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Dornenfinsternis

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07.01.2005
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Dornenfinsternis

Ich ging, wie jeden Abend, im Park vor meinem Haus spazieren, als ich unversehens das Verlangen spürte, den gewohnten, ebenmäßig geharkten Weg zu verlassen und ein wenig die Wiesen zwischen den Hauptwegen zu erkunden.
Bald stieß ich jenseits der gepflegten Rasenflächen auf waldähnliche Vegetation, Bäume, die zwar beschnitten, aber im Großen und Ganzen in ihrer ursprünglichen Form belassen worden waren. Sträucher und Büsche, die keinem Muster folgend auf dem Rasen wuchsen.
Die ungekünstelte Natur gefiel mir und ich wagte mich zwischen die hohen Büsche ins Gestrüpp. Meinen Weg kaum wahrnehmend, spazierte ich weiter, bis ich mich unversehens vor einer undurchdringlichen Wand aus Dornengestrüpp wiederfand.
Ich wunderte mich über diesen unkontrolliert gewucherten Ausbruch der Natur und schalt in Gedanken den nachlässigen Gärtner, der anscheinend in diesem Park beschäftigt war, als ich mich umdrehte und feststellen musste, dass ich anscheinend nicht aus dieser Richtung gekommen war. Auch wenn ich mir eingebildet hatte, immer nur geradeaus gegangen zu sein, war es schlicht unmöglich, denn hinter mir ragte dasselbe Dornengestrüpp in seiner ganzes Undurchdringlichkeit vor mir hoch.
Verwirrt drehte ich mich um die eigene Achse, jedoch schien der Weg, auf dem ich gekommen war, verschwunden zu sein. Ratlos verharrte ich einige Sekunden und entdeckte dann eine Stelle, an der das Gestrüpp nur heckenhoch gewachsen war. Von dort musste ich gekommen sein! War ich so in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerkte, wie ich dieses Gebüsch überstieg? Es schien so und guten Mutes, mich jede Sekunde wieder auf der Wiese zu befinden, durchdrang ich das niedrige Buschwerk.
Die Dornen rissen an meiner Hose, auch die Hände bekamen Kratzer ab, doch keine Wiese tat sich vor mir auf, nur noch mehr Dornen, noch mehr Ranken.
Unwillig einen Irrtum zuzugeben, kämpfte ich mich weiter fort, bis ich völlig eingeschlossen und beinahe vollständig bewegungsunfähig war. Mit rudernden Bewegungen schaffte ich es, ein paar Äste beiseite zu schieben – da war die offene Grasfläche, über die ich zuvor gewandert war! Verärgert versuchte ich noch einmal die letzte Barriere aus Holz und Blättern zu durchbrechen, musste aber letztendlich einsehen, dass ich mich verfangen hatte.
Trotzdem ich mich schämte, in einem öffentlichen Park in eine derartige Not zu geraten, rief ich laut um Hilfe.
Es dauerte nicht lang, bis der Parkwächter vor dem Gebüsch stand. „Wie sind Sie denn da hineingeraten?“, fragte er. Ich gestand ihm meine Gedankenlosigkeit und bat um schnelle Befreiung. „Nun, selbst herausholen kann ich Sie nicht. Nicht mit bloßen Händen. Ich werde ein paar Arbeiter holen, die können Sie aus dem Gebüsch herausschneiden.“ „Beeilen Sie sich bitte, meine Lage ist sehr unangenehm.“ „Offensichtlich. Doch darf ich um ein bisschen Geduld bitten, ich bin in ein paar Minuten mit den Männern wieder bei Ihnen.“
„Sie haben gut reden. Sie sind ja nicht gefangen. Helfen Sie mir doch aus diesen unsäglichen Dornen heraus!“
„Gefangen nicht, aber gebunden an Regeln und Vorschriften“, erwiderte der Wächter. „Je schneller ich die Männer finde, desto schneller sind Sie wieder frei. Also lassen Sie mich jetzt gehen.“
Er ging und mit ihm das letzte Tageslicht.
Eingeschlossen im Dornendickicht umfing mich die Nacht wie ein zusätzliches Gatter. Meine anfänglich noch recht vehementen Befreiungsversuche brachten mir nur noch mehr Kratzer und büßten im selben Maße an Stärke ein, wie der Tag langsam das Licht und die Geräusche der Geschäftigkeit verlor.
Schließlich füllte nur noch Stille mein Gefängnis aus Ästen und Blättern.
Wer hat es je erlebt, das Schweigen im Innern eines solchen Käfigs, die Stille im Herzen des starren und doch lebendigen Konstrukts, das mich umfing in seiner dornengespickten Umarmung.
Langsam wurde es kühler. Die Nachtkälte kroch an meinen Hosenbeinen entlang in meinen restlichen Körper, bedeckte ihn mit einer Gänsehaut und machte mich schaudern.
Wo war der Wächter? Ich reckte den Hals, suchte in der Dunkelheit nach dem Licht einer Laterne, den Stimmen der Arbeiter oder nur einem Zeichnen nach Leben, doch alles was ich sah, war Gestrüpp. Äste und Ranken, die sich viel weiter erstreckten, als ich es zuerst angenommen hatte.
Bei unserem Gespräch glaubte ich den Parkwächter vielleicht zwei Schritte von mir entfernt, ich hätte ihn mit ausgestreckten Arm berühren können, hätten nicht die Dornen meine Ärmel gefangen gehalten. Aber nun erschien mir diese Erinnerung unmöglich, er musste viel weiter entfernt gewesen sein. Oder täuschte die Nacht meine Sinne und ließ mir das Gebüsch größer und undurchdringlicher erscheinen, als es eigentlich war?
Meine Füße wurden langsam taub. Der Tag war angenehm lau gewesen, entsprechend leicht war ich gekleidet, nicht vorbereitet auf die noch empfindlich kühlen Nächte dieser Jahreszeit.
Ich konnte nicht länger stehen und ließ mich ein wenig in das Gestrüpp sinken, es hielt meinem Gewicht stand und ermöglichte mir, meine Füße zu entlasten.
Ein paar stärkere Äste in meinem Rücken ließen es sogar zu, dass ich eine annähernd bequeme Position einnehmen konnte.
So wartete ich noch eine Weile, lauschte in die Nacht und hörte doch, so angestrengt ich auch auf die Rückkehr des Wächters horchte, nur das leise Knistern von Astwerk, das aneinander reibt.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon in diesem Gebüsch saß, doch es kam mir vor wie ein halbes Leben. Irrte ich mich oder war die Nacht noch schwärzer geworden? Ich versuchte die Sterne auszumachen, aber auch über meinen Kopf hatten sich die Äste zu einem undurchdringlichen Geflecht zusammengeschlossen.
Äste, die vor ein paar Stunden noch nicht dort gewesen waren. Wie schnell wachsen Dornenbüsche? Schneller, als ein Parkwächter laufen kann? Schneller, als ein Trupp Männer eine Schneise in ein Gebüsch schlägt?
Ich gab ein Geräusch von mir, ein halb unterdrücktes Flehen um Antwort.
Ich rief um Hilfe, schrie, doch der Klang meiner Stimme schien mir selbst auf vulgäre Art die Ruhe zu stören, die sich in dem wuchernden Gestrüpp verdichtete.
Ich wollte das Atmen nicht stören. Das leise Schwingen von Leben, das mir der Wind im Astlabyrinth vorgaukelte.
Ich schloss die Augen und ließ den Strauch weiter seinen schützenden Kokon um mich weben, seine Arme um mich legen, ließ mich einschließen, beseelt von dem Wunsch ein Teil dieses großartigen Organismus zu werden.
Ich schloss die Augen, um zu sterben, um zu leben,
ich schloss die Augen um frei zu werden.

 

Wow! :thumbsup: Das ist wirklich gut. Ich weiß nicht, ob Fantasy/Märchen die richtige Kategorie ist, ich hätte es unter "Seltsam" eingeordnet (bei den Surrealisten :) ), aber Schubladen sind ja eigentlich egal.
Für mich war es jedenfalls eine schon recht kafkaeske Erfahrung, und die positive Wende am Schluss war durchaus eine Überraschung für mich.

Details:

Trotz dem unangenehmen Wissen,
Meines Wissens nach "Trotz des unangenehmen Wissens".
Je schneller ich die
Meine anfänglich noch recht vehementen nur noch mehr Kratzer und büßten in selben Maße an Stärke ein, wie der Tag langsam Befreiungsversuche brachten mir das Licht und die Geräusche der Geschäftigkeit verlor.
:) Da ist irgendetwas durcheinander.

Grüße,
Naut

 

Hallo Dornenkind,
ja, der Text ist deutlich kafkaesk :D Ich fände auch, dass er in fast jeder anderen Rubrik besser aufgehoben wäre als hier. Denn das Fantasy-Element ist nur ein sehr metaphorischer Dornbusch in einem Park, mehr nicht.
Der Mann geht also im Park spazieren und verheddert sich in einem Dornbusch. Ein Parkwächter beruft sich auf irgendwelche Formalitäten, um ihn nicht rausschneiden zu müssen und geht. Daraufhin eignet sich der Mann eine Scheißegal-Haltung an und gibt sein Leben auf oder schläft ein oder so.
Was ich mit dem Text anfangen soll, weiß ich beim besten Willen nicht.

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Naut!

Ich war mit mit der Kategorie auch nicht ganz sicher, aber ich denke, das ist schon ok hier.
Danke für dein Lob, die kleinen Fehler hab ich korrigiert, danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.
Was da mit dem Satz passiert ist, keine Ahnung *lach* Hab ihn in die richtige Reihenfolge gebracht :-)

 

Mh naja..."Scheißegal-Haltung" wollte ich damit eigemtlich nicht rüberbringen. Es geht mehr darum, dass der Mann (hab ich eigentlich irgendwo erwähnt, dass es ein Mann ist? *lach*) einsieht, dass Freiheit im Kopf stattfindet. Das zum Frei sein mehr gehört, als sich frei bewegen zu können, dass Freiheit in dem Moment erreicht wird, in dem man sich dem Unabwendbaren fügt.

 

Hallo dornenkind,
nicht immer doppelt posten, sonst denke ich, du hast mehr Kritik und will das lesen... magst du dich in Zukunft bitte auf einen Beitrag beschränken? Danke.
Ich finde trotzdem, gerade aufgrund der vielen Metaphern, dass der Text in anderen Rubriken besser aufgehoben wäre. Ich komme nicht mit der Erwartung nach Fantasy, hier irgendwas metaphorisch entschlüsseln zu müssen, sondern irgendwelche plakativ-offensichtlichen Fantasy-Texte zu lesen. Ich würde die Geschichte gern nach Philosophisches, Gesellschaft oder irgendwo anders hin schieben. Ist das OK für dich? Hast du einen speziellen Wunsch?
MMn könnte sie hier gerade so eben stehenbleiben, aber ich glaube, dein Zielpublikum liest hier nicht besonders oft.

gruß
vita
:bounce:

 

Das Doppelposting kam zu Stande, weil ich, nachdem ich auf Naut geantwortet hatte, die Seite aktualisierte und dann erst deinen Betrag las - ich weiß, dass man das nicht machen sollte.
Verschieben ist ok, packs einfach nach "Seltsam", dann beschwert sich hoffentlich keiner ;-)

 

Hallo Dornenkind,

schön, dass du dich mit deiner Verschiebung für "Seltsam" entschieden hast. Sie gefiel mir sehr gut. Ich persönlich arbeite mich gerade durch Kafkas-Werke durch und konnte ihn durchaus auch in deiner Geschichte wieder erkennen. Stilistisch sicherlich ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber gut.
Interessant, dass du gerade den Dornenbuch als Symbol ausgewählt hast - für mich ist er hier ein Zeichen für einen Neuanfang (keine Ahnung, ob als Anlehnung zur Bibel, oder nur Zufall) - jedenfalls begibt er sich durch den Dornenbusch in eine neue Ebene. Schön fand ich die hoffnungsvolle Stimmung, mit dem du den Leser am Ende entlässt.

LG
Bella

 

Danke, Bella! Ich fühle mich hier wirklich sehr geschmeichelt, dass man meine Vorliebe für Kafka tatsächlich auch an meinem Schreibstil erkennt (oder liegst nur daran, dass ich es drunter geschrieben hab? ;)
Der Dornbusch als biblisches Symbol ist mir beim Scheiben auch durch den Kopf gegangen, aber es war keine eigentliche Anlehnung an dieses Symbol, die Idee wie es enden wird, hatte ich schon vorher im Kopf ^^
Ich habe noch Probleme damit, bei meinen Sätzen ein Ende zu finden, das werden manchmal richtige Absätze, ich hoffe, das stört den Lesefluß nicht zu sehr.
Meint ihr, dass Ende kommt zu schnell? Ich war mir da nicht so sicher, ob ich zum Ende hin nicht zu sehr auf die "Lösung" zu spurte.

 

Gern gelesen.

Hallo dornenkind,

deine Geschichte hat auch mir ganz gut gefallen. Oh ja, Kafka, seinen Stil bzw. seine Erzählweise triffst du wirklich ganz gut. Es gelingt dir, diese allmählich bedrückender werdende Enge (Dramatik) der Situation auszudrücken, und im Kontrast dazu die Art lähmende, schicksalsergebene Ruhe deines Protagonisten.

Allerdings hab ich noch ein paar Fehler im Text gefunden, die du dir nochmal anschauen solltest. Ich habe versucht, den "Kafka-Stil" soweit zu berücksichtigen.

[Ich ging, wie jeden Abend, im Park vor meinem Haus spazieren, als ich unversehens das Verlangen verspürte]
- Die Wiederholung der Vorsilbe klingt nicht. Ich würde entweder "spürte" schreiben oder einfach "hatte".

[jedoch schien der Weg[,] auf dem]
[Es schien so und guten Mutes[,] mich jede Sekunde]
- Kommas fehlen. ;)

[nur noch mehr Dornen, noch mehr Ranken.]
- Würde "Dornen und Ranken" schreiben, oder, wenn die Wiederholung aus stilistischen Gründen bleiben soll ", und noch mehr Ranken."

[bis ich schließlich völlig eingeschlossen]
[musste aber schließlich einsehen,]
- "schließlich" ist schließlich ein Füllwort.

[Trotz des unangenehmen Wissens, dass es sehr peinlich ist, in einem öffentlichen]
- Warum nicht einfach: "Trotz des Schams darüber, in..." oder, noch etwas eleganter, "trotzdem ich mich schämte, in ..."

[Es dauerte nicht lang, bis der Parkwächter[,] meinen Rufen folgend, vor dem Gebüsch stand.]
- Komma fehlt. Ich würde den Zusatz mit dem Partizip aber sowieso weglassen.

[umfing mich die Nacht wie ein zusätzliches Gatter.]
- Der Zusatz gefällt mir nicht, irgendwie...

[und büßten im selben Maße an Stärke ein,]

[Die Nachtkälte kroch an meinen Hosenbeinen entlang in meinen restlichen Körper, bedeckte ihn mit einer Gänsehaut und machte mich schaudern.]
- Mir ist das fast schon zu metaphorisch. Aber darüber lässt sich streiten.

[den Stimmen der Arbeiter]
- würde hier "von Arbeitern" schreiben, da dem Protagonisten die versprochenen Arbeiter ja noch gar nicht bekannt sind. Magst du aber auch anders sehen.

[Bei unserem Gespräch glaubte]

(Den Rest bloß noch überflogen beim zweiten Lesen, bin müde.)

Gern gelesen,
FLoH.

 

Danke fürs Korrekturlesen, Floh!!!

Kommata..mein Untergang *seufz* Danke fürs raussuchen, hab das korrigiert :)

> [bis ich schließlich völlig eingeschlossen]
[musste aber schließlich einsehen,]
- "schließlich" ist schließlich ein Füllwort. <

Recht hast du, ich schäme mich ;)

> - Warum nicht einfach: "Trotz des Schams darüber, in..." oder, noch etwas eleganter, "trotzdem ich mich schämte, in ..." <

Auch da hast du absolut recht, der Satz klingt jetzt viel besser!

> [umfing mich die Nacht wie ein zusätzliches Gatter.]
- Der Zusatz gefällt mir nicht, irgendwie... <

Mir auch nicht :hmm: Aber mangels Idee, lass ich es erstmal so stehen. Früher stand da "weiteres", aber das gefiel mir auch nicht - einfach weglassen, möcht ichs aber auch nicht.

> - würde hier "von Arbeitern" schreiben, da dem Protagonisten die versprochenen Arbeiter ja noch gar nicht bekannt sind. Magst du aber auch anders sehen. <

..den Stimmen der mir versprochenen Arbeitern - oder kürzer "der Arbeiter". Hat, finde ich, seine Richtigkeit so :)


Nochmals vielen Dank für die vielen Verbesserungsvorschläge!

@Rosencrantz :) Danke, aber wenns mir so wie letztes Mal geht, folgt auf diese Geschichte jetzt erstmal wieder eine monatelange Schreibblockade :D

 

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