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E
Sie war vielleicht nicht ganz die schönste Frau auf der Welt.
Die Haare waren einen Hauch zu verstrubbelt, die Nase ein wenig zu knollig, die Augen ein bisschen zu eingefallen, die Brüste einen Tick zu hängend und die Figur eine Nuance zu pummelig. Nicht hässlich, nicht unansehnlich, es war nur nie ganz perfekt im Sinne dieser Traumfrauen, die man üblicherweise im Sinn hat, wenn man von einer dieser Traumfrauen spricht.
Sie hatte leicht exzentrische Eltern, die ihr nicht nur beibrachten, wie man einen Hund auf offener Straße am effektivsten auf finnisch beleidigt und warum man seinen Kaffee immer gegen den Uhrzeigersinn rühren sollte, sondern ihr auch einen etwas ungewöhnlichen Namen gaben. Ihre Eltern nannten sie nämlich Annika Barbara Claudia Doris Franziska Gudrun Hillary Ingrid Johanna Kathrin Laura Monika Nicola Ofilia Patricia Quintina Rosalind Saskia Tatjana Ursula Vicky Wynonah Xandra Yasmin Zara. Und weil sich das beim besten Willen keiner merken konnte, nannten alle Anderen sie der Einfachheit halber E.
Das merkwürdigste an E war aber eine andere Sache. Sie glaubte nämlich, sie wä... nein. Nein, das ist falsch. Sie war Batman.
...
"Wie kommst du denn darauf?"
"Sie hat es mir erzählt."
"Sie hat es dir erzählt."
"Ja. Ich war auf der Flucht, weißt du, und da bin ich durch diese Gasse gelaufen, als sie auf einmal vor mir stand. Ganz in schwarz gekleidet. Ich hab sie gefragt, wer sie ist und sie sagte in dieser komischen Krächzstimme 'Ich bin Batman'."
"Aber das ist nur eine Comicfigur."
"Das spielt keine Rolle. Es ging dabei nicht darum, was sie war, sondern was sie darstellte."
"Und hat sie dich geschnappt?"
"Natürlich. Also, ich meine... nicht, daß du jetzt denkst, ich hätte mich von einer Frau verprügeln lassen. So wars nämlich nicht. Also, im Prinzip schon, aber sie hatte Waffen."
"Was denn für Waffen?"
"Das solltest du eigentlich besser wissen als ich."
"Du bist wirklich der humorloseste Superschurke von allen."
"Ich bin nicht in der Stimmung für Scherze. Und es war eine Art Bumerang."
"Wo du es ansprichst, ich habe eigentlich nie verstanden, warum sie ausgerechnet..."
"Hast du ne Idee, wie weh das tut, wenn du so ein Ding voll in die Fresse bekommst?"
"Kommen daher die Narben in den Mundwinkeln?"
Ja, E hatte mich erwischt. Ich bin damals gerade erst frisch in die Stadt gekommen und wollte eigentlich nur mal testen, wie schnell die hiesige Polizei ist. Also habe ich, nur so zum Spaß, einen Scherzartikelladen überfallen. Habe zwei Furzkissen und ein paar von diesen komischen Plastikgebissen geklaut, die von alleine klappern.
Und es war diese kleine Gasse, in der wir unsere erste Begegnung hatten. Sie sagte, sie wäre Batman, ich musste lachen und dann hat sie mich mit diesem Bumerang beworfen. Die ersten drei Würfe gingen noch daneben, aber das Ding kam immer wieder zurück zu ihr und der vierte Versuch hat mich voll erwischt. Alles, was Recht ist, aber diese Frau hatte einen ordentlichen Wumms im Arm. Ich habe das Gleichgewicht verloren und bin mit dem Rücken an der Wand zusammengebrochen. Während ich versuchte, mir das Blut aus dem Gesicht zu wischen, kam sie näher und sah mir in die Augen. Ich glaubte beinahe, ein Lächeln gesehen zu haben. Heute weiß ich, daß ich damals ihr erster Fang war.
Ich wanderte nichts ins Gefängnis. Sie brachte mich einfach in die nächste Polizeiwache, ich zahlte ein paar Dollar Strafe und war wieder auf freiem Fuß. Nein, wenn ich mich recht entsinne, bin ich überhaupt nie im Gefängnis gewesen. Und meine so genannten Berufsgenossen auch nicht. Aus irgendeinem Grund war sie anscheinend davon überzeugt, daß tief in uns drin doch ein guter Kern steckt.
Sogar als ich damals die große Weihnachtsparade gesprengt hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, hat sie mich nur in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Es dauerte meistens nicht mehr als eine Woche, bis ich wieder draußen war. Mit ein wenig Charme für die weiblichen Aufpasser und der nötigen Brutalität für die männlichen, können einen wahren Meister keine Mauern halten.
"Weißt du, ich hatte manchmal sogar das Gefühl, daß sie es mit Absicht gemacht hat."
"Was?"
"Mich so weggesperrt, daß ich wieder rauskomme."
"Warum sollte sie so etwas tun?"
"Woher soll ich das wissen? Ich bin nur ein Krimineller. Vielleicht hat sie die Herausforderung gebraucht. Vielleicht mochte sie mich."
"Das wage ich dann doch zu bezweifeln. Sie hat nie besonders gut von dir gesprochen."
"Vielleicht nicht vor dir. Erinnerst du dich an diesen Typen mit den Fragezeichen?"
"Ed?"
"Keine Ahnung, kann sein. Ich habe einmal zufällig mitgehört, wie sie ihn mit mir verglichen hat. Sie meinte, ich wäre zwar eine Plage für die Stadt, aber zumindest würde ich mich nicht hinter irgendwelchen Masken verstecken."
"Machst du das nicht?"
"Das hier ist keine Maske, mein Freund. Im Gegenteil. Das ist nur ein wenig Farbe. Aber, und das ist der Punkt, ich bin der einzige von uns beiden, der niemals irgendwem etwas vorgemacht hat. Ich war immer ich."
Der Typ mit den Fragezeichen. Seltsamer Kerl, hat in Rätseln gesprochen und sich für verteufelt intelligent gehalten, wenn man ihn nicht verstanden hat. War er vielleicht auch, wer weiß das schon. Hat ja nie einer verstanden, was er gesagt hat.
Ja, es hatte sich mit der Zeit rumgesprochen, daß es in dieser Stadt jemanden gab, der sich nachts in schwarzes Leder hüllt und Verbrechen auf eigene Faust bekämpft. Und, ich weiß nicht, was es war - vielleicht die Verlockung, mal von einer Frau geschnappt zu werden - aber kaum hatte sich unsere Geschichte verbreitet, kamen sie. Die ganzen Freaks, der Abschaum, die gescheiterten Gestalten aus aller Welt. Sie überrannten meine schöne Stadt und überzogen sie mit einem Netz aus infantilen Verbrechen. Die Stadt, die eigentlich ich mir als Spielplatz ausgesucht hatte. Und meine E, die eigentlich mein Gegner sein sollte. Wenn man es richtig betrachtet, haben sie alles kaputt gemacht.
Sie verkleideten sich als Vögel, warfen Münzen, setzten sich alberne Kapuzen aus Kartoffelsäcken auf den Kopf, legten sich Feiertage als Masche zu oder spielten mit Blumen. Amateure!
Was einmal als Duell zwischen E und mir begonnen hatte, wurde immer mehr zu einem Krieg. Jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Sie dachten sich immer absurdere Verbrechen und Kostüme aus, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Dabei war ich der einzige, der diese Aufmerksamkeit verdient hätte. Ich war der einzige, der ihr ebenbürtig war, der einzige, der sie zum Lachen bringen konnte. Bei unserer ersten Begegnung hat sie gelächelt.
Mit den Anderen hat sie nur gespielt - aber ich war es, den sie jedes Mal aufs Neue durch die Stadt verfolgt hat, dessen Pläne sie jedes Mal aufs Neue vereitelt hatte. Nicht, weil es ihr Job war, denn das war es nicht, sondern weil sie es genossen hat, sich mit mir zu messen. Es ist schwer, einen wirklichen Gegner zu finden und ich glaube, nein, ich weiß, daß es bei uns etwas Besonderes war.
"Bist du dir da sicher?"
"Ich weiß es."
"Naja, ich gebe zu, daß sie dich besonders häufig erwähnt hat."
"Siehst du. Hätte es die Anderen nicht gegeben, hätten wir die Stadt für uns gehabt. Nur E und ich."
"Ich glaube ehrlich gesagt, daß sie die Stadt gerne allein für sich gehabt hätte. Für sich und all die anderen ehrlichen Bürger."
"Wer ist schon ehrlich? Wer kann von sich behaupten, immer ein reines Gewissen zu haben? Hat nicht jeder schonmal irgendwo irgendwann irgendein Verbrechen begangen? Sogar du."
"Ja, sogar ich..."
"Weißt du, es war sozusagen meine Aufgabe, die Stadt zu säubern. E war alles, aber leider nicht besonders konsequent. Einer musste es tun."
"Damit sie mehr Zeit für dich hat?"
"Was? Ich habe nur das getan, was getan werden musste. Weißt du, irgendwann bestand diese Stadt doch nur noch aus Schmutz und Abschaum. Und weil es nicht mein Schmutz und Abschaum war, habe ich aufgeräumt."
"Du hast sie getötet."
"Einen nach dem anderen. Alle diese so genannten Superschurken dieser Stadt."
"Du weißt, daß du ihr damit näher gekommen bist, als jeder Andere, oder?"
"Ich war ihr schon immer näher, als jeder Andere."
Ich habe Fallen gebaut, ganze Straßenzüge in die Luft gesprengt, Bandenkriege inszeniert, habe sie alle, einen nach dem Anderen über die Klinge springen lassen. Einige habe ich im Fluss versenkt, andere einfach auf der Straße liegen lassen. Als Zeichen. Dies ist meine Stadt! Unsere.
Ich wusste nicht, ob E mitbekam, was ich getan hatte. Das war auch nicht wichtig. Es ging mir nicht darum, es ihr Recht zu machen oder sie zu beeindrucken. Vermutlich hätte es ihr auch gar nicht gefallen. Ich wollte meine Stadt zurück. Und meinen Gegner. Es war in gewisser Weise unerträglich, wenn ich daran dachte, daß E die Nächte damit verbrachte, irgendwelche hirnlosen Schurken zu jagen, wenn sie diese Zeit mit mir viel sinnvoller nutzen könnte.
Als die so genannten Superschurken nicht mehr da waren, abgesehen von mir natürlich, nahm sie sich die kleinen Gangster vor, die kleinen Fische. Manchmal habe ich die Nächte nicht damit verbracht, mir irgendwelche Pläne auszudenken, sondern ich bin E gefolgt. Habe ihr zugesehen, wie sie einen dieser Nichtsnutze über die Dächer gejagt hat, nur um am Ende dann doch wieder Gnade walten zu lassen. Und so bin ich heute auch hier gelandet.
"Du hast sie verfolgt?"
"Ja. Und ich habe es gesehen. Beantworte mir eine Frage, mein Freund. Warum?"
"Warum? Seit mehr als fünfzig Jahren arbeite ich nun schon für ihre Familie. Ich habe ihren Eltern geschworen, immer auf ihre Tochter acht zu geben. Seitdem habe ich jede Nacht damit verbracht, mir Sorgen zu machen. Ich wusste nicht, was ich hätte tun sollen, wenn sie eines Abends nicht zurück gekommen wäre, weil einer von euch sie..."
"Bitte... 'Einer von euch', das klingt so abschätzig. Ich habe heute immerhin niemanden getötet."
"Ich wollte doch nur meine E wiederhaben. Sie war vollkommen besessen von euch, konnte an nichts anderes mehr denken. Und indem ich sie jede Nacht wieder zusammengeflickt habe, habe ich dabei geholfen. Habe meine Pflicht getan, auch wenn ich es nicht ertragen konnte. Es hat sie zerstört, körperlich und innerlich. Ich musste diese Sache beenden und habe keinen anderen Weg gesehen, als es zu töten."
"Man kann Batman nicht umbringen, ohne auch Bruce Wayne wehzutun."
"Ja. Ja, ich weiß..."
Wir stehen in der Gasse, in der ich E damals zum ersten Mal getroffen hatte. Meine E. Es ist dunkel und die Straßenbeleuchtung funktioniert in diesem Teil der Stadt seit Jahren nicht. Hat sie vielleicht noch nie. Lediglich der Mond beleuchtet die Szenerie, bringt die Waffe in seiner kraftlosen Hand zum glänzen und wirft einen sanften Schein auf ihren toten Körper, aus dessen Kopfwunde eine unappetitliche Menge Blut fließt.
Ich habe sie alle aus dem Verkehr gezogen. Die größten Kriminellen dieser Stadt. Jemand wie ich braucht dazu keine Waffen, jemand wie ich benutzt seinen Verstand. Ich kenne über einhundert Wege, einen Mann ins Jenseits zu befördern. Siebzig alleine, wenn er bewaffnet ist. In diesem Moment brauche ich nur einen.
Sie war vielleicht nicht ganz die schönste Frau auf der Welt. Sie war auch sicher keine Comicfigur. Aber auf eine gewisse Art war sie Batman.
Und auf eine gewisse Art habe ich sie geliebt.