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EG.:Zwei Geburtstage, eine Schwester und ein bester Freund
Zwei Geburtstage, eine Schwester und ein bester Freund
„Hoffentlich geht alles gut“, seufzte ich und rieb zum hundertsten Mal über den Fleck auf dem Sofa.
„Was soll denn schief gehen? Und jetzt hör auf, an diesem blöden Fleck rum zu schrubben, das ist Rotwein, das hättest du auf der Stelle weg machen müssen“, meinte mein bester Freund Paul und nahm mir den Lappen aus der Hand.
„Ich bin immer nervös, wenn meine Familie kommt. Wieso musste ich auch Familie und Freunde auf die gleiche Party einladen? Das kann nur schief gehen!“
Um meine Nervosität zu bekämpfen, schrubbte ich nun mit den Fingern über den Fleck. Flink nahm Paul sie in seine Hände.
„Hör auf dich verrückt zu machen, Bibi. Es geht alles gut, ok? Ich muss jetzt los. Und lass um Himmels Willen diesen Fleck in Ruhe!“
Paul küsste mich auf die Wange, umarmte mich kurz und war dann verschwunden.
Es war der Tag vor meinem 20. Geburtstag. Alle hatte ich eingeladen. Nachbarn, Freunde, Bekannte, Familie. Meine Wohung glich einer Requisite in einem Möbelgeschäft. Die Küche glänzte, von dem Parkettboden hätte man essen können, die Fenster schmückten allerlei Girlanden und Kerzen waren in der gesamten Wohnung aufgestellt. Das Buffett war bereits auf mehreren längeren Tischen aufgestellt.
Ein Blick auf die Uhr genügte um mich wissen zu lassen, dass es in zwei Stunden so weit wäre. In zwei Stunden würden die ersten Gäste an der Wohungstür klingeln, und dann auch bald meine Familie.
Der kleine Fernsehtisch ächzte unter dem Gewicht, das er zu tragen hatte. Puderdosen, Bücher, DVDs, Fotoalben türmten sich auf dem Quadrat auf, das sonst lediglich die Fernbedienung und vielleicht ab und zu eine Zeitung beherbergen musste.
„Wieso machst du immer deine Geschenke auf, bevor du Geburtstag hast?“
Mein Rock tanzte um meine Knöchel, als ich mich blitzschnell umdrehte.
„Onkel Fred! Schön, dass du da bist! Und zu den Geschenken, ich warte bestimmt nicht bis Mitternacht!“
Lachend nahm mich mein Lieblings-Onkel in den Arm:
„Deine Eltern und Annika kommen auch gleich.“
„Ah, na endlich lerne ich deine Familie einmal kennen, Bibi.“ Die vertraute Stimme hinter mir ließ mich grinsen.
„Onkel Fred, darf ich dir meinen besten Freund Paul vorstellen?“, meinte ich und schob Paul in Richtung meines Onkels. Aber Paul war anderweitig beschäftigt. Ich folgte seinem Blick und entdeckte Annika. Selbst mit ihrem übernatürlich großen Bauch war meine Schwester eine Augenweide. Sie hatte das dunkle, lockige Haar unserer Großmutter geerbt und die leuchtenden, grünen Augen unserer Mutter. Ihre Ausstrahlung aber hatte sie ganz sich selbst zu verdanken. Schon als Teenager hatte sie sich darauf verstanden die Leute zum Staunen zu bringen, sobald sie den Raum betrat. Auch als fündundzwanzigjährige Frau hatte sie dieses Handwerk nicht verlernt.
„Ja, und das ist meine Schwester Annika“, murmelte ich. Paul schluckte und nickte. Seine buschigen braunen Haare waren ihm ins Gesicht gefallen, aber er machte sich nicht die Mühe es aus dem Gesicht zu streichen.
„Binchen!“, mit zwei langen Schritten war meine Schwester bei mir und umarmte mich fest.
Ich stellte ihr Paul vor.
„Einen hübschen besten Freund hast du da“, meinte sie und grinste. Paul grinste dämlich zurück. Verärgert über diese plumpe Anmache und Pauls nicht vorhandene Abneigung dagegen, presste ich die Lippen aufeinander und schaufelte noch einen Löffel Kartoffelsalat in den Mund.
„Ähm, ja wir kennen uns schon lang, schade, dass du ihn noch nie getroffen hast“, murmelte ich.
„Ja, schade“, antwortete Annika mehr an Paul gerichtet als an mich. „Woher kennt ihr euch noch mal?“
„Bibi und ich haben gemeinsam bei McDonalds gejobbt“, antwortete Paul, woraufhin Annika in schallendes Gelächter ausbrach. Verwirrt schaute Paul sie an.
„Du nennst sie Bibi? Wie Bibi Blocksberg?“, japste sie und ich verengte wütend die Augen.
„Na und?“, knurrte ich. Annika wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln:
„Na ja wie du meinst, Bibi, ich glaube, Paul braucht jetzt gerade aber nicht die Hilfe einer kleinen Hexe“, daraufhin lächelte sie verführerisch und führte Paul davon, der dies willenlos mit sich geschehen ließ.
„Wie zum Teufel schafft sie es sogar als Schwangere die Männer verrückt nach ihr zu machen?“, meinte ich einige Zeit später säuerlich an meine Mutter gerichtet. Die lachte und strich mir die Haare zurück:
„Sie hat eben die Aura einer Diva.“
Lächelnd sah sie mich an, während ich wütend das eng umschlungene Pärchen auf der Couch sitzen sah. Paul fuhr gerade liebevoll über den Bauch meiner Schwester.
„Das ist ja nicht auszuhalten“, murmelte ich und verschwand Richtung Toilette.
Für einen Moment genoss ich die Stille meines vertrauten Badezimmers, während draußen der Lärm nicht abnahm. Langsam ließ ich mir Wasser über die erhitzten Wangen rieseln und betrachtete mein Spiegelbild. Meine Haare fielen in glatten Strähnen über meine Schulter und das Rouge konnte kaum die Naturblässe meiner Wangen verdecken. Wütend krallte ich die Fingernägel in meine Hände. Ich war schon immer mit mir selbst zufrieden gewesen, bis meine Schwester aufgetaucht war. Aus diesem Grund hatte ich sie auch seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel, holte tief Luft und begab mich wieder zurück auf meine Geburtstagsfeier.
„Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr!“
„Sei still, Sabine, und gib mir das Telefon!“ Meine Mutter schrie mich so wütend an, dass ich ihr erschrocken das Telefon reichte.
Annika lag in ihren Armen und hielt sich den Bauch.
„Warum gerade jetzt?“, murmelte ich, worauf ich einen funkelnden Blick meiner Mutter auffing.
Als meine Mutter wie eine Furie das Auto in die nächste Kurve lenkte, wobei der Wagen fast aus der Kurve fiel, hörte ich die Kirchenglocke zwölf schlagen.
Nun bin ich zwanzig, herzlichen Glückwunsch, Bibi, dachte ich und starrte nach draußen in die dunkle Nacht.
Kindergeschrei erfüllte das Wartezimmer. Meine Mutter sprang aus dem Sessel und sauste kreischend aus der Tür; mein Vater und mein Onkel folgten ihr. Paul sprang ebenfalls auf, blieb dann aber um meiner Familie den Vortritt zu lassen.
„Gehst du nicht?“, fragte er und hob eine Augenbraue. Ich schüttelte den Kopf:
„Nein, sie hat genug Gesellschaft.“
Paul setzte sich neben sich.
„Eine tolle Frau deine Schwester“, meinte er und seine Augen leuchteten.
„Ach hör doch auf!“, schrie ich und sprang auf. Erschrocken wich er etwas mit seinem Stuhl zurück.
„Sie hat alles ruiniert! Ich sollte heute die Frau des Abends werden, aber sie schafft es, selbst das zu zerstören. Immer muss sie im Mittelpunkt stehen! Warum muss sie ihr blödes Kind, von dem sie wahrscheinlich noch nicht einmal weiß, wer der Vater ist, gerade heute Nacht bekommen?“
Erschöpft von meinem Ausbruch und um die Tränen unter Kontrolle zu bekommen, setzte ich mich wieder. Nach längerer Zeit, brach Paul das Schweigen:
„Du hörst dich an wie eine zwölfjärige. Ganz ehrlich, Bibi, du bist zu alt um neidisch zu sein. Meinst du denn, sie hat das mit der Geburt mit Absicht gemacht? Es tut ihr sicher Leid, dir „die Show gestohlen zu haben“, aber hör auf so abfällig über sie zu reden, das hat sie nicht verdient.“
Fest sah er mir in die Augen und meine Wut kochte über. Ich sprang erneut auf:
„Ach und du meinst alles über sie zu wissen? Wie viele Worte habt ihr gewechselt, zwei, fünf, zehn? Du hingst doch schneller an ihren Lippen, als ich Kuss sagen kann!“
Nun erhob sich auch Paul. Seine geballten Fäuste verrieten mir, dass er versuchte seine Wut unter Kontrolle zu bekommen.
„Und was interessiert dich das? Wir sind Freunde, Bibi, wir sind nicht zusammen!“
Mit einem Mal war meine Wut verflogen. Ich sah ihn an, meinen besten Freund. Hübsch war er, mit seinen funkelnden, blauen Augen. Auch sein Blick veränderte sich, weiche Züge vertrieben die Wut.
„Verstehe“, murmelte er und ein Ausdruck von Zärtlichkeit beherrschte nun seinen Blick.
„Sabine? Annika möchte dich sehen.“
Ich erschrak und sah meine Mutter verwirrt an. Nach einem Moment begriff ich und folgte ihr widerwillig.
Der Raum war dunkel, nur der schwache Lichtstrahl einer Schreibtischlampe schien auf das Bett. Dort lag meine Schwester mit zerzausten Haaren und ihrem Baby im Arm. Mir stockte der Atem und meine Mutter musste mich in den Raum schieben, sonst wäre ich ewig im Türrahmen stehen geblieben. Leise schloss sie die Tür von außen hinter sich und ließ mich allein mit meiner Schwester zurück.
„Schau, Binchen, das ist Lucas“, lächelte meine Schwester und hob ihren Sohn etwas hoch, so dass ich sein schlafendes Gesicht sehen konnte.
Auf dem Weg zu meiner Schwester hatte sich alle Wut in mir aufgestaucht, aber jetzt war sie verflogen. Leise schlich ich zu ihrem Bett und berüherte die kleinen Finger meines Neffen. Sie waren winzig und weich.
„Es tut mir Leid, Sabine. Ich wollte deinen Geburtstag nicht ruinieren“, seufzte meine Schwester und deckte das Baby etwas höher mit ihrer Bettdecke zu. Lucas seufzte im Schlaf zufrieden auf. Ich sah meine Schwester an, in all ihrer Schönheit und Anmut.
„Ich bin wütend, Annika, aber ich war schon immer wütend, wenn du in der Nähe warst.“
Meine Schwester lächelte matt.
„Und ich habe dich immer um deine freches Mundwerk beneidet.“
Ich lachte und sah sie misstrauisch an.
„Ach ja? Das glaubst du doch selbst nicht!“
Annika sagte nichts, sondern strich nur leicht ihrem Sohn über die Wange.
Behutsam setzte ich mich neben sie auf das Bett und berührte leicht den Kopf des Kindes.
„Hallo, kleiner Mann“, murmelte ich „heute ist dein Geburtstag. Und weißt du was, ab jetzt können wir ihn immer gemeinsam feiern.“