haucht es wie einen Theaterliebesschwur, ich muss kichern. Er kichert auch, und ich spüre es in meinem Kopf, der immer noch auf seinem Rücken ruht.
"Bitte, lass uns nicht von so etwas reden. Das ist eine schöne CD, weisst du? Ich mag dieses entspannte, wie heisst es? Jazz... Irgendwie Jazz oder so. Es ist eine Musik, die klingt wie der Atemzug einer bekannten Person, weisst du, so entspannend, so frei- Es ist auch wunderschöne Musik, um jemanden zu streicheln..."
"Das hast du schön gesagt."
Das ist auch so eine Sache; er ist nachdenklich. Er ist machmal ein bisschen holprig, langsam, ungeschickt; direkt, wie dieses 'Möchtest du mit mir tanzen?' oder 'Du bist schön'... Trotzdem- er denkt nach. Er redet nicht nur in irgendwelchen Phrasen. Man kann ihm zuhören.
Und er streichelt wunderschön, denke ich, als er plötzlich vorsichtig seinen Körper unter meinem Kopf hervorzieht, sich halb aufrichtet und dann meinen Leib in seine Arme schließt. Er redet weiter, während seine Hände mich liebkosen, er redet wieder etwas Nachdenkliches über diese CD, mit der ich eigentlich noch nie etwas anfangen konnte und die jetzt so wundervoll klingt, er erzählt irgendetwas, erzählt von dem Gefühl, in eiskalten Flüssen zu baden und nachts allein durch den Wald zu wandern...
Ich höre ihm nicht richtig zu, ich fließe einfach, sonne mich in seinen Berührungen und schwelge im Klang seiner Stimme.
"Schreibst du eigentlich Gedichte?", fragt er mich plötzlich, und seine Hände kommen zur Ruhe, er krault nur noch meinen Nacken.
"Wie kommst du darauf?"
"Du bist so ein... so ein, ich weiß das Wort nicht, so ein Gefühls-, Gefühl-..."
"Emotional?"
"Du bist so ein emotionales Mädchen, weisst du. Du kannst dich so aufregen, aber du kannst auch so, wie heisst es, hingebungsvoll sein, weisst du?"
Nein, weiß ich nicht, aber es ist schön, so nah bei ihm zu sein. Bitte, denke ich, küss mich gleich nocheinmal. Am besten schlafen wir auch gleich noch einmal miteinander.
"Ich dachte mir, du bist so ein emotionales Mädchen, vielleicht schreibst du auf, was du fühlst, vielleicht..."
Ich schweige.
Natürlich habe ich ein paar Gedichte geschrieben. Kleine - Mädchen - Gedichte, dumm, von Liebeskitsch und rosa Blah. Wahrscheinlich würde er sie sogar mögen und mir sagen, dass ich eine Poetin bin...
Hoffentlich küsst er mich gleich wieder.
Aber ersteinmal spricht er: "Du bist auch so eine kluge Frau. Du weisst so viele Worte, du weisst, wie heisst es, emotional wusstest du. Du sprichst wie jemand, der klug ist. Du warst auf dem Gymnasium, oder?"
Ich nicke. Ich mag es nicht, wenn ich nicke, es kommt mir immer so vor, als würde ich dabei wie ein Huhn wirken- er aber schaut nur beeindruckt... Es ist schön.
Ich frage ihn zurück: "Wo kommst du her, von welcher Schule?"
Er legt den Kopf schief und lächelt. Er hat tiefe, dunkle Augen, denke ich.
"Bist du von der Berufsbildenden? Ein Freund von mir ist gerade da... Der meint, es sei schrecklich. Fünfzig Prozent Ausländeranteil- Also, da sind ja auch viele Nette dabei, aber... Man merkt das eben schon. Das zieht das Ganze eben irgendwie runter, wenn die Meisten nur Türkisch oder Russisch können."
"Ich weiß es nicht. Ich war nie gut in der Schule, aber es war meine Schuld, weisst du, nicht die von irgendwelchen- anderen Menschen..."
"Naja, aber mein Freund, also, es ist doch einfach kein Zustand. Er kann sein Handy nicht mit zur Schule bringen, weil es ihm sofort von abgezogen werden würde. Die kommen dann da wie die Schimpansen an, labern Scheiße, schubsen rum, wie die letzten... Na, das ist Scheiße... Die haben da auch schon mehrere blaue Augen verteilt und blutige Fressen."
Er sieht mich einfach nur weiter an, keine Regung auf seinem Gesicht.
Aber ich habe mich wieder in Rage geredet: "Das ist so eine abartige Sache. Das sieht man ja sofort: die sind einfach da, haben keinen Bock auf Garnichts, wollen nur rumhängen, rumpöbeln, irgendwelche Leute zusammenschlagen... Du hast das ja selbst gesehen heute. Die Leute bei den Autos, du hast ja gesehen, wie die Polizei da war am Ende. Du hast es ja gesehen..."
Auf einmal legt er seine Hand auf meinen Mund, seine Finger berühren meine Lippen, und er schließt meinen Monolog, meinen Zorn, ich denke nur noch: Küss mich.
Und er sagt: "Ich habe es nicht gesehen. Ich habe nur dich gesehen, ich habe die ganze Zeit nur auf dich geachtet."
Und dann zieht er langsam seine Hand zurück.
Und dann öffnet er den Mund, wie um etwas zu sagen, schweigt dann aber.
Und dann sieht er mich an, kurz nur, ich überlege, ob ich ihn fragen soll, ober er wirklich nicht gesehen hat, wie die Russen Maik verprügelt haben? Weil wir Zeugen brauchen, wenn-
Aber bevor ich denn Mund öffnen kann, hat er seine Lippen auf meine gedrückt, wir küssen uns, er umarmt mich, er zieht mich an sich, schließt mich fest ein, löst mich aus diesem Universum, löst mich, befreit mich, erhebt mich, ist da, ist überall, ich bin bei ihm, ich bin ICH und kein kleines Mädchen, ich bin schön, ich bin bei ihm, er lässt mich in eiskalten Flüssen baden und durch geheimnisvolle Urwälder wandeln und wir sind beieinander und wir küssen uns-
- o -
Am nächsten Morgen wache ich von einem leisen Rascheln auf- und von einer unangenehmen Kälte. Ich blinzele, reibe mir die Augen- mein Körper liegt unter der Decke, die wir gestern fortgeschleudert haben, weil die Wärme unserer Körper reichte, und- wo ist er?
Dann sehe ich ihn in meinem Zimmer stehen, er ist gerade in seine Hose geschlüpft, so leise wie möglich, aber nicht leise genug für meinen kleine - Mädchen - Schlaf.
"Guten Morgen, Liebes", flüstert er.
Dann legt er denn Finger auf die Lippen, mich um Schweigen bittend. Er telephoniert, sehe ich, er hält sein silbernes, zerkratztes Handy an sein Ohr.
Sein Oberkörper ist nackt, und bei Licht wirkt er noch schöner; ich sehe eine Kratzspur auf der sonst makellosen Haut und blicke schuldbewusst auf meine Fingernägel- aber er lächelt, er muss meinem Blick gefolgt sein, er lächelt nur und legt seine freie Hand auf meine Hände.
Dann antwortet sein Gesprächspartner, nimmt ab nach mehrmaligem Läuten, und der wunderschöne Mann, der vor mir steht, spricht mit leiser Stimme, fast entschuldigend schaut er mir dabei in die Augen:
"Hallo Ivan. Hier ist Sergej. Kannst du mir Papa geben? Entschuldige, ich-"
Und seine nächsten Worte höre ich nicht, denn ich fange an zu weinen, als ich seine Augen sehe, die mich so merkwürdig anschauen bei diesen Worten, so traurig, so enttäuscht, und auch ein wenig schuldbewusst, ich fange an zu weinen, möchte sterben, möchte ruhen, möchte die Welt in einem furchtbaren Sturm vergehen sehen-