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Du bist kein Schriftsteller
"Du bist kein Schriftsteller. Jeder deiner erbärmlichen Versuche scheitert an deiner mangelnden Menschenkenntnis und deiner mickrigen Fantasie. Du bist kein Süßkind. Und auch kein Hesse. Allenfalls ein Bukowski-Abklatsch, der zu wenig echte Scheiße erlebt, um überzeugend zu wirken. In all den Jahren hast Du deinen Stil um keinen Deut verbessert. Du bist nicht mal 2. Liga. Check reality! Get a job!"
Ich wischte mir den Schlaf aus den Augen, las noch einmal und zerknüllte dann das gelbe Zettelchen mit dem klebenden Rand. Es war nicht das erste dieser Art. Wer war der Täter und was war sein Motiv? Wie schaffte er es, meine Handschrift so gut nachzuahmen?
Abgesehen von launigen Kürzestgeschichten schrieb ich schon lange nichts mehr. Es gab andere Sorgen. Auf meinen ausgedehnten Indienreisen hatte ich mir unaussprechliche Würmer zugezogen, die gegen alle bekannten Antibiotika resistent waren und sich genüsslich schmatzend durch meinen Darm fraßen. Außer Bananen, Schokolade und Butterkeksen behielt ich nichts mehr bei mir. Außerdem litt ich unter einem mysteriösen Ganzkörperschmerz, der erst kürzlich einen medizinischen Namen bekommen hat, der mir momentan leider entfallen ist. Er äußerte sich in chronisch hängenden Schultern und der Unfähigkeit, sich in einer Position länger als dreißig Sekunden wohl zu fühlen. Ich war also schon rein körperlich außerstande, etwas anderes als Kürzestgeschichten zu schreiben.
Auch Reden wurde immer schwieriger . Ich nuschelte nur noch, bekam den Mund nicht mehr auseinander. Aber damit musste man wohl rechnen, wenn man die 30 überschritten hatte. Meine Wohnungstür ging auf.
"Hab meinen Mixer vergessen", rief Sandra, meine Ex.
Ich schlüpfte in meinen schmutzigen Bademantel und schlurfte in die Küche.
Dort wühlte Sandra in der Besteckschublade. Ich sah gerade noch, wie sie meinen kultigen Korkenzieher einsackte. Ich wollte vieles auf einmal sagen, in verschiedener Lautstärke und in mehreren Tonfällen gleichzeitig. Was schlussendlich dabei herauskam, verstand noch nicht einmal ich selbst.
"Wie bitte?", fragte sie spöttisch.
Ich atmete so tief wie möglich ein und nuschelte etwas völlig anderes:
"Kannst Du meine Handschrift nachmachen?"
"Ich? Nein? Wieso?"
Sie machte ein Gesicht, das ich ihr nicht abnahm oder nicht abnehmen wollte. Aber konnte ich sie ernsthaft verdächtigen, dass sie keine Zeit und Mühen gescheut hatte, um meine Handschrift nachzuahmen, um sich dann nachts in meine Wohnung zu schleichen in der Absicht, meinen Schriftstellertraum zu zerstören? So bösartig konnte sie doch gar nicht sein. Also musste ich es gewesen sein. Obwohl ich kein Schlafwandler war, zumindest nicht dass ich es gewusst hätte, oder es mir durch irgendjemanden bezeugt worden wäre.
Als sie sich nach ihrem Mixer reckte, steckte ich das gelbe Zettelchen mit dem klebenden Rand, das ich wie ein widerwärtiges Insekt mit der Hand umschlossen hatte, in meinen Mund und biss die Zähne zusammen.
"So, jetzt müsste ich alles haben", sagte Sandra zu sich selbst und prüfte zur Sicherheit noch einmal den Kühlschrank. Ihren Kühlschrank. Ich wollte ihr eins reinwürgen, "Deine Diätbutter hab ich weggeschmissen", war das Erste was mir einfiel. Doch stattdessen musste ich würgen, der Kleberand des gelben Zettelchens setzte mir übel zu. Sandra drehte sich zu mir um und schüttelte abfällig schmunzelnd den Kopf.
"Keine Sorge, den Kühlschrank kannst Du behalten. Henning hat ´n General. Aus Edelstahl. Den hört man kaum."
Wenn ich nicht gerade am Krepieren gewesen wäre, hätte ich mich totgelacht. Ich fiel auf die Knie, versuchte mit aller Macht zu kotzen. War das der Tod, den ich verdient hatte? Ich musste an Dudek denken, den älteren Rollstuhlfahrer, der sich zu unserer Clique gesellt hatte, als wir 14 waren. Er ließ immer mal wieder einen Kasten Bier springen, dafür ließen wir ihn dabei sein. Wenn wir im Rewe auf Klautour gingen, ließ er an der Kasse immer ganz lässig eine Packung Zigaretten unter seinem Arsch verschwinden. Dann bezahlte er seine Mini-Salamis (er liebte Mini-Salamis) und wünschte der Kassiererin freundlich aber bestimmt einen schönen Tag. Er starb nicht an Lungenkrebs, sondern erstickte an einer Salami, deren Haut er nicht sorgsam genug entfernt hatte. Aber was hatte das mit mir zu tun? Er hatte diesen Tod irgendwie verdient, aber ich..
"Gehts noch?", fragte Sandra. Ich war so durch mit ihr, ich hasste sie und verwünschte jede Minute, die ich mit ihr vergeudet hatte. Dann hustete ich endlich und spie das Zettelchen aufs Laminat, ein bisschen Schleim war auch dabei. Ich wollte nicht wissen, was sie als nächstes von sich gab, also sagte ich:
"Geh, geh endlich. Und lass den Schlüssel da."
"Ja, das hab ich eh gerade vorgehabt."
An der Tür wartete das Kräftemessen. Gut, dass ich das wusste, und mich auf dem Weg dorthin bereits vorbereitet hatte.
"Tja, das war´s dann wohl", sagte Sandra und schaute mich erwartungsvoll an. Ich atmete seelenruhig aus und schwieg. Sie machte das Spielchen mit und eine Weile taxierten wir uns wie verzoffte Katzen. Sie lauerte nur darauf, dass ich das gekränktere Gesicht machen würde, sehnte nichts Anderes herbei, als mich zum Leidtragenden der Beziehung zu ernennen. Aber mir wuchsen plötzlich ungeahnte Kräfte.
"Der Schlüssel", sagte ich und räusperte mich zur Sache.
Ich bekam ihn. Ein rätselhafter Emotionscocktail quoll zwischen ihren festgefrorenen Gesichtszügen hindurch, über die sie beinahe die Kontrolle verloren hätte.
"Wie läufts mit deinem Roman?", fragte sie schon im Gehen.
"Du weißt doch, dass ich ihn beiseite gelegt habe", erwiderte ich und da das nicht das letzte Wort gewesen sein konnte, rief ich ihr noch hinterher, dass ich nur noch Bock auf Kurzgeschichten hätte, die würden mir nämlich leichter fallen.