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Eierkopps Traum
Eierkopps Geschichte
Humpty Dumpty sat on a wall,
Humpty Dumpty had a great fall,
All the King's horses and all the King's men,
Couldn't put Humpty together again
Der Eierkopp saß meistens vorne am Tresen, alleine, nur manchmal saß Gabi neben ihm; ehrlich gesagt war er der hässlichste Kerl der Stadt, deshalb Eierkopp, so hässlich, daß selbst die Nutten nicht wollten und die härtesten Brüder in der Kneipe und der Eintracht in ihren versoffenen Herzen sowas wie Mitleid empfanden. Mitleid?, fragten sie sich dann in ihren Säuferhirnen, in denen die elektrischen Impulse schon etwas langsamer unterwegs waren und manchmal einfach verpufften: Ja, Mitleid, dachten sie und machten Pause: „Schonny, geb ma’n Bier.“ Auch Gabi saß da nur aus Mitleid. Alle wussten, daß Gabi, die Ex vom Blockachtklaus für jeden mal die Beine breit gemacht hatte, manchmal auf Schonnys Klo, nur nicht für den Eierkopp. Jeder kannte seine Story und wer neu in der Stadt war und irgendwas mit Fußball und Kloppen am Hut hatte, konnte nicht glauben, dass der Trinker an Schonnys Tresen der Eierkopp war. Er hatte noch nie Freundin gehabt und das mit dreiundreißig, Jungfrau, sagten die einen, und die andern sagten: die Einzige die er hatte, ist die SG-E. Das lag daran, daß ihn einfach keine ran ließ außer der Eintracht, obwohl er hier im Viertel und bei Schonny sowas war wie ein Held.
Der Pilsner-Bernie, Rekord: zwanzig Pils in zwei Stunden, hatte die Geschichte, die "große Zeit" vom Eierkopp am Besten gekannt: »Es war innem Oktober vor der Wende gewesen...die Bayernschweine waren hier, nullsunull sach ich euch, Unentschieden bloß, und dann sin die jedenfalls vom Stadion hierher und haben Remmidemmi gemacht, die Säue, haben den Klaus erwischt unnen Schonny, stimmt’s Schonny, is wahr, gell«, hatte er immer angefangen. »Ja«, hatte Schonny gesagt und Bernie noch ein Pils ins Glas gekippt, »ja, Bernie, is wahr. Jochbein kabutt«. Er hatte mit einem Finger auf die Stelle kurz über der Wange getippt, ein Kreuz wie auf ner Schatzkarte gemacht und gelächelt wie ein Pirat. »War mal zur See gefahren, der Schonny«, sagten sie immer und nickten: »Ja, zur See«, und erzählten oder träumten oder sponnen ihre Geschichten vom Piraten-Schonny, der die halbe Welt gesehen hat. »Jeenfalls ham die Bayernsäue hier alles kurz un klein gehaun, sach ich euch. Da wo der Kartentisch jetzt is, war früher der Stamm 1 un so, der Schonny hat heut schon was anders gemacht, hat ja auch viel gesehn der Schonny, is ja zur See und so, jeenfalls ham die Bayernsäue hier alles zu Brei gehaun un unser Bier gesoffen, unser Bier, sach ich mal, die Dreckschweine und den Klaus in die Mangel, zwei Wochen Krankenhaus, Stamm 1 war auch platt, und die Bullen sin nicht aufgetaucht, die warn weg geblieben«, Bernies Brille hatte einen Goldrand, ne richtige Opa-Brille und war schon dreißig Jahre bei Schonny und Schonnys Altem, der die Kneipe früher hatte, gewesen. Aber wir wussten alle, dass Bernie nicht Opa war und nie ne Frau hatte. Wegen Fußball. Er hatte es sich immer bei den Nutten besorgen lassen und war später manchmal mit seinen Kumpels nach Thailand gefahren. »Bumsen is nich«, hatte er dann gesagt, »nur zechen un so, am Strand«. Ihm war’s peinlich. »Na, jeenfalls hat der Eierkopp seelenfriedlich da vorne an seinem Plätzjen gehockt und sein Bier getrunken und als ers ausgetrunken hatte isser aufgestanden un hat den einen Bayern am Kragen genommen un ihn sein Kopp aufn Tresen gehaun. Da ist das Blut nur so rausgespritzt, sach ich euch. Dann hat er sich nen Kö geschnappt un dem Bayern, ders grad Schonny gegeben hat, über den Schädel gezogen. Ich sach euch, der hat gemacht wie ein Tier. Wie ein Tier hatter gemacht un die Bayernsäue haben kein Land mehr gesehen. Dem Letzten hatter noch mitm Kopp eine auf die Nase, da hastes richtig brechen gehört bei der Bayernsau. Un der Eierkopp hat selber gegrunzt wien Schwein. Ich sach euch, der sieht zwar scheiße aus, jeenfalls es Herz hatter am rechten Fleck, sach ich ma so«, sagte Bernie und schnüffelte an seinem Pils. »Hei, hei, hast ja das beste vergessen«, hatte der Krankenhausklaus meistens wie auf Zuruf gegröhlt, weil Bernie immer das beste an der Geschichte vergessen hatte. »Hast ja vergessen, wie sich der Rainer, ich meine der Eierkopp auf seinen Stuhl gehockt hat, sich das Pils vonner Bayernsau genommen und es leer gesoffen hat wie en Loch, war durstig nach der Schlacht mit den Bayern, der Rainer« - »Ja«, hatten sie dann alle gesagt, und für einen Moment geträumt, für einen Moment im Niemandsland gelandet, übers Handelsschiff von Schonny spaziert, an den Strand vom Bernie, und ins Gesicht vom Eierkopp geguckt, in das sie nie guckten, weil es so hässlich war.
Wieder klar im Kopf hatten sie hinterher noch fast tausend andere Geschichten erzählt. Über die Jahre hinweg. Die vom Blockachtklaus, der Sechsundneunzig halber abgestochen wurde und nicht mehr zur Eintracht fuhr, oder die Story von seiner Ex Gabi, die nicht mehr für jeden die Beine breit machte, sondern jetzt Maut kassierte, oder die Story vom Pilsner-Bernie, der nie wieder auftauchte, weil er sich angeblich in Thailand mit HIV angesteckt und damit totgefickt hatte, obwohl er nie ne Frau hatte; oder die vom Krankenhausklaus, dem schlechtesten Schläger der Stadt und dem größten Säufer bei Schonny, der mal von einem Fünfzehnjährigen auswärts bei Hertha übel aufgemischt wurde und vom Saufen ne kaputte Leber gekriegt hat – und sie erzählen sie wieder und wieder. »Heute sind Scheißzeiten«, sagte Schonny manchmal beim Fernsehanmachen, Live-Übertragungen und so ein Zeug, und der Eierkopp nickte bloß. Er sagte nie was, er war immer nur da, da mit seinem hässlichen Gesicht, da mit seinem Pils und da mit seiner verdammten Geschichte. Und man sah ihnen allen an, daß sie froh drüber waren. »Einem geht’s immer dreckiger«, sagte Schonny manchmal beim Gläserputzen, wenn Eierkopp nicht da war, »dem Rainer zum Beispiel« Er nickte zum leeren Platz hin und die anderen nickten mit. Man sah ihnen an, daß sie träumten.