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Drum prüfe sich
Als Susanne bei ihrem Geliebten eintraf, öffnete er sofort die Haustür. Auf klappernden Absätzen folgte sie ihm in die Küche.
»Hast du mit ihr telefoniert?«, fragte sie Peter, der sich ihr gegenüber auf einem Küchenstuhl niedergelassen hatte. Er nickte. Er sah blasser aus als sonst, fand Susanne und nicht ganz so gepflegt. Stirnrunzelnd nahm sie die wirren Haare und seine fahle Hautfarbe wahr. Gewöhnlich merkte man Peter seine dreiundfünfzig Jahre nicht an. Er hatte einen guten Friseur, der seine Haare unauffällig dunkler tönte und einen noch besseren Schneider, der mit gutsitzenden Anzügen den leichten Bauchansatz verbarg. Im Winter ging er ins Solarium und seit einem halben Jahr joggte er regelmäßig. Seit er Susanne kannte.
»Es läuft alles wie geplant«, sagte er heiser und räusperte sich. »Luisa kommt morgen gegen vier am Bahnhof an. Ich werde sie abholen, nach Hause fahren, beim Auspacken helfen. Anschließend gehen wir essen ... in ihr Lieblingsrestaurant.« Er machte eine Pause. Mit einer Handbewegung forderte Susanne ihn auf, weiterzusprechen.
»Sie wird zwei Pillen auf dem Bahnhof nehmen, im Zug wird ihr nämlich leicht übel, und zwei nach dem Essen. Ich habe alles vorbereitet. Sie wird den Unterschied nicht schmecken und ... und spätestens drei Stunden später ...«
Susanne nickte lächelnd.
»... und spätestens drei Stunden später sind all unsere Probleme gelöst. Das heißt ... danach musst du dich natürlich noch eine Weile zusammenreißen.«
»Natürlich«, erwiderte Peter sofort. Er atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Mit leiser Stimme leierte er den Rest des Plans herunter. Den Notarzt rufen, von Wiederbelebung erzählen, den weinenden Ehemann mimen. Was nicht allzu schwer werden dürfte, so nervös, wie er jetzt bereits war. Dreiunddreißig Ehejahre waren eine lange Zeit. Vor allem mit Luisa. Aber Susanne würde bei ihm sein. Nicht sofort natürlich, zuerst musste er die Trauerzeit einhalten. Luisas Beerdigung organisieren, die Testamentsvollstreckung - die ihn nicht besonders interessierte, Geld hatte er genug - abwarten.
»Wunderbar«, schloss Susanne seine Ausführungen. »Jetzt wollen wir nur hoffen, dass Luischen nicht ihren Zug verpasst und die Tabletten eher nimmt als geplant.«
»Sie heißt Luisa«, verbesserte Peter automatisch, mit einem Hauch Verärgerung in der Stimme. »Bloß weil sie uns im Weg ist, musst du dich nicht über sie lustig machen.« Er schwieg kurz. »Sie war keine schlechte Frau.«
»Nein, aber auch keine besonders gute, oder?«, sagte Susanne scharf. Sie warf die blonden Locken in den Nacken, eine Geste, die Peter immer schon an ihr bewundert hatte. Während er selber in den letzten Nächten kaum zum Schlafen gekommen war, sah Susanne so blühend aus wie immer. Nicht einmal auf den dunkelroten Nagellack hatte sie verzichtet. Verschämt starrte Peter auf seine eigenen Nägel, die er in den letzten Wochen abgebissen hatte. Er war der Mann, aber Susanne besaß den Mut. Es war auch ihre Idee gewesen ...
»Das Wichtigste ist, dass du nicht die Nerven verlierst«, unterbrach sie seine Gedanken. »Kein allzu auffälliges Gezeter, wenn sie hinüber ist. Vergiss nicht, sie ist älter als du, eine Frau über sechzig und mit Herzproblemen, da darf man sich nicht wundern, wenns passiert. Die lange Zugfahrt zu ihrem Neffen, die Hitze, der Stress ... das war eben alles ein wenig zuviel für eine Dame in ihrem Alter.«
Susanne lachte kehlig. Peter lachte mit, obwohl er die Bemerkung mit dem Alter unnötig fand. Natürlich machte das bei ihnen keinen Unterschied. Susanne hatte sich nie über seine schütteren Haare oder die Altersflecken auf seinen Händen beschwert. Dagegen liebte sie seine Erfahrung und bewunderte, wie sicher er seine Firma nach wie vor im Griff hatte. Auch wenn sie das nie so deutlich sagte.
Inzwischen war Susanne aufgestanden und ging ein wenig umher. Das Klappern ihrer Stilettos klang ungewohnt in der gemütlichen Umgebung. Luisa trug nur Hausschuhe in der Küche.
»Wir werden ein paar Wochen lang keinen Kontakt haben, vorsichtshalber. Praktischerweise fliege ich übermorgen mit einem Kollegen nach Paris, kleine Geschäftsreise. Wenn ich zurückkomme, werde ich dich anrufen, ganz offiziell natürlich ...«
»... was für ein Kollege?«, fragte Peter langsam. Susanne winkte ungeduldig ab. Sie hasste es, wenn sie unterbrochen wurde und Peter wusste das zu genau. Daher beließ er es dabei. Es war nicht die erste Geschäftsreise mit einem Kollegen. Peter spürte, dass sich sein Herzschlag beschleunigte. Welche Ironie, morgen Abend würde es Luisa genau andersrum ergehen. Mit leicht zitternden Händen griff er in die Tasche und holte die beiden Tablettendosen hervor. Sie sahen einander täuschend ähnlich, ebenso wie der Inhalt. Nur dass sich in einer davon starke Pillen gegen Herzinsuffienz befanden, lebensnotwendig für Luisa, höchst gefährlich für andere, und in der anderen harmlose Kieselerdetabletten. Beides geschmacksneutral. Alles so leicht. Mit halben Ohr lauschte er Susannes schwärmerischen Schilderungen über Paris. Sie mussten unbedingt einmal zusammen dorthin fliegen, meinte sie. Peter fand die Idee nicht schlecht. Aber es war noch zu früh, sich darauf zu freuen. Sein Blick wanderte durch die Küche. Wo würde es wohl geschehen? Würde Luisa in der Küche zusammenbrechen? Im Schlafzimmer? Oder im Garten? Im Sommer saß sie immer so gerne unter dem Kirschbaum ...
»Du hörst mir ja gar nicht zu«, sagte Susanne mit rauer Stimme. Peter riss sich zusammen und versicherte ihr, dass er nur noch einmal im Geist den ganzen Plan durchgegangen war. Susanne musterte ihn aus schmalen Augen.
»Morgen muss alles wie am Schnürchen laufen. Kein Rumgeträume mehr, alles klar?«
Alles klar. Er nickte entschlossen. Susannes Gesicht entspannte sich. In gurrendem Tonfall sprach sie von den himmlischen Zeiten, die auf sie warteten. Peter setzte ein Lächeln auf und warf ab und zu eine Bestätigung ein, während sich seine Gedanken immer wieder davonstahlen. Ein lautes Sms-Signal ließ ihn zusammenschrecken. Susanne fischte ihr Handy hervor und tippte eine Antwort.
»Firma«, murmelte sie. Peter sagte nichts. Seine Finger spielten mit den Tablettendosen, bis Susanne fertig war. Ehe sie fortfahren konnte, klingelte das Telefon in der Diele. Peter war nicht überrascht, als er Luisas Stimme hörte. Sie bestellte Grüße von ihrem Neffen. Außerdem erinnerte sie ihn daran, dass er ihr neue Tabletten besorgen musste.
»Hab ich schon«, brachte Peter hervor.
»Du denkst an alles«, sagte sie zärtlich. Stimmt, dachte Peter. Die Reise schien ihr gut getan zu haben. Das Atmen fiel ihr leichter als sonst.
»Ich bring dir eine Überraschung mit«, sagte sie beim Abschied. Peter wollte gar nicht wissen, was es war, doch schließlich verriet sie es von allein. Auf dem Markt hatte sie seine Lieblingsplätzchen gefunden und gleich drei Packungen gekauft. Die mit Ingwer.
»Niemand sonst mag Ingwer«, sagte sie und er hörte ein leises Glucksen heraus. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Ob Susanne wohl Ingwer mochte? Sie verabschiedete sich mit einem Luftkuss.
Langsam ging Peter zurück zur Küche. Kurz vor der Tür blieb er stehen. Er hörte Susannes Stimme. Ein verhaltenes Kichern, ein neckisches Lachen. Ihr Lachen in besonders guter Laune. Er verstand nur ein paar Worte. »Übermorgen«, »Flughafen«, »nachher« und zum Abschluss »Tschüssi«. Peter räusperte sich vernehmlich, bevor er eintrat. Mit Unschuldsaugen schaute Susanne ihn an. »Ein Kollege«, murmelte er nur. Sie sagte nichts von ihrem Telefonat. Wie gut wir eigentlich zusammenpassen, dachte Peter. Beide so gute Lügner.
»Herrje, schon so spät«, sagte Susanne mit übertriebener Überraschung. »Ich muss bald losfahren.« Sie schenkte ihm einen tiefen Blick. »Du wirst mir fehlen in Paris.«
Ein Glas Saft, das Peter mit dem Mixer zubereitete, nahm sie aber noch dankend an. Während sie trank, fielen ihr weder sein ernster Blick noch die leere Tablettendose auf. Peter schaute ihr stumm dabei zu. Er freute sich auf die Ingwerplätzchen morgen.