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Drei gelbe Taxis

oso

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15.04.2005
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Drei gelbe Taxis

Ich muss zum Flughafen. Schnell. In genau 43 Minuten geht mein Flieger nach Boston. Verdammt, es ist noch ein gutes Stück.
„Geben Sie bitte Gas“, sage ich ruhig zum Taxifahrer. Ruhig? Lächerlich.

Ich sitze im Yellow Cab hinten rechts und kann im mittleren Rückspiegel das Gesicht des Fahrers sehen. Ich meine sein inneres verächtliches Schnauben zu hören und merke wie er eine halbe Sekunde beschleunigt um dann wieder in sein gewohntes 30-mph-Highway-Dasein zu verfallen.

Ich beobachte ihn weiter im Spiegel. Plötzlich hebt er eine Braue, zeigt minimale Reaktion. Belustigung. Erregung? Offenbar hat er Anweisungen über sein Head-Set erhalten. Er wechselt von der rechten auf die mittlere Spur. Unbehagen.

Kurz danach bemerke ich spät ein anderes gelbes Taxi rechts neben uns vorbeiziehen. Es fährt schnell, bremst aber dann brüsk ab und hält fünf Meter vor uns exakt unsere Geschwindigkeit. In meiner wachsenden unsicheren Ahnung drehe ich mich um und sehe ein drittes gelbes Taxi auf der rechten Spur heranbrausen. Mein Kopf bewegt sich synchron mit dem sich nähernden Fahrzeug, bis es parallel neben unserem fährt. In einem Meter Abstand. In fünf Meter Abstand zu dem Wagen davor.

Drei gelbe Taxis. Ein sich bewegendes Dreieck. 30 Meilen pro Stunde. Nicht schnell, aber nicht langsam. Ein Highway. Kein anderes Auto weit und breit.
Ich kann meine Augen nicht vom Taxi neben uns lassen. Ich merke, dass ich schwitze.

„Sie müssen umsteigen“, reißt mich mein Taxifahrer jäh aus allen Überlegungen, dies sei ein Test oder ein Spiel und dies könne jedem, nur nicht mir passieren.
Ich reiße den Kopf herum, starre in den Rückspiegel: Ich sehe äußerlich Pflichtbewusstsein – innerlich Grinsen.

„Umstei...“, dringt es undeutlich aus mir heraus. Ich drehe meinen Kopf langsam nach rechts, versuche das Gesicht des Fahrers neben mir zu erkennen. Nein. Ich sehe nur seinen Hinterkopf. Stur geradeaus. 30 mph. Fünf Meter hinter Gelb. Ein Meter neben Gelb. 30 mph.

Ich kenne meine Pflichten. Ich blicke an mir herunter. Saubere Schuhe. Stoffhose. Weißes Hemd mit rostfarbener Krawatte. Elegantes, dunkles Sakko. Selbstbewusstsein?

Ich drehe meinen Oberkörper und ertaste den Türgriff mit meiner linken Hand. 30 mph.

Ich ziehe den Griff, drücke. Ein Spalt. Fahrtwind drückt - ich drücke fester.

Ich stemme die Tür mit Hilfe der Schulter auf und verlagere mein Gewicht weiter nach außen. Ein Meter ist nicht viel. Bei Stillstand.

Meine Fingerspitzen tasten in Richtung Türgriff des Gelben neben uns. „Ein Stückchen vor“ brülle ich meinem Fahrer gegen den offenen Fahrtwind zu. Er gehorcht und ich erahne sein freudig gespanntes Gesicht, das ich nicht sehen kann, weil mein Gesicht gestrichelte Linien knapp über dem Highway wahrnimmt. 30 mph.

Durch die gewonnenen Zentimeter erreiche ich den Griff und die benachbarte Hintertür lässt sich öffnen. Ich lehne mit der Schulter an der eigenen Tür und zerre mit aller Kraft am Griff der Tür des Taxis neben uns. Ich ergreife mit der Rechten meinen Aktenkoffer. Geschäfte in Boston.

Die drei gelben Autos fahren im Einklang. Ich bin die Disharmonie.
Ich stehe mittlerweile mit beiden Füßen auf der Ausstiegsleiste meines Taxis. Den linken Arm ausgestreckt, die linke Hand drückt die Tür des daneben fahrenden Taxis gegen den Wind auf.

Mein rechtes Bein macht einen entschlossenen Schritt nach vorne. Ich sehe staunend zu.

 

Hallo Oso,

herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Zu deinem Einstandswerk: Ich weiß nicht so recht, was ich von deiner Geschichte halten soll. Seltsam ist sie, das ja. Aber im Grunde genommen schon so seltsam, dass ich nicht richtig etwas damit anfangen kann.

Dein Prot. muss also dringend zum Flughafen. Er nimmt sich für die Fahrt dorthin ein Taxi und ist angenervt, weil der Fahrer zu langsam fährt. Irgendwann verschwinden alle anderen Autos - nur noch drei Taxis sind auf der Straße - und dein Prot. soll während der Fahrt umsteigen.

Für mich stellt sich da natürlich die Frage, was dieses Umsteigen bzw. das Auftauchen der Taxis für eine Bedeutung hat.

Sprachlich hast du die Geschichte soweit ganz gut umgesetzt. Die vielen Absätze haben ein wenig meinen Lesefluss gestört. Vielleicht kannst du ein paar rausnehmen?

LG
Bella

 

Hallo Bella,

herzlichen Dank für deine Begrüßung und deine Kritik.

Ich weiß nicht so recht, was ich von deiner Geschichte halten soll. Seltsam ist sie, das ja. Aber im Grunde genommen schon so seltsam, dass ich nicht richtig etwas damit anfangen kann.
Kann ich verstehen. Mir geht es bei der Geschichte weniger um die Handlung als vielmehr um das Bild. Ich hatte beim Schreiben das (statische) Bild vor Augen, das am Ende der Geschichte "gezeichnet" ist. Das surreale Bild eines Geschäftsmanns, der dringend von einem fahrenden Taxi in ein anderes umsteigen will oder muss. Das dritte Taxi ist schmückendes Beiwerk.

Für mich stellt sich da natürlich die Frage, was dieses Umsteigen bzw. das Auftauchen der Taxis für eine Bedeutung hat.
Für das Bild spielt es keine Rolle, warum der Prot umsteigt und warum es genau drei Taxis sind. Es gefällt einem oder es gefällt einem nicht.

Tatsächlich beschreibt die Geschichte, wie der Prot (stellvertretend für uns alle) gesellschaftlichen Zwängen unterliegt, die er nicht versteht, nicht mag und die ggf. sogar gefährlich für ihn sind, die er aber (selbst erstaunt darüber) gedanken- und bedenkenlos mitmacht.

Ich hoffe, die Geschichte wird so ein bißchen verständlicher, wenngleich mir klar ist, dass derartige Geschichten nur polarisieren können.

Sprachlich hast du die Geschichte soweit ganz gut umgesetzt. Die vielen Absätze haben ein wenig meinen Lesefluss gestört. Vielleicht kannst du ein paar rausnehmen?
Über die Absätze gucke ich noch mal drüber.
"Soweit ganz gut umgesetzt" ist sicher keine Traumeinschätzung, trotzdem freue ich mich darüber. Macht Lust, besser zu werden.

Gruß

oso

 

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