Was ist neu

Dummverkäufer

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27.05.2005
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Dummverkäufer

(eine Analyse des Lernens)

Es ist schon eigenartig, dass man sich zuerst ein Modell oder Bild machen muss, um beschreiben zu können, was direkt vor unserer Nase geschieht. Die Realität scheint ein Meister des Versteckens, der Täuschung und der Irrationalität zu sein, wobei diese scheinbare Kunst darin besteht, dass wir selbst nicht dieses Etwas finden, dieses Bild von dem wir glauben, dass es Realität wäre.
Nur - das Leben ist anders, anders wie wir uns ausmalen: Unser Standpunkt blickt in die Runde, ist Perspektive, definiert was wir sehen, was wir wollen, immerfort neu. Doch, wie kamen wir dort hin? Ändern wir uns, oder ist es die Umwelt? Bestimmen wir sie oder formt sie uns neu?

Wilhelm Zauder ist einer von uns, aufgewachsen in unserer Welt, mit ihren Lebensanschauungen, ihren Weisheiten, Gewohnheiten und Fehlern. Er trippelt voran mit menschlichen Schritten, will Sicherheit, übt Vorsicht, ist vielleicht sogar ängstlich, dazu hat er auch Grund: seine Frau krank, den Job am Vortag verloren, und Schulden drücken sein Glück. Er ist misstrauisch gegenüber Fremden, manchmal auch stur, aber neugierig und er verteidigt seine Ideale, seine Leben, wie es jeder gute Mensch sollte. Doch Vorsicht: es ist nur ein kleiner Schritt zwischen richtig und falsch, zwischen gut oder böse - geht er diesen Schritt?

Das Munkeln der Nachbarn säuselt leise in Wilhelms Kopf und pfeift Lügen faul aus den Löchern der Zähne. Die Luft um ihn scheint abgestanden und hat einen Geschmack angenommen, der sich an diesem Morgen nur grau in die Wolken flüchtigen Strassenlärms mischt. Das Amt in der Brannberger Straße, das er am Ende der Wolken betritt, scheint ihn nicht zu bemerken. Niemand ist da, die Rezeption unbesetzt, alle Gänge entleert. Wilhelm erwacht. Es ist die Stille, die ihn weckt. Er ist hier um Arbeit zu finden, Sicherheit, Gewissheit.
„Was ist hier los?“, spricht er leise zu sich, denn niemand ist da, der es hören kann. Er blickt sich um. Vor dem Eingang machen zwei Arbeiter sich an einem Gerüst vor dem schier schlafenden Gebäude zu schaffen, doch innen: Keine Regung, Geräusch, kein Leben, ein Nichts. Niemand ist im Foyer zu finden. Wilhelm zuckt verwundert die Achseln und vertieft seinen Blick in die Übersichtstafel an der gegenüberliegenden Wand: „Arbeitsvermittlung erster Stock rechts.” Als er dieses Geschoß betreten will steht am Eingang nur schlicht: „Zukunftsvermittlung”. 'Eigenartig', denkt er, und da niemand zu sehen, klopft er einfach bei der ersten Tür zur Rechten an.

„Herein!“
„Entschuldigen sie, ich suche die Arbeitsvermittlung. Können sie mir sagen, wo ich sie finde?“
Ein Mann blättert zerstreut in seinen Unterlagen. Die Brille auf seiner Nase ist soweit nach vorne gerutscht, dass man glaubt, sie würde im nächsten Moment zum Sprung in die Tiefe ansetzen. Nur zögert sie noch, weil sie auf Aufmerksamkeit wartet wie Wilhelm auf Antwort. Der Raum ist genaueste Ordnung, akkurate Ansammlung neuester Bücher und blitzender Ordner geometrisch perfekt im System. Nur ein verstaubter Computer negiert schräg und anachronistisch das Ebenmaß dieser kleinen fremdartigen Welt. Sonnenstrahlen brechen sich honigfarben an Tautropfen der Blumen vor dem Fenster und gaukeln den Augen den Duft frischen Morgenkaffees vor. Man möchte glauben, dass der Herr noch kurz an dieser Tasse nippt und deswegen wartet, bis er zu sprechen beginnt:
„Arbeitsvermittlung?“
„Ja, richtig.“
„Sie sind hier falsch. Wir vermitteln keine Arbeit mehr. Niemand vermittelt mehr Arbeit.“

Wilhelm ist erstaunt, überrascht, endlich entsetzt. Keine Arbeit, keine Vermittlung? Was ist passiert? Der Sandboden unter den Füssen zerbröselt wie ein Wasserfall in dunkelste Nacht. Die Perspektive ist Rauch, verpufft in just dem Moment.
Doch was macht Wilhelm?

„Wissen sie, ich wollte eigentlich nur zur Arbeitsvermittlung, die sollte hier auf dem Gang sein. Es steht aber an jeder Türe nur 'Zukunftsvermittlung'.“
„Verstehen sie nicht? Es gibt keine Arbeitsvermittlung mehr, nur noch die Zukunftsvermittlung. Das Arbeitsministerium heißt jetzt Zukunftsministerium, und der Arbeitsminister Zukunftsminister. Wussten sie das nicht?“
Wilhelm ist perplex.
„Was sagen sie da?“
„Sie befinden sich gerade im Zukunftsamt.“
„Aber hören sie mal – das hier ist das Arbeitsamt!“
„Blicken sie einfach nur kurz aus dem Fenster hinter mir. Was sehen sie da?“
Wilhelm wirft einen Blick hinaus. Was er sieht, bestätigt ihn und er atmet leise durch. Gleichzeitig mischen sich Überraschung, Zorn und Unverständnis zu einem vorsichtigen Vorwurf:
„Den Eingangsbereich des Gebäudes mit einem großen Schriftzug: Arbeitsamt – sehen sie?“
„Richtig“, sagt der Mann in aller erdenklichen Ruhe, „aber was sehen sie noch?“
Wilhelm weiß nicht recht, wieso es geschieht, dass er noch einmal den Eingang betrachtet.
„Zwei Arbeiter, die ein Gerüst aufbauen, aber ...“
„Sehr gut!“, unterbricht ihn der Mann am Schreibtisch, „aber das ist noch immer nicht alles“.
Wilhelm hat bis dato noch nie jemanden getroffen, der mit dieser Hartnäckigkeit versucht, ihm einen Bären aufzubinden. Die Überraschung ist verschwunden, als er poltert: „Jetzt hören sie mal!“
„Wozu glauben sie wird das Gerüst benötigt?“, sagt der Mann beruhigend ohne bislang nur einen Moment auf Wilhelm geblickt zu haben.
„Woher soll ich denn das wissen? Schließlich ist das hier ihr Arbeitsamt. Können sie mir bitte ... “
Wilhelm sucht die Entscheidung: Eine Antwort oder er geht. Den Mann hinter dem Schreibtisch scheint das nicht zu interessieren. Mit einer unheimlichen Ruhe und Beharrlichkeit bohrt er weiter: „Sehen sie nicht auch die Leuchtbuchstaben auf dem Lastwagen?“
„Jetzt lassen sie das!“
„Sehen sie sie?“
Wilhelm wirft noch einen letzten schnellen Blick in diese Richtung, bevor er diese eigenartige Person sich selbst überlassen will. Mitten im Gehen aber bleibt er kreidebleich stehen und starrt erschrocken, nein verstört zurück durch das Fenster: Auf dem Lastwagen befindet sich der Schriftzug 'Zukunf' in den gleichen Lettern wie der große Schriftzug 'Arbeitsamt' über dem Eingang. In hastiger Flucht fliegen seine Augen zwischen den Buchstaben an Gebäude und Transporter hin und her. Es hat wirklich den Anschein, als ob der Schriftzug abgeändert werden soll.
Der Mann sieht immer noch nicht zu Wilhelm hin als er sagt:
„Ja, sie haben richtig gesehen. Der erste Teil des Namens wird ausgetauscht. Aber zerbrechen sie sich darüber mal nicht den Kopf. Diese Verwechslung passiert immer noch regelmäßig, schließlich ist die Zukunftsinitiative unserer Regierung noch sehr neu.“
„Aber ... “

Nach dem ersten Schrecken wird ignoriert, geleugnet, nach Beweisen gesucht, gezaudert, solange, bis man den Streit (für sich) entschieden glaubt. Es ist lediglich Zufall, dass Wilhelm erkennt, bevor er sich abwendet um an die nächste Türe zu klopfen. Was Wilhelm nicht weiß: Die Türen sind gleich, führen zu den gleichen Fragen, in immer das selbe Zimmer. Repetitio est mater studiorum. Man übt, solange bis man weiß – bis man glaubt, seinem Wissen gehorcht. Wissen knechtet, aber Gewissen versklavt. Ist es nicht eigenartig, wie verbissen wir um kleine Details der Vorstellung in unseren Köpfen kämpfen, von denen wir glauben, dass sie Realität wären? Wir kämpfen, verlieren, ändern das Bild, tauschen den Namen. Wir 'lernen' – doch lernen wir wirklich?
Zurück zu Zauder: Sein Bild hat eine Schramme erhalten, eine deutlich sichtbare Änderung hat sich vollzogen. Unsicherheit, ja Angst kehrt zurück: Doch - wie reagiert Wilhelm?

„ ... aber bitte, setzen sie sich doch, Herr ... ?“
„ ... Zauder, Wilhelm Zauder.“
„Angenehm, Weiß, Dr. Weiß.“
Herr Zauder blickt wie gebannt auf den Schriftzug auf dem Lastwagen. Sein Gegenüber scheint dies zu bemerken. Er lächelt leise als er erklärt:
„Auch für mich ist noch vieles ungewohnt. Eine ganze Reihe von Namen, Berufen oder Gesetzen musste wegen dieser Initiative geändert werden.“
Zauder hat nur halb verstanden, was Weiss ihm sagte. Seine Augen verlassen den Eingang, und seine Aufmerksamkeit kehrt in das Zimmer zurück. Er weiß nicht, was er sagen soll, er hat schlichtweg kein Wissen darüber. Nur eine vage Erinnerung, eine Ahnung irgendeiner Meldung sagt ihm, dass dies richtig sein könnte. Aber Dr. Weiß scheint ein Experte zu sein. Der Doktor weiß, worum es geht. Zauder antwortet vorsichtig:
„Ja, ich glaube, davon habe ich schon gehört. Aber, sagen sie Mal, ist das nicht alles sehr verwirrend?“
„Nur auf den ersten Blick, wissen sie, nur auf den ersten Blick.“
Zauder nickt verständig und versucht seine innere Anspannung zu verdecken.
Am besten, ich gebe ihnen ein Beispiel, damit sie sehen, wie es funktioniert.“
Zauder nickt erwartungsvoll.
„Nehmen sie ... nehmen wir einfach meinen Beruf: 'Zukunftsvermittler'. Ich finde, dieser Name wird meinem Beruf viel besser gerecht wie ein banales 'Arbeitsplatzvermittler'.“
Zauder ist erregt, Gedanken jagen fieberhaft durch seinen Kopf: 'Was geht hier vor?'. Er antwortet und denkt zugleich: „Was machen sie? Vermitteln sie Arbeit?“
„Nein, Zukunft.“
Zauder schüttelt den Kopf und platzt heraus:
„Was jetzt: Zukunft oder Arbeit? Und Überhaupt: wie wollen sie das machen: Zukunft vermitteln? Ist das nicht ein bißchen ...“
„aus der Luft gegriffen?“ ergänzt ruhig Dr. Weiß, als Zauder nur einen Moment ins Stocken gerät. „Nein, keineswegs: Früher vermittelte man nur einen individuellen Arbeitsplatz. Heutzutage vermittelt man mehr als einen Arbeitsplatz, man vermittelt eine individuelle Zukunft mit jeder neuen Arbeitsstelle. Man bestimmt ihr Leben, ihre Zukunft. Das werden sie sehen.“
Zauder schüttelt energisch den Kopf: „Verzeihen sie: Was geschieht hier? Was machen sie? Ist das nicht Augenwischerei, Wortklauberei? Das ist doch fast schon ... “
„ ... Betrug? Da haben sie vollkommen Recht. Ich muss sie loben, wie hervorragend sie mitdenken: Sie nehmen mir fast meine Argumente aus dem Mund. Das dachte ich auch – zunächst.“

Sind es nicht Lob und die eigenen Argumente, die aus dem Mund des Gegners am tödlichsten treffen? Man vertraut ihnen, weil man sie kennt, weil man sie hören will, und wundert sich noch, dass es dieser Brutus ist, der uns mordet, der gleichsam das Vertrauen in uns selbst zerstört. Aber Selbstvertrauen ist wie träge Masse im Sandsturm der Gedanken und Vertrauen ein Band, an dem wir uns entlang bewegen. Nur – es finden sich viele dieser Bänder auf unserem Weg: Manche zu tief, so dass wir darüber stolpern, manche zu hoch, man hängt sich an ihnen nur auf. Wenige sind wirklich erreichbar, ohne dass wir uns verbiegen müssen. Aber eines sehen wir nicht: Das Ende der Bänder: Wo führen sie hin?
Was macht Wilhelm? Wo geht er hin? Springt er, stolpert er, bückt er, oder verbiegt er sich?

Zauder schweigt, aber innerlich brodelt es in ihm. Es ist hin und her gerissen, zwischen dem was Weiß ihm sagte, und dem das was er für richtig hält:
„Nein ich, ... ich verstehe das nicht.“
Gleichzeitig fühlt er sich unwissend gegenüber dem Doktor, ihm unterlegen, weil dieser weiß, weil er erklärt:
„Dabei sind diese Änderungen sehr einfach zu verstehen: 8221 alte Berufsbezeichnungen werden zu 21 neuen Berufsgruppen zusammengefasst. Da kann man nicht einfach alte Bezeichnungen für diese neuen Berufe verwenden. Da muss man eine neue Bezeichnung einführen, eben um die Leute nicht zu verwirren. Das verstehen sie doch?“
'Nur 21 Berufe?'. Zauder kann keinen Sinn hinter diesen Veränderungen erkennen. Doch Dr. Weiß fährt fort:
„Der Grund für diese Neueinteilung war die festgefahrene Situation im Arbeitsmarkt. Was würden sie beispielsweise unternehmen, wenn sie auf der einen Seite 100 arbeitslose Fachkräfte haben, die qualifiziert sind, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, aber auf der anderen Seite liegen 100 dieser Arbeitsplätze brach?“
Mit dieser Frage kann Zauder etwas anfangen. Vorsichtig antwortet er:
„Ich würde Ihnen diese Stellen geben.“
„Recht haben sie! Aber was würden sie machen, wenn es ein Gesetz gäbe, das verböte, die Stellen mit diesen Personen zu besetzen, da sie - auf dem Papier - einen anderen Beruf gelernt haben?“
Zauder überlegt, dann hat er eine Idee: „Dann – müssen sie eben diesen anderen Beruf erlernen.“
„Bravo, sie haben wieder Recht, aber dieses Mal nur im Prinzip: In diesem Land funktioniert das nicht. Wer will hier schon lernen? Es sind Kinder und Jugendliche, die lernen, weil sie es müssen. Erwachsene können sie nicht zwingen. Die nehmen sich höchstens einen Anwalt und wollen noch Geld dafür. Ihre Idee ist nicht schlecht, nur nicht realisierbar. Und selbst wenn, es würde einfach viel zu lange dauern um auf den kurzfristigen Markt zu reagieren. Nun, welche Möglichkeit gibt es noch?“
Die Lob von Weiß macht Zauder Mut, so findet er schnell einen weiteren Vorschlag: „Ja dann würde ich dieses Gesetz abschaffen.“
„Sie gefallen mir!“, entgegnete Dr. Weiß und redet sich dabei in Rage, „Was glauben sie denn wohin das führt? Da könnte dann jeder Pizzabäcker oder Klempner als Arzt arbeiten! Würden sie sich von einem Pizzabäcker operieren lassen wollen? - Nein! Das würden sie auf keinen Fall! Aber sie würden dem Pizzabäcker vielleicht etwas Brot oder den Schinken abkaufen, den er für seine Pizza verwendet. Ja, das würden sie. Auch würden sie sich zu einem Deutschlehrer in die Geschichtsstunde setzen, nicht wahr? Um die Menschen zu schützen, darf das Gesetz nicht geändert werden, das verstehen sie doch!“, und versöhnlich fügt er noch an: „Nun, was bleibt dann noch übrig?“
Zauder ist verwirrt: was ist der Ausweg aus dieser Situation? Er grübelt und schweigt. Die letzte Rede des Doktors hat ihn zusammen gestaucht wie einen Schüler, der seine Hausaufgaben nicht kann.
„Nun kommen sie schon, sprechen Sie's aus. Dieser letzte Schritt ist gar nicht schwer zu verstehen.“
Dr. Weiß nickt Zauder aufmunternd zu. Zauder bemerkt indes, dass man draußen gerade beginnt, die Buchstaben der Aufschrift 'Arbeitsamt' vom Gebäude zu nehmen. Dabei erinnert er sich an die Änderung über die Berufe. So sagt er etwas unsicher:
„Die Berufe?“
„Genau! Das ist der springende Punkt. Die Berufe werden nun nicht mehr nach ihren Namen, sondern nach ihren Qualifikationen eingeteilt. Innerhalb einer Qualifikation ist es dann ein leichtes, zwischen dem zu wechseln, was früher einmal ein spezieller Beruf war. Eine klitzekleine Veränderung, aber mit was für einer Konsequenz! Endlich Flexibilität für deutsche Eichen: der Berg ist am Propheten angelangt. Das maßgeschneiderte System für ein Land mit Allgemeinbildung. Verstehen sie nun, was das für den deutschen Arbeitsmarkt bedeutet?“
Zauder fällt es wie Schuppen von den Augen: Das ist der Sinn für diese Veränderung!

Verstehen wir, was wir sehen? 1 + 1 = 2? Sobald sich Einzelheiten zu einen System zusammenfügen, das berechenbar und erklärbar wird, glauben wir zu erkennen, fühlen wir uns bestätigt. Ironien, Gemeinheiten, Unstimmigkeiten oder Andeutungen werden dabei gnädig übersehen. Wir bauen unsere Realität aus Bruchstücken zusammen, aus Fragmenten, von denen wir nicht wissen, wohin sie gehören. Das Höhlengleichnis lebt weiter, der Wissende stirbt. Wir beginnen an die Bären zu glauben, die man uns auf den Rücken bindet und sagen: Sind das nicht schöne Flügel? Nur Flügel können von unserem Rücken aus solche Schatten werfen! Es sind doch Flügel? Wieso fragt niemand: Sind wir denn Engel?
Wilhelm zaudert noch immer: Weiß hat eine Regel vorgestellt. Was Wilhelm fehlt sind Beispiele, an denen er sieht, dass die Rechnung für ihn aufgeht. Nur – wer bezahlt sie?

Weiß fährt mit seinen Erklärungen fort:
„Für die Schulen bedeutet das zum Beispiel, dass nun auch ein arbeitsloser Englischlehrer die Stelle eines Deutschlehrers antreten kann, oder ein Religionslehrer in der fünften Klasse Mathematik aushilft. Und wenn wirklich: für die richtig schwierigen Klassen hat man ja immer noch die Experten. Die Schüler werden nach wie vor von qualifiziertem Pädagogen betreut, denn nur dazu hat man die Lehrer ausgebildet. Die Warteschlangen bei den überlaufenen Fächern leeren sich und alle vakanten Stellen werden besetzt. Und ganz nebenbei lernen die Lehrer auch das, was sie in der Schule zuvor nie verstanden. Ist das nicht unglaublich? Es gibt nur Gewinner!“
Zauder zweifelt noch, aber in gewisser Weise muss er Weiß zustimmen. Seine Gedanken machen sich auf die Suche nach Fehlern im System. Weiß hat recht, dass es mit dieser Änderung wesentlich mehr Möglichkeiten gibt, Jobs zu vermitteln. Aber liegt nicht das eigentliche Problem darin, dass viel zu Wenige eine ausreichende Ausbildung besitzen?
Dr. Weiß unterbricht die Gedanken von Zauder, lässt ihnen keine Luft, weil er sofort weiter erklärt:
„Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass hier auf den Gängen keiner mehr auf seinen Beruf wartet?“, dabei zwinkerte er ihm mit Verschwörerblick zu.
Zauder überlegt kurz, da erinnert er sich: „Jetzt, da sie es sagen! Ich habe hier geklopft, weil niemand auf dem Gang zu finden war!“
„Sehen sie? Wir haben Vollbeschäftigung! Keine Arbeitslosen weit und breit. Was so eine kleine Gesetzesänderung nicht alles bewirkt ...“
„Aber wo sind alle die Arbeitslosen hin? Es gab doch so viele, die keine Ausbildung hatten, keine Lehre, keine Qualifikationen, nichts. Viele, die jahrelang vergeblich auf ein Angebot gewartet hatten. Was machen die?“
„Unterschätzen sie mal nicht die Qualifikationen ihrer Mitmenschen. Seien sie nicht so gemein zu Ihnen. Die haben nicht jahrelang gewartet, die haben jahrelang trainiert.“
„Wie bitte?“
„Das sind alles hochprofessionelle Warteschlangenteilnehmer und Hintenansteller mit langjähriger Berufserfahrung. Eine wahre Goldgrube sage ich Ihnen! Ein Beispiel: Wenn sie - sagen wir - zum Arzt gehen wollen, dann rufen sie als moderner Mensch von Heute bei einer Warteschlangenagentur an, die ihnen direkt einen freien Hintenansteller vermittelt. Der begibt sich sofort zum gewünschten Arzt und stellt sich persönlich für sie in die Warteschlange. Sie teilen ihm lediglich mit, wieviel im Voraus sie verständigt werden wollen, damit sie rechtzeitig in die Warteschlange einfädeln können. Das ist alles. Sie sparen wertvolle Arbeitszeit und überlassen diese Tätigkeit dem Experten. Service ist das Schlagwort in unserer Arbeitsplatzwüste! Wenn sie Glück haben und noch jemand gleichzeitig diesen Service nutzt, dann kriegen sie sogar Rabat! Der letzte Schrei, sage ich ihnen. Ganz postmodern nennt man das simpel 'sharejobbing'. Großartig, finden sie nicht?“
An solche Dinge hat Zauder noch nie gedacht. Er kommt sich unglaublich unwissend und rückständig vor. Dr. Weiß dagegen ist ein Ausbund der Gelehrsamkeit, eine Quelle all des Wissens, dass aus irgendeinem unerfindlichen Grund Zauder bisher verborgen war. Die Steine in seinem alten System bröckeln: 'Wieso eigentlich nicht – was habe ich davon?'
„Hier, sehen sie - “, sagt Weiß, „ich habe mir sogar Aktien von diesen Unternehmen gekauft.“
Die Arbeiter entfernen gerade mit etwas Lärm den letzten überzähligen Buchstaben an der Leuchtschrift des Arbeitsamtes. Zauder lässt sich davon nur kurz ablenken. Er beginnt zu verstehen. Der Geschäftsmann in ihm sieht den Nutzen der Gleichung:
„Aktien? Gruppenrabat? Das ist ja unglaublich! Aber – was bin ich in diesem neuen System? Wozu bin ich qualifiziert? Wissen sie, ich ja will ja eigentlich nur eine sichere Stelle, mit der ich gut über die Runden komme.“
„Sie wollen nur etwas Sicherheit? Aber Wilhelm, seinen sie mal nicht so bescheiden! Ich bin mir sicher, dass ich ihnen eine Zukunft vermitteln kann, bei der sie noch viel mehr als das erhalten. Bisher hat noch jeder eine neue Zukunft von mir erhalten. Wir sehen uns jetzt an, was sie bisher geleistet haben, und anschließend sage ich Ihnen, was aus Ihnen wird. So einfach ist das. Keine langen Wartezeiten, keine komplizierten Verfahren, aber unbegrenzte Möglichkeiten. Sie ahnen noch gar nicht, was alles in Ihnen steckt!“
Zauder beginnt nervös die Position auf seinem Stuhl zu verändern. Er nähert sich, ist Ohr. Unsicherheit ersetzt Angst.

Was geschieht mit Zauder? Er hat eine neue Perspektive gezeigt bekommen, er weiß nur noch nicht, wie er sein Bild drehen muss, damit beide übereinstimmen. Er ist immer noch unsicher: Ist er noch er selbst? Was wird aus ihm? Die Suche nach dem Ich kann beginnen. Oder ist es nur die Suche nach einem Platz im System? Nach der neuen Ausrichtung des Bildes? Nach einem neuen System?
Nur Zauder kann diese Frage beantworten. Kann er das?

Dr. Weiß wendet sich seinem Computer zu und sagt:
„Nachdem sie nun Bescheid wissen, benötige ich noch einige persönliche Angaben von Ihnen. Bei Ihrer Intelligenz und Bildung werden wir sicher schnell etwas finden. Nun, zunächst zur Schulausbildung: Sie haben Abitur?“
„Ja, Abitur.“
„Anschließend Lehre oder Studium?“
„Lehre.“
„Eine weise Entscheidung. Jeder Mensch braucht eine Basis, ein Fundament. Was habe sie gelernt?“
„Kaufmann“
„Sehr gut. Geschäftssinn ist heutzutage unentbehrlich. Eine der besten Qualifikationen überhaupt. Und als was haben sie gearbeitet?“
„Gebrauchtwagenhändler.“
„Ein Beruf, der Menschenkenntnis, Kalkül und Verantwortungsbewußtsein fordert. Hervorragend. Solche Bewerber brauchen wir. Was war ihre genaue Aufgabe? Vertrieb? Kundenbetreuung?“
„Oh, wohl eine Mischung von beidem. Vertrieb und Kundenbetreuung.“
„Kundenbetreuung, Vertrieb, mehrjährige Berufserfahrung, Überzeugungskraft - sehr gut. Sagen sie, hatten sie zusätzliche Verantwortung in ihrer früheren Stellung?“
„Ich war zuständig für die Einteilung des Putzdienstes und die Kaffeekasse.“
„Ich trage nur schnell noch für sie ein: Erfahren als Manger, Sozialkompetenz, Führungsqualitäten und Teamfähigkeit.“
„Finden sie wirklich? Ist das nicht etwas hoch gegriffen?“. Wilhelm ist immer noch skeptisch.
„Nicht doch Wilhelm, seien sie nicht immer so bescheiden. Das schreibt man so bei Bewerbungen, heutzutage. Das gehört sich einfach so. Verstehen sie doch: das Leben liegt vor Ihnen, sie müssen nur zugreifen! Ah, der Computer hat eben ihr Ergebnis ermittelt.“
„Schon?“
„Ja – ich lese ihnen kurz vor, wozu sie am besten geeignet sind. Für sie ist das ein: verantwortungsvoller Beruf mit Aufstiegschancen, einer hohen Anforderungen an Sozialkompetenz, Bildung, Dialogfähigkeit und Überzeugungskraft. Na – ist das nicht zu viel versprochen, erkennen sie sich nicht wieder? Das entspricht perfekt ihren Eigenschaften.“
„Ich weiß nicht, ich bin mir nicht ganz sicher ...“
„ ... und – was sagt mir der Computer noch? Freie, sichere Stellen in fast allen Teilbereichen!“
„Tatsächlich? Das klingt ja hervorragend!“
„Nein das ist sogar unglaublich, was sie alles für Möglichkeiten besitzen. Das einzige, was Ihnen bisher fehlte, war eine positive Perspektive. Spüren sie nicht schon das Kribbeln im Bauch, mein lieber Wilhelm? Ich lese Ihnen mal vor, welche früheren Berufe alles zu ihrer Qualifikationsgruppe gehörten – einen Moment bitte – vielleicht können sie dann mehr damit anfangen: Politiker, Journalisten, Priester, Gebrauchtwagenhändler, Propheten, Rechtsanwälte ... “
„Was? Wer alles?“. Die Überraschung ist auf Wilhelms Gesicht geschrieben. Irgendwie ging heute alles zu schnell für ihn: Noch vor zwei Minuten kämpfte er noch gegen dieses neue System, und nun hob ihn das gleiche System auf eine Stufe, von der er glaubte, sie nie erreichen zu können: alles dreht sich um ihn.
„Ja, sie haben richtig gehört – Ihr Beruf steht auf einer Stufe mit den wichtigsten Betätigungen in unserer Gesellschaft – schließlich hat ihre Überzeugungskraft bislang ja auch über Leben und Tod entschieden.“
So hat Zauder das noch nie betrachtet. Er ist genauso gut und wichtig wie ein Rechtsanwalt oder ein Politiker. Tätigkeiten, die alle als sehr ehrbar angesehen werden, ebenso wie Journalisten oder ...
„Sie blicken mich immer noch so überrascht an? Ist Ihnen das zu wenig? Seien sie nicht so schüchtern!“
Weiß gibt ihm einen freundlichen Klaps auf die Schulter.
„Was Ihnen fehlt ist Selbstvertrauen, eine positive Einstellung. So wird das nie etwas mit ihrem Glück. Wissen sie was – wir üben das jetzt einfach. Sie müssen sich mit ihrem neuen Leben anfreunden, mit ihm identifizieren. Es wird endlich Zeit, dass sie aus sich herausgehen. Das ist wichtig für ihre weitere Entwicklung. Also: sagen es, sprechen sie es aus: ja, das bin ich, das ist mein Beruf. Sagen sie es!“
„Mein Beruf?“
„Nein, sprechen sie mir nach: Ja, das bin ich, das ist mein Beruf!“
„Ja, das bin ich, das ist mein Beruf.“
„Nicht so zögerlich – nochmal:“
„Ja, das bin ich. Das ist mein Beruf.“
„Nochmal!“
„Ja - das bin ich, das ist mein Beruf!“
„Lauter!“
„Ja! Das bin ich! Das ist mein Beruf!“
„Sehr gut! Wie fühlen sie sich jetzt?“
„Viel besser! Unerwartet gut und erleichtert. Sie glauben gar nicht, welche Sorgen ich hatte, als ich zu Ihnen in das Zimmer getreten bin! Ich dachte, ich würde nie eine neue Stellung bekommen, dabei habe ich jetzt sogar einen neuen Beruf, verzeihen sie, Zukunft! Ich fühle mich so ... richtig erleichtert, ja wissen sie, ich bin fast schon glücklich.“

Zauder hat akzeptiert. Es sprudelt aus ihm heraus in das offen Ohr von Weiß. Wilhelm ist endlich zufrieden mit sich und den neuen Regeln. Sie geben ihm das, wovon er geträumt zu haben glaubte, dabei weiß er immer noch nicht, was aus ihm wird, wo er eigentlich steht. Nur: seine Vorsicht ist verschwunden. Nun ist es das vermeintliche Glück, das seine Einsicht beschränkt wird, weil es die neue Perspektive bestimmt. Was sieht er – das halb volle oder das halb leere Glas? Ist er noch fähig, etwas zu erkennen?

„Aber ... Moment mal, was ist eigentlich mein Beruf? Wie heißt er? Und was werde ich genau machen?“
Zauder ist neugierig, wissbegierig und schwebt auf einer Wolke momentanen Glücks.
„Nun, sie haben sicher schon mitbekommen, dass sich die Wortwahl dieser neuen Bezeichnungen nicht immer auf den ersten Blick erschließt. Sie erinnern sich sicherlich noch an die Probleme, die sie mit dem Ausdruck 'Zukunftsamt' hatten.“
Nach diesen Worten blickt Zauder kurz auf den Eingang des Gebäudes, an dem bereits das große 'Z' des Zukunftsamtes prangt. „Ach - “, sagt er gönnerhaft, „das ist Schnee von Gestern. Sagen sie's einfach.“
„Auch verstehen sie sicherlich, dass wir uns an die bestehenden Gesetze halten müssen.“
Zauder nickt zustimmend.
„Zudem musste die Kommission für neue Berufschreibung Namen finden, die das Gesamte Tätigkeitsfeld sehr gut umschreiben, die aber noch nicht für einen singulären Beruf verwendet werden – sie können sich vermutlich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, ein Wort zu finden, dass noch keine Bedeutung hat! Oder kennen sie etwa ein Wort, das keine Bedeutung hat?“
Zauder überlegt kurz, dann sagt er „Da haben sie Recht, mir fällt spontan auch kein Wort ein, das keine Bedeutung hat.“
„Nun gut, der erste Vorschlag zu ihrem Beruf kam von früheren Journalisten, sie wollten ihn 'Wahrheitsverkäufer' nennen ...“
„Wahrheitsverkäufer ist nicht schlecht, nein, klingt wirklich nicht schlecht. Aber sie sagten gerade, das wäre nur der erste Vorschlag gewesen.“
„Wissen sie, 'Wahrheitsverkäufer' ist nicht Verfassungskonform, weil es eine Wahrheitssekte gibt, die der absurden Ansicht ist, sie würde die Wahrheit verkaufen. Wir konnten diesen Begriff daher unmöglich verwenden.“
„Verstehe.“
„Ähnlich erging es uns mit 'Tatsachenverkäufer' – das war schon in einem Werbespot zu sehen, der 'Wirklichkeitsverkäufer' ist ein Pseudonym für einen bekannten Autor, 'Realitätsverkäufer' lief letztes Jahr im Kino – sie haben gar keine Ahnung, was man den Menschen alles verkaufen kann!“
„Da haben sie Recht ...“, weiß Zauder.
„Laut Satzung der Kommission für neue Berufschreibung musste aber ein Wort gefunden werden, das die Wortfamilie 'Wahrheit' oder 'Wissen' oder irgend eine Negation davon mit einem Ausdruck wie 'Verkauf' verbindet. Das verstehen sie doch, anders kann man diesen Beruf sonst nicht richtig schreiben.“
„Das ist mir vollkommen klar. Alles Andere würde auch keinen Sinn machen.“
„Nur ist es in diesem speziellen Fall – und ich muss sagen es ist der einzige Fall – leider zu einem Bedeutungsengpass gekommen, weil gerade Wahrheit und Wissen heutzutage überall verwendet werden. So gab es schließlich nur ein einziges, ein letztes Wort, das noch nicht als Beruf verstanden wurde oder sonst irgendwo patentiert war.“
„Nur eines? Das ist ja kaum zu glauben!“
„Die Tatsachen widersprechen dem aber. Die Kommission hat sich monatelang damit beschäftigt und ist mit dem bestehenden Vorschlag immer noch nicht zufrieden, ihre Berufsbezeichnung ist daher nur ein sogenannter 'vorübergehender Arbeitstitel', eine Art 'working program', bis eine bessere Bezeichnung gefunden ist. Dieser Beruf ist deshalb als einziger noch nicht offiziell eingeführt worden, das verstehen sie doch?“
Am Eingang wird gerade der zweite neue Buchstabe befestigt, als Zauder bestätigt: „Das ist mir klar, aber trotzdem wäre es mir lieber, ich wüsste, was ich in Zukunft sein werde.“
„Da haben sie recht, aber ich muss sie warnen, der bisherige Vorschlag klingt, zugegeben, eher wie ein Scherz, und nicht unbedingt wie ein richtiger Beruf.“
„Ist er so unpassend?“, Zauder zieht die Augenbrauen etwas zusammen und wirft einen prüfenden aber verständnisvollen Blick auf Weiß. 'Ein schlechter Name macht schließlich noch keinen schlechten Beruf', denkt er, 'wenn der Rest dabei passt'.
„Nicht unpassend, nur nicht gerade naheliegend“, sagt Weiß. „Wissen sie, alles Näherliegende, das bisher gefunden wurde, war bereits von einer anderen Bedeutung in Beschlag genommen. Es blieb daher nichts anderes mehr übrig, als den Beruf vorerst 'Dummverkäufer' zu nennen.“
„Dummverkäufer? Was sagen sie?“
Zauder ist kurz wie vor den Kopf gestoßen.
„Verstehen sie mich nicht falsch,'' beschwichtigt ihn Dr. Weiß, „das ist und wird nicht ihre Berufsbezeichung werden. Es ist lediglich das 'working program', das alle Tätigkeiten in ihrem Berufsfeld beschreibt. Nichts weiter.“
„Nichts weiter?“
Zauder grübelt noch: 'Nur vorläufig ... wird nicht die Berufsbezeichnung werden ...', da werden diese dunklen Gedankenwolken schon wieder von einer gleißendweißen Sonne vertrieben:
„Nichts weiter. Wir suchen lediglich noch einen Begriff, der vergleichbar zu 'Zukunftsvermittler' klingt, und den gleichen Sachverhalt, das gleiche Berufsfeld beschreibt wie eben 'Dummverkäufer'. Sobald wir diesen Namen haben, machen wir ihn publik. Unverzüglich. Schließlich hat ja jeder gute Beruf ein Recht, die richtige Bezeichung zu besitzen. Vor allem ein so sicherer und gesellschaftlich so herausragender wie dieser.“
Die Sicherheit ist es, die Gehör in Wilhelms Ohren findet:
„Da stimme ich Ihnen vollkommen zu.“

Fügen wir nicht Stück für Stück eine Realität zusammen, prüfen wir nicht, bewerten wir, überlegen und 'lernen' dazu? Ein guter Lehrer weiss um unser Wissen: wenn wir ihm folgen, kennt er die Lücken in unserem Bild, weiss er, wie wir lernen, was wir kennen, wann wir verstehen und wie wir denken. Er nutzt dies alles, um uns sein Wissen zu verkaufen. Schnell, zuverlässig, effizient, reibungslos und glaubwürdig. Wir bezahlen mit Treue und Glauben – oder ist es das Leben? Wie weit kann er gehen? Sind wir Gefangene in diesem Spiel?

„Nun, nachdem geklärt ist, welchen Beruf sie haben, würden sie sicher gerne wissen, was auf sie zukommt.“
„Ja, das würde ich wirklich gerne. Nun, was mache ich als ... in diesem Beruf?“
„Sie werden stauen! Sie werden eine Menge reisen, interessante Menschen treffen, nette Gespräche führen, zu Banketten und Empfängen geladen werden ... “
„Wirklich?“
„ ... als Dummverkäufer werden sie zudem von der Gesellschaft geachtet, sie werden wichtige Entscheidungen treffen und den Menschen erklären, woran sie glauben sollen, schließlich verkaufen sie Ihnen die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit.“
„ ... nichts als die reine Wahrheit ... “. Zauder traut seinen Ohren nicht recht. „Ich verkaufe Wahrheit?“
„Ja, richtig: Wahrheit. Wohldosiert und für einen guten Preis. Sie sagten doch, sie hätten Erfahrung in Vertrieb und Kundenbetreuung?“
„Ja, das schon, aber ich kann doch nicht, ich ... aber wie bitte verkaufe ich Wahrheit?“
Zauder verzweifelt wieder an seiner Unkenntnis dieser Welt. Es klingt so einfach, so unglaublich banal was Weiss zu ihm sagt, in diesem wissenschaftlich freundlich erklärenden Ton, aber es muss immer zweifeln, Fragen stellen, die ihm wichtig erscheinen, aber er ist sich einfach nicht mehr sicher, ob es gut ist, diese Fragen zu stellen.
„Nun stellen sie sich mal nicht so an. Schließlich haben sie bisher sogar Gebrauchtwagen an den Mann gebracht. Käufer begegnen einem Gebrauchtwagenhändler mit Gebrauchtwagen viel misstrauischer als einem Dummverkäufer mit der Wahrheit. Wahrheit verkauft sich fast wie von selbst.“
Zauder schüttelt den Kopf. „Glauben sie wirklich? Ich fürchte aber, dass ich keine Wahrheit verkaufen kann.“
„Zweifeln sie nicht ständig an ihren Fähigkeiten! Am besten, ich gebe ihnen ein einfaches Beispiel aus ihrem bisherigen Beruf. Stellen sie sich vor, sie würden wieder mit Fahrzeugen handeln. Was würden sie als erstes tun, wenn ein neuer Kunde den Laden betritt?“
„Nun, ich würde zuerst einen Blick auf das Auto werfen mit dem er kam, dann auf seine Kleidung; schließlich würde ich ich mit ihm ein lockeres Gespräch beginnen, ein bischen auf den Busch klopfen sozusagen, um herauszubekommen, was er will, und wichtiger noch, was er sich wirklich leisten kann.“
„Sehr gut, ich sehe schon: sie sind ein Profi! Was machen sie dann?“
„Das kommt darauf an. Bei Männer hat man fast schon gewonnen, wenn man alle technischen Finessen einer Karre loben kann, bei Frauen oder ängstlichen Personen dagegen ist es viel wichtiger Sicherheit und Zuverlässigkeit eines Autos zu erwähnen. Sparsamkeit ist nur was für Ökos und Arme.“
„Ich bin begeistert. Sie sind ein wahrer Experte. Sie werden die Wahrheit wie warme Semmeln unter die Leute bringen! Sie beherrschen das Einmaleins des Verkaufens genauso gut wie ich! Ach, was sage ich: sogar noch besser!“
„Finden sie?“
„Ja, auf alle Fälle! Sie müssen im Wesentlichen nur das Gleiche machen wie bisher als Gebrauchtwagenhändler, das klappt dann wie am Schnürchen ...“
„Was? Ich soll die Leute anschwärzen?“
„Nein! Um Himmels willen nicht!“

Wilhelm versinkt innerlich in Angst, seinen Lehrer zu enttäuschen. Er fühlt sich jedesmal ertappt, angeklagt und bloßgestellt, wie durchgefallen durch eine Prüfung, wenn der Doktor ihm widerspricht.
„Machen sie alles, nur das nicht! Wenn sie Unwahrheit verkaufen wird man sie sofort entlarven. Können sie mir versprechen, dass sie als Dummverkäufer niemals lügen werden? Moment, ich sehe gerade in den Unterlagen, dass sie sogar einen Eid ablegen müssen, einen heiligen Eid, dass sie die Wahrheit verkaufen und nichts als die reine Wahrheit, aber nur nicht die ganze Wahrheit auf einmal.“
Zauder horcht auf. Keine Lügen, nur Wahrheit, nichts als die reine Wahrheit. Das klingt so außergewöhnlich bedeutend und gefällt ihm sehr:
„Das klingt ja fast wie ... wie ein Ehrenkodex für Rechtsanwälte oder ...“
„Richtig – aber besser als das!“ unterbricht ihn Weiß, „Sagte ich Ihnen nicht, dass auch Rechtsanwälte zu dieser Berufsgruppe gehören?“
Zauder erinnert sich. Dr. Weiß fährt inzwischen fort:
„Was ich vorhin sagen wollte ist nur Folgendes: Als Gebrauchtwagenhändler haben sie lediglich den Kunden analysiert und ermittelt, welche Vorlieben er besitzt. Dem stimmen sie doch zu?“
„So gesehen haben sie Recht.“
„Kein Mercedes-Fahrer würde einen Fiat kaufen. Nicht einmal für seine Frau. Der würde sich ziemlich veralbert vorkommen, wenn sie ihm das neueste Fiat-Modell präsentierten. Was sie getan haben war lediglich – hochgestochen formuliert – Marktanalyse.“
„Jetzt verstehe ich, Marktanalyse.“
„Jeder gute Verkäufer analysiert zunächst den Markt. Danach wirft er einen Blick auf das Angebot.“
„Verzeihen sie, dass ich sie unterbreche, aber was ist das Angebot, was ist Wahrheit?“

Was ist Wahrheit? Wie erkennen wir sie? Wer unterscheidet zwischen „wahr“ und „falsch“, zwischen „gut“ und „böse“? Können wir das? Wer hilft uns dabei? Ist es unser Gewissen oder unser Geldbeutel, unser Glaube oder unsere Gier? Oder helfen wir ihnen? Wie gehen wir mit ihr um? Wie fügen wir alles zusammen, wie passen wir es ein in unser Bild? Wieso passen wir es ein? Was gewinnen wir und was verlieren wir dabei, wenn wir unterscheiden, wenn wir suchen und vom Baum der Erkenntnis essen? Erkennen wir, wie der Hase läuft – oder war es eine Schlange?

„Nun, das Angebot ist so vielfältig, dass sie vermutlich zu Beginn nicht einmal wissen, woher damit. Nehmen wir zum Beispiel ... was nehmen wir denn ... sehen sie, mir geht es gerade genauso ...“ Dr. Weiß lächelt kurz leicht verlegen und kramt in seinen Unterlagen. „Genau, nehmen wir doch einfach das hier.“
Mit diesen Worten legt er einen Zeitungsbericht auf dem Tisch. Zauder sieht Weiß unverständig an, als dieser erklärt:
„Das sind mindestens fünf Wahrheiten, die sich verkaufen lassen.“
„Aber das ist doch nur ein Zeitungsartikel, noch dazu von Bild!“
„Ja, Bild ist gut. Finden sie nicht? Der Artikel ist nur viel zu lang.“
„Viel zu lang? Das ist doch nur dieser kleine Kasten!“
„Für diesen kleinen Kasten mussten aber mindestens zehn Wahrheiten gekauft werden.“
„Ich verstehe nicht. Ich verstehe einfach nicht, ich verstehe nichts mehr ...“, Wilhelm kann nicht mehr, Wilhelm will nicht mehr, sein Widerstand bricht in sich zusammen. Er will sich nur noch unter dem Schutzhelm versprochener Sicherheit verstecken, die ihm dieser Beruf bringen wird. Er zaudert, er akzeptiert, er gehorcht. Zweifel werden in seinen Fragen zensiert. Weiß dagegen verbreitet zufrieden sein Wissen:
„Jede Nachricht besteht aus Wahrheiten - beispielsweise: die Erde ist ein Planet, ein Satellit kreist um ein Zentralgestirn. Das sind Wahrheiten.“
„Soweit kann ich folgen, nur was hat das mit diesem Artikel in der Bild-Zeitung zu tun?“
„Für einen seriösen Artikel kauft ein Redakteur bei Ihnen zunächst alle nötigen Wahrheiten ein und fügt sie dann – wie die Einzelteile eines Autos – zu einer Nachricht zusammen. Ohne Motor, Reifen, Karosserie etc. ... geht es einfach nicht. Ohne das kann kein Auto funktionieren. Ich bin mir sicher, dass ihnen das klar ist.“
Zauder schweigt, nickt leise und hört zu.
„Nun, ein Schlagzeile macht noch keine Nachricht, auch nur ein Bild ist noch nicht ausreichend. Wenn sie aber genügend Wahrheiten beisammen haben, dann haben sie eine Nachricht, verstehen sie mich?“
In Zauder beginnt es zu dämmern. Weiß ergänzt:
„Für das Beispiel heißt das: Der Satellit umkreist den Planeten Erde. So eine Aussage würde man eher in einem Fachjournal vermuten, aber gelegentlich findet man sowas auch in der Bild. Aber darüber wollte ich eigentlich nicht sprechen, ich wollte über diesen Artikel hier sprechen.“
Weiß liest laut vor: „Kindergarten bei Verfolgung eines Terroristen in Brand gesteckt. Das sind schon mal drei Wahrheiten: Terroristenverfolgung, etwas Feuer und ein Kindergarten.“
„Der brennt aber ganz ordentlich.“
Zauder interessiert sich. Schließlich ist es seine Zukunft, um die es geht.
„Na, über ein kleines Feuer würde ja auch keiner berichten. Aber lesen wir mal weiter:
Bagdad. Bei der Verfolgung eines Terrorverdächtigen flüchtete sich dieser in einen nahegelegen Kindergarten und nahm mehrere Dutzend Kinder als Geiseln. Bei dem anschliessenden Schusswechsel konnte sich der Mann in ein nahes Wohngebiet absetzen, nachdem der Kindergarten vermutlich durch 'friendly fire' in Brand geraten und ein amerikanischer Soldat getötet worden waren. Vom Verdächtigen fehlt jede Spur.“
„Interessant.“
„Richtig, interessant. Und ich muss zugeben, dass ich mich geirrt hatte.“
„Sie hatten sich geirrt? Inwiefern?“
„Es sind wesentlich mehr als fünf Wahrheiten. Lassen sie mich zählen: Bagdad – eins, die Terroristenverfolgung hatten wir schon, Flucht – zwei, nahegelegen – drei, Dutzende Kinder – vier, Geiseln – fünf, anschließend – sechs, Schusswechsel – sieben, Mann – acht, nahe – neun, Wohngebiet – zehn, vermutlich – elf, friendly – zwölf, fire – dreizehn, den Brand hatten wir schon, den Kindergarten auch. Bleiben noch: amerikanisch – vierzehn, Soldat – fünfzehn, getötet – sechzehn, Verdächtiger – siebzehn, fehlen – achtzehn, jede – neunzehn und Spur zwanzig. Mit den doppelten Informationen aus der Überschrift sind das sogar 23 Wahrheiten. Wenn ich so etwas sehe, dann frage ich mich jedesmal, wo die Zeitungen das ganze Geld her nehmen, alle diese Wahrheiten einzeln einzukaufen, gesondert zu betrachten und aufwendig zu einer neuen Nachricht zusammenzufügen. Und mittendrin: das Bild! Unglaublich.“
Zauder staunt mit offenem Mund. Seine Achtung vor jeder Zeitung hatte sich mit einem Male um ein tausendfaches geändert.
„Wenn sie diesen Artikel gelesen haben, dann haben sie automatisch ihr Wahrheitsangebot gesichtet. Nun müssen wir uns wieder den Kunden zuwenden. Dazu müssen wir uns überlegen, wer alles für diese Wahrheiten als Adressat in Frage kommt. Wer fällt ihnen dabei als erstes ein?“
Zauder überlegt kurz, dann scheint er begriffen zu haben. Mit dem erkennenden Lächeln eines Eingeweihten spricht er: „Natürlich: alle, die das direkt betrifft. Und außerdem alle, die sonst ein Interesse daran haben könnten.“
„Sehr gut. Ich sehe schon, sie sind einer der aufgewecktesten Dummverkäufer, die mir bisher begegnet sind. Nun – welche Adressaten sind das im Einzelnen?“
Aus Zauder beginnt es langsam zu sprudeln: „Natürlich die Eltern der Kinder, die Angehörigen des Soldaten, die Stadt, in der der Kindergarten steht, das Land für das der Soldat kämpft, schließlich die ganze Weltöffentlichkeit!“
„Hervorragend, Ausgezeichnet! Ich sagte Ihnen eben, dass diese Nachricht viel zu lang ist. Heutzutage liest keiner mehr eine Geschichte mit mehr als einer Seite oder zehn Wahrheiten. Viel zu viele Wahrheiten so dicht nebeneinander gedrängt verwirren eher, als dass sie eine klare Botschaft erkennen lassen. Außerdem ist das gesamte Wissen den meisten Zeitungen sowieso viel zu teuer. Sie sehen doch ein, dass das ein bedeutendes Problem ist. Was würden sie an dieser Stelle tun?“
„Ich weiß nicht, aber vielleicht würde ich jeden Käufer einfach wählen lassen, was er in seiner Nachricht haben will.“
Sind sie denn von allen guten Geistern verlassen?“ herrscht ihn Weiß an.
Zauder zuckt zusammen, er duckt sich, sucht Schutz – aber wo?
„Die würden alle nur die billigsten Wahrheiten kaufen und nur den größten Schrott an Nachrichten weiterverbreiten! Das sollten doch gerade sie als Gebrauchtwagenhändler doch wissen! Nein, nein, mein Lieber. Denken sie an ihr Geschäft, denken sie an ihren Ruf, denken sie an die Wahrheit! Sie sind es, der darauf achtet, dass alles mit rechten Dingen zu geht.“
Dr. Weiß lehnt sich langsam in seinem Stuhl zurück und betrachtet zufrieden seinen gelehrsamen Schüler. Mit Bedeutung sagt er dann: „Ich will es ihnen erklären: Sie verkaufen die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Wiederholen sie das einfach noch einmal!“
„Ich verkaufe die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.“
„Sehr gut. Damit das auch so bleibt, müssen sie – wie bei einer Auktion – immer das komplette Sortiment an Wahrheit zur Schau stellen bevor sie verkaufen.“
„Aber – ist die ganze Wahrheit nicht viel zu teuer?“
Wilhelm versucht zu verstehen.
„Gut aufgepasst! Sie sind wirklich begabt!“, sagt Weiß und denkt sich: 'Muss er denn aufpassen? Gut, dann verkaufe ich ihm eben nur die halbe Wahrheit'. Er spricht weiter: „Genau deswegen kontaktieren sie vorab alle möglichen Interessenten und lassen sie diese Gebote für alle einzelnen Wahrheiten abgeben. Sie werden feststellen, dass diese Gebote sehr unterschiedlich ausfallen: gewisse Amerikaner interessiert viel mehr, dass ein Soldat ums Leben kam, während sie aus Bagdad ein Höchstgebot für den brennenden Kindergarten erhalten.“
„Aber, wo ist da der Unterschied? Kauft nicht jeder nur, was er will?“
„Das wäre richtig, wenn sie völlig unkoordiniert einfach Wahrheiten verkauften, dann würde ein Großteil davon schlichtweg keine Abnehmer finden, sie würde verloren gehen. Aber das wollen sie doch nicht! Von der Wahrheit darf aber nichts verlorengehen. Das können sie nur mit dieser Auktionsmethode erreichen. Alle Stücke werden immer gleichzeitig veräußert.“
„Ah – da haben sie aber Recht, das ist sehr wichtig: Von der Wahrheit darf nichts verloren gehen. Aber - was mache ich, wenn ich nicht für alle Wahrheiten ein Gebot bekomme, weil manche Wahrheiten Niemanden interessieren? Das ist doch zumindest möglich.“
„Sie sind sowieso von der internationalen Gemeinschaft verpflichtet, einen Teil der Wahrheit kostenlos an Drittländer abzuführen. Beispielsweise an eine Zeitung in Timbuktu oder Zentralafrika. Die drucken alles was sie kriegen. Nur vergessen sie nicht, dass die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit verkauft werden muss, aber nicht alle Wahrheit auf einmal. Das wäre ja auch ungerecht, wenn einer alles bekäme. Noch nebenbei ein Tip unter Freunden: Vergessen sie nicht diese verschenkten Wahrheiten als Entwicklungshilfe bei ihrer Einkommenssteuer zu deklarieren.“ Weiß zwinkerte ihm wissend zu, „Aber das ist noch nicht alles, es kommt noch viel besser:“
„Noch besser?“
„Ja. Sie werden schnell bemerken, dass nach der ersten Auktionsrunde noch nicht alle zufrieden sind. Die meisten konnten erst eine oder zwei Wahrheiten ersteigern. Das reicht noch nicht für eine Nachricht, nicht einmal für eine Schlagzeile, dafür muss man viel mehr recherchieren. Nun, was machen sie da?“
„Ich weiss nicht, ich weiss wirklich nicht ... “
„Machen sie sich Mal keine Sorgen, dass sie da nicht spontan dahinter kommen. Das liegt vermutlich nur daran, dass sie bisher mit Fahrzeugen gehandelt haben. Ein Fahrzeug ist weg, wenn man es verkauft. Eine Wahrheit dagegen bleibt. Man kann sie noch einmal verkaufen. Man kann sie so oft verkaufen wie man will. Solange, bis sie einem niemand mehr abkauft. Danach vergisst man sie einfach. Man muss sie nicht einmal entsorgen. Ist das nicht genial, nicht phänomenal? Vergleichen sie das einmal mit dem, was sie bislang getan haben. Dagegen war ihr früheres Gewerbe nur Kinkerlitzchen, Kinderkram.“
Zauder ist begeistert. Das verspricht das beste Geschäft seines Lebens zu werden! Keine Probleme, keine Sorgen mehr! „Herr Weiß, Herr Doktor Weiß, sie sind der beste, der unglaublichste Berufs-, nein, Zukunftsberater, den ich je getroffen habe! Es ist fast unglaublich, was ich heute bereits alles dazugelernt habe!“
„Aber, aber. Zurück zur Geschichte. Wer glauben sie kauft was?“ Weiß packt noch einmal seinen Verschwörerblick aus. Wilhelm vermutet:
„Ich denke, der brennende Kindergarten geht an Bagdad, der tote Soldat an die Staaten, aber sonst?“
„Ach, die Sache ist so einfach, so sonnenklar, dass ich ihnen vom Fleck weg gleich die vollständigen Nachrichten nennen kann. Wenn sie etwas mehr Übung darin haben, dann wird ihnen das ebenfalls nicht schwer fallen. In Bagdad wird man schreiben: 'Terroristenverfolgung und brennende Kindergärten! Allahu akbar! Ungläubige Frevler stecken einen Kindergarten mit Dutzenden Kindern in Brand. Gottes Rache über die Verbrecher.' Das sind fünf Wahrheiten, ausreichend für eine moderne fortschrittliche Nachricht. Mehr brauchen sie nicht. Das reicht, um genügend Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber viel mehr können die sich dort momentan auch nicht leisten, jetzt mitten in dieser stimmungsvollen Zeit.“
„Verzeihen sie, aber kommen da nicht noch zusätzliche Dinge vor? Das ist doch nicht mehr die ursprüngliche Nachricht!“
„Ach sie meinen das 'Ungläubige Frevler' oder 'Gottes Rache'?“
„Ja genau, das ist doch ... frei erfunden!“
„Nein, keineswegs. Das sind nur die landesüblichen Einleitungen und Schlusssätze für die Nachrichten. Das ist ohne jede weitere Bedeutung. Völlig belanglos. Das ist in etwas so wie bei uns ein 'Amen' nach einem Gebet. Oder wie ein Werbespot zwischendurch. Einfach nur harmlos.“
„Völlig belanglos?“
„Null und nichtig.“
„Ich dachte schon ...“
„Nun gut. In den Staaten sollte die Nachricht folgendermaßen lauten: 'Bedauerlicher unbedeutender Zwischenfall im Kreuzzug gegen das Übel. Bagdad: Ein flüchtiger Terrorist nahm zunächst mehrere Dutzend Kinder eines Kindergartens als Geisel. Bei der anschließenden Befreiungsaktion wurde ein alliierter Soldat tödlich verletzt. Der Täter konnte sich in ein naheliegendes Wohnviertel absetzen.' Das sind satte 12 Wahrheiten. Früher waren die Amerikaner sogar noch besser! Die haben manchmal ganze Nachrichten mit Dutzenden von Wahrheiten am Stück gekauft. Aber der hohe Ölpreis und die Sonderausgaben im Irak haben ihre Möglichkeiten zum Wahrheitserwerb leider etwas reduziert. Auch hat bei ihnen die Einsicht gesiegt und sie haben sich unserem gerechteren Verteilungssystem angeschlossen.“
„Und die ... zusätzlichen Worte?“
„Wie eben, Lokalkolorit und allgemeingültige Einleitungsfloskeln. Nicht der Rede wert.“
„Nicht der Rede wert?“
„Völlig belanglos.“
„Ich dachte schon ...“
„Das ist lediglich der Stil der jeweiligen Zeitschrift oder des Redakteurs. Soviel Freiheit muss eben erlaubt sein. Aber eines sollten sie sehen: Manche Dinge kommen in beiden Nachrichten vor. Das bedeutet: Es gab mindestens zwei Auktionsrunden“. Weiß zwinkert ihm zu: ^^, dann sagt er: „Mit der exclusiven, ja fast schon verschwenderischen Berichterstattung in Bild sind das sogar drei Runden. Stellen sie sich Mal diese Gewinnspanne vor: Sie kaufen einmal und verkaufen dreimal, jedes Mal zu verbesserten Konditionen.“
„ ... zu verbesserten Konditionen? Das ist ja wie Weihnachten und Ostern zusammen!“
„Nein besser, wie dreimal Weihnachten!“
„Aber die restlichen Wahrheiten?“
„Seien sie unbesorgt. Sie können sicher sein, dass keine davon einfach verschwindet. Jeder ist glücklich nach diesem schweren Stück Arbeit. Sie, weil sie einen schier unglaublichen Gewinn haben, die Zeitungen, weil sie eine Menge Geld sparen und dennoch die Nachrichten schreiben können, die für ihre Leser von Interesse sind, und schließlich die gesamte Weltöffentlichkeit, weil nichts von der Wahrheit verloren geht und zudem noch aktive Entwicklungshilfe von Ihnen geleistet wurde. Nun sagen sie - ist das nichts? Ist das nicht der Beruf der Zukunft?“
„Zweifellos! Das ist purer Wahnsinn!“. Zauder ist fast schon aus dem Häuschen. So eine verantwortungsvolle, wichtige und bewunderungswürdige Funktion sollte er in Zukunft inne haben? Es ist wirklich nicht zu glauben. Er verschluckt sich beinahe vor Aufregung und wird sofort wieder von Weiß aus seinen Gedanken gerissen.
„Aber noch sind wir nicht so weit. Zunächst muss ich noch feststellen, für welchen Bereich der Wahrheit sie am besten geeignet sind, und worauf sie sich spezialisieren sollten. Das sind nur noch ein paar läppische Formalien. Sagten sie nicht, sie wären auf der Suche nach einem sicheren Job?“

Nach der Lehre sind wir bereit, ausgebildet, flügge geworden: Sind es nicht Flügel, die wir bekamen, die Schatten werfen hinter unserem Rücken? Haben wir nicht gelernt: Bären gibt es nicht mehr, nicht mehr bei uns – nur Engel. Wissen wir nun, wie Wahrheit entsteht, wie wir sie gestalten, wie wir uns in Wahrheit gestalten? Sind wir feige, schließen wir die Augen, nehmen wir das, was uns am meisten verheißt für den niedrigsten Preis, den Preis den wir immer zu zahlen bereit sind: das Leben? Ist die Perspektive richtig, aus der wir betrachten? Gibt es keine Andere, in der was noch kommt nicht einen Anderen Sinn besitzt? Ist es positiv, bedenklich, wahr, ironisch, oder noch zukünftig – dieses Etwas, der Rest unserer Geschichte?
Wir wissen es nicht – wir sehen nur zu:

„Ja. Sicherheit ist mir das wichtigste. Am liebsten wäre mir ein Beruf, bei dem ich nicht jeden Tag damit rechnen muss, wieder gefeuert zu werden. Krisensicher sollte der Beruf also schon sein.“
„Verstehe. Damit sind politische Betätigungsfelder für sie weniger geeignet. Aber was halten sie von einem journalistischen Beruf? Ausgesprochen krisensicher, todsicher sozusagen, wenn sie Wahrheiten verkaufen.“
„Oh, so wie im Beispiel mit den Nachrichten eben?“ Zauder überlegt kurz. „Ich hatte bis eben nicht einmal geahnt, wie unglaublich kompliziert das Erstellen von Nachrichten vor sich geht. Haben sie nichts, das vielleicht einen ganz kleinen unbedeutenden Tick weniger komplex ist?“
„Einen unbedeutenden Tick weniger komplex? Aber sicher doch. Sie haben Recht, diese Sache mit den Nachrichten ist wirklich etwas verteufelt: hinter jedem falschen Propheten steckt eine Bombe. Aber lassen sie mich überlegen ... sagen sie, sind sie religiös?“
„Eher weniger.“
„Das macht nichts. Bekenntnis?“
„Katholisch.“
„Das ist gut. Da haben wir einen großen Absatzmarkt und hervorragende Arbeitsbedingungen, eine hohe soziale Achtung, Beschäftigung überwiegend in ruhiger ländlicher Gegend mit lebenslänglicher Jobgarantie, falls ihre Gemeinde nicht vor ihnen das zeitliche segnet. In diesem Falle müssten sie aber auf Auktionen verzichten. Die Kirche handelt nicht, sie reagiert. Aber das Geschäft stimmt trotzdem: Tradition. Sagen sie, sind sie verheiratet?“
„Ja.“
„Oh.“
„Stimmt etwas nicht?“. Zauder bemerkt, dass Weiß plötzlich in seinen Ausführungen stockt.
„Das könnte problematisch werden. Aber egal. Ich habe in meinem Computer eine Vielzahl ähnlicher Jobangebote im religiösen Sektor, überwiegend mit Fortbildungskursen im nahen Osten, praktischen Einheiten im gelobten Land und dem Libanon, einer theoretischen Ausbildung in Ägypten und einer Abschlussexkursion in historische Bereiche des inneren Afghanistans. Anschließend kehren sie nach Deutschland zurück um zu unterrichten oder zu erledigen, was ihnen dort eingebläut wurde. Sie interessieren sich doch für Geschichte?“
„Ja sogar sehr.“ Zauder ist ganz bei der Sache. „Sie meinen sicher, dass es wegen der vielen Reisen mit meiner Familie problematisch werden könne?“
„So in etwa ...“
„Ich glaube, da kann ich sie beruhigen. Meine Frau hat sicher nichts gegen so einen herausragenden Beruf einzuwenden. Da bin ich mir absolut sicher.“
„Nur eine Frage: sind sie tolerant?“
„Tolerant? Aber sicher doch! Jeder ist doch tolerant, heutzutage.“
„Ich meine, haben sie Resentiments gegen Andersgläubige?“
„Worauf wollen sie hinaus? Ich bin doch kein Antisemit!“
„Hmmm ... nur so - wegen ihrer späteren Aufgabe. Schließlich werden sie im Ausland ausgebildet.“
„Ach so.“
„So ganz nebenbei: Welche Autos haben sie verkauft?“
„Mercedes Benz natürlich.“
„Großartig. Und selbst, was sind sie gefahren?“
„Volkswagen. Aus Überzeugung.“
„Hervorragend! Das bedeutet, sie hatten kein Problem damit, für jemand zu arbeiten, der nicht direkt ihrer persönlichen Überzeugung entsprach?“
„Nein? Wieso denn? Job ist Job, Privatleben ist Privatleben. Ich geh' ja auch nicht mit meinem Chef ins Bett.“
„Eine lobenswerte Einstellung. Ich bin mir sicher, dass ihr zukünftiger Arbeitgeber vollauf mit Ihnen zufrieden sein wird. Wie sind ihre Fähigkeiten im Auswendiglernen?“
„Ich würde sagen, ganz gut.“
„Was heißt 'ganz gut' ?“
„Den Leitfaden für Gebrauchtwagenvermittlung konnte ich nach zwei Wochen Wort für Wort auswendig beten.“
„Das ist ja hervorragend! Im Anforderungsprofil ihrer Stelle ist vermerkt: Die Teilnahme an der Ausbildung in Kairo erfordert die wörtliche Kenntnis der beiden grundlegenden Schriften.“
„Kairo? Ich war da mal im Urlaub, hat mir sehr gefallen, waren sehr freundlich gegenüber Touristen, war nur etwas stickig.“
„Sie bekommen ein vollklimatisiertes Arbeitszimmer. Ihr neuer Arbeitgeber ist da nicht knauserig. Flugkosten, Weiterbildung und Spesen werden ebenfalls übernommen. Das versteht sich.“
„Das scheint eine hervorragende Firma zu sein.“
„Nein, noch besser: Es ist eine eigene Gesellschaft, mit über 1300 Jahren Tradition, aber immer noch mit starken familiären Strukturen, bodenständig und naturverbunden. Kein so unberechenbarer und geldgieriger amerikanischer Großkonzern, der sie nach zwei Wochen wieder vor die Tür setzt. Man hat noch ein Gespür für wesentliche Dinge, die bei uns verloren gegangen sind. Wenn sie einmal dabei sind, dann bleiben sie ein Leben lang. Aber dennoch: Ihre Arbeitgeber sind großzügig und mildtätig. So etwas ist man bei uns nicht mehr gewohnt. Sie erhalten ihr bisheriges Gehalt und müssen ab jetzt nur noch 10% Steuern zahlen, die ausschließlich für caritative Zwecke verwendet werden. So sind sie hervorragend sozial abgesichert.“
„Ich bin begeistert. Das klingt nach einer unglaublich soliden Firma.“
„Durch und durch solide. Unverrückbar wie ein Monolith. Diese Organisation hat sogar eine eigene interne Menschenrechtserklärung – und bei uns neuerdings sogar eine eigene Charta – verfasst und es geschafft, dabei neben ihrem grundlegenden Gesetzeswerk noch weitere bedeutende Literatur zu verwenden. Zum Beispiel ein Zitat von George Orwells Animal Farm: 'Alle Menschen sind gleich, nur manche Menschen sind gleicher als andere'. Ihrer Frau wird das sicher gefallen. Wenn sie diese Werke mit der ausgedienten alten Version der Menschenrechte vergleichen, dann erkennen sie erst, welches innovative Potential in diesen neuen Erklärungen steckt, welcher Konkurrenzkampf in Wirklichkeit mit anderen Arbeitgebern besteht. Wenn sie das einmal akzeptiert haben, dann sind sie nachher ein völlig anderer Mensch, dann ist ihr Blick geschult für die Realität, unabhängig davon, ob sie bei bei ihnen arbeiten oder zur Konkurrenz wechseln wollen. Dann gibt es nur noch ein Für oder Wider, dann wird es ihnen leichter fallen, Wahrheiten zu verkaufen, denn dann sind sie selbst ein Teil der Wahrheit geworden.“
„Ich kann es immer noch nicht fassen. Das ist alles so, so unglaublich.“
„Unglaublich? Sie scherzen.“
„Ich meine nur, das ist ... mir fehlen die Worte.“
„Zweifeln sie nicht - glauben sie! Ich will ihnen nur noch ein letztes Beispiel mit auf dem Weg geben: Das grundlegende Gesetzeswerk dieser Organisation ist so hervorragend, dass sie für wichtige strittige Fragen mehrere Lösungsvorschläge - was sage ich - Wahrheiten angeboten bekommen. Das ist in etwa so, wie wenn sie ihren Kunden mehrere gleichwertige Modelle bieten können – verstehen sie das?“
„Und ob ich das verstehe! Auswahl belebt das Geschäft, und: wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber – sagen sie Mal: Wenn jemand so viele Modelle im Angebot hat, schleichen sich da nicht zwangsläufig – im Jargon sagt man – Kinderkrankheiten ein.“
„Kinderkrankheiten? Sie scherzen! Wie lange dauert es ihrer Erfahrung nach, bis man solche Kinderkrankheiten ausmerzt?“
„Ein zwei Jahre, meistens.“
„Sehen sie – alle Wahrheiten im grundlegenden Gesetzeswerkes sind seit 1300 Jahren erprobt und eines kann ich Ihnen flüstern: die sind so unglaublich gut, dass noch keine einzige Änderung vorgenommen werden musste. Na, was halten sie jetzt davon?“
„Das ist wirklich Qualität. Das schlägt sogar Mercedes Benz. Jetzt bin ich aber wirklich platt. Diese Perfektion ... wie nicht von dieser Welt!“
„Sie sagen es! Ich sehe schon, sie sind für ihren neuen Beruf wie geschaffen. Ich denke sie haben verstanden, worauf es heutzutage ankommt! Hier, nehmen sie ihre Unterlagen. Dort finden sie auch die Kontaktadresse für ihre Ausbildung. Am besten, sie gehen dort gleich heute noch vorbei.“
„Danke sehr! Wirklich vielen, vielen Dank!“
„Nun, sagen sie mir ehrlich: Habe ich Ihnen nicht eine neue Zukunft gegeben?“
„Ja, und nicht nur das: auch eine neue Perspektive.“
„Sehen sie, ich hatte ihnen nicht zuviel gesagt: Wir vermitteln die Zukunft. Wir bestimmen was geschieht und geschehen wird. Wenn man uns lässt. Aber eines, eines müssen sie mir trotzdem versprechen, Wilhelm, können sie das?“
„Aber sicher doch! Was immer sie wollen!“
„Sagen sie es niemandem weiter - sie verstehen schon - wenn plötzlich alle ihren Beruf haben wollten, dann könnten sie sich vor Konkurrenz nicht mehr retten. Sie wissen ja, was das heißt!“ Dr. Weiß zwinkert Wilhelm aufmunternd zu. „Sagen sie's vorerst nicht einmal ihrer Frau. Sagen sie ihr nur, dass sie einen neuen Job hätten. Einen guten, gerechten und sicheren Beruf. Eine wahrhaftige Berufung. Einen sicheren Auftrag bis an ihr Lebensende.“
Freudestrahlend nickt Wilhelm Dr. Weiß auf der Schwelle ein letztes Mal zu um sich mit einem vielsagenden Flüstern von ihm zu verabschieden: „Darauf, darauf können sie sich wirklich verlassen – Ich habe verstanden.“

Wir verstehen, denken, folgern, handeln, glauben, versuchen, strampeln hilflos um unser Leben und unterrichten, denn wir alle haben nur Wahrheit gelernt. Das haben wir doch?

 
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Baustelle fertig, Autobahn zum Kreisverkehr freigegeben :D

Damit sind die beiden folgenden Postings wohl etwas ... nun ja, 'out of date' - nach 13 Stunden umackern ... tja. Viel Spass dabei - wenn ihr danach immer noch lachen koennt ... :drool:

sarpenta

P.S: Wenn sim sein naechstes Posting umschreibt, schreib ich mein naechstes auch um :Pfeif:

 

Hallo sarpenta,

nichts gegen lange Geschichten, aber diese hier erscheint mir in sich zu lang. Das demonstriert vielleicht am besten die Stelle, bei der ich schon abgebrochen habe.

Abgesehen davon gibt es für die wirklich schweren Stunden immer noch die Spezialisten. Verstehen sie, was das bedeutet?“
Es mag sein, dass es hinterher noch spannend geworden ist, aber an der Stelle war ich einfach entnervt davon, dass die Begriffsverwirrung immer wieder im Kreis genudelt wurde. Arbeitsamt/Zukunftsamt (noch besser wäre ja "Agentur für Zukunft") trägt nicht so weit, dass man es immer weiter wiederholen kann.
Ich kann nicht die ganze Geschichte beurteilen und es mag dich ärgern, dass ich nicht zu Ende gelesen habe. Aber vielleicht ist es auch ein wichtiges Feedback, zu hören, woran es liegt.

Die Anrede "Sie" solltest du groß schreiben.

Aber hier steht hier überall nur Zukunftsvermittlung an der Türe.“
- ein "hier" zu viel (und auch, wenn man es schreiben darf, ich finde "Türe" immer noch blöd)

Lieben Gruß, sim

 
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Hi Sim

Danke fuer das Feedback, Aehnliches habe ich bereits per mail von einem Freund erhalten. Er meinte, er haette die Geschichte zuerst zweimal in die Ecke geworfen, dann aber doch zu Ende gelesen (hab wohl genoergelt :Pfeif: ). Am Ende war er platt von dem was passierte. (Sein erster Aussteiger kam aber bereits etwas frueher als bei Dir ;) )
Genauso wie Du hatte er moniert, dass sie zu lange ist und ich zu Beginn zu viele Dinge vorbereiten muss, die sich spaeter dann zusammenfuegen. Ich werde heute die erste Haelfte der Geschichte umschreiben. Sie muss klarer, interessanter und gleichzeitig kuerzer werden.
Allerdings habe dann ein anderes grosses Problem, weil mir einige Bausteine fuer das Ende der Geschichte fehlen werden: Zauder macht einen Wendung von 180 Grad: Zu Beginn zweifelt er alles an, hinterfragt, ist vorsichtig. Sein Gegenueber muss ihn verwirren, bearbeiten, motivieren, ihm klar zu verstehen geben, dass er seine bisherige Ahnung von der Welt absolut laecherlich ist, er muss alle Gehirnwindungen von Zauder einmal kraeftig auspressen, um diesen Biedermann schliesslich als Terroristen anzuheuern zu koennen ohne dass dieser nur einmal nachfragt, was er genau tun muss. Das ungeheuerliche dabei: Er nennt Zauders Beruf "Dummverkauefer", was diesen zunaechst empoert, dieser sich aber dennoch unterjubeln laesst - jedoch: er selbst ist dieser Dummverkauefer. Er erklaert ihm seine Strategie, sein Vorgehen, um es schliesslich an Zauder erfolgreich anzuwenden. Gleichzeitig wird Zauder ueberzeugt, dass dieses Vorgehen das einzig richtige ist. Das einzig traurige an dieser Strategie ist es, dass sie keine Erfindung ist. Sie ist real und begegnet uns in fast jeder Nachricht, die wir hoeren ...

Dass das besser rueberkommt, daran muss ich noch einiges feilen ... auweia

lieben Gruss an Dich sim,

sarpenta

 
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Hallo sarpenta!

Habe Deine Geschichte auch nicht bis zum Ende gelesen - leider hab ich erst jetzt gesehen, daß Du schon beim Überarbeiten bist.
Aber ich habe es immerhin bis „Nun, das Angebot ist so vielfältig, dass sie vermutlich zu Beginn nicht einmal wissen, woher damit." geschafft.
Ich finde, daß sich der Dialog viel zu sehr zieht. Allein schon, daß dieser Zukunftsvermittler ständig rückfragt, ob der Protagonist das auch wirklich verstanden hat, hält viel zu sehr auf.
Kurz: Mach den Dialog flotter, streiche unnötiges Herumgerede.

Dann mitten drin immer der Erzähler - also den halte ich für völlig überflüssig, erinnert mich zwar ein wenig an Erich Kästners Kindergeschichten, aber er reißt einen aus dem Lesefluss. Und es wirkt so ein bisschen bevormundend, wenn einem alle Gedanken dazu, die man sich als Leser machen soll, vorgekaut werden.

Mach mal ein lautes Streichkonzert. ;)

Ach ja: Daß Du so viele Sätze mit Doppelpunkten verbindest, finde ich auch etwas störend, besonders in der direkten Rede - niemand spricht ständig Doppelpunktsätze.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Moin Susi!

Dankeschoen fuer das Feed-back ... ich sehe, dass ich immer noch an der Geschichte weiterbasteln muss ...
Nachdem Du weiter als sim kamst, wird's ja gaaanz langsam - oder Du bist einfach nur noch eine Ecke geduldiger ...
Die Gedanken habe ich eingefuegt, weil mir ein weiter (nicht kg.de) Leser gesagt hatte, dass er am Ende die Kurve nicht mehr gekriegt hatte. Es ist vermutlich am besten, ich bau das so in den Dialog ein, dass der Dialog kuerzer wird & die Geschichte fluessiger ... wie ich das hinkriegen soll habe ich noch keinen Schimmer ... :confused:

Vielen Dank noch einmal fuer die Muehe

sarpenta

P.S: hab' wohl letzte Woche zuviel Rilke gelesen, der verwendet auch immer Doppelpunktsaetze ... :D
P.P.S: Bis zur naechsten Ueberarbeitung wird's wohl ein wenig dauern ... ich brauch a) noch neue Ideen und b) etwas Freizeit :( und c) meinen Laptop zurueck von der Reparatur, sonst kann ich keine ues aes oder oes schreiben ...

 

Hallo sarpenta,

in einem interessanten Stil (bildhaft, beim Kursiven), führst du etliche bemerkenswerte Thesen auf:

„Unser Standpunkt blickt in die Runde“

Eine interessante Idee, den Standpunkt zu personifizieren. Und es ist doch wirklich so: Wir beurteilen nicht nur von unserem Standpunkt aus, sondern mit unserem Standpunkt, unserer Sozialisation etc. Wie es Ortega y Gasset ausdrückte: Yo soy yo y mi circunstancias - ich bin ich und meine Umstände).

„Ändern wir uns, oder ist es die Umwelt? Bestimmen wir sie oder formt sie uns neu?“

Ein Solipsist würde natürlich sagen, dass wir die Umwelt bestimmen, in dem wir sie gedanklich erschaffen.

„Wissen knechtet, aber Gewissen versklavt“

Steht natürlich im Gegensatz zu `Wissen macht frei´- und das Gewissen kriegt als moralische Instanz, die unterdrückt, auch noch eins drauf. Da könnte man lange diskutieren.

„Das Ende der Bänder: Wo führen sie hin?“

Das ist wirklich ein fortwährendes Problem des Menschen, auch wenn er es sich nicht gern eingesteht: Er vertraut, entscheidet auf Grund einer miserablen Datenlage, wohin sein Handeln führt, ist höchstens kurzfristig prognostizierbar.


„Was macht Wilhelm? Wo geht er hin? Springt er, stolpert er, bückt er, oder verbiegt er sich?“

Gute Frage, bin gespannt - habe schon so eine Ahnung …

Was ist Wahrheit? Wie erkennen wir sie? Wer unterscheidet zwischen „wahr“ und „falsch“, zwischen „gut“ und „böse“? Können wir das? Wer hilft uns dabei?

Gute Frage, aber der seeehhhhr lange Text danach zeigt mehr wie Wahrheit manipuliert wird, nicht aber ob wir Unterscheidungen treffen können.

„Heutzutage liest keiner mehr eine Geschichte mit mehr als einer Seite“

Dass du das nicht bei deinem Text beherzigt hast - soll das eine `selbsterfüllende Prophezeiung` sein? ;) Selbstbezug hat immer das Potential gefährlich zu sein. :D

Der Gegensatz allgemeine Betrachtung/spezieller Fall (Kurives/Fall `Zauder´ - übrigens ein treffender Name), ist eine gute Idee, aber die Spannung leidet durch die Textfülle. Trotzdem - ein ungewöhnlicher Text, der viele grundlegende Aspekte aufgreift. Das kleine menschliche Leben, mit seinen kleinen „menschlichen Schritten“ verläuft täglich - auch wenn wir uns die Frage nicht ständig stellen - am Abgrund der Erkenntnis von wahr und unwahr, gut und böse, entlang.
Die `Umerziehung´ des Protagonisten am Schluss erinnert an 1984, man kann das Ganze auch als Initiationsprozess sehen, Zauder wird eingeführt in die Mechanismen des (Über-)Lebens.


Einige Änderungsvorschläge:

„Nur - das Leben ist anders, anders wie wir uns ausmalen“

- als wir


„und Schulden drücken sein Glück“

- Glück drücken hört sich so an, als ob Glück vorhanden wäre. Ich dachte, er ist glücklos.

„Die Perspektive ist Rauch, verpufft in just dem Moment“

- hier bin ich hängen geblieben: Welcher Moment? Vielleicht: just in dem Moment ihrer Wahrnehmung?


„Aber hören sie mal – das hier ist das Arbeitsamt!“
„Blicken sie einfach nur kurz aus dem Fenster hinter mir. Was sehen sie da?“

- Ab „Blicken“ bis „Zukunftsinitiative unserer Regierung noch sehr neu“ empfinde ich das geschehen nur als Füllsel.

Aber Selbstvertrauen ist wie träge Masse im Sandsturm der Gedanken

- Damit man eine Analogie bilden kann, glaube ich, muss man bestimmen: Träge Masse von was?

Die Lob von Weiß macht Zauder Mut

- Das

Fragen stellen, die ihm wichtig erscheinen, aber er ist sich einfach nicht mehr sicher, ob es gut ist, diese Fragen zu stellen.

- Fragen stellen doppelt


Vielleicht kannst du noch einige Doppelpunkte einsparen?


L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo sarpenta,
Ich habe die Geschichte gelesen. Was mir gefallen hat, war die Idee der Umbenennung der des Arbeirsamtes in Zukunftsamt. Ich würde aber dabei auf die heutige Terminologie zurückgreifen (das Arbeitsamt gibt es ja nun wirklich schon nicht mehr)

Die kursiven Elemente fand ich sehr störend. Sie unterbrechen die eigenen Gedanken beim Lesen, sie kommen mir aufgezwungen vor

Der Einfall ,die Vielzahl an Berufsbezeichnungen in einige wenige Branchen zusammenzufassen ist nicht neu. Gerade bei der Anerkennung von ausländischen Zertifikaten hat sich der deutsche Gesetzgeber schon einiges einfallen lassen (nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung) um eine Analogie der Berufsbezeichnungen ins deutsche System zu erreichen. Schaut man in das Anforderungsprofil eines Stellenangebots, findet man regelmäßig außer der Berufsbezeichnung auch noch andere (nicht zertifizierte) Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen.
Wenn ich deine Geschichte richtig verstanden habe geht es um die Entwicklung einer Qualitätssicherung des Anforderungsprofils wobei man von den alten Qualitätsnachweisen abgeht, weil diese nicht mehr zeitgemäß sind.

Die deutsche Gesetzgebung hat u.a. einen alten Zopf abgeschnitten, als das der Meistertitel für die Ausübung des Handwerks als Selbständiger (nicht alle Handwerke)nicht mehr vorausgesetzt wird.

Deine Geschichte übertreibt im großen und Ganzen die Lösungsansätze die die Gesellschaft sieht, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden.
Ein wichtiger Punkt wird zynisch aufgegriffen. Der Arbeitslose muss sich nur in einem anderen Licht sehen, innovativ sein, dann klappt das schon.

Warum habe ich bloß den Eindruck, das dein Protagonist im Regen stehen gelassen wird? :schiel:

Der Zynismus kommt rüber, weil der Dummverkäufer die Wahrheit verkaufen soll.
Eine Wahrheit, die beliebig umgeschrieben werden kann, (wie die Berichterstattungen in den Medien auch erlebt werden) zu verkaufen, mag auch ein Dummverkauf sein. Gerade weil man nicht die Möglichkeit hat, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.


Ich kann nicht behaupten gerne gelesen, weil schwerfällig aber schon intererssant, wobei ich mir aber eine andere Aufbereitung gewünscht hätte.

Goldene Dame

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo!

Jetzt habt ihr mich aber vor ein wirklich schweres Problem gestellt: Waehrend Goldene Dame die kursiven Stellen sehr stoerend fand und sonst nicht weiter betrachtete, hat sich Woltochinon fast ausschliesslich darauf konzentriert und gelobt. Aehem.

Eigentlich sollte der Text eine Symbiose aus Beidem sein (oder besser gesagt: noch werden): ohne die kursiven Stellen zu durchdenken kann man vermutlich nicht vollstaendig verstehen, was ich mit dem Text aussagen wollte, ohne die Dialoge fehlt die Substanz fuer die kursiven Stellen, ist es keine Kurzgeschichte.

Aber mit einer Sache habt ihr vermutlich alle Recht: Die Geschichte ist immer noch zu lange, sehr schwer verdaulich und hat einigen Leerlauf. Da muss ich noch gewaltig nachbessern.

Ich werde sehen, was ich in zwei Wochen da machen kann; die naechsten beiden Wochen sieht's eher stressig aus.

Nun aber meine Antwort:

@ Woltochinon:

in einem interessanten Stil (bildhaft, beim Kursiven), führst du etliche bemerkenswerte Thesen auf:
Eine komplexe Frage an Dich - wenn das nicht zu viel Arbeit macht:
a) Ist es moeglich die Thesen (welche Thesen) des kursiven Textes aus dem Dialog herauszulesen und kann man den Text richtig interpretieren ohne diese Richtschnur? Ich denke: kaum, koennte aber eventuell unnoetige Passagen streichen. Beispielsweise gegen Ende sind die kursiven Passagen schwach, allerdings ist mir dort die Zeit davongelaufen (ich hab' dieses Monstrum an einem Tag geschrieben und an einem weiteren Tag komplett umgearbeitet)
Zumindestens diese sollte ich entweder ueberarbeiten oder weglassen.
und b) Wieviel wuerde Deiner Meinung nach der Text verlieren, wenn ich alle kursiven Stellen weglasse und eine reine Kurzgeschichte schreibe?

Eine interessante Idee, den Standpunkt zu personifizieren. Und es ist doch wirklich so: Wir beurteilen nicht nur von unserem Standpunkt aus, sondern mit unserem Standpunkt, unserer Sozialisation etc. Wie es Ortega y Gasset ausdrückte: Yo soy yo y mi circunstancias - ich bin ich und meine Umstände).
Das letzte Zitat kannte ich nicht ist aber eine gute Idee - vielleicht baue ich das noch ein ;-)

„Ändern wir uns, oder ist es die Umwelt? Bestimmen wir sie oder formt sie uns neu?“

Ein Solipsist würde natürlich sagen, dass wir die Umwelt bestimmen, in dem wir sie gedanklich erschaffen.

Ich hatte mit diesem Satz eher auf die antike griechische Philosophie angespielt ... aber dieser Gedanke kehrt sehr oft wieder in der Geschichte der Philosophie.

„Wissen knechtet, aber Gewissen versklavt“

Steht natürlich im Gegensatz zu `Wissen macht frei´- und das Gewissen kriegt als moralische Instanz, die unterdrückt, auch noch eins drauf. Da könnte man lange diskutieren.

Ich haette auch schreiben koennen: "Wissen verpflichtet", weil sich alles Denken einer Einzelperson vor dem Hintergrund des eigenen Wissens abspielt, es dominiert und lenkt; das Gewissen aber ist die Instanz, die dem Wissen noch uebergeordnet ist, es muss daher in analogem Sinne mit einem staerkeren Ausdruck charakterisiert werden. Ich kann z.B: wissen, dass eine gewisse Tat bestimmte Vor- und Nachteile besitzt, nuechtern betrachtet. Wenn mir aber mein Gewissen sagt, dass diese Tat "schlecht" ist, vor dem eigenen sozialen, persoenlichen und ethischen Hintergrund betrachtet, dann muss ich zuvor die Ketten des Gewissens zerreissen, um diese Tat aufuehren zu koennen. Die Konsequenz dieser Tat kann gut oder Boese sein, da das Gewissen an sich keine zuverlaessige Instanz ueber Gut oder Boese darstellt, sondern nur eine Summe der verinnerlichten Erfahrungen und moralischen Vorstellungen einer Person ist. In diesem Sinne "versklavt" das Gewissen, was aber nicht unbedingt negativ zu sehen ist ...
Jaja, hier kann man lange diskutieren ;-)

„Das Ende der Bänder: Wo führen sie hin?“

Das ist wirklich ein fortwährendes Problem des Menschen, auch wenn er es sich nicht gern eingesteht: Er vertraut, entscheidet auf Grund einer miserablen Datenlage, wohin sein Handeln führt, ist höchstens kurzfristig prognostizierbar.

Richtig: Unser handeln ist nicht absehbar. Vor allen Dingen suchen wir immer nach Halt, nach einer Richtlinie fuer unser Handeln ... aber wo fuehrt diese Richtlinie hin? Stopern wir darueber oder haengen wir uns daran auf?

Was ist Wahrheit? Wie erkennen wir sie? Wer unterscheidet zwischen „wahr“ und „falsch“, zwischen „gut“ und „böse“? Können wir das? Wer hilft uns dabei?

Gute Frage, aber der seeehhhhr lange Text danach zeigt mehr wie Wahrheit manipuliert wird, nicht aber ob wir Unterscheidungen treffen können.

Ein seeeehr guter Kommentar. Bist dahin scheinst Du gut durch den Text gekommen zu sein, aber ab dieser Stelle wurde es zu lange, d.h. ab dort muss ich vermehrt mit Rotstift arbeiten.
Zudem sollte ich auf die Unterscheidungen eingehen - allerdings habe ich dabei ein kleines Problem: Zweifel wurde bis dato in der Geschichte erzogen, diese Unterscheidungen nicht mehr faellen zu koennen. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen ...

„Heutzutage liest keiner mehr eine Geschichte mit mehr als einer Seite“

Dass du das nicht bei deinem Text beherzigt hast - soll das eine `selbsterfüllende Prophezeiung` sein? Selbstbezug hat immer das Potential gefährlich zu sein.

Ach, ich habe mich dazu hinreissen lassen, nachdem ich bei Eco die Stelle las, in der er in der Name der Rose auf den beruehmten Randnotizenschreiber aus Bologna hinweist (er selbst war bei den Bibliothekaren gefuerchtet, weil er immer und bei jedem Buch Notizen auf die Raender schrieb :D )
Es sind aber noch ein paar andere Bezuege nicht unbedingt zu mir in die Geschichte mit eingebaut ... vielleicht findet sie ja jemand ...

Der Gegensatz allgemeine Betrachtung/spezieller Fall (Kurives/Fall `Zauder´ - übrigens ein treffender Name), ist eine gute Idee, aber die Spannung leidet durch die Textfülle. Trotzdem - ein ungewöhnlicher Text, der viele grundlegende Aspekte aufgreift. Das kleine menschliche Leben, mit seinen kleinen „menschlichen Schritten“ verläuft täglich - auch wenn wir uns die Frage nicht ständig stellen - am Abgrund der Erkenntnis von wahr und unwahr, gut und böse, entlang.
Die `Umerziehung´ des Protagonisten am Schluss erinnert an 1984, man kann das Ganze auch als Initiationsprozess sehen, Zauder wird eingeführt in die Mechanismen des (Über-)Lebens.
Ich fasse das jetzt einmal als Lob und als Tadel auf. Ein Lob fuer den Inhalt, einen Tadel fuer die Laenge und die Form.
Aber dennoch: Dankeschoen fuer beides!


Deine Änderungsvorschläge werde ich bei der Revision in etwa zwei Wochen beruecksichtigen - soweit ich sehen konnte, sind alle in Ordnung.

Vielen Dank noch Mal!


@ Goldene Dame:

Ich habe die Geschichte gelesen. Was mir gefallen hat, war die Idee der Umbenennung der des Arbeirsamtes in Zukunftsamt. Ich würde aber dabei auf die heutige Terminologie zurückgreifen (das Arbeitsamt gibt es ja nun wirklich schon nicht mehr)
Also so wie sim: "Amt fuer Zukunft" yep - das kann ich machen.

Die kursiven Elemente fand ich sehr störend. Sie unterbrechen die eigenen Gedanken beim Lesen, sie kommen mir aufgezwungen vor
Das ist ein sehr guter Kommentar, der mir sagt, dass ich an diesen Stellen noch viel arbeiten muss, oder sie in den Text integrieren sollte.
Ich hatte diese Stellen geschrieben, um gerade die Gedanken anzuregen. Die Geschichte ist eine Analyse des Lernens (zumindest wollte ich sie als diese schreiben), eine Analyse dessen, wie wir unser Wissen erlangen und es modifizieren; zudem ist sie eine bitterboese Satire auf das, was in unserem Land mit Arbeitslosen gemacht wird verbunden damit, wie Wahrheit weltweit verbogen wird, um sie den eigenen Zwecken anzupassen. Was passt da mehr, als letztendlich einen Arbeitslosen als Terroristen anzuheuern? Und das noch auf eine Weise, bei der ihm nur die reine Wahrheit gesagt wird - aber eben nur ein Teil der Wahrheit - und ihm das zuvor auch noch erlaeutert wird. Er will es lediglich nicht wissen, weil er sich damit der Realitaet stellen muesste und etwas bewegen muesste. Er ist zu aengstlich und zu faul. Gerade das wird von den Maechtigen ausgenutzt: Die Angst des kleinen Mannes, der um sein taeglich Brot zittert. Er muesste ja eigentlich nur "nein" sagen und ein persoenliches Risiko eingehen, aber er zaudert.
Eine Frage an Dich, die mir bei der weiteren Gestaltung des Textes helfen koennte, die aber nicht mit persoenlichem Bezug zu verstehen ist:
"Wie wuerdest Du in seiner Situation reagieren, wenn Dir vor Augen gestellt wird, dass Du die Entwicklung der Geschichte verpennt hast (Schild fuer das Zukunftsamt), und Du eigentlich mit Deinen Einschaetzungen immer falsch liegst (Weiss macht Zauder regelrecht fertig)? Wuerdest Du dann immer noch aus Gewissensgruenden auf einen Job verzichten, wenn Du keine Geld und eine Menge Probleme hast, vor allen Dingen, wenn Dir die Gefahren und Risiken dieses Berufes nicht einmal bewusst sind und Du das auch nicht mehr wissen willst?"

Der Einfall ,die Vielzahl an Berufsbezeichnungen in einige wenige Branchen zusammenzufassen ist nicht neu. Gerade bei der Anerkennung von ausländischen Zertifikaten hat sich der deutsche Gesetzgeber schon einiges einfallen lassen (nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung) um eine Analogie der Berufsbezeichnungen ins deutsche System zu erreichen. Schaut man in das Anforderungsprofil eines Stellenangebots, findet man regelmäßig außer der Berufsbezeichnung auch noch andere (nicht zertifizierte) Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen.
Wenn ich deine Geschichte richtig verstanden habe geht es um die Entwicklung einer Qualitätssicherung des Anforderungsprofils wobei man von den alten Qualitätsnachweisen abgeht, weil diese nicht mehr zeitgemäß sind.
Ja und nein. Die Sache mit den Berufsbezeichnungen muss ich kuerzen, sie dient lediglich dem Zweck, den Beruf "Dummverkaufer" als Oberbegriff fuer die Berufe einfuehren zu koennen, wo "dumm verkauft" wird - und das aus Prinzip.
Das ist eigentlich nicht der Kern der Geschichte - aber gut, dass Du das angesprochen hast! Das hilft mir beim Entruempeln.

Deine Geschichte übertreibt im großen und Ganzen die Lösungsansätze die die Gesellschaft sieht, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden.
Ein wichtiger Punkt wird zynisch aufgegriffen. Der Arbeitslose muss sich nur in einem anderen Licht sehen, innovativ sein, dann klappt das schon.
Ja, in dieser Hinsicht ist sie eine boese Satire dessen, dass eigentlich nur mit Zahlen und Begriffen gespielt wird, wer nun Arbeitslos ist, wer umschult, wer eine Ich-AG hat, wer ... Durch ein paar wenige Begriffsaenderungen hat man sehr schnell eine Statistik geschoent. Passiert ist leider wenig, geandert hat sich in den letzten Jahren auch kaum etwas. Allerdings, so uebertrieben diese Punkte teilweise sind, so steckt doch in jedem ein wahrer Kern: Selbst wenn ein Arbeitsloser nur irgendetwas tut - und sei es Anstehen in einer Warteschlange fuer jemand anderen - dann ist es besser, wie wenn er gar nix tut. Er schafft damit einen Nutzen, er leistet etwas - wenn auch Geringes - und wenn er es geschickt anstellt und eigene Initiative entwickelt, kann er es auch zu etwas bringen (das amerikanische Modell ... das funktioniert auch bei uns: ich selbst habe waehrend meiner Schulzeit/meinem Studium jede freie Zeit genutzt und bei insgesamt etwa 8-10 verschiedenen Firmen/Kneipen/Institutionen gejobbt. Ich habe nie laenger als einen Tag gesucht, bis ich etwas hatte. Zuletzt hatte ich dann fuenf Jahre lang auf dem Bau geschuftet (neben dem Studium, weil's dort die dickste Kohle gab). Als ich das erste Mal bei der Firma war, habe ich 9 Wochen ohne Pause mit dem Kompressorhammer den Putz von einem Kloster entfernt. Spaeter Decken durchgebrochen, Waende eingerissen, irgendwann durfte ich sogar mauern, als auch das klappte, betonieren, baustelle ausmessen, ... etc. Nachdem mein Boss noch bemerkte dass ich gut mit den Leuten umgehen und organisieren konnte war ich das letzte Jahr sogar fuer 10 Wochen Boss auf einer Baustelle mit etwa 10 Mitarbeitern ... und das als ungelernter Ferien-Hilfsarbeiter bei zwei anderen Ferien-jobbern und 7 Vollzeitkraeften. Fuer mich ist es daher nur schwer zu verstehen, dass jemand jahrelang wirklich "keinen" Job kriegt - vermutlich ist es nur nicht der Job, den er gerne haette. Schwieriger ist die Sache dagegen, wenn der Arbeitnehmer auf die Pensionsgrenze zusteuert oder aus gesundheitlichen Gruenden nur zu bestimmte Arbeiten auf sich nehmen kann.)
Allerdings: wer nur zu Hause bleibt und sich den Hintern wund sitzt, der wird es nie zu etwas bringen ... und Deutschland ist die oedeste Service-Wueste der Welt, nicht zu letzt, weil bei uns die Loehne und die Nebenkosten zu hoch sind. (Die IGM hat doch sicher wieder ein paar populisitische und kurzsichtige Prozent durchgedrueckt ... wann hoert das denn endlich auf ... )


Warum habe ich bloß den Eindruck, das dein Protagonist im Regen stehen gelassen wird?
:D
Die gesamte Gesellschaft bei uns laesst sich selbst im Regen stehen (jeder will immer mehr, aber keiner will etwas dafuer tun ... und so einen Job, wie Zauder angeboten bekommt ... mannomann, denn wuerde doch jeder nehmen ... wenn da nur nicht die paar kleinen Details waeren ...) - das ist viel schlimmer - ich glaube, das sollte ich noch mehr herausarbeiten bei der Geschichte.

Der Zynismus kommt rüber, weil der Dummverkäufer die Wahrheit verkaufen soll.
Eine Wahrheit, die beliebig umgeschrieben werden kann, (wie die Berichterstattungen in den Medien auch erlebt werden) zu verkaufen, mag auch ein Dummverkauf sein. Gerade weil man nicht die Möglichkeit hat, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Nicht ganz - aber gut beobachtet: Die Wahrheit wird nicht beliebig umgeschrieben, sondern "nur" teilweise wiedergegeben. Das ist ein wesentlicher Unterschied: Wuerde man sie umschreiben, dann koennte die Gegenseite die Fehler nachweisen. Laesst man aber Dinge einfach unter den Tisch fallen, dann hat man die Wahrheit gesagt. Diese Art der Informationsweitergabe ist leider ueblich - insbesondere bei all den angegebenen Berufsgruppen.

Ich kann nicht behaupten gerne gelesen, weil schwerfällig aber schon intererssant, wobei ich mir aber eine andere Aufbereitung gewünscht hätte.
Ich fuerchte, damit hast Du vollkommen Recht - und ich habe damit einen dringenden Auftrag bekommen, die Geschichte zu kuerzen und leichter verdaulich zu machen.

Vielen Dank noch einmal dafuer!

Beste Gruesse an Euch beide ...

sarpenta

 

Hallo sarpenta,

Eine Frage an Dich, die mir bei der weiteren Gestaltung des Textes helfen koennte, die aber nicht mit persoenlichem Bezug zu verstehen ist:
"Wie wuerdest Du in seiner Situation reagieren, wenn Dir vor Augen gestellt wird, dass Du die Entwicklung der Geschichte verpennt hast (Schild fuer das Zukunftsamt), und Du eigentlich mit Deinen Einschaetzungen immer falsch liegst (Weiss macht Zauder regelrecht fertig)? Wuerdest Du dann immer noch aus Gewissensgruenden auf einen Job verzichten, wenn Du keine Geld und eine Menge Probleme hast, vor allen Dingen, wenn Dir die Gefahren und Risiken dieses Berufes nicht einmal bewusst sind und Du das auch nicht mehr wissen willst?"

Ich habe eine Antwort für dich, was ich beobachtet habe.
Persönlich bin ich nicht betroffen. Ich war noch nie arbeitslos. Mein Mann ist selbständig. Die Zeit zu verschlafen ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Ich denke, dass die Menschen lernen müssen mehr Selbstverantwortung für sich zu tragen. Ich erwarte das auch von meinen Mitmenschen. Ich fühle mich auch nicht verantwortlich einen Herrn Zauderer aus seinen Schlaf zu wecken. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nur der Mensch, der auch (zu)hören will, Rat sucht. Kann man im Schlaf zuhören? :D

Lieben Gruß, Goldene Dame

 
Zuletzt bearbeitet:

Nur - das Leben ist anders, anders wie wir uns ausmalen:
als
dazu hat er auch Grund: seine Frau krank
nach Doppelpkt groß
Es ist hin und her gerissen, zwischen dem was Weiß ihm sagte, und dem das was er für richtig hält:
Er ist ...
Die Lob von Weiß macht Zauder Mut
Das Lob ...
Wir bauen unsere Realität aus Bruchstücken zusammen, aus Fragmenten, von denen wir nicht wissen, wohin sie gehören. Das Höhlengleichnis lebt weiter, der Wissende stirbt. Wir beginnen an die Bären zu glauben, die man uns auf den Rücken bindet und sagen: Sind das nicht schöne Flügel? Nur Flügel können von unserem Rücken aus solche Schatten werfen! Es sind doch Flügel? Wieso fragt niemand: Sind wir denn Engel?
Würde Platon sicher gefallen. :D
Weiß hat recht, dass es mit dieser Änderung wesentlich mehr Möglichkeiten gibt, Jobs zu vermitteln.
Weiß hat Recht ...

Hallo sarpenta,

die Geschichte ist bis hier hin ganz interessant, aber ich muss jetzt weg. Werde aber weiterlesen.

Bis dann

MiK

So, hab weiter gelesen.

„Eine weise Entscheidung. Jeder Mensch braucht eine Basis, ein Fundament. Was habe sie gelernt?“
Was haben Sie gelernt?
Also: sagen es, sprechen sie es aus: ja, das bin ich, das ist mein Beruf. Sagen sie es!“
Sie
Es sprudelt aus ihm heraus in das offen Ohr von Weiß.
offene
„das ist Schnee von Gestern. Sagen sie's einfach.“
gestern

Hallo noch mal,

sorry, aber ich musste irgendwann aufhören die Fehler herauszukopieren und habe nur noch gelesen.
Auch diese Geschichte von dir gefällt mir sehr gut. Zugegeben, sie ist sehr lang, aber ich empfand sie niemals als langweilig. Im Gegenteil, sie ist sehr tiefgründig. Ich habe mich stellenweise an Orwells 1984 erinnert gefühlt.

See you soon

MiK

 

Hallo sarpenta,

„Jetzt habt ihr mich aber vor ein wirklich schweres Problem gestellt“

- du kannst es dir natürlich auch leicht machen und davon ausgehen, dass du zwei verschiedene Lesergruppen zumindest halb zufrieden stellen kannst … :D

Ich fände es schade, wenn du die kursiven Stellen weglässt, sie machen den Text interessant, inhaltlich und sprachlich.
Der übrige Text wäre ohne das Kursive eine Beamtensatire, wie man sie immer mal liest. Müsste auf eine große Pointe hin streben, um zu gefallen. Ich hatte es schon angedeutet: Eine Art Initiationsgeschichte (der Prot. wäre z.B. eine Art `Taugenichts´, unschuldig-idealistisch) könnte der Text auch werden, aber dann müsstest du eine gewisse Erkenntnisdramatik entstehen lassen, die Geschichte ganz neu schreiben.


„Ist es moeglich die Thesen (welche Thesen) des kursiven Textes aus dem Dialog herauszulesen und kann man den Text richtig interpretieren ohne diese Richtschnur?“

- Mit Thesen meine ich so etwas wie „Wissen knechtet, aber Gewissen versklavt“, auch andere Aussagen (die man u. U. bestreiten könnte, und sei es nur aus Prinzip).

Ich würde mich sehr wundern, wenn man (in der bisherigen Fassung) vom Text auf die im Kursiven angesprochenen übergeordneten Aussagen schließen würde. Der Text vermittelt eher den Eindruck es gehe um Kuriosen, um Satire, Situationskomik. Wenn es dir gelingt, das Ganze zu kürzen, wird durch die Konzentration der Gedanken vielleicht deutlicher, wie sich das Kursive und der nichtkursive Text ergänzen.


Viel Erfolg, die Geschichte ist es wert, noch etwas Zeit zu bekommen.

Tschüß Woltochinon

 

Hallo Woltochinon, Goldene Dame & MiK

Vielen Dank fuer Eure Kritik und das Lesen dieser - zugegeben - langen und offensichtlich unausgegorenen Geschichte.
Heute ist bei uns Feiertag und ab Freitag mein Boss in Urlaub. Ich denke Mal, ich werde das Ding bis naechsten Sonntag ueberarbeiten koennen. Aber zuvor noch kurz zu Euren Beitraegen:

@ Goldene Dame:

Ich stimme Dir fast voll und ganz zu: Jeder einzelne muss verstaerkt lernen, auf seinen eigenen Fuessen stehen zu koennen. Es ist aber auch Aufgabe von Gesellschaft, Politik, Schulen und Familien die einzelnen Personen darauf vorzubereiten. Vielleicht kann ich das in irgendeiner Form noch einfliessen lassen. Mal sehen.
Worin ich nicht zustimme: Ich bin auch fuer meinen Nachbarn, meinen Nebenmann und meine Gesellschaft verantwortlich. Es geht der Gesellschaft nur dann gut, wenn es allen gut geht. Dieser ideale Zustand ist sicherlich nicht erreichbar, aber trotzdem erstrebenswert und wird nur dann moeglich, wenn es Personen gibt, die das auch wollen. Wenn ich das nicht will, dann kann ich das auch von niemandem erwarten.
(vermutlich bin ich nur ein alter abgetakelter Idealist ... aber wer weiss ...)

@ MiK

Endlich jemand, der das Hoehlengleichnis kennt! ;)
Dabei ist das nicht das Einzige, was an Philosophie in diese Geschichte eingeflossen ist ...

Deine sprachlichen Verbesserungsvorschlaege habe ich mir heruntergeladen. Hinsichtlich Sprache muss ich noch einiges verbessern und werde Deine Anregungen sicherlich beruecksichtigen. Dauert aber noch etwas.

Vielen Dank uebrigens fuer das Lob.
An 1984 hatte ich allerdings nicht gedacht, sondern an die Gegenwart. Ich ueberlege gerade, ob ich nicht zwei Geschichten aus dieser einen mache, weil diese prinzipiell in zwei Themen zerfaellt ... vermutlich lasse ich sie aber beieinander.

@ Woltochinon:

Ich will alle Lesergruppen vollkommen zufrieden stellen, solange ich nicht den Text meiner Seele dafuer verkaufen muss.

Ok. Ich werde nochmals die kursiven Stellen sondieren, mir ueberlegen, was eventuell rausfallen koennte, anschliessend die Dialoge kuerzen und beide Teile besser aufeinander anpassen.

Ich hoffe, das kriege ich die naechsten Tage hin.

@alle:

Vielen Dank nochmals fuer Eure Hilfe,

sarpenta

 

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