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Drei Jahre

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14.09.2008
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Drei Jahre

>>Was auch immer kommen mag, ich bin bereit.<<
Diesen Gedanken hatte Jonas immer und immer wieder. Er fühlte sich bestärkt durch den Zuspruch und die Hilfe, die man ihm bot. Die letzten drei Jahre waren die Hölle für ihn gewesen.

Das hatte man über mich geschrieben, kurz bevor ich…. nun ja… bevor ich es tat. Seltsamerweise muss ich über die Ironie schmunzeln.
Heute, am 17. April 1994, bin ich 21 Jahre alt geworden. Dieses Alter erscheint mir irgendwie utopisch, denn wie in der Beschreibung hatte ich üble drei Jahre hinter mir, von denen ich das meiste verdrängt habe. Am 4. März des Jahres 1991 waren meine Eltern gestorben. Sie waren auf der Autobahn und auf dem Weg nach Hause gewesen, als ein LKW, der Holzstämme geladen hatte, die Kontrolle verlor, ins Schlenkern geriet, umfiel und seine gesamte Fracht auf der Autobahn verteilte. Wie es das Schicksal wollte, waren meine Eltern die einzigen, die in dem folgenden Unfall ums Leben kamen. Das Schicksal. Mittlerweile glaube ich daran, denn es muss ja irgendetwas schuld sein daran, dass die letzten drei Jahre so heftig gewesen waren.
Nun, zu dem Zeitpunkt war ich, Adam Riese Eva Zwerg, 17 und gerade im Begriff, 18 zu werden. Aber ich war noch nicht volljährig, was dazu führte, dass ich in einem Waisenhaus eingeliefert wurde. Mir wurde keine Zeit zum Trauern gelassen und ich spürte, wie sich der Schmerz in meine Seele fraß, wartend, gespannt, hervorzubrechen und mich zu übermannen. Die Zeit des Terrors begann. Man glaubt gar nicht, wie Waisenkinder sich verhalten, wenn sie nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Und dass sie nicht genug bekommen, steht außer Frage. Unser Staat kümmert sich doch einen Scheiß um die Bedürftigen. Dieser Satz stammt nicht von mir, nein, er stammt von Frau Engels, meiner Betreuerin. Ich mochte sie nicht. Sie war rüde in der Sprache und ungeschickt in der Tat. Was auch immer sie in Angriff nahm, das erledigte sie, als ob es das Schlimmste und Widerwärtigste der Welt sei.
Wie auch immer. Ich war nun also in diesem Terroristenheim gefangen. Ausgang hatte ich bis 20:00 Uhr. Aber davon nahm ich nichts in Anspruch, denn ich musste rund um die Uhr meine Sachen bewachen. Als Neuer bist du der Sündenbock. Ich habe den Vor-Neuen letztens gesehen. Er sah müde aus, ausgelaugt und heruntergekommen. Doch als er mich erblickte, sah ich einen Blick geteilt in Mitleid und Freude. Er rief >>Du bist arm dran, aber du löst mich ab. Ich danke dir.<< Dieser Dank hat mir nicht gefallen.
Und dann begann es. Mein Geld war weg. Ich hatte 20 Mark in meiner Geldbörse gehabt. Eine wutschnaubende Aufforderung an alle, dieses Geld zurückzugeben blieb wirkungslos. Wer hätte das gedacht? Am nächsten Tag war meine Zahnpasta-Tube leer. Ich musste die Betreuerin um eine neue bitten. Sie gab mir eine Zahnpasta, die schmeckte, als sei sie Exkret eines Mischlingstieres zwischen Schaf, Hund und Mensch. Ich musste mich übergeben.
Nächster Tag. Ich war beim Erwachen an mein Bett gefesselt. Wie hatten sie es geschafft, mich nicht zu wecken? Ich drehte meinen Kopf und sah ein Fläschchen mit der Aufschrift „Flunisulf“ und darunter war als Wirkstoff Flunitrazepam angegeben. Ich wusste, dass es K.O.-Tropfen waren. In Unglauben schüttelte ich den Kopf. Jemand bemerkte, dass ich nun wach war und kam auf mich zu. Es war der dicke Benni. Er war einer der fiesesten unserer „Gemeinschaft“. >>Rufe nach Hilfe und du wirst sterben.<< Ich hatte keinen Zweifel, dass das wahr war. Und trotz meiner miserablen Lage wollte ich doch gerne leben. Ich schaute ihm in die Augen. Sie glitzerten bösartig und hasserfüllt. Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten >>Was hab’ ich dir getan? Warum hasst du mich?<<
>>Ich hasse Neues.<< antwortete er. Ich machte mir Gedanken darüber, warum er „Neues“ und nicht „Neue“ gesagt hatte. Womöglich hatte er sich versprochen. Aber vielleicht – mein Gedanke wurde abgebrochen durch einen Schmerz in meiner Bauchgegend. Benni hatte mir mit der Faust in den Magen geboxt. Ich stöhnte auf. Ein zweiter und ein dritter Schlag folgten, und jedes Mal trafen mich Wellen von Schmerz, gefolgt von sauerer Übelkeit. >>Hör auf damit!<< schrie ich ihm entgegen. >>Fehler<< sagte er nur und schlug mit voller Kraft zwischen meine Beine. Ich hatte noch nie solche Schmerzen gefühlt. Glühende Drähte schienen von meinen Hoden in meine Bauchdecke zu fahren. Diese Drähte versprühten neben unerträglicher Hitze zeitgleich ätzende Säure und spitze Nadeln, die sich durch alles fraßen, weißglühend und rotblitzend. Dann war es vorüber, denn ein weiterer Schlag, diesmal gegen meinen Kopf, brachte mich um mein Bewusstsein.
Ich wachte auf und hatte Kopfschmerzen. Ich setzte mich auf und bemerkte neben der Übelkeit, die aufstieg und der seltsamen Taubheit zwischen meinen Beinen, auch, dass ich nicht mehr gefesselt war. Ich stand so schnell wie möglich auf und rannte zum Klo. Ich musste mich übergeben.
Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es Abend war. Keiner war auf den Zimmern, also war es Zeit für das Abendessen. Wer zu spät zum Abendessen kommt, bekommt nichts mehr.
Ich ging zurück auf die Toilette. Ich musste mich schon wieder übergeben.
Wie konnte ich mich wehren? Gar nicht. Ich hatte Hunger.
Ich war Gott dankbar. Denn der nächste Tag war zwar wieder ein Tag der Verachtung – warum nur? – aber ein Tag ohne Gewalt und Angriffe.
Ich schlief die Nacht durch. Am nächsten Morgen wachte ich auf und war nackt. Diese K.O.-Tropfen hatten mich wohl wieder stillgehalten. Ich sah an mir herunter und entdeckte überall weiße, verklebte Flecken. Ich ekelte mich. Ich sprang auf, rannte in die Dusche. Ich schraubte am Hahn, kein Wasser kam. Ich wandte mich zum Waschbecken, auch kein Wasser. Ich ging zum Klo und übergab mich. Mein Bauch fühlte sich schon sehr seltsam an.
Ich ging zu meinem Schrank und öffnete ihn. Ich zog ein Handtuch heraus und rubbelte mich ab. Danach war meine ganze Haut wund und rot, aber das ekelhafte „Zeug“ war weg. Ich zog mich an und ging hinaus.
Der Tag wurde begleitet von fiesen Grimassen und wissenden Lachern.
Ich aß am Mittag, soviel ich konnte. Am Abend verzichtete ich auf das Abendessen, gab vor, zu schlafen. Als alle aus dem Zimmer waren stand ich auf, fing an, die Sachen der anderen zu durchsuchen. Ich hatte nur ein Ziel, die K.O.-Tropfen. Ich suchte und suchte, aber fand sie nicht. Sollte ich es der Betreuerin melden? Ich musste es tun.
>>Jonas, du bist verrückt. Wie sollte einer der Jungs auch nur an K.O.-Tropfen kommen? Ganz zu schweigen davon, dass niemand es wagen würde, sie anzuwenden. Geh ins Bett und verbreite nicht solche Lügen.<< sagte Frau Engels. Damit war die Angelegenheit erledigt.
Ich schlief ein. Ich habe die Vermutung, je stärker du versuchst, wach zu bleiben, desto eher schläfst du ein. Am nächsten Morgen war ich angezogen, sauber und unversehrt. Die Jungs waren schon zum Frühstück gegangen. Ich öffnete meinen Schrank, wollte mich anziehen. Keine Sachen. Wo waren meine Klamotten? Ich öffnete die Schränke der anderen. Sie waren alle voll.
>>Schnüffelst du?<< hatte Benni gefragt. Er hatte mich genau in dem Moment erwischt, als ich seinen Schrank geöffnet hatte.
>>Nein.. ich..<< weiter kam ich nicht. Als nächstes wachte ich in einem Bett auf, meine Nase fühlte sich an, als wäre sie zehnmal größer als sonst. Sie sah übrigens auch nicht besser aus. Benni bekam keine Strafe. Es war sein Recht, sein Eigentum zu verteidigen.
Wie sollte ich das nur überstehen? Sollte ich abhauen? Aber wohin? Ich hatte keine Freunde mehr. Ich glaube, ich hatte nie wirklich welche, denn sie haben sich von mir abgewandt, als meine Eltern starben. Sie sagen, es sei meine Schuld. Sie waren nämlich auf einer Klassenkonferenz in der Schule, da ich mich daneben benommen hatte. Auf dem Rückweg dann der Unfall. Bin ich schuld? Ich glaube schon. Ich kann nicht trauern, habe keine Zeit.
Ich schaute mich um. Ich lag in meinem Zimmer, in meinem Pyjama. Er war voller Blut aus meiner Nase. Er würde gewaschen werden müssen. Aber ich hatte keinen anderen mehr. Es war vorher alles in meinem Schrank gewesen. Ich erhob mich, betastet meine Nase und schrie auf, sobald ich sie berührte. Ich ging zum Schrank, öffnete ihn. Darin waren Klamotten, aber nicht meine. Da waren Kleider. Mit Blümchen.
Benni kam rein. >>Gefallen dir deine neuen Sachen? Passen zu deiner hübschen, bunten Nase.<< lachte und ging wieder. Ich spürte Wut in mir, aber sie verflog gleich wieder. Wie seltsam sich das angefühlt hatte.
Ich drehte mich um und legte mich in mein Bett. Ich schlief ein.
Ich wachte auf. Ich war mal wieder gefesselt, aber diesmal auch geknebelt.
>>Du glaubst doch nicht, dass ein einfacher Schlag die einzige Strafe für Schnüffelei ist.<<
Diesmal sprach Tobi, Bennis bester Freund. Er war genauso dick. Ich wand mich, doch es half nichts.
>>Wünsch dir schon mal jetzt, nie geboren worden zu sein.<<
Sie zogen meine Hose herunter. Ich lag entblößt vor ihnen. Benni trat an mich heran. Er ließ seinen Blick abschätzig von meinem Gesicht, über mein Pyjamaoberteil gleiten und kam an meinem nackten Penis zum Halten.
>>Na na na, was haben wir denn da? Schon doof, wenn man Gleitmittel mit Kleber verwechselt, nicht wahr?<< raunte er boshaft. Er fasste mich an. Ich schrie in meinen Knebel, doch er erstickte alles. Ich wand mich, doch die Fesseln hielten. Zudem hielt mich Tobi auch noch fest. Benni zog meine Vorhaut zurück und holte eine Tube aus seiner Tasche, mit einem gelben Aufkleber. Er hielt meinen Penis fest in der Hand und drückte die klare Flüssigkeit aus der Tube, verteilte sie mit dem Tubenkopf auf meiner Eichel. Dann ließ er die Vorhaut wieder darüber gleiten. Er klopfte kurz sachte auf mein bestes Stück, wie wenn man jemanden zum Abschied auf die Schulter klopft, zog meine Hose wieder hoch und verpasste mir K.O.-Tropfen.
Ich wachte auf. Sofort griff ich in die Hose. Mein Penis war total verklebt. Ich sprang auf und rannte zur Betreuerin.
>>Die Jungs haben mir schon berichtet, dass du unflätige Dinge mit Abnormitäten wie Gleitmittel tust. Selbst dran Schuld, wenn dir damit ein Malheure passiert. Ach, schon gut, ich ruf den Notarzt.<<
Der Notarzt kam und fragte nicht, wie das passiert sei. Wahrscheinlich hatte ihm die Betreuerin schon alles erzählt.
Der Arzt tunkte meinen Penis in irgendeine Flüssigkeit und sagte, ich sollte ihn eine halbe Stunde darin lassen. Das tat ich und der Kleber löste sich. Ich war erleichtert. Aber von was? Ich hatte keine Angst gehabt.
Ich ging aufs Klo. Ich übergab mich.
Ich wachte auf, nicht normal, sondern geweckt durch einen Schlag in meine Magengrube. Ich krümmte mich vor Schmerzen, ehe ich die Augen öffnete und das einzige Photo meiner Eltern sah, das ich hatte. Benni hielt es mir vor die Augen. >>Sind das die Menschen, die du umgebracht hast?<< Ich antwortete nicht. Ich versuchte, das Photo zu schnappen. Meine Arme waren gefesselt. Benni holte ein Feuerzeug aus der Tasche und hielt es mir vor die Augen.
>>Sag, dass ich dein Gott bin und du alles tust, was ich dir befehle.<< Mein Mund blieb geschlossen.
Bevor die K.O.-Tropfen wirkten, sah ich noch die schwelende Asche des Photos auf dem Boden.
Ich wachte auf. Mein Kopf fühlte sich leer an. Ich ging auf die Toilette. Ich übergab mich. Dann ging ich in Pyjama zum Frühstück. Die Betreuerin ließ mich nicht rein. Meine Kleidung war zu dreckig. Ich kehrte um, ging auf mein Zimmer. Es war leer. Alle waren beim Frühstück.
Ich ging wieder aus dem Zimmer, hinunter zur Küche. Alle waren beschäftigt, keiner bemerkte, dass ich da war. Ich nahm mir ein Küchenmesser und ging zurück auf mein Zimmer.
Ich legte das Messer unter mein Kissen. Ich wusste nicht, warum, aber es lag jetzt halt da. Benni kam und mit ihm Tobi. Er schaute mich kurz an, tat desinteressiert und sagte nichts. Er ging an seinen Schrank und nestelte dort kurz herum. Ich sah nicht, was er tat. Dann schloss er wieder die Tür und hatte wieder die Tropfen in der Hand.
>>Kennst du ja mittlerweile.<< sagte er.
>>Kennst du noch nicht.<< sagte ich und ging mit dem Messer, das ich unterm Kissen hervorgeholt hatte, auf ihn los. Die Klinge stach wie von selbst in seine Kehle. Tobi schrie auf und wollte auf mich losgehen. Ich zog das Messer aus Bennis Hals und hielt es vor mich. Tobi rannte ins Messer. Es traf ihn genau in der Mitte der Brust.
Der Schrei hatte Frau Engels herbeigelockt. Sie schrie ebenfalls, als sie es sah. Ich blickte mich um. Da lagen Benni und Tobi und bluteten. Ich sah das Messer mit dem Blut, immer noch in meiner Hand. Ich ließ es fallen. Ich ging zum Klo und übergab mich.
Die Handschellen klickten, eine Hand auf meinem Kopf drückte mich in das Polizeiauto.
Die Männer auf der Wache waren böse auf mich. Ich schaute ihnen in die Augen und sie schrieen mich an. Ich seufzte und schloss die Augen. Ich fiel vom Stuhl.
Ich wachte auf, drehte mich zur Seite und übergab mich auf den Boden. Mein Magen fühlte sich an, als sei er blutig gescheuert.
Ein Mann in grüner Uniform schaute herein. Er roch das Erbrochene und verzog das Gesicht. Er half mir auf und brachte mich in einen Raum, wo nur ein Fenster spärliches Licht hereinließ. In dem Raum standen ein Tisch, zwei Stühle und eine Lampe. Ich wartete.
Ich war müde. Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und schlief ein. Ich wachte auf, als ich die Tür ins Schloss fallen hörte.
Ein Mann in weißem Kittel kam herein. Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber und schaute mich an. Er fragte ständig Dinge wie „Wie fühlst du dich?“ „Was denkst du im Augenblick“. Ich wusste keine Antwort und schaute ihn weiter an. Er war faszinierend. Seine Augen grau, hinter einer Brille. Die Haare weiß, kurz und zur Seite gekämmt. So stellte man sich einen Onkel Doktor vor. Er hieß Leinhard, Dr. Leinhard, Kinderpsychologe. Was das wohl war? Ich wusste es einmal, hab es aber vergessen. Als ich gerade darüber nachdachte, lehnte ich mich zur Seite und übergab mich. Er sprach weiter, ungeachtet der trocknenden Kotze, die ich auf den blitzblanken Boden verteilt hatte. Ich hörte ihm zu, verstand ihn aber nicht. Er sagte, er verstünde, wie ich mich fühlte. Er sagte, er könne mir helfen. Ich wusste nicht, was er meint. Ich stand auf und ging zum Fenster. Ich hatte ihn wohl dadurch unterbrochen, denn er war sehr sauer und bugsierte mich zum Stuhl zurück. Aber ich hatte schon nach draußen blicken können und das sanfte Erwachen des Frühlings erspäht. Ich lächelte. Das gefiel dem Doktor. Also lächelte ich weiter.
Ich weiß nicht mehr, was dann passierte, aber am Punkt, an dem meine Erinnerung wieder einsetzt, war ich in einem Raum , wo lauter Menschen waren, die komisch aussahen und sich irgendwie hängen ließen. Das hatte ich mal in einem Film gesehen. Das war die Klapse. Ich war in der Klapse. Ich setzte mich hin und lächelte. Ein Mann kam und fragte, ob ich wohl sein Krokodil gesehen hatte. Ich nickte und deutete in die linke Ecke des Raumes. Er strahlte und ging dahin.
Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich habe es nicht mit Absicht getan. Das waren meine Beine gewesen, nicht ich. Sie haben mich getragen und meinen Kopf gegen die Wand geworfen. Ich hatte Kopfschmerzen. Ich war an ein Bett gefesselt. An irgendetwas erinnerte mich das, ich wusste aber nicht mehr, was.
Ein Mann in weißem Kittel kam herein und gab mir eine Spritze. Ich dankte ihm dafür, denn danach war ich im Urlaub auf Hawaii, mit ganz hohen Wellen und weißem Sand. Die schönen Frauen tanzten alle nur für mich.
Ich wachte auf. Ich war 20. Es war der 1. April. Ich war wieder in diesem Raum mit den komischen Menschen. Ich rief „Feuer“ und die Leute sprangen auf. Sie sahen sich um und waren sauer auf mich. Ich dachte nach. Wo sind die zwei Jahre hin? Ich konnte mich nicht erinnern. Ich schlief ein.
Ich wache auf und es ist der 17. April. Irgendwas ist anders. Ich kann meinen Körper fühlen, spüre, wie die Trauer, die Angst, die Wut, die Verzweiflung, die Panik, die Unentschlossenheit, das Böse mich durchflutet, schreie auf, krepiere innerlich an meiner eigenen Seele, fühle, wie sie sich wie ein Stück Papier zusammenknüllt und in Flammen aufgeht. Ich sehe lauter verrückte Menschen um mich herum und frage mich, warum ich unter ihnen bin. Ich habe heute keine Medizin bekommen. Ich habe dem Pfleger in seine verschissenen Eier getreten und er zog von dannen. Meine Injektion wurde vergessen. Sollen seine dreckigen Eier doch verrotten, von diesem nerv- und seeltötetenden Hurensohn. Ich bin eine Lokomotive, habe die Kraft von tausend Pferden. Ich nehme einen Stuhl, schlage ein Fenster ein. Bevor ein Pfleger mich daran hindern kann, habe ich es getan. Ich fliege – fliege dem Ende entgegen, der Befreiung, der Erlösung – dem Tod. Ich bin gespannt auf das Danach.

 

Hallo Nidus,

erst mal schön, dass Du bei KG.de bist.

Deine Geschichte wirkt irgendwie unfertig. Wie der Handlungsstrang, den man sich entwirft, um in etwa zu wissen, wo es mit dem Text lang gehen soll.
Die Charaktere sind sehr grobkörnig, plakativ gezeichnet. Hier der Prot, das Opfer. Dort die Welt, die durchgängig gleich böse, grausam, ungerecht ist. Gleichgültige Heimleiterinnen, brutale Mitbewohner, Freunde, die sich grundlos abwenden (was Du als Grund schilderst, klingt für mich nicht plausibel - eher macht das Kind sich selbst Vorwürfe).
Ich wünsche mir eine differenziertere Darstellung der Figuren. Im Augenblick klingt es, v.a. durch die Ich-Perspetive, sehr selbstmitleidig.

Außerdem frage ich mich, wie der Prot, der gegen Schluss eindeutig verrückt ist, so klar seine Vergangenheit reflektieren kann.

Hast Du absichtlich bei der Schilderung von Waisenhaus und Psychiatrie auf Realitätsbezug verzichtet? Ein 17-jähriger würde in einer betreuten Wohngruppe untergebracht, oder bei Freunden, Verwandten, Nachbarn. Er hat über seinen Aufenthaltsort mitzubestimmen, erst recht so kurz vor der Volljährigkeit. Auch die Psychiatrieszenen scheinen mir sehr weit hergeholt.

Und schlussendlich schläft und kotzt mir Dein Prot zu viel.

Der Text ist leichter lesbar, wenn Du wörtliche Rede mit Anführungszeichen markierst, und nicht mit Doppelpfeilen (oder wie auch immer man diese Zeichen nennen mag).

Ich hoffe, Du bekommst von dieser Kritik keine Depressionen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Viele Texe lesen sich vor mehrmaligem Überarbeiten nicht flüssig. Am besten, man lässt sie nach der Fertigstellung eine Woche liegen, und geht danach mit frischem Blick ans Feilen.

Gruß, Pardus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Nidus,

herzlich willkommen auf Kg.de!

leider finde ich Deine Geschichte zum größten Teil unglaubwürdig. Das liegt vor allem daran, dass viele dramatische Ereignisse hintereinander passieren, ohne dass die Emotionen des Prots (und die müssten doch gewaltig sein) eine große Rolle spielen. Seine andauernde und auf mich als Leser ermüdende Reaktion:

Ich musste mich übergeben.

Ich musste mich übergeben.

Ich musste mich schon wieder übergeben.

Ich ging zum Klo und übergab mich.

Ich ging auf die Toilette. Ich übergab mich.

Ich ging zum Klo und übergab mich.

Ich wachte auf, drehte mich zur Seite und übergab mich auf den Boden.

Als ich gerade darüber nachdachte, lehnte ich mich zur Seite und übergab mich.

Unverständlich finde ich außerdem den Aufbau.

>>Was auch immer kommen mag, ich bin bereit.<<
Diesen Gedanken hatte Jonas immer und immer wieder.
Woher weiß das irgendeine Pflegeperson? Und woher weiß dann Jonas, dass jemand eben dies über ihn geschrieben hat? Ich würde Dir empfehlen, das wegzulassen - dass die drei Jahre die Hölle waren, wirst Du ja anschließend zeigen, die vorherige Ankündigung finde ich unnötig.

Das hatte man über mich geschrieben, kurz bevor ich…. nun ja… bevor ich es tat.

Ich bin gespannt auf das Danach.
Habe ich das hier falsch verstanden? Ist mit "es" und "danach" ein und dasselbe gemeint?

Heute, am 17. April 1994,
Warum gibst Du hier ein genaues Datum an?

Wie es das Schicksal wollte, waren meine Eltern die einzigen, die in dem folgenden Unfall ums Leben kamen.
Welche Rolle spiel dieser Umstand für die Geschichte? Oder saß Jonas auch im Auto?

Das Schicksal. Mittlerweile glaube ich daran, denn es muss ja irgendetwas schuld sein daran, dass die letzten drei Jahre so heftig gewesen waren.
Klingt etwas unbeholfen und unschlüssig. Kannst Du das anders ausdrücken?

zu dem Zeitpunkt war ich, Adam Riese Eva Zwerg, 17
Würd' ich rausnehmen. So sprechen Mathelehrer, wenn sie vor ihrer Klasse herumscharwenzeln (ich hatte jedenfalls mal so einen) aber keiner, der gerade sein verpfuschtes Leben offenbart.

Aber ich war noch nicht volljährig, was dazu führte, dass ich in einem Waisenhaus eingeliefert wurde.
Die Erklärung wirkt umständlich, besser wäre vielleicht : Weil ich noch nicht volljährig war, wurde ich in ein Waisenhaus...
Das legt allerdings den Gedanken nahe, dass er mit 18 hätte tun und lassen könne, was er wollte - z.B. sich eine nettere Bleibe suchen. Das läge innerhalb von drei Jahren ja durchaus im Bereich des Möglichen.

Unser Staat kümmert sich doch einen Scheiß um die Bedürftigen.
Ich würde den Satz in Anführungszeichen setzen, damit klar ist, dass er gesagt wurde und nicht zu den Gedanken und Reflexionen des Prots gehört.

Am Schluss der Geschichte entspricht die Sprache eher dem, was ich von jemandem erwarten würde, der all das durchgemacht hat. Wirkt auf mich authentischer.

Ich bin gespannt auf das Danach.
Für mich passen der Zustand des Gespannt-Seins und der Wunsch zu Sterben nicht wirklich zusammen.

Viele Grüße
Ane

PS: Warum eigentlich die Rubrik "Seltsam"?

 

Hallo Nidus,

deine Geschichte wirkt auf mich wirklich wie rein erfunden und völlig unglaubwürdig. Wie Pardus schon geschrieben hat, wird in der Regel mit Siebzehnjährigen anders umgegangen, auch wenn sie Waisen sind. Das alles wirkt so, als hättest du es dir aus diversen Filmen irgendwie zusammengereimt.

Nebenbei bemerkt: Man kann einen Text in der ersten Person erzählen, ohne in fast jedem Satz "ich" zu schreiben.

Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

hmm.
Warum argumentiert ihr eigentlich immer mit der Glaubwürdigkeit? Sind Geschichten - vor allem in der Rubrik "Seltsam" - nicht auch dafür da, unglaubwürdige Sachverhalte in einen grotesken erzählerischen Mantel zu hüllen?

Ich für meinen Teil war geneigt, anzunehmen, dass man schon genug mit der Realität konfrontiert ist, als dass man sich in seiner künstlerischen Ader auch noch dazu einschränken lässt.

Viele der von euch aufgeführten Kritikpunkte sind absichtlich gesetzt. Dass mein Protagonist so oft kotzt, als Ausdruck seiner Unfähigkeit, auf geistige Weise mit seinem Unglück umzugehen. Dass so wenig Emotionen anfallen - eben aus dem gleichen Grund.
Ich wollte das Bild eines Jungen zeichnen, der völlig unfähig mit sich selbst und der Welt ist.
Was die kleinen Freiheiten bezügl. dem Entscheidungsrecht in diesem Alter u.a angeht... nunja - es hat halt in meine Idee gepasst.

Nun denn....

LG
Nidus

 

Hallo Nidus,

Warum argumentiert ihr eigentlich immer mit der Glaubwürdigkeit? Sind Geschichten - vor allem in der Rubrik "Seltsam" - nicht auch dafür da, unglaubwürdige Sachverhalte in einen grotesken erzählerischen Mantel zu hüllen?
So einfach ist das leider nicht. Auch seltsame Geschichten verfolgen eine innere Logik. Nicht den Naturgesetzen zu folgen heißt noch lange nicht, unplausibel sein.
Stell Dir vor, ein Protagonist geht in den Wald und begegnet dem Geist der Bäume. Am nächsten Morgen wächst der komplette Wald vor seiner Tür, denn der Geist der Bäume hat sich in ihn verliebt, und ist ihm gefolgt. Höchst seltsam, aber plausibel.
Warum kommt der Prot trotz seines Alters ins Waisenhaus? Du kannst Dir einen seltsamen Grund ausdenken, vielleicht, weil er paranormale Fähigkeiten hat, Wahrtrume, halluziniert und dabei neongrün anläuft. Alle haben Agst vor ihm - seltsam, aber plausibel. Oder, weil man in dieser Gesellschaft niemand unter 45 was zutraut. Dann wäre die Heimleiterin eine uralte Frau, das Durchschnittsalter der Mitbewohner läge bei 32 und die Eltern wären in Begleitung eines 62-jährigen Aufpassers Auto geahren. Seltsam, aber ebenfalls plausibel.

Im Augenblick klingt es eher nach fauler Ausrede.

Viele der von euch aufgeführten Kritikpunkte sind absichtlich gesetzt. Dass mein Protagonist so oft kotzt, als Ausdruck seiner Unfähigkeit, auf geistige Weise mit seinem Unglück umzugehen. Dass so wenig Emotionen anfallen - eben aus dem gleichen Grund.
Das kann man auch variantenreicher. Er könnte während der Beerdigung der Eltern Gameboy spielen, er könnte die Personen, die mit ihm reden, nicht ansehen, rot anlaufen, einen Erstickungsanfall mimen, ablenken, unzusammenhängendes Zeug faseln, hysterisch lachen - Du könntest das innerhalb der Geschichte langsam steigern. Zeigen, wie er seine Gefühle niederkämpft, mit welchen Methoden, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg - Gefühllosigkeit per se gibts ja nicht, nur unterdrückte Gefühle.

Was die kleinen Freiheiten bezügl. dem Entscheidungsrecht in diesem Alter u.a angeht... nunja - es hat halt in meine Idee gepasst.
Du bist doch sicher kreativ genug, für solch lächerlichen Probleme eine Lösung zu finden, oder?

Die Geshcichte hat Potential, also mach was draus!

LG, Pardus

 

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