Was ist neu

Edwards Garten

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19.11.2002
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Edwards Garten

Edward erklärt mir die Welt.
Jeden Tag ein bisschen. Jeden Tag ein bisschen anders. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Wenn ich ihn besuche, fängt er irgendwann an zu erzählen. Manchmal dauert es ein bisschen, bis er beginnt. Dann sitzen wir eine Weile lang schweigend da.
Irgendwann stellt er seine Teetasse mit einem leisen Klirren auf den Tisch, richtet sich auf und sagt:
„Weißt du, als ich jung war, da gab es diesen Garten…“
Edward kennt nichts anderes. Nur diesen Garten. Er erzählt mir davon jeden Tag. Ich habe den Garten nie gesehen, doch ich kenne jeden einzelnen Winkel davon, jeden Grashalm, jeden der kleinen Wege, die verworren ins Dickicht führen.
Ich kenne den Garten, aber Edward kenne ich nicht.
Jeden Tag scheint es ein anderer Edward zu sein, der mir von dem Garten erzählt. Manchmal ist es ein nüchterner realistischer Edward, der mir nur die Pflanzenarten, die es dort gab, aufzählt. Manchmal ist es ein fantastischer Edward, der mir von verwunschenen Wegen, von der Ruine eines alten Tempels, von sprechenden Bäumen und flüsternden Elfen erzählt. Manchmal ist die Tempelruine nur eine Mauer, die den Garten einst in zwei Hälften teilte.
Edward erzählt mir den Garten jeden Tag neu. Jeden Tag anders. Er lässt den Garten erzählen und der Garten träumt davon, was er alles sein könnte.
Oft frage ich mich wo der Garten ist. Was Edward dort gemacht hat und was wahr ist und was er sich nur ausgedacht hat. Doch es ist nicht leicht von Edward eine Antwort zu bekommen.

„Hast du in dem Garten gelebt, Edward?“, frage ich.
„Ich habe für den Garten gelebt.“, sagt Edward und lächelt mich weise an.

„Wo ist der Garten, Edward?“, frage ich.
„Er ist hier.“, sagt Edward und deutet auf sein Herz, „Und hier.“, er deutet auf mein Herz, „Und in unseren Worten.“

Dann beginnt er zu erzählen. Er fängt immer von vorne an. Mit denselben Worten leitet er seine Erzählungen ein. Ich flüstere sie schon mit, so leise, dass er es nicht hören kann.
„Weißt du, “, sagt er, „als ich jung war, da gab es diesen Garten. Er war wunderschön und geheimnisvoll und ich entdeckte ihn vor sehr langer Zeit. Schließ deine Augen!“, sagt er mir und ich schließe sie und begebe mich ganz und gar in Edwards warme Stimme.
„Es gibt ein Tor am Eingang. Es lässt sich ganz leicht aufdrücken und du kannst eintreten. Du gehst ein paar Stufen hinauf, die Absätze deiner Schuhe klappern auf dem Stein. Dann stehst du im Garten. Du nimmst einen Weg und der Boden ist weich durch alte Tannennadeln, die ihn bedecken. Er schluckt jegliches Geräusch deiner Schritte und lässt dich lautlos darüber schweben. Ein bisschen Sonnenlicht fällt durch die Bäume auf den Weg und es bilden sich Lichtflecken, die über den Weg flimmern, wenn der Wind durch die Bäume streicht. Hörst du sie rascheln, die Blätter?“

Edward verstummt eine Weile und lässt mich alleine auf dem Weg stehen und dem Wind zuhören.
Dann lenkt mich seine Stimme weiter.
„Der Weg führt auf eine kleine Lichtung. Dort steht ein knorriger Baum, der ein Eisengestell umwächst.“

„Ah, “, denke ich, „der Pavillon von dem er gestern erzählt hat.“

„Es ist ein großer Vogelkäfig. Groß genug, dass du darin stehen kannst. Doch es gibt keine Tür, kein Schloss. Es ist ein Käfig, der kein Käfig ist. Die Scharniere, die ohne Tür am Türrahmen hängen sind verrostet. Doch sieh ihn dir an, den alten Käfig. Die Eisenstäbe, die im Boden befestigt sind, sind mit Verzierungen verbunden, mit kleinen Ornamenten, deren Schatten das Sonnenlicht auf den Boden wirft. Er ist sehr, sehr alt.“

Edwards Stimme wird anders, klingt plötzlich nicht mehr so verträumt und ich weiß, dass ich meine Augen wieder öffnen soll.

„Gab es viele Vögel in dem Käfig damals?“, frage ich.
„Zuerst schon.“, sagt Edward, „Es gab viele verschiedene. Kleine, Große, Schillernde, laut Krächzende und leise Singende. Es gab sie alle. Doch jemand ließ sie frei. Jemand konnte nicht ertragen sie eingesperrt zu sehen. Dieser jemand riss die Tür heraus und alle flatterten davon.“
„Warst du dieser jemand?“, frage ich.
Edward lächelt.
Ich frage mich warum. Weil er es war? Weil der Gedanke er könnte es gewesen sein so abwegig ist? Weil er denkt, ich wüsste wer es war?

„Ein Vogel ist zurückgekommen damals. Es war ein großer schillernder Vogel und er lebte in dem Käfig, flog ein und aus durch die offene Tür. Seinen Gesang hörte ich oft durch den Garten klingen.“
„Ist er auch heute noch da?“, frage ich.
„Hörst du ihn denn nicht in diesem Augenblick?“, sagt Edward und ich lächle.
Ich höre den Vogel singen und ich sehe den Garten in dem Augenblick, in dem Edward davon erzählt.

„Gehört zu dem Garten eigentlich ein Haus?“, frage ich, bevor Edward seine Teetasse wieder in die Hand nehmen kann.
„Der Garten gehört niemandem.“, sagt Edward und beugt sich vor, „Er gehört uns allen.“, flüstert er.

Edward erklärt mir die Welt. Seine Welt: den garten. Jeden Tag ein Bisschen. Jeden Tag ein Bisschen anders. Jeden Tag ein Bisschen mehr. Denn Edwards Leben ist der Garten und der Garten ist Edward. Ich weiß nicht, ob es diesen Garten irgendwo wirklich gibt und ich weiß nicht, ob ich jemals hindurch laufen werde. Aber ich weiß, dass das nicht wichtig ist, denn es ist wie Edward es gesagt hat.

Der Garten ist hier. In unseren Herzen und in unseren Worten.

 

Ich bin mir leider gar nicht sicher, ob das hier die richtige Rubrik ist. Da ich aber keine andere hundertprozentig passende gefunden habe, probier ich es einfach mal.
Kann mir da jemand weiterhelfen?
Roxy.

 

Naja, was soll man dazu sagen? Die Rubrik heißt nicht umsonst "Philosophisches" und nicht "Philosophie". Das ist als Abschwächung dessen gemeint, was man im akademischen Sinne unter Philosophie verstehen mag. Es soll also eher dem umgangssprachlichen Verständnis nahe liegen.

Eine passendere Rubrik als diese fällt mir für diese Geschichte jedenfalls nicht ein (mit Ausnahme des "Jokers": Sonstige vielleicht)

 

Hallo Roxy,
Die Geschichte ist eigentlich ganz nett zu lesen. Bis auf diese letzte Passage.

Edward erklärt mir die Welt. Seine Welt: den garten. Jeden Tag ein Bisschen. Jeden Tag ein Bisschen anders. Jeden Tag ein Bisschen mehr. Denn Edwards Leben ist der Garten und der Garten ist Edward. Ich weiß nicht, ob es diesen Garten irgendwo wirklich gibt und ich weiß nicht, ob ich jemals hindurch laufen werde. Aber ich weiß, dass das nicht wichtig ist, denn es ist wie Edward es gesagt hat.


Der Garten ist hier. In unseren Herzen und in unseren Worten.


Da wird die Aussage mir einfach zu kitschig. Lass den letzten Absatz doch einfach weg.

„Der Garten gehört niemandem.“, sagt Edward und beugt sich vor, „Er gehört uns allen.“, flüstert er.
Den Sazt würde ich auch streichen.

"Eine sinnvolle Pointe zum Schluss könnte so lauten:

„Welcher Garten?“, fragt Edward und beugt sich vor, „Ich weiß nicht wovon du sprichst.“
Eine passende Rubrik würdest du in Alltag finden.

LG
Goldene Dame

 

Hi Roxy,
ich denke die Rubrik "Kinder" wäre hier angebracht gewesen. Die Geschichte ist gar nicht mal so kitschig, wenn man sie als eine Kindergeschichte sieht. Eine nette Gutenachtgeschichte.
Mir gefiel sie wirklich gut, auch wenn du das Wort "bisschen" ein bisschen zu oft verwendet hast.
Außerdem möchte ich Anmerken, dass es anscheinend User gibt, die öfter mal ihre Tage oder sonst irgendwelche Probleme haben und gerne ihren seelischen Müll an anderen auslassen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Meinetwegen, ich habe keine Lust auf eine Konfrontation. Sehe die Geschichte wie du willst. Auch wenn du den Bogen überspannt hast, was eine ethisch, fundierte Aussage ist.

 

Sein - nicht werden

Ich finde das Bild des Gartens als "Garten des Lebens", der sich ständig verändert, durchaus philosophisch.

Die Erkenntnis in dieser Geschichte ist vielleicht eher weniger als Prozess zu sehen. Aber als Philosophie über das "Sein" und nicht das "Werden", finde ich diese Geschichte durchaus passend in dieser Rubrik.

Sie stellt offensichtlich auch das etwas verstaubte Bild gewisser Leute von Philosophie in Frage...

Mir hat deine Geschichte gut gefallen und falls sie in die Rubrik "Kinder" verfrachtet werden sollte, ist sie da auch gut aufgehoben, weil Kinder, ohne sich den Kopf zerbrechen zu müssen, die Philosophie und die Phantasie verbinden.

 

Hallo!
Ich wollte mal ganz einfach Danke sagen an alle die mich und meine Geschichte "verteidigt" haben.
Zur charmanten und überaus konstruktiven Kritik, die ich von Lukas_iskariot bekam, möchte ich mich gar nicht weiter äußern, denn wenn jemand so offensichtlich seinen Hass auf die Welt auf einer Internetseite ausleben muss, fühle ich mich nicht angesprochen.
Nun zu anderen Dingen:
Ich seh ja auch, dass die Geschichte wirklich einen Hang zum Kitsch hat. Das Ende, das du, Goldene Dame, vorgeschlagen hast, find ich zwar witzig, aber ich habe dabei auch irgendwie das Gefühl, dass Edward als senil dargestellt wird und das gefällt mir nicht so gut.
Edward als Kindergeschichte zu sehen, ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir der Vorschlag...
Ich bin mittlerweile aber auch der Überzeugung, dass die Geschichte auch durchaus in Philosophisches passt, da dieser Begriff ja sehr weit gefasst ist.
Insofern werde ich da noch mal angestrengt drüber nachdenken...:hmm:
Vielen Dank an euch, ihr habt mir wirklich weitergeholfen!
Liebe Grüße,
Roxy.

 

Hallo!
Ich finde diese Geschichte sehr schoen!Sie macht mir Gaensehaut und ich kann mir den Garten gut vorstellen.Ich mag auch deine Art zu schreiben...
Ich finde sie gut und ich finde auch,dass sie ihren Platz hier durchaus haben kann.
weihnachtliche grüße von fluss

 

Ich denke, daß die Geschichte banal ist. Es bedeute nämlich nichts, darauf hinzuweisen, daß das Herz ein Garten sei. Das ist bloß eine gefühlige oder poetische -Geschmacksfrage- Umschreibung, mehr nicht. Es wird keine Frage aufgeworfen, keine Antwort gegeben. Insofern scheint die Weisheit des lieben Edward doch begrenzt.

 

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