Eileen
Eileen
Die Regentropfen hinterließen vibrierende Kringel in den Pfützen.
Diese Kringel wanderten in zierlichen Wellen zum Außenrand der Miniaturseen, wurden flacher und glätteten sich zum Nichts. Ein sich in unregelmäßigen Abständen wiederholender Vorgang.
Genevier spürte die Kühle des nassen Grases, als sie im Heiligen Hain zu den Arkaden hinüberlief. Der Wind spielte in ihrem Haar und einige Regentropfen setzten sich Perlen gleich dort ab.
Von der Bucht her wehte das Rauschen der Brandung herüber nach San Salvador de Verdera.
Sie schaute über die Weite des Meeres, sah die unzähligen Schaumkronen sich mit tief dunklen Tälern der Wogen abwechseln.
Kreischend stob eine Formation Möven über die Türme der Burg hinweg. Von Böen getragen erklommen sie schwindelnde Höhen, bis sie in winzigen und aberwinzigen Pünktchen scheinbar mit den Gewitterwolken verschmolzen.
Genevier seufzte leise. Wie ein Samenkorn in allmächtiger Hand war doch der Mensch gegenüber der Natur.
„Geni ... träumst du?“
Die Königin wandte sich um. Eileen stand am Fuße der kleinen Treppe. Einige Kringelsträhnen des langen blonden Lockenhaars wehten lustig um ihr Antlitz. Die Augen der zierlichen Führerin des Heerbanners blickten schalkhaft.
Geneviers Mundwinkel umspielte ein warmes Lächeln.
„Ach Eileen – ich war nur in Gedanken versunken.“
„Gute Gedanken – so hoffe ich.“
Die Königin machte zwei Schritte auf die Gefährtin zu und nahm sie schwesterlich in den Arm. „Es ging mir verschiedenes durch den Kopf. Die Zeiten sind sehr unruhig. Ich bin dankbar, daß wir inzwischen San Salvador so gut befestigen konnten.“
Eileen nickte. „Blaise hat hervorragende Arbeit geleistet. Er ist ein Genie.“
Genevier lachte kurz auf. „Ja“, meinte sie dann. „Das ist er. Schon Artus wußte sein Können zu schätzen.“
Wie ein leichter Schatten senkte sich etwas bei diesen Worten über ihre Augen. Doch rasch fing sie sich wieder und ihre Gesichtszüge entspannten sich. „Komm! Wir setzen uns dort in die Ecke. Es wird stürmisch und dort sind wir geschützter.“
Sie eilten zu der halbrunden marmornen Bank hinüber, die hinter einer mit Efeu und Rosen bewachsenen Mauer stand.
Genevier schaute Eileen an. „Hattest du einen bestimmten Grund, mich hier zu suchen?“
Eileen nickte. „Ein Bote kam aus Pau. Scheinbar ist dort ein Trupp von zehn oder mehr Wegelagerern durchgezogen und hat seine Vorräte aufgefrischt.“
Genevier schürzte die Lippen. „Du meinst – ohne zu fragen.“
„Richtig.“
„Ist jemand körperlich zu Schaden gekommen?“
Die Bannerführerin schüttelte den Kopf. Sie zog die Knie an und setzte die Füße auf der Kante der Bank auf. „Das wohl nicht. Aber nun fürchten sich die Menschen dort unten.“
„Das ist verständlich. Doch wir können nicht überall zugleich sein.“
Sie erinnerte sich dabei an einen Vorfall, der jetzt beinahe zwei Jahre zurück lag. Bei dieser Gelegenheit hatte sie Eileen kennengelernt. Es war eine äußerst turbulente erste Begegnung gewesen. Genevier hatte sich in ernster Bedrängnis befunden.
Ihr Weg hatte sie von Emporion aus bis an einen Fluß an der Grenze Burgunds geführt. Ihr Rappe hatte ordentlich ausgegriffen. Das Wasser des seichten Ufers spritzte nur so, wenn die Hufe in die Ausläufer der kleinen Wellen trafen. Jauchzend hielt sich Genevier an der Mähne fest. Weit übergebeugt hing sie auf dem herrlichen Tier. Ihr Haar wehte wie der Schweif des Schwarzen und die Bronzepaietten an der leichten Kampfrüstung klirrten leise in unregelmäßigen Intervallen.
Genevier hielt auf das Felsplateau zu, daß sich im seichten Dunst des Abends in der Ferne abzeichnete. Dicht an der Steilseite des Plateaus hatte sich eine kleine Ansiedlung gegründet. Juan – der Alkalde – hatte die Herrin des Mont Salvage schon des längeren gebeten, das Dorf einmal zu besuchen. Jetzt hatte sie Zeit. Obwohl alle sie gewarnt hatten, den weiten Ritt allein zu unternehmen, war sie aufgebrochen.
Der Himmel zeigte sich in magischen Farben.
Sie liebte diese Zeit zwischen dem vergehenden Tag und des kommenden Abends. Das weichende Licht verzauberte die Landschaft – schien sie zu entrücken.
Die Hufe des Rappen wirbelten erneut einen Schwall Wasser auf.
Da saugten sich die Augen der Reiterin an etwas Glitzerndem im Wasser fest.
Sie hielt ihr Pferd an. Sandfontainen stoben auf. Noch bevor der Rappe zitternd stand,
war die Königin schon herabgeglitten und eilte die kurze Strecke zurück bis zu dem
Punkt, an dem sie das Glitzern gesehen hatte.
Dann hatte sie es gefunden. Eine goldene Gürtelschnalle mit einem Rubin.
Die Herrin des Mont Salvage fischte sie aus dem Wasser und drehte sie zwischen den
Fingern. Lange konnte sie noch nicht im Wasser gelegen haben. Die Patina hatte sich in
den Ecken noch nicht festgesetzt.
Wem mochte sie gehören? Wer eine solche Gürtelschnalle trug, der besaß auch den Gürtel in entsprechender Qualität dazu. Demnach kam ein zufälliges Abreißen nicht in Betracht.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen musterte Genevier die Umgebung. Es zeichneten sich keinerlei Spuren im Ufersand ab.
War jemand mit einem Boot verschleppt worden? War bei solch einer gewaltsamen Entführung die Schnalle abgerissen?
Eine Bootsspur am Ufer mochte der Sturm der letzten Nacht getilgt haben.
Irgendwie brachte Genevier aber die Überlegung mit der Logik nicht in Einklang.
Sie ging zurück zu dem Rappen, ergriff die Zügelleine und schritt langsam, jeden Fuß breit des Bodens nahe des Wasser mit den Augen beinahe sezierend, weiter. Sie erreichte eine Stelle, an der zwei Felsen zu einem drittel aus dem Sandboden ragten. Sie befanden sich unter der Wasserfläche.
Da sah sie es.
Abgeschürftes Moos und einen tiefen Kratzer.
Kein Zweifel! Hier war jemand geritten. Eine unendlich weite Strecke bewußt im Wasser, um keine verräterischen Spuren zu hinterlassen.
Nachdenklich blieb Genevier stehen. Das ergab einen ganz anderen Sinn. Von der Art der Schnalle ließ sich als Besitzer auf eine Frau schließen. Demnach befand sie sich auf dem Pferd oder ... mit auf dem Pferd. Hatte sie hier versucht zu entfliehen und dabei hatte sich die Schnalle gelöst?
Die Königin stieg wieder auf’s Pferd und trabte langsam weiter. Irgendwo mußte doch die Hufspur einmal aus dem Wasser herausführen. Doch nichts dergleichen fand sich.
Das letzte zarte Rot verhauchte am Horizont und die Dunkelheit breitete sich aus, als Geneviers Rappe vom Ufersand den Felsenboden der Landzunge erreichte. Es war nicht mehr möglich, einen Hinweis auf den Verbleib des geheimnisvollen Reiters zu
erhalten.
So trieb sie denn den Rappen an und erreichte bald das Dorf. Sie ritt über den Hauptweg. Einzelne Eisenkörbe mit fast ausgebrannten Teerfeuern beleuchten einen ovalen Dorfplatz notdürftig.
Genevier hielt an. Sie ließ den Blick schweifen. Niemand von den Bewohnern zeigte sich. Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Nacht.
Nichts!
Nur das dumpfe Rauschen des Windes in den mächtigen Eichen des Berghanges.
Hier stimmte etwas nicht!
Neben der Herberge des alten Jose´ rutschte die Herrin des Mont Salvage vom Rücken des Rappen. Sie eilte auf die Tür zu und zog an dem einfachen Griff. Knarrend schwang sie nach außen.
Tiefe Dunkelheit und muffiger Geruch schlug Genevier entgegen. Hier schien seit Tagen kein Mensch mehr gelüftet zu haben.
Lautlos, auf Zehenspitzen, trat Genevier in das Dunkel. Die rechte Hand lag auf dem Schwertgriff. Sie war jederzeit abwehrbereit.
Sie lauschte. Gedämpft drang das Geräusch des Flusses ins Haus. Eine Bodendiele knarrte. Es hörte sich an wie eine jammernde Seele.
Genevier durchkämmte das ganze Gebäude. Sie fand jedoch keine Menschenseele.
Plötzlich hörte sie das Wiehern des Rappen. Ein untrügliches Zeichen für Gefahr.
Die Königin zuckte zusammen!
Rasch wandte sie sich um und rannte zum Ausgang. Sie schaute hinaus. Im diffusen Flackerlicht der Korbfeuer erkannte sie schattenhafte Gestalten, die sich rasch näherten. Dann vernahm sie auch das Donnern von Hufen auf schwerem Boden.
Genevier dachte nicht lange darüber nach, um welche Art Feind es sich handeln könnte. Von der vorletzten Treppenstufe sprang sie auf den Rücken des Rappen beugte sie tief hinab und löste den Zügel von dem abgebrochenen hölzernen Pfosten.
Sprung und Zügellösen bildeten beinahe eine Einheit. Im Bruchteil eines Wimpernschlags stob der Rappe davon.
Hinter sich hörte sie wütende Rufe. Demnach hatte man sie gesehen. Da außer Frage stand, daß die Horde keine guten Absichten hegten, wandte sich Genevier gar nicht erst um, sondern konzentrierte sich auf den Weg. Hier kannte sie sich nicht aus. Sie spürte mehr den Felsboden, als daß sie ihn sah.
Mit angelegten Ohren flog der Rappe nur so dahin. Genevier mußte all ihr Können aufbringen, um sich auf dem Rücken des Tieres zu halten.
Vor sich sah sie ein Tal. Rechts zeichnete sich eine steile, bis schier ins Unendliche steigende schroffe Wand ab. Genevier hielt auf den Fluss zu. Nur kurz schaute sie sich um. Sie konnte keinen Verfolger mehr erkennen.
Da schnaubte der Rappe angstvoll auf. Geneviers Augen weiteten sich. Was sie sich als Beginn eines Hanges erhofft hatte, zeigte sich als Kante eines Plateaus.
„Diana hilf!“ entfuhr es ihr und sie riß den Rappen herum. Das treue Tier stieg auf die Hinterhufe und strauchelte. Genevier wurde von seinem Rücken geschleudert.
Ehe sie am Boden aufschlug nahm sie noch wahr, daß ihr Pferd in die unergründliche Tiefe stürzte.
Zuerst spürte sie den Wind.
Dann erst die Sandkörner, die wie Nadelstiche auf der Haut brannten.
Sie schmeckte Sand auf den Lippen – wollte mit der Hand über den Mund wischen – es ging nicht. Etwas hielt ihre Arme fest.
Erst jetzt stellte sie fest, daß sie gefesselt war.
Mit großer Anstrengung gelang es ihr, die Augen zu öffnen.
Finsternis umgab sie. Erst nach und nach unterschied sie Himmel und Erde.
Ihr war kalt.
Ein trockener Husten schüttelte sie, weil Sand und Staub sich in ihrem Hals gesammelt hatte. Doch die Gedanken wurden klarer. Nun schärfte sich auch der Blick wieder.
Genevier lag ausgestreckt, mit auseinandergespreizten Gliedern auf dem Boden des Dorfplatzes. Völlig nackt. Die Korbfeuer waren erloschen. Außer dem Wind gab es keine Geräusche.
Hatte man sie allein gelassen? Warum?
Doch sie bemerkte den Irrtum schnell. Jemand räckelte sich in ihrer Nähe. Dann schälten sich auch die anderen Gestalten aus der Dunkelheit. Die Horde hatte sich auf dem Platz verstreut zum Schlafen gelegt.
Genevier schaute zum Sternen übersäten Himmel auf.
„Oh Diana“-dachte sie. „Wer sind diese Menschen?“
Merowinger schienen es nicht zu sein. Also blieb als Alternative nur Sklavenjäger übrig. Hatten sie den Ort überfallen? Aber wo hielten sich die Bewohner auf? Wo hatte man sie hingeschafft? Sie befand sich auf Merowingergebiet und Childerich finanzierte mit Sklaven seine Kriegskasse. Er beschäftigte fremde Horden als Menschenjäger.
Genevier versuchte die Fesseln zu lösen, doch das Unterfangen erwies sich als unmöglich.
Irgendwann fiel sie in eine Art Dämmerschlaf.
Als die Sonne sich hinter den Bergen erhob, entstand Unruhe im Lager. Genevier verspürte unbändigen Durst. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an.
Ein bärbeißiger Bulle in Pelzlumpen kam kurz zu der Gefangenen herüber und knurrte Unverständliches. Niemand schien an Genevier ein besonderes Interesse zu haben.
Der Grund sollte bald erkennbar werden.
Als die Sonne drei Handspannen weiter gezogen war, ließ Hufschlag den Boden erbeben. Bald tauchten vier Reiter auf.
Genevier hob ein wenig den Kopf, um besser sehen zu können.
Sie zuckte zusammen.
Der Anführer des Quartetts war ihr nur zu gut bekannt.
„Odar“, zischte sie. Nun wußte sie, wo sie dran war! Childerichs Vasall und Haushofmeister von Rennes le Chateau ließ Menschen einfangen. Damit war alles klar. Dann stammte die Gürtelschnalle von einem Opfer.
„He! Maurice – wann kommt das Schiff?“ rief Odar zu dem Anführer des Raubgesindels.
„In zwei Tagen, Herr.“
„Gut. So lange kann ich die Gefangenen noch in der Höhle halten.“
Der mit Maurice angeredete deutete auf Genevier. „Ich habe noch etwas für euch. Sie schnüffelte hier herum.“
Odar kam wiegenden Schrittes auf die am Boden liegende zu. Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch, als er sie erkannte.
„Lady Genevier?“ Dann umspielte ein zynisches Lächeln seine Lippen. „Sieh an, sieh an. So sieht man sich wieder.“
Genevier würdigte ihn keines Blickes. Doch der Merowinger beugte sich tief zu ihr hinab und sie spürte seinen sauren Atem.
„Oh, die vornehme Dame will mich nicht mehr kennen... nein? Als ihr mich damals in Cornwall auspeitschen ließet, habe ich euch amüsiert.“
Nun wandte die Königin doch den Kopf und ihre Augen schienen Blitze zu versprühen.
„Ihr wurdet von Artus bestraft, weil ihr versucht hattet eine Bäuerin zu vergewaltigen.“
Odar zuckte die Achseln und richtete sich auf. „Wie dem auch sei.“ Er drehte sich zu Maurice um. „Binde sie hinter ein Pferd und laß sie so lange am Flußufer entlang rennen, wie die Sonne benötigt um eine Mannesarmlänge zu wandern. Was dann noch übrig ist, bringst du zu den anderen.“
Damit sprang er auf sein Pferd, gab seinen Begleitern ein Zeichen und galoppierte davon.
Maurice blickte zu Genevier und es schien, als läge ein bedauernder Zug über seinem verkniffenen Gesicht. „Ich hatte gehofft, auf dem Sklavenmarkt einen guten Gewinn mit dir machen zu können.“
Er stieß einen lauten Pfiff aus und wenig später stand Genevier – nackt wie sie war – hinter einem störrischen Braunen. Die Hände hatte man ihr vor den Körper gefesselt und das andere Ende des Strickes an den Schweif des Zossen gebunden. Die Füße ließ man ihr frei.
Der Braune scharrte unruhig mit den Hufen. Genevier machte sich keinerlei Illusionen. Falls sie diese Tortur überleben sollte, würde sie lebenslang ein Krüppel bleiben.
Einer von Maurice finsteren Gesellen trat dem Braunen mit dem Stiefel gegen das linke Hinterbein. Aufwiehernd stieg dieser vorn hoch und machte dann einen gewaltigen Satz nach vorn. Genevier hetzte mit großen Sprüngen hinterher, verlor aber nach kürzester Zeit den Halt. Sie stürzte. Wurde aber sogleich von dem Braunen wieder hochgerissen. Die Arme schienen aus den Gelenken brechen zu wollen. Die Füße schleiften über den Fels und Sand. Dreck drang ihr in Augen, Nase und Mund. Sie bekam kaum Luft. Doch unbarmherzig riß das Pferd sie mit.
Genevier versuchte von den trommelnden Hinterhufen nicht getroffen zu werden. Die Haut an Schienbeinen und Knien zeigte sich schon bald völlig zerschunden. Es war, als würde man mit einer Reibe über ihren Körper fahren.
Der Braune raste völlig desorientiert mal über den harten Sand, mal durch den Fluß.
Genevier schluckte Wasser. Sie würgte. Nasser Sand verstopfte die Atemwege.
‚ Oh Diana hilf‘
Da erfasste sie ein mächtiger aufgewirbelter Wasserschwall und schleuderte sie herum. Das Wasser schlug über ihr zusammen. Alles drehte sich. Sie bekam nur im Unterbewustsein mit, daß das Pferd stürzte.
Genevier versuchte ihr Gesicht zu schützen und bemerkte, daß sie ihre Hände frei bewegen konnte.
Das Seil war gerissen.
Ohne sich zu besinnen, sprang Genevier auf die Füße. Die Beine knickten bald weg. Leicht benommen stand sie da. Der Braune rappelte sich mühsam auf.
‚Jetzt oder nie!‘ durchzuckte es die Herrin von San Salvador. Mit einem übermächtigen, verzweifelten Satz, in den sie alle Kraftreserven steckt, sprang sie auf den Rücken des noch völlig verstörten Pferdes. Panikartig stob das Tier vorwärts. Hinter sich vernahm Genevier wütendes Geheule. Maurice und seine Männer durften sie nicht entkommen lassen, denn das würde Odar umbarmherzig ahnden. Einen Versager duldete er nicht in seinen Reihen.
Genevier hetzte den Strand entlang. Doch der Braune schien sich verletzt zu haben. Er lahmte und wurde langsamer – bis er endlich zitternd stehen blieb.
Genevier hörte das Näherkommen der Verfolger. Sie versuchte ihr Pferd wieder in Bewegung zu setzen – aber es war vergeblich.
Genervt sah sie sich um. Das Wasser wäre ein Ausweg gewesen. Doch wie lange hätte sie schwimmen können? Ihre Verfolger hätten ihr nur vom Ufer aus genüsslich zu folgen brauchen. Irgendwann wäre sie entkräftet untergegangen.
Da faßte sie einen kühnen Entschluß. Sie holte tief Atem und winkelte die Beine. Mit den Handflächen stützte sie sich auf den Hals des Braunen.
Da war der erste Verfolger heran.
Genevier stieß sich ab!
Sie flog durch die Luft und prallte dem Verfolger vor die Brust.
Mit einem Aufschrei landeteten sie beide im Sand. Ohne nachzudenken riß sie dem Halunken das Schwert aus dem Gürtel und ... gurgelnd hauchte er sein Leben aus.
Nun stand sie da. Nackt – das Schwert mit beiden Händen umfaßt.
Maurice galoppierte heran. Genevier holte aus und die Klinge fuhr dem Gescheckten in die Hauptsehnen des rechten Vorderbeines.
Das Pferd machte einen Salto nach vorn und Maurice flog aus dem Sattel.
Mit bösartigem Knacken brach sein Genick.
Doch Genevier war umringt von den Gegenern. Ihre Chance stand gleich Null.
Da hörte sie einen Schrei hinter sich.
Was nun folgte, nahm sie nur in einer Art Trance wahr.
Ein fremder Reiter hatte sich auf die Meute gestürzt und schlug einen Gegner nach dem anderen aus dem Sattel.
Genevier wirbelte herum und dem ihr am nächsten stehende Gegener fuhr das Schwert bis zum Heft in den Leib.
Wie lange der Kampf dauerte, vermochte Genevier später nicht mehr zu sagen.
Irgendwann wurde ihr schwarz vor Augen und sie sackte in die Knie.
Sie mußte wohl ohnmächtig geworden sein, denn plötzlich sah sie - etwas verwaschen- ein feingeschnittenes Gesicht vor sich, umrahmt von langem blonden Haar.
‚So sieht also der Empfang im Jenseits aus‘, schoss es ihr durch den Kopf.
Doch dann begann die Fremde zu sprechen. Mit weicher melodischer Stimme.
„He – mach mir jetzt nicht schlapp. Ich will mich nicht umsonst abgerackert haben!“
Nun sah Genevier klarer. In den Augen der Fremden blitzte der Schalk.
Die Königin versuchte sich aufzurichten, doch sie besaß keine Kraft mehr.
„Na dann eben anders, Lady“ hörte sie die Stimme wieder, während sich erneut der schwarze Vorhang herabsenken wollte.
Genevier spürte kühles Wasser auf der Hand. Es umspühlte ihren geschundenen Körper. Es belebte aber auch die Sinne wieder.
Sie öffnete die Augen.
Die Fremde hattte sie ins seichte Uferwasser gezerrt und die Brandung benetzte nun ihren Körper in fast gleichmäßigen Intervallen.
Genevier spürte bloße Haut auf der ihren. Nun erkannte sie, daß die Fremde ebenfalls nackt war und Genevier in ihren Schoß gebettet hatte.
Ein lächelndes Gesicht beugte sich herab und die Fremde feixte: „Na – wieder auf dem Damm, Lady? War ein hartes Stück Arbeit, dich da heraus zu hauen.“
Genevier versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
„Dann hast du ...?“
„Hab ich! Maurice und seine Schweinebande hat genug Unheil angerichtet. Dieser verdammte Sklavenhändler ist ein für allemal ausgeschaltet. Allerdings ...“
Genevier sah sie fragend an.
Die Fremde zuckte die Achseln. „Leider konnte ich ihm nicht mehr das Genick brechen.“
Die Herrin von San Salvador stützte sich nun langsam mit den Armen in eine sitzende Position. Sie hustete einen Rest Wasser aus. „Wer bist du?“ fragte sie dann rau.
„Ich heiße Eileen und komme aus Rennes´.“
„Ich verdanke dir mein Leben“, flüsterte Genevier.
Die Fremde winkte ab. „Kein so großer Verdienst. Ich bin eben rechtzeitig am richtigen Ort gewesen. Ich habe Maurice blutige Spur schon seit längerer Zeit aufgenommen. Er steht im Dienste Childerichs.“
Sie stand auf. In der nun strahlenden Sonne glitzerten die Wasserperlen auf ihrem Körper wie Diamantstaub.
Eileen war nicht sehr groß, aber sehnig und wendig.
„Verätst du mir, wer du bist und weshalb Maurice dir auf diese Art die Haut abziehen wollte?“
„Mein Name ist Genevier.“
Eileen zog die Augenbrauen hoch. „Genevier? Ich hörte von einer Genevier die die alte Burg Sir Parcivals wieder aufgebaut hat.“
Trotz der Schmerzen und der Situation gelang Genevier ein Lächeln. „Die bin ich.“
„Geni! Hast du was?“
Genevier zuckte zusammen. Eileen hatte sie sanft an der Schulter gerüttelt.
Sie schaute die Freundin eindringlich an.
Genevier schüttelte leicht den Kopf und lächelte dann. „Es ist nichts,“ meinte sie dann. „Ich erinnerte mich nur eben an den Moment zurück, an dem wir uns kennenlernten. Wärest du nicht gewesen, säßen wir jetzt nicht hier.“
Eileen drückte Geneviers Hand. „Oh Geni – das ist lange her. Nenne es Dianas Fügung.“
Genevier nickte. „Ja – ich habe oft die Allmacht unserer Göttin verspürt. Ihre Gegenwärtigkeit. Weißt du Eileen – trotz ihrer Erhabenheit ist sie so menschlich.“
Die Bannerführerin schaute über die Oleanderbüsche hinweg auf die Pyrenäen. Geheimnisvoller Dunst schien die Berge verhüllen zu wollen. „Vielleicht ist es das, was sie so liebenswert macht.“
ENDE © by FB