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Drei Bier voraus
„Verdammt, du bist ja schon drei Bier voraus!“ platzt es verdutzt aus ihm heraus, als er meinen Filz studiert. „Da muss ich mich jetzt aber mal reinhängen!“ Mit kräftigen Schlücken zieht er an seiner Flasche und ich tue es ihm gleich.
Nein, liebe Leser, euer bereits gut angetrunkener Protagonist und sein noch etwas nüchternerer Freund sind keinesfalls zwei neugierige 15-jährige, die mal austesten wollen, wie weit sie mit dem Alkoholkonsum gehen können, sie sind eher zwei ziemlich alt gewordene Jugendliche, die an der Hürde zum Erwachsenwerden irgendwie hängen geblieben sind und so den Anschluss an ihre Altersgenossen verloren haben, die den Sprung anscheinend mühelos meisterten und im Gegensatz zu ihnen gelernt haben, die Erwartungen, welche die Gesellschaft an Männer in ihrem biologischen Alter richtet, zu erfüllen. Auch befinden sich die beiden keineswegs in einem pubertären Wettstreit, sondern gehen nur gleichmütig ihrem längst standardisiertem Freitagabendritual nach, über das keiner der beiden mehr groß nachdenkt, dem sie jedoch einen höheren Stellenwert als der meisten der sogenannten „Verpflichtungen“ einräumen, mit denen sie sich in den fünf vorhergehenden Tagen ab und zu konfrontiert sehen.
Wie dem auch sei, das Ritual ist jedenfalls im Gange und während sich meine erste Schachtel Zigaretten bereits dem Ende neigt, ist sein Nikotinkonsum noch einem normalen Maß und auch als ich beginne, die ewig ausgelutschten und tausendmal breitgetretenen Gesprächsthemen hervorzuholen, die sich ab einem gewissen Promillewert stets so unwiderstehlich aufdrängen, bin ich anfangs noch der eindeutig dominierende Gesprächspartner.
Es werden weiter Flaschen aufgefahren, der Rauch wird dichter, die Gespräche kommen weiter in Gang, werden interessanter, philosophischer, poetischer, bis sie schließlich in einem einzigen betrunkenen Geschwafel kulminieren, durch das wir schon so oft gegangen sind und das einfach niemals seinen Reiz zu verlieren scheint. Die Gesellschaft ist scheiße, Arbeiten fürn Arsch, gute Musik selten, ich glaub, ich find niemals ne Freundin, was wurde eigentlich aus dem und dem und hab ich dir das überhaupt schon mal erzählt?
Irgendwann bezahlen wir unsere Zeche, stolpern die Treppe hinunter und landen auf der Straße. Keiner von uns hat auch nur die leiseste Idee, wie spät es sein könnte, und es interessiert uns auch nicht im Geringsten. Wir stürzen ziellos vorwärts, ich stimme wahllos irgendein Lied an, in welches er sofort lallend einfällt und mit mir eine experimentelle Improvisation an Takt und Rhythmus zum Besten gibt.
Ich habe keine Ahnung, ob er die drei Bier noch eingeholt hat oder nicht, aber manchmal kommt es halt auch gar nicht so sehr auf die Menge des Alkohols an, sondern eher auf die Gesellschaft, in der man ihn konsumiert.