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Drei Freunde

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23.07.2001
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Drei Freunde

Drei Freunde

Es war einer dieser schönen, wolkenlosen Nachmittage im frühen Juni. Die Sonne hatte schon Kraft und ein leichter, warmer Windhauch brachte Hoffnung auf den kommenden Sommer.
Sie saßen auf der kleinen Terrasse des Straßencafés in der Innenstadt, einige Stufen über der nur wenig befahrenen Straße, nahe der Fußgängerzone.
Karl und Jan hatten Constantin gegenüber Platz genommen und beobachteten, wie er konzentriert und mit ernster Miene in seinem dicken Geschäftskalender blätterte, hin und wieder Eintragungen machte und Werte verglich.
Seine schwarzen Haare waren streng gescheitelt und die Sonnenstrahlen zeichneten glänzende Strähnen darauf.
Trotz der Wärme trug er einen dunklen Anzug, der ihm die Aura eines erfolgreichen Geschäftsmannes verlieh. Das weiße Hemd strahlte und eine rote Seidenkrawatte schimmerte matt im Sonnenlicht.
Der Kontrast zu Karl konnte kaum größer sein. Dessen kurzgeschorener Schädel hatte wohl einmal Autorität ausgestrahlt, doch nicht an diesem Tag, dazu war sein Blick zu schwermütig. Der Stoff seines grauen und verschlissenen Militäranzuges hing ihm am Körper wie eine blasse, faltige Haut.
Ebenso Jans schmutziger Overall, dessen ausgefranste Risse wie schorfe Wunden wirkten. Seine blonden Haare waren zottelig und eine Strähne hing ihm über der Stirn.
Sie sprachen nicht. Sie saßen einfach nur da und sahen zu, wie Constantin seine Notizen machte.
Nach einer Weile lehnte er sich zurück und nickte kaum merklich.
Mit feinen, gelassenen Bewegungen schraubte er die Kappe auf den Federhalter und schob ihn in eine Innentasche seiner Jacke.
Ein leichter Windzug wirbelte die Buchseiten auf. Constantin erhob sich, nahm den Kalender, schaute kurz wieder hinein, als wolle er sich vergewissern, lächelte schwach und raunte: „Das war’s.“
Ohne ein weiteres Wort verließ er die Terrasse und stieg die Stufen hinunter zu dem breiten Gehweg.
Karl und Jan tauschten nachdenkliche Blicke.
„Erinnerst du dich noch daran, wie er früher war?“ Jan wandte sich um und sah gerade noch, wie Constantin nebenan in dem kleinen Zeitschriftenladen verschwand.
„Ja, sehr gut sogar.“ Karl nickte nachdenklich. „Damals sind wir drei zusammen um die Häuser gezogen.“ Sein Blick hatte etwas Melancholisches. „Und er hat die Mädels klar gemacht.
Auch für mich.“
„Für mich auch.“ Jans Stimme war leiser geworden, er sprach fast zu sich selbst und es war nicht sicher, ob Karl ihn verstand.
Eine Kellnerin kam, räumte Constantins leere Kaffeetasse vom Tisch und wischte mit einem feuchten Tuch über die Platte. Dann schaute sie zum blauen Himmel hinauf, lächelte und verschwand, leise ein Lied summend, wieder in Lokal.
„Wann hatte das aufgehört?“
„Ich weiß nicht genau. Es ist wohl einfach so passiert,“ sagte Jan. „Nachdem Conny und ich geheiratet hatten, waren da zunächst noch unsere Skatabende und irgendwann ist er nicht mehr gekommen, bis …“ Jan schluckte. „... bis Jahre später meine Werkstatt nicht mehr lief und man uns das Haus wegnahm. Er hatte es für einen Spottpreis bekommen.“
Constantin verließ den Laden mit einer zusammengerollten Zeitung und trat an seinen Wagen, ein großes, schwarzes Cabriolet, das in der Sonne glänzte wie frische Kohle. Das Dach war offen und die Sonne ließ die Armaturen blitzen.
„Mit mir wollte er zur Armee.“ Karl spielte gedankenversunken an einem Rangabzeichen, das an seinem Ärmel hing.
„Er hatte mich überredet und wir haben uns dann gemeinsam gemeldet. Als es wirklich losging, stand ich alleine da.“
Constantin öffnete den Kofferraum und beugte sich hinein.
„Es ist seltsam, aber trotzdem fehlt mir unsere gemeinsame Zeit.“ Karl sah Jan an, als wolle er um Verständnis bitten. Jan schaute zur Straße, wo Constantin noch immer an seinem Kofferraum stand. Der Wind hatte aufgefrischt. Am Himmel schob sich eine kleine Wolke vor die Sonne und tauchte Constantin in einen weichen Schatten.
„Ja, mir fehlt da auch etwas und wir sollten das ändern.“ Jans Blick wurde härter und Karl nickte entschlossen.
Sie hörten nicht, wie Constantin den Kofferraum schloss. Er trat auf die Straße, öffnete die Fahrertür …
Jan nickte ganz leicht in Constantins Richtung.
… Und dann quietschten Reifen, ein Motor brüllte auf, ein Knall schlug mit aller Gewalt zwischen die Häuserfronten, wurde als vielfaches Echo zurückgeworfen und mischte sich in das helle Wimmern und Schlagen von zerreißendem Blech.
Stille.
Rufe und Schreie der Passanten wurden laut. Sie umringten den LKW und das Wrack des schwarzen Cabrios. Die Menge der Neugierigen und Helfer wurde dichter. Bald durchdrangen Sirenen das Geschrei. Blaulicht zuckte über die Wände der Häuser.
… Und dann … dann stand da Constantin, abseits, verwirrt, unbeachtet von den Menschen. Die Sonne schob einige Wolkenfetzen beiseite und ließ seine graue Gestalt fast silbern erscheinen.
Karl und Jan traten näher an die Treppe.
Jans Blick war ernst und doch offen, als stimme er mit dem Schicksal überein.
„Wir sollten ihn begrüßen.“
Karl nickte kaum merklich. Eine Amsel flog durch seine Schulter und setzte sich auf die Lehne eines Stuhles.
Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinunter.

7 Min.

 

Hi Susi,
ha, ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk!! 
Entschuldige bitte, dass ich mich erst spät melde aber … so ist das halt bei alten Menschen. ;)
Ok., dann hast du mir ja mal wieder was zum arbeiten gegeben. Die Geschichte kann ja nur besser werden und wenn ich unterhalten konnte, dann habe ich mein Ziel erreicht!
*** Sicher reicht es noch nicht zum Literaturnobelpreis ***
ups … das ist jetzt bitter! ;)
Danke und alles Liebe für dich
Manfred

 

Hallo Manfred,

ich musste die Geschichte auch zweimal bzw. zunächst die Kritiken der anderen lesen, bevor ich sie verstanden hatte, aber das liegt einfach daran, dass ich sie am Bildschirm anstatt auf Papier las; bei letzterem lese ich in der Regel mit mehr Konzentration. Nachdem sich mir die Pointe erschlossen hatte, las ich die Story noch mal, dann mit anderen Augen, und das lohnte sich, denn so entdeckt man Hinweise und Andeutungen auf das Ende, die einem bisher verborgen geblieben sind. Meines Erachtens genügen diese Hinweise auch. Es ist immer eine Gratwanderung, zu entscheiden, welche Hinweise man dem Leser an welcher Stelle gibt, da das Ende weder zu vorhersehbar noch aus heiterem Himmel kommen soll, hier passt es meiner Meinung nach sehr gut.

Die mehrfachen Wetterbeschreibungen fielen mir nicht negativ auf, dafür die Personenbeschreibungen, diese jedoch positiv. Zunächst verwirrten mich die unterschiedlich gekleideten Protagonisten, aber das klärt sich spätestens ja am Ende. ;) Ich konnte mir alles gut vor Augen führen, die Länge passt, der Inhalt verläuft angenehm wie ein Film, das Ende rundet die Geschichte ab.

Die Idee mag nicht neu sein, aber das störte mich nicht. Vollkommen neue Ideen gibt es selten, und wenn, dann heißt das noch lange nicht, dass die auch gut sind. Aber man kann das Rad ja schließlich nicht neu erfinden. ;)

Der Inhalt verläuft ruhig und ausgeglichen; kann er auch. Passt hier. Ebenso der Titel: Einfach und schlicht beschreibt er das Wesentliche, ohne am Anfang zu viel vorwegzunehmen.

Insgesamt hat mich die Kurzgeschichte sehr gut unterhalten, eine Story, wie ich sie gerne lese, auch sprachlich sehr angenehm und mit treffener Wortwahl. Sonderlich herausragend ist sie zwar nicht, aber doch weit besser als der Durchschnitt, sie kann sich auf alle Fälle sehen lassen. Weiter so! :thumbsup:

Viele Grüße
Michael

 
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Hallo Häferl,
ich melde mich noch mal, weil ich erst jetzt dazu gekommen bin deine Vorschläge einzuarbeiten.
Nochmal vielen Dank für deine sehr ausführliche und hilfreiche Kritik!!!
L.G. Manfred

Hallo Michael,
auch du hast ja ausführlich beschrieben wie die Geschichte bei dir angekommen ist und im Wesentlichen ähnelt deine Sicht der von Häferl.
... und das finde ich gut!!! ;-)
Es ist tatsächlich eine Gradwanderung zu entscheiden, wie deutlich die Hinweise werden sollen. Man muss sich entscheiden zwischen „Mir war schon bald klar was passiert ...“ und „Ich musste die Geschichte zweimal lesen.“ Letzteres ist mir dann lieber, wenn der Leser es für wert erachtet, es tatsächlich zu tun. Tja, und das war es wohl. ;-)
Ich habe den Eindruck, dass Häferl und du die Geschichte genau so betrachten, wie ich es beabsichtigt hatte: Sie soll ruhig daher kommen, mit ein Bisschen Melancholik aber nicht richtig traurig. Man sollte am Ende das Gefühl haben: Jetzt ist es gut so.
Ich merke gerade, dass ich mich selber lobe. ... soll man ja nicht! ;-)
*** Sonderlich herausragend ist sie zwar nicht, aber doch weit besser als der Durchschnitt, sie kann sich auf alle Fälle sehen lassen. ***
Na, damit bin ich zufrieden!
Danke für die Kritik und viele Grüße
Manfred

 

Hallo Dreimeier,
mich hat deine Geschichte ungeheuer angesprochen. Ich hatte anfangs sekundenlang eine Szene des Films "The Sixth Sense" im Kopf, und zwar die, in der Dr. Malcolm Crowe mit seiner Frau anlässlich des Hochzeitstages in einem Restaurant saß.... diesen Gedanen verscheuchte ich, denn da ahnte ich bewusst noch nicht, auf was deine Geschichte hinauslaufen würde. Interessanter Weise war da aber scheinbar irgendwas in deinem Text, was mein Unterbewusstsein ansprach. Kannst du mir folgen?

Alles in allem ist es eine Geschichte, die ich sehr gern gelesen habe, der Schluss hat mich überrascht, ich hatte bewusst keine Hinweise gefunden, die das Ende schon vorher angedeutet haben.

 

Hallo barkai,
*** Kannst du mir folgen? ***
Ich hoffe. :-)
Die Parallelen zu "The Sixth Sense" hatte ich beim schreiben nicht bewusst im Blick. Erst beim Kontrolllesen kam mir der Film in den Kopf.
Ich finde es aber megatoll, dass dir die Geschichte gefallen hat und sogar gerade diese Parallele kam!
Danke und liebe Grüße
Manfred

 

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