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Ein Abend bei den Goldbergs

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15.08.2003
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Ein Abend bei den Goldbergs

Zur stark erweiterten Fassung geht es hier

Hannah hat mich vorgewarnt. Es wird das erste Mal sein, dass sie jemanden mit nach Hause bringt und ihrer Familie vorstellt. Aber auch für mich ist es ein erstes Mal. Obwohl ich schon seit einiger Zeit in den Staaten wohne, war ich noch nie zuvor bei einer jüdischen Familie zu Gast.

Das Haus der Goldbergs steht in einem Vorort, umgeben von einem großen Garten mit vielen Bäumen. Ich öffne das Gartentor und betrete den Kiesweg, der zur Haustür führt. Ein Kinderfahrrad liegt neben blühenden Rosenbüschen auf dem Rasen.
Irah, Hannahs sechzehnjähriger Bruder, öffnet mir die Tür. Ich überreiche Mrs Goldberg Blumen und eine Flasche Wein. Sie bedankt sich. Während wir ins Wohnzimmer gehen, lerne ich die restliche Familie kennen. Neben Hannah und Irah gibt es noch Ruth, die Siebenjährige. Auch Hannahs Vater und Großvater setzen sich zu Tisch.
Hannah und Mrs Goldberg servieren auf großen, weißen Tellern. Es gibt Putenfleisch mit Nudeln und Salat. Ich fülle mein Glas mit Wasser und schenke auch Ruth ein, die neben mir sitzt. Bevor wir anfangen, spricht Mr Goldberg ein Tischgebet.
Unser Gespräch beginnt harmlos. Ich bin nervös, da ich nicht genau weiß, was ich zu erwarten habe. Fragen, Anekdoten, Vorwürfe vielleicht. Unbewusst richte ich mich auch darauf ein, obwohl ich es nicht will. Während ich mir überlege, was ich wohl am besten sage und welche Themen ich zu vermeiden habe, bemerke ich meinen Akzent. Er stellt sich nur noch ein, wenn ich sehr nervös oder aufgeregt bin. Dabei kann ich ihn gerade jetzt nicht gebrauchen.
Hannah lächelt mir zu während ich ausgefragt werde. Ich bemerke die Verlegenheit ihrer Eltern, den angespannten Unterton in den Fragen ihres Bruders. Die Goldbergs sind unruhig. Sie wissen auch nicht, was sie zu erwarten haben. Sie sind genauso unsicher wie ich.
„Und wie lange sind Sie schon hier?“
Diese Frage habe ich bestimmt schon einmal beantwortet. Ich reiße mich zusammen und tue es erneut.
„Im September sind es vier Jahre.“
Die Goldbergs nicken leicht, die selbe Antwort, es muss wohl wahr sein. Ich versuche, mich zu beherrschen und sie nicht darauf hinzuweisen. Ein flüchtiger Blick in Hannahs Augen rettet mich.
„Was, sagten Sie gleich, studieren Sie?“
„Englisch und Theaterwissenschaften.“
Irah mustert mich schon wieder vom Kopf bis zur Tischkante. Vielleicht sucht er nach einem Hakenkreuz auf meinem Oberarm. Ich schüttle diesen Gedanken ab, aber meine Handflächen beginnen zu schwitzen.
„Und wo lebt ihre Familie in – Deutschland?“
Na bitte, sie haben das Wort ausgesprochen. Hat sie vermutlich einiges an Überwindung gekostet. Ich gebe eine kurze Zusammenfassung über meine Heimat.
„Meine Eltern waren auch Deutsche.“ Hannahs Großvater schaut mich prüfend an. „Sie sind in Auschwitz ermordet worden.“
Schweigen stellt sich ein. Auf einmal ruhen alle Blicke auf mir. Ich habe keine Ahnung, was sie von mir erwarten. Was kann man darauf denn schon sagen? Ich nehme einen Schluck Wasser, was Hannahs Großvater anzuspornen scheint, den Gedanken weiter auszuführen.
„Ich kam mit meiner Tante hierher. Da war ich gerade mal zehn.“
Er erwartet noch immer eine Antwort. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Entschuldigen kann ich mich ja schlecht. Immerhin war es ja nicht ich, der seine Eltern umgebracht hat. Krampfhaft suche ich nach Worten.
„Sind Sie dann direkt nach Boston gezogen?“
Es funktioniert. Das Gespräch wendet sich der hiesigen Umgebung zu. Hannahs Mutter macht sogar einen Witz, und ich nehme die Gelegenheit dankbar wahr, zu lachen, um ein bisschen Spannung abzubauen. Dann bringt sie mit Hannah zusammen die kleine Ruth ins Bett. Ich bleibe mit Mr Goldberg, seinem Vater und Irah am Tisch sitzen. Verlegenes Schweigen stellt sich ein.
„Gibt es noch viele Juden in Deutschland?“ Irah unterbricht die Stille.
„In den großen Städten gibt es schon noch einige Gemeinden.“
„Kennst du einen deutschen Juden?“
Ich schüttle kurz den Kopf. „Nein. Ich habe in einer relativ kleinen Stadt gewohnt. Dort gibt es keine Juden mehr.“
Er sieht mich an, als ob das meine Schuld wäre.
„Bist du froh darüber?“
Die Frage kann er nicht zurückhalten. Sein Vater weist ihn zwar schnell zurecht, möchte aber trotzdem meine Antwort hören. Ich wische mir verstohlen die Hände an der Hose ab.
„Natürlich bin ich nicht froh darüber. Ich hätte nichts dagegen, neben jüdischen Menschen zu wohnen. Und der Großteil der Bevölkerung hat auch nicht die Einstellung, jemanden als Nachbarn oder Freund abzulehnen, bloß weil er Jude ist. Aber... es leben nur noch wenige Juden in Deutschland, und davon nun mal keiner in meiner Nachbarschaft. Und ich kann nichts daran ändern.“
Ich schaue ihnen nicht in die Augen. Ich fühle mich schuldig und ärgere mich gleichzeitig darüber.
Mr Goldberg erhebt sich schweigend und verlässt das Zimmer. Ich beschäftige mich eingehend mit meiner Serviette; ich komme mir sehr verlassen vor. Gottseidank sind Hannah und ihre Mutter bald wieder da, und dann steht auch Mr Goldberg plötzlich mit zwei Flaschen Wein lächelnd im Zimmer.
Ich atme unhörbar auf.

Der Rest des Abends verläuft lockerer. Wir trinken den Wein, Hannah und ihre Mutter spielen ein Duett auf Klavier und Geige. Mrs Goldberg ist entzückt, als sie feststellt, dass auch ich etwas Geige spielen kann. Sie lässt es sich nicht nehmen, mir das Instrument in die Hand zu drücken. Ich spiele eine kurze Polka und reiche die Geige zurück.
Mr Goldberg taut im Laufe des Abends immer mehr auf und erzählt lustige Anekdoten von seiner Arbeit. Sein Vater thront in seinem Sessel und unterhält sich mit mir sogar über Deutschland. Ich erfahre, wo er zur Schule ging und wo er mit seiner Familie im Sommer immer Urlaub gemacht hat. Irah sitzt in Gedanken versunken auf dem Sofa und schweigt die meiste Zeit über, aber vielleicht ist er auch einfach nur müde.
Um kurz nach elf verabschiede ich mich dann. Mrs Goldberg lädt mich zum Abendessen in zwei Wochen ein.
Hannah geht noch mit vor die Tür. Wir setzen uns auf die blaue Hollywoodschaukel vor dem Haus, die im Wind leicht hin und her schwingt.
Hannah legt ihre Hand auf mein Knie.
„Danke, dass du da warst“, sagt sie leise. „Das hat mir viel bedeutet.“
Ich lege meinen Arm um sie.
„Du hast eine nette Familie. Deine kleine Schwester sieht so aus wie du.“
Wir sitzen noch eine Weile nebeneinander, bis ich mich schließlich verabschiede. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und blicke ihr nach, bis die Türe hinter ihr zufällt.
Als ich mich umdrehe und zu meinem Auto schlendere, bemerke ich Irah, der am Gartentor unter einem Baum auf mich wartet. Wahrscheinlich stand er schon die ganze Zeit da. Ich bin in dem Moment froh, dass ich Hannah nicht auf dem Mund geküsst habe.
Irah reicht mir seine Hand. „Weißt du, für einen Deutschen bist du eigentlich ganz in Ordnung“, sagt er. „Ich nehm’s dir nicht übel.“
Er lächelt kurz, lässt meine Hand gehen und verschwindet im Haus. Perplex schaue ich ihm nach. Erst nach einer Weile dämmert mir, dass er wohl ein Dankeschön erwartet hat.

 

Hi Anea.

Ich möchte nach dem Lesen deines Textes einmal ein wenig auf das Stilistische eingehen, wenn du gestattest; die Thematik ist, wie para schon erwähnte, Geschmacksache und wurde ja schon ausführlich erläutert.

Einmal vorab: Mir fehlte die Atmosphäre. Der Text hätte mit Sicherheit vielmehr mitreißen können, wenn du bestimmte Dinge nicht nur erzählt, sondern den Leser hineinversetzt hättest. So erkäre ich mir auch die von chazar erwähnte charakterschwache Darstellung der Personen.
Ich versuche es mal anhand von einigen Beispielen zu erklären (aber bitte, bitte: ist nur ein ganz persönlicher Vorschlag :shy: )


Hannah hat mich vorgewarnt. Es wird das erste Mal sein, dass sie jemanden mit nach Hause bringt und ihrer Familie vorstellt. Aber auch für mich ist es ein erstes Mal. Obwohl ich schon seit einiger Zeit in den Staaten wohne, war ich noch nie zuvor bei einer jüdischen Familie zu Gast.
Der häufig erwähnte "zähe" Anfang. Er zeichnet sich hier und auch im folgenden Absatz durch simple Beschreibung aus. Der Leser sagt: Aha, so ist das also." Ich will als Leser aber fühlen! Ich will dein Prot sein, seine Ängste, seine Unsicherheit verstehen, nachvollziehen können.
Beispiel:
"Du siehst ängstlich aus." Hannah hatte meine Wange gestreichelt.
"Bin ich so durchschaubar?"
"Vielleicht kenne ich dich einfach schon zu gut." Ihr Lächeln schaffte es tatsächlich, dieses seltsame Gefühl in der Magengegend ein wenig einzudämmen.
"Es ist für mich auch das erste Mal, dass ich jemanden mit nach Hause bringe." Jetzt hatte auch sie betreten zu Boden geblickt. "Meine Eltern werden dich nicht beißen."
Ich hatte einfach nur hörbar geschnauft.
Hannah Goldberg war Jüdin, und obwohl ich auch schon seit geraumer Zeit in den Staaten lebte, war ich bisher noch nie bei einer jüdischen Familie gewesen.
Warum wurde ich dieses seltsame Gefühl im Magen denn nicht los?

* * *

Das Haus der Goldbergs steht in einem Vorort, umgeben von einem großen Garten mit vielen Bäumen. Ich öffne das Gartentor und betrete den Kiesweg, der zur Haustür führt. Ein Kinderfahrrad liegt neben blühenden Rosenbüschen auf dem Rasen.
- hier ließe sich durchaus noch ein wenig Gefühl des Prot einbauen. Vielleicht: "Mein Finger verweilt vor dem Klingelknopf. Bitte, lieber Gott, lass Hannah öffnen. Meine andere Hand umklammert den Blumenstrauß für Mrs Goldberg. Ich drücke ihn viel zu fest, ich merke es, doch ich kann die Finger nicht lockern.
Der monotone Gong der Schelle lässt mich zusammenzucken. Meine Finger lockern sich. Jetzt geht es."

Irah, Hannahs sechzehnjähriger Bruder, öffnet mir die Tür.
-auch hier fehlt mir etwas. Die Begrüßung, die Blicke von Irah, das erste Auftreten von Mrs Goldberg usw. Vielleicht denkst du, es wäre unwichtig, aber durch solche Dinge ließ sich eine enorme Atmosphäre aufbauen. Der Leser lernt die Personen deiner Geschichte kennen!!!

Ich überreiche Mrs Goldberg Blumen und eine Flasche Wein. Sie bedankt sich.
Warum denn keine wörtliche Rede???


Hannah und Mrs Goldberg servieren auf großen, weißen Tellern. Es gibt Putenfleisch mit Nudeln und Salat. Ich fülle mein Glas mit Wasser und schenke auch Ruth ein, die neben mir sitzt. Bevor wir anfangen, spricht Mr Goldberg ein Tischgebet.
Hier springt uns das Klischee förmlich aus dem Rechner. Eine Passage, die völlig unwichtig ist, ja gar störend. Vielleicht erwähnst du nur ganz kurz das Gebet. "Nach dem Tischgebet blicke ich auf meinen Teller. Das Fleisch duftet hervorragend, doch ich traue mich nicht, es Mrs Goldberg zu sagen."

Unser Gespräch beginnt harmlos.
Wie denn?
Warum nicht zwei / drei dieser harmlosen Fragen? (natürlich in wörtl. Rede)


„Und wie lange sind Sie schon hier?“
Diese Frage habe ich bestimmt schon einmal beantwortet. Ich reiße mich zusammen und tue es erneut.
„Im September sind es vier Jahre.“
Die Goldbergs nicken leicht, die selbe Antwort, es muss wohl wahr sein. Ich versuche, mich zu beherrschen und sie nicht darauf hinzuweisen. Ein flüchtiger Blick in Hannahs Augen rettet mich.
„Was, sagten Sie gleich, studieren Sie?“
„Englisch und Theaterwissenschaften.“
Irah mustert mich schon wieder vom Kopf bis zur Tischkante. Vielleicht sucht er nach einem Hakenkreuz auf meinem Oberarm. Ich schüttle diesen Gedanken ab, aber meine Handflächen beginnen zu schwitzen.
„Und wo lebt ihre Familie in – Deutschland?“
Es geht doch!!! Einer der tiefsten und gelungensten Abschnitte. Hier spürt man förmlich die knisternde Spannung zwischen den Parteien. Super!

„Sie sind in Auschwitz ermordet worden.“
Ich denke, dieser Satz ist zu krass. Durchaus kannst du den noch immer latenten Hass des Großvaters rüber bringen, aber ich denke, er sollte sich doch noch zu ein wenig Höflichkeit durchringen: "Sie starben in ... (vielleicht nennst du hier auch ein anderes KZ; von wegen abgedroschenem Klischee), zur Not geht aber auch Ausschwitz.


Er erwartet noch immer eine Antwort. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Entschuldigen kann ich mich ja schlecht. Immerhin war es ja nicht ich, der seine Eltern umgebracht hat. Krampfhaft suche ich nach Worten.
„Sind Sie dann direkt nach Boston gezogen?“
Hier lebt dein Prot wieder. Sehr schöner Abschnitt. Der "Übergang" ist sehr realistisch.

„Gibt es noch viele Juden in Deutschland?“ Irah unterbricht die Stille.
„In den großen Städten gibt es schon noch einige Gemeinden.“
„Kennst du einen deutschen Juden?“
Ich schüttle kurz den Kopf. „Nein. Ich habe in einer relativ kleinen Stadt gewohnt. Dort gibt es keine Juden mehr.“
Er sieht mich an, als ob das meine Schuld wäre.
„Bist du froh darüber?“
Hier ebenfalls. Du siehst, was Dialoge bewirken. Gefällt mir richtig gut.

Der Abschluss des Abends ist dir ebenfalls gut gelungen. Inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass deine Geschichte lediglich am Einstieg kränkelt.
Aber, wie gesagt, nur meine Ansicht.
Das war das, was mir spontan beim Lesen eingefallen ist. Nicht bös sein ;)

Lieben Gruß! Salem

 

tschuldigung, wenn ich mich hier einmische. :sealed:
Aber Salem, du solltest junge Autoren unterrichten.
Eine vorbildliche Kritik die du hier abgegeben hast :thumbsup:

 

Hallo Salem,

erstmal vielen Dank für deine wirklich hilfreiche und vor allem sehr motivierende Kritik. :bounce:

Als ich den Text schrieb, setzte er mitten im Gespräch an. Dadurch fehlte der Anfang, den ich im Nachhinein als Hinführung zum Gespräch geschrieben habe, und ja, er holpert ungemein. Und daran werde ich nun etwas ändern! Zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühle ich mich wirklich beflügelt, hier mal ordentlich auszumisten, also zu erweitern. Und wenn du nichts dagegen hast, werde ich einige deiner Vorschläge ganz oder teilweise übernehmen.

Dann habe ich entschieden, Auschwitz doch rauszuwerfen. Ursprünglich hing mir viel daran, weil es autobiographisch eben Auschwitz war, aber zugunsten der Geschichte lässt sich das ja ändern. Das Leben kann klischeehaft sein, aber das rechtfertigt trotzdem keine erwartbaren und standartisierten Texte.

In den zwei jahren seit dem Entstehen dieses Textes hab ich mich auch etwas in den Dialogen geübt und halte mich jetzt für befähigt, am Anfang einige einzuarbeiten. Dann nämlich wird diese unendliche Hinführung endlich zum Teil der Geschichte werden können.

Das war das, was mir spontan beim Lesen eingefallen ist. Nicht bös sein
hehe, warum denn? Von solchen Kritiken träumt doch jeder Autor. Dafür, dass du mich wieder gebührend motivieren konntest, erhält du einen dicken :kuss: - coleratio hat recht, du bist wirklich ein toller Mentor - schade, dass ich keinen Horror schreibe... :hmm:

So. Nun. Mal sehen, ob auch die andereren Charaktere von der Überarbeitung gewinnen werden, oder ob einfach "nur" der Prot echter dargestellt wird und der Plot dadurch lebendiger wird. Mit den letzten zwei Dritteln bin ich jetzt schon ganz glücklich, aber der Anfang muss eliminiert werden :ak47:

So, nun bedanke ich mich nochmals und entschuldige mich für den exzessiven Smiliegebrauch ;) .

liebe Grüße,
Anea

 

Ja, das ist wirklich ein Musterbeispiel für eine Kritik, an der man auch als unbeteiligter Leser eine Menge lernen kann! :thumbsup:
Aber Anea, bitte übernimm Salems Vorschläge nicht wörtlich! Erstens sollte man das grundsätzlich nicht tun und ich habe den Eindruck, es sind Superbeispiele, um zu demonstrieren, was er meint, aber es passt nicht zu deiner Geschichte, die für mich eher behutsam die Gefühle andeutet. Entschuldigung, Salem, aber die beiden Abschnitte sind mir zu dick aufgetragen. Und wenn ich gerade dabei bin eine Kritik zu kritisieren (eine interessante neue Disziplin! ;)), "Hannah Goldberg war Jüdin" klingt holprig und ist völlig überflüssig. Aber das ist alles - wie immer - nur meine bescheidene Meinung!
liebe Grüße an alle
tamara

 

Hallo Anea!

Schöne, leise Geschichte - das ist ja auch schon gesagt. Zwei Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind (und vielleicht auch schon gesagt wurden):

Ich atme unhörbar auf
Ich kenne
a. ich atme auf
b. ich atme hörbar auf
Ich würde unter 'Ich atme auf' immer verstehen, dass es unhörbar ist und deshalb scheint mir das 'unhörbar' überflüssig und es stört mich eigenartigerweise.

Die Sitation Jude-Deutscher hast Du gut dargestellt - was mir fehlte war die Situation Jude - Nichtjude in religiöser Hinsicht. Vielleicht hätte es den Text überfrachtet, aber ich auch die Unkenntnis jüdischer Sitten und gebräuche bis hin zur Kleidung traditioneller Juden führt zu Unsicherheit. Eben gerade weil unter uns kaum noch Juden leben, kennen wir sie weniger als die Muslime und dadurch kommt es nach meinen Erfahrungen leicht zu Mißverständnissen und Peinlichkeiten, besonders bei Mahlzeiten.

Lieben Gruß

Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Jo,

mich hat das unhörbar bisher nicht gestört, aber jetzt wo dus schreibst, werde ich die Stelle nochmal überdenken. Vielleicht in Version zwei, die ich gerade entwickle... die Unterdrückte Anspannung, die sich in diesem Satz auflöst, ist mir aber durchaus wichtig, die hätte ich schon gern betont.

Die Goldbergs dieser Geschichte sind keine traditionellen Juden, wie man sie sich vorstellt - wie viele in der USA leben sie mit ihrer Religion, ohne sich jedoch von ihr beherrschen zu lassen. Für einen Text, der sich mehr mit Religion als mit rückständiger Politikauffassung befasst, müsste die gelebte Religion der Charaktere auch ausgeprägter sein, denke ich... gerade der Prot müsste umfassende Kenntnisse haben, um sich auf eine Diskussion einlassen zu können, das hätte wohl auch den Rahmen der Geschichte gesprengt.

Prinzipiell aber ein schöner Vorschlag für eine weitere Geschichte... werde wohl mal wieder die Freiburger Synagoge aufsuchen, um ein bisschen zu recherchieren...

vielen Dank auch dir,
Anea

tamara: ganz wörtlich wird es sicher nicht werden. Aber die Richtung wird sich doch ähneln...

 

Zitat Tamara
Entschuldigung, Salem, aber die beiden Abschnitte sind mir zu dick aufgetragen. Und wenn ich gerade dabei bin eine Kritik zu kritisieren (eine interessante neue Disziplin! ), "Hannah Goldberg war Jüdin" klingt holprig und ist völlig überflüssig. Aber das ist alles - wie immer - nur meine bescheidene Meinung!
Der ich völlig zustimme. Wenn ich geschrieben hätte, beginne deine Geschichte doch mit ner wörtlichen Rede, hätte Anea sagen können: ja, gute Idee, aber warum?
Du hast schon Recht, es sollte lediglich der Demonstration dienen. Mein Stil ist ja auch ein anderer als Aneas.
Aber die Idee mit der Kritik an der Kritik finde ich richtig gut :D

Anea, wenn ich dich motivieren konnte, freut mich das natürlich ungemein. Ich denke auch, dass du das Richtige einbringen bzw ändern wirst. Freue mich schon auf die überarbeitete Version.

schade, dass ich keinen Horror schreibe...
He...he... was nicht ist, kann ja noch werden. Ist gar nicht so schwer ... :D

 
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Ein Abend bei den Goldbergs (erweiterte Fassung)

Ein Abend bei den Goldbergs


Hannah hatte mich vorgewarnt.
„Ich habe bisher noch nie einen Freund mit nach Hause gebracht. Du wirst der erste sein, den sie kennenlernen.“ Ihr nervöses Lachen klingt mir jetzt noch in den Ohren.
„Wir werden das schon schaffen“, hatte ich ihr versprochen und verschwiegen, dass auch ich gern ermutigende Worte gehört hätte. Nicht nur, weil ich vor der Familie meiner Freundin bestehen musste, sondern auch, weil ich das erste Mal bei einer jüdischen Familie eingeladen war. Das erste Mal in den vier Jahren, die ich nun schon in den Staaten lebe. Aber Hannahs Augen blickten zu besorgt, als dass ich sie damit belasten konnte.
Während ich mein Auto parke, mach sich dieses Gefühl wieder breit. Aus lauter Nervosität schlage ich die Türe zu fest zu und erschrecke selbst. Verlegen fahre ich durch meine Haare. Ich sollte mich wirklich zusammenreißen.
Das Haus der Goldbergs steht in einem Vorort, umgeben von einem großen Garten mit vielen Bäumen. Ich öffne das Gartentor und betrete den Kiesweg, der zur Haustür führt. Jeder meiner Schritte kündigt knirschend von meinem Kommen, am liebsten würde ich schon wieder gehen. Der Garten wirkt gepflegt. Ein Kinderfahrrad liegt neben blühenden Rosenbüschen auf dem Rasen. Dann fällt mir ein, dass meine Gastgeschenke noch im Wagen liege und ich kehre wieder um, um sie zu holen. Hoffentlich beobachtet mich niemand. Schon bei dem Gedanken daran erröte ich.
Ich hoffe, dass mir Hannah die Türe öffnet, aber es ist Irah, ihr sechzehnjähriger Bruder, der aufmacht. Er lehnt lässig an den Türrahmen. Ist sein Blick wirklich feindselig oder bilde ich mir das nur ein?
„Hi.“
„Hi. Irah, richtig?“
„Ja.“ Er kneift die Augen zusammen und tritt beiseite, und ich bin erleichtert, als Hannahs Mutter die Treppe herunter kommt, um mich zu begrüßen.
„Hallo Nicolas. Hannah hat ja so viel von Ihnen erzählt.“
„Guten Abend, Mrs Goldberg.“ Ich überreiche ihr die Blumen und eine Flasche Wein.
„Die sind aber schön, vielen Dank.“ Sie verschwindet in einem der Zimmer, vermutlich um eine Vase zu holen, und überlässt es Irah, mir das Wohnzimmer zu zeigen. Schweigend geht er voran.
Hannahs kleine Schwester Ruth spielt auf dem Teppich mit Mikadostäbchen, räumt sie aber sofort in eine Schublade, als ihr Irah sie streng anschaut und sich demonstrierend räuspert. Schweigend setzt sie sich an den bereits gedeckten Tisch und wirft mir einen schüchternen Blick zu.
„Du bist sicher Ruth“, sage ich zu ihr.
Sie nickt, wagt aber nicht, mir ins Gesicht zu blicken. Die Stille macht mich nervös.
„Ich bin Nicolas“, sage ich, um das Schweigen zu unterbrechen. Wo ist Irah eigentlich hingegangen?
„Ich weiß“, sagt Ruth und ein kleines Lächeln spielt sich auf ihr Gesicht, „Hannah redet andauernd von dir.“
Bevor ich sie fragen kann, was Hannah denn so von mir erzählt, kommt Irah wieder, die restliche Familie im Schlepptau. Hannah ist die erste, dich ich sehe. Sie trägt ein weißes Kleid, das ihr luftig um die Beine spielt und lächelt mir zu.
„Nicolas, das ist mein Vater. Dad, das ist Nicolas. Und das ist mein Großvater.“
Ich reiche zuerst Mr Goldberg und dann seinem Vater die Hand. Beine sind großgewachsene, schlanke Männer mit markanten Gesichtszügen. Aber während Mr Goldberg mir sofort sympathisch ist, scheint Hannahs Großvater mich zu ignorieren. Er erwidert meine Blicke nicht und setzt sich wortlos an das Kopfende. Er scheint hier oft zu Besuch zu sein, da er sofort und selbstverständlich den Platz des Hausherren einnimmt. Mr Goldberg stört es wohl nicht. Er setzt sich rechts neben seinen Vater.
Ich nehme zögernd neben Ruth Platz. Hannah und ihre Mutter sind in die Küche verschwunden und Ruth ist momentan die einzige, neben der ich mich sicher fühle.

Hannah und Mrs Goldberg servieren auf großen, weißen Tellern. Es gibt Putenfleisch mit Nudeln und Salat. Es duftet so gut, dass ich am liebsten gleich anfangen würde. Aber auch nach dem Tischgebet komme ich kaum zum Essen, da nun die allgemeine Fragerunde einsetzt.
Unser Gespräch beginnt mit einigen Banalitäten. Ich bin nervös, da ich nicht immer noch nicht einschätzen kann, was mich erwartet. Fragen, Anekdoten, Vorwürfe vielleicht. Unbewusst richte ich mich auch darauf ein, obwohl ich es nicht will.
Während ich mir überlege, was ich wohl am besten sage und welche Themen ich zu vermeiden habe, bemerke ich meinen Akzent. Er stellt sich nur noch ein, wenn ich sehr nervös oder aufgeregt bin. Dabei kann ich ihn gerade jetzt nicht brauchen.
„Wie kommen Sie mit dem Studium voran?“ Die Stimme von Hannahs Großvater klingt unfreundlich, oder bilde ich mir das nur ein?
„Ganz gut.“ Ich bemühe mich, nicht allzu grimassenhaft zu lächeln und nehme schnell noch eine Gabel voll Nudeln, so dass ich erstmal nicht sprechen muss.
„Nicolas gehört sogar zu den Jahrgangsbesten“, schaltet sich Hannah ein. Ich merke, wie ich rot anlaufe.
Vom anderen Ende des Tischs höre ich ein abfälliges „Ach.“ Irah würgt das Thema kurzerhand ab. Was soll das denn? Hab ich ihm irgendwas getan?
Seine Eltern ignorieren seinen Kommentar.
„Und wie lange sind Sie schon hier?“
Diese Frage habe ich bestimmt schon einmal beantwortet. Ich reiße mich zusammen und tue es erneut.
„Im September sind es vier Jahre.“
Die Goldbergs nicken leicht, die selbe Antwort, es muss wohl wahr sein. Ich versuche, mich zu beherrschen und sie nicht darauf hinzuweisen. Ein flüchtiger Blick in Hannahs Augen rettet mich.
„Was, sagten Sie gleich, studieren Sie?“
„Englisch und Theaterwissenschaften.“
Irah mustert mich schon wieder vom Kopf bis zur Tischkante. Vielleicht sucht er nach einem Hakenkreuz auf meinem Oberarm. Ich schüttle diesen Gedanken ab, aber meine Handflächen beginnen zu schwitzen.
„Und wo lebt ihre Familie in – Deutschland?“
Na bitte, sie haben das Wort ausgesprochen. Hat sie vermutlich einiges an Überwindung gekostet. Ich gebe eine kurze Zusammenfassung über meine Heimat.
„Meine Eltern waren auch Deutsche.“ Hannahs Großvater schaut mich prüfend an. „Sie sind von den Nazis ermordet worden.“
Schweigen stellt sich ein. Auf einmal ruhen alle Blicke auf mir. Ich habe keine Ahnung, was sie von mir erwarten. Was kann man darauf denn schon sagen? Ich nehme einen Schluck Wasser, was Hannahs Großvater anzuspornen scheint, den Gedanken weiter auszuführen.
„Ich kam mit meiner Tante hierher. Da war ich gerade mal zehn.“
Er erwartet noch immer eine Antwort. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Entschuldigen kann ich mich ja schlecht. Immerhin war es ja nicht ich, der seine Eltern umgebracht hat. Krampfhaft suche ich nach Worten.
„Sind Sie dann direkt nach Boston gezogen?“
Es funktioniert. Das Gespräch wendet sich der hiesigen Umgebung zu. Hannahs Mutter macht sogar einen Witz, und ich nehme die Gelegenheit dankbar war, zu lachen, um ein bisschen Spannung abzubauen. Dann bringt sie mit Hannah zusammen die kleine Ruth ins Bett. Ich bleibe mit Mr Goldberg, seinem Vater und Irah am Tisch sitzen. Verlegenes Schweigen stellt sich wieder ein.
„Gibt es noch viele Juden in Deutschland?“ Irah unterbricht die Stille.
„In den großen Städten gibt es schon noch einige Gemeinden.“
„Kennst du einen deutschen Juden?“
Ich schüttle kurz den Kopf. „Nein. Ich habe in einer relativ kleinen Stadt gewohnt. Dort gibt es keine Juden mehr.“
Er sieht mich an, als ob das meine Schuld wäre.
„Bist du froh darüber?“
Die Frage kann er nicht zurückhalten. Sein Vater weist ihn zwar schnell zurecht, möchte aber trotzdem meine Antwort hören. Ich wische mir verstohlen die Hände an der Hose ab.
„Natürlich bin ich nicht froh darüber. Ich hätte nichts dagegen, neben jüdischen Menschen zu wohnen. Und der Großteil der Bevölkerung ist auch nicht gerade dafür bekannt, jemanden als Nachbarn oder Freund abzulehnen, bloß weil er Jude ist. Aber... es leben nur noch wenige Juden in Deutschland, und davon nun mal keiner in meiner Nachbarschaft. Und ich kann nichts daran ändern.“
Ich schaue ihnen nicht in die Augen. Ich fühle mich schuldig und ärgere mich gleichzeitig darüber.
Mr Goldberg erhebt sich schweigend und verlässt das Zimmer. Ich beschäftige mich eingehend mit meiner Serviette; ich komme mir sehr verlassen vor. Gottseidank sind Hannah und ihre Mutter bald wieder da, und dann steht auch Mr Goldberg plötzlich mit zwei Flaschen Wein lächelnd im Zimmer.
Ich atme unhörbar auf.

Der Rest des Abends verläuft glücklicherweise lockerer. Wir trinken den Wein, Hannah und ihre Mutter spielen ein Duett auf Klavier und Geige. Mrs Goldberg ist entzückt, als sie feststellt, dass auch ich etwas Geige spielen kann. Sie lässt es sich nicht nehmen, mir das Instrument in die Hand zu drücken.
„Spielen Sie doch auch mal.“
„Ich habe schon so lange nicht mehr gespielt, und dann noch ohne Noten...“ Mir ist es peinlich, jetzt auf ihrem Instrument herumzukrächzen. Aber sie besteht darauf, und so gebe ich nach und versuche mich an einer Polka. Es klingt gar nicht mal so schlecht, wie ich befürchtet hatte.
Mrs Goldberg lächelt mir zu, als ich ihr das Instrument wieder reiche.
Mr Goldberg taut im Laufe des Abends immer mehr auf und erzählt lustige Anekdoten von seiner Arbeit. Sein Vater thront in seinem Sessel und unterhält sich mit mir sogar über Deutschland. Ich erfahre, wo er zur Schule ging und wo er mit seiner Familie im Sommer immer Urlaub gemacht hat. Irah sitzt in Gedanken versunken auf dem Sofa und schweigt die meiste Zeit über, aber vielleicht ist er auch einfach nur müde. Mir ist es recht so.
Um kurz nach elf verabschiede ich mich dann. Mrs Goldberg lädt mich zum Abendessen in zwei Wochen ein.
Hannah geht noch mit vor die Tür. Wir setzen uns auf die blaue Hollywoodschaukel vor dem Haus, die im Wind leicht hin und her schwingt.
Hannah legt ihre Hand auf mein Knie.
„Danke, dass du da warst“, sagt sie leise. „Das hat mir viel bedeutet.“
Ich lege meinen Arm um sie.
„Du hast eine nette Familie. Deine kleine Schwester sieht so aus wie du.“
Wir sitzen noch eine Weile nebeneinander, bis ich mich schließlich verabschiede. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und blicke ihr nach, bis die Türe hinter ihr zufällt.
Als ich mich umdrehe und zu meinem Auto schlendere, bemerke ich Irah, der am Gartentor unter einem Baum auf mich wartet. Wahrscheinlich stand er schon die ganze Zeit da. Ich bin in dem Moment froh, dass ich Hannah nicht auf dem Mund geküsst habe.
Irah reicht mir seine Hand. „Weißt du, für einen Deutschen bist du eigentlich ganz in Ordnung.“ sagt er. „Ich nehm’s dir nicht übel.“
Er lächelt kurz, lässt meine Hand gehen und verschwindet im Haus. Perplex schaue ich ihm nach. Erst nach einer Weile dämmert mir, dass er wohl ein Dankeschön erwartet hat.

 

Hier nun der erste Versuch einer Erweiterung.
Die Stimmigkeit hat mir Probleme gemacht, da sich mein Schreibstil in den Jahren doch sehr geändert hat. Bin gespannt, was ihr davon denkt.

Und nochmals vielen Dank an Salem fürs Motivieren.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich habe nur die "erste" Version gelesen, auf der 1. Seite des Threads und von der gehe ich hier aus.
Also, nun, Anea, erstens, ich schließe mich Paranova an. Zweitens:
Ich finde deine Geschichte interessant, und zwar weil nicht, wie viele bemerkt haben, nur die Gastgeber sich inkorrekt benehmen, sondern weil eigentlich auch deine Protin sich ziemlich rücksichtslos benimmt. Der Großvater sagte seine Eltern wären auch „Deutsche“ gewesen, nicht „sie hätten in Deutschland gelebt“. Er spornt sie dazu an, sich von dem Nazismus zu distanzieren. Einmal zu gestehen, wie schrecklich es doch war für die Deutschen jedes Glaubens. Sie versteht es jedoch nicht, fühlt sich angegriffen und versucht SICH irgendwie zu entschuldigen. Dann wird sie harmlos gefragt, ob sie Juden kennt, worauf sie antwortet, es gäbe in ihrer Stadt keine Juden MEHR, und sie hätte nix dagegen neben einem zu wohnen. Das hört sich an, als ob ihr der Völkermord völlig egal ist. Sie äussert sich also nicht dagegen. Dies ist eine Taktlosigkeit. Sie stellt sich auf Barrikaden zum Schutz des Nazismus anstatt über ihn wenigsten persönlich zu urteilen.
Es geht, meiner Meinung, nicht darum, dass die Deutschen immer noch als Ungeziefer betrachtet werden, sondern darum, dass nicht wissen wie wir auf unsere Vergangenheit schauen sollten. Wir versuchen sie irgendwie zu verdrängen, wir wollen nicht darüber sprechen. Wenn wir das tun (in der Schule in etwa), dann sagen wir, wir wären dumm oder blöd gewesen damals (und Hitler war schwul und Göring auch) und Schluss damit. Hätte unsere Regierung den Genozid nicht anerkannt, so würden wir uns daran krallen, wie dies die meisten Türken tun wenn es um das Genozid an den Armeniern geht. Wir sehen nicht ein, dass unsere Großeltern Unmenschen sind, die keine Rente verdienen. Wir denken nicht, dass wir der Welt für die 50 Millionen Leben noch etwas schuldig sind. Wir empören uns sogar darüber, dass Dresden zerbombt wurde, und dass die Leute in der DDR weder Wahlrecht noch schnelle Autos hatten! ... Wo war ich denn gerade? Ja. Gerade das, dass wir den Nazionalsozialismus und das damalige daran aktiv beteiligte deutsche Volk nicht objektiv bewerten können oder wollen, das stört unsere Mitmenschen am meisten, denke ich. Mich würde es jedenfalls stören.

Gruß, General Midi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Midi,

vielen Dank fürs Lesen und ausführliche kommentieren.

Ich habe nur die "erste" Version gelesen, auf der 1. Seite des Threads und von der gehe ich hier aus.
Hm, schade. Denn in der zweiten Version habe ich versucht, möglichst viele Vorschläge aufzunehmen und einiges zu verdeutlichen.

Ich finde deine Geschichte interessant, und zwar weil nicht, wie viele bemerkt haben, nur die Gastgeber sich inkorrekt benehmen, sondern weil eigentlich auch deine Protin sich ziemlich rücksichtslos benimmt.
Hey, freut mich, dass dir die gegenseitige Unverständlichkeit und Erwartungshaltung aufgefallen ist. Das habe ich auch so angelegt. Aber der Prot ist männlich.

Der Großvater sagte seine Eltern wären auch „Deutsche“ gewesen, nicht „sie hätten in Deutschland gelebt“. Er spornt sie dazu an, sich von dem Nazismus zu distanzieren.
Wirklich? Der bedeutende Unterschied zwischen beiden Formulierungen entgeht mir gerade. Aber wenn du das so interpretierst, ist das für mich in Ordnung - viele Deutungsmöglichkeiten sind schön.

Sie versteht es jedoch nicht, fühlt sich angegriffen und versucht SICH irgendwie zu entschuldigen.
Nein, das versucht er eben nicht.
Anea schrieb:
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Entschuldigen kann ich mich ja schlecht. Immerhin war es ja nicht ich, der seine Eltern umgebracht hat.
Er lenkt dann vom Thema ab.

Das hört sich an, als ob ihr der Völkermord völlig egal ist. Sie äussert sich also nicht dagegen. Dies ist eine Taktlosigkeit.
Aber eine Frage nach der heutigen Zeit erfordert keine Antwort, die sich auf die Vergangenheit bezieht.

Sie stellt sich auf Barrikaden zum Schutz des Nazismus anstatt über ihn wenigsten persönlich zu urteilen.
Das kann ich nicht nachvollziehen - kannst du das an einer Textstelle belegen? Für mein Gefühl wird der Nazismus hier gar nicht mehr oder nur passiv angesprochen. Würde der Prot sagen: "Ich verurteile die Kriegsverbrechen und den Völkermord vor sechzig Jahren" wäre das eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage. Und ein Themawechsel zu einem Thema, mit der der Prot persönlich nichts zu tun hatte, da er nicht zur Generation dieser Zeit gehört. Er kann sich also nur zur heutigen Zeit äußern, weil er nur von der weiß (und da spielt es keine Rolle, dass er sehr wahrscheinlich in der Schule, bei den Großeltern oder sonstwo von der Zeit des Nazismus gehört hat. Er hat ihn nicht erfahren. Er kann also keine Entschuldigung liefern, und er kann nicht verurteilen, weil ihn dazu niemand auffordert. Und das Thema selbst anschneiden scheint mir hier wie Salz in eine Wunde zu streuen - Mr Goldberg senior hat nämlich erfahren - er weiß.).

Es geht, meiner Meinung, nicht darum, dass die Deutschen immer noch als Ungeziefer betrachtet werden, sondern darum, dass nicht wissen wie wir auf unsere Vergangenheit schauen sollten.
Ja, aber es ist ja nicht seine Vergangenheit. Es geht mMn hier mindestens genauso um eine Art Generationenkonflikt wie um einen Schuldvorwurf und die (un)bewusste Erwartung eines Schuldvorwurfs. Dies ist kein Text, in dem es um die Naziverbrechen geht. Sondern um deren Folgen.

Hätte unsere Regierung den Genozid nicht anerkannt, so würden wir uns daran krallen, wie dies die meisten Türken tun wenn es um das Genozid an den Armeniern geht.
Den Genozid an den Armeniern halte ich für einen unpassenden Vergleich. Unsere Regierung wurde kontrolliert aufgebaut, und die Alliierten hätten nie gestattet, dass die Verbrechen einfach unterschlagen werden. Der Genozid an den Armeniern war nicht mit einem Weltkrieg verknüpft (weswegen er wohl auch nicht derart beachtet wurde wie der Genozid an den Menschen während der Nazizeit).

Wir sehen nicht ein, dass unsere Großeltern Unmenschen sind, die keine Rente verdienen. Wir denken nicht, dass wir der Welt für die 50 Millionen Leben noch etwas schuldig sind.
Das wäre mir etwas zu schwarzweißmalerisch. Ich denke nicht, dass man den Weltkrieg auf ein "alle sind schuld" reduzieren kann. Dazu ist er zu komplex. Genausowenig ließe sich sagen "Hitler hat alle verarscht und war ganz alleine Schuld".

Gerade das, dass wir den Nazionalsozialismus und das damalige daran aktiv beteiligte deutsche Volk nicht objektiv bewerten können oder wollen, das stört unsere Mitmenschen am meisten, denke ich.
Kann sein. Aber das war eigentlich nicht das Problem des Textes. Da geht es nicht um Bewertung. Zumindest hab ich es nicht hereingelegt, vielleicht wird das in Version zwei auch deutlicher. Trotzdem vielen Dank für deine Gedanken - auch wenn mir teilweise wirklich unverständlich scheint, dass der Text dafür Anlass gewesen sein kann. Die Diskussion ist nichtsdestotrotz wichtig.

lieben Gruß,
Anea

 

Hallo Anea!

Ein kleiner Fehler:

weil ich das erste mal bei einer jüdischen Familie eingeladen war. Das erste Mal
Klein oder Groß - aber beides hintereinander fällt doch auf.
Der erste Abschnitt klingt mir recht stockend, gar hölzern - vielleicht, weil ich die erste Version noch im Auge habe? Dann aber kommt die geschichte gut in Schwung, ich finde sie auch besser dargestellt als die erste Version.
Allerdings ist jetzt der Knackpunkt in seiner unaufgelösten Verlegenheit noch deutlicher. Das erste Sondierungsgespräch hat zwar nicht zum Abbruch der Kontakte geführt, aber letztlich stehen sich die beiden Seiten doch genauso fremd gegenüber wie vorher. Bleibt die Hoffnung, dass spätere Treffen nicht auch in Witzchen und Anekdoten versickern, sondern die Parteien einander näher bringen. Immerhin ist die Frage einer Heirat zwischen Juden und Deutschen ein recht heikles Thema. Das merkt man daran, dass diese Frage auch Thema jüdischer (jiddischer) Witze ist.

 

Hallo jobär,

vielen Dank fürs Lesen beider Versionen, schön, dass dir die zweite Version gefällt. Ich denke auch, dass hierbei die Aussage etwas deutlicher wird, dass die Annäherung eigentlich keine echte ist.

Das merkt man daran, dass diese Frage auch Thema jüdischer (jiddischer) Witze ist.
Das wusste ich gar nicht - kennst du zufällig einen?

lieben Gruß,
Anea

 

Die Tochter ist schon nahe dreißig also überfällig und arbeitet in New York. eines Abends ruft sie ihre Mutter an:
Mame ich hab mich verlobt
Oh wie schön. Maseltow. Kennen wir ihn?
Nein, da gibt es ein kleines Problem
Ach das macht gar nichts, wenn du nur einen Mann hast
Na ja, er ist kein Jude
Ach das macht gar nichts, wenn du nur einen Mann hast
Und er ist ein Schwarzer
Ach das macht gar nichts, wenn du nur einen Mann hast
Und wir haben keine Wohnung
Auch da kommt ihr nach Hause zu uns und bekommt unser Schlafzimmer. Papa kann auf der Couch in Wohnzimmer schlafen.
Ja und wo willst du schlafen?
Ich geh jetzt sowieso in die Küche und stecke den Kopf in den Gasofen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Anea!

Also erst einmal wünsch ich Dir nachträglich alles Gute zum Geburtstag! :)
(Geburtstagskritiken kommen fast immer hinterher, wie Dir vielleicht schon aufgefallen ist. ;))

Du beschreibst eine Begegnung, die ich eigentlich recht traurig finde, die Atmosphäre in der Geschichte liest sich eisig, auch da, wo sie dann aufgelockert ist. Es tut schon richtig weh, wieviel Schuldgefühl Dein Protagonist mit sich herumschleppt.
Du hast Dir nicht mehr vorgenommen, als die Beschreibung einer Ist-Situation, und soweit ist Dir die Geschichte auch recht gut gelungen (habe die zweite Fassung gelesen). Was ich dabei noch ausbauen oder ändern würde, steht unten in den Anmerkungen.
Ändern würde ich aber auf jeden Fall den Namen der Familie, denn »Goldberg« ist schon sehr klischeehaft: Der Name drückt eigentlich das aus, was man den Juden unter anderem vorgeworfen hat, nämlich daß sie oft recht erfolgreiche Geschäftsleute waren. »Blumenberg« wäre zum Beispiel eine schöne Alternative (hab ich grad von einer Opferliste geklaut, gab oder gibt es also auch wirklich).

Ein bisschen Probleme hab ich mit dem Schluß: Abgesehen davon, daß ich „Ich nehm’s dir nicht übel“ ebenfalls streichen würde, kann ich nicht nachvollziehen, wie er gemeint ist:

Erst nach einer Weile dämmert mir, dass er wohl ein Dankeschön erwartet hat.
Ist das nun als »Ich hätte mich bei ihm bedanken sollen« gemeint, oder mehr als »Unverschämtheit, was erwartet sich der eigentlich von mir?« zu verstehen? :susp:
Natürlich frage ich mich jetzt auch, warum das bisher niemand angemerkt hat – ich kann es mir nur so erklären, daß jeder den Satz auf seine persönliche Art gelesen hat und nur diese Lesart sah. Vielleicht sehe ich beide, weil das Problem auf mich nicht so zutrifft – ich kannte schon in meiner Schulzeit Juden, sie waren nicht anders als wir, und wir sind gar nicht auf die Idee gekommen, daß wir mit ihnen Probleme haben könnten.
Im Ausland waren wir Österreicher ja sowieso immer verschont von Vorurteilen, Schilling in der Geldbörse oder die Worte »We are from Austria« haben aufgrund der Sprache vorher mißtrauische Gesichter immer gleich wieder in freundliche verzaubert…

Aber ich finde, als Autorin könntest Du mehr, als nur die Ist-Situation aufzeigen, vielleicht nach Gründen forschen, warum der Protagonist vorher so nervös ist und dann die Fragen des Großvaters schon fast als Angriff empfindet, vielleicht nach Möglichkeiten suchen, wie es anders laufen könnte.
Auch, wenn ich General Midi keineswegs uneingeschränkt zustimme, hat er doch versucht, Dich auf diese Fährte zu locken:

General Midi schrieb:
Der Großvater sagte seine Eltern wären auch „Deutsche“ gewesen, nicht „sie hätten in Deutschland gelebt“. Er spornt sie dazu an, sich von dem Nazismus zu distanzieren.
Wirklich? Der bedeutende Unterschied zwischen beiden Formulierungen entgeht mir gerade. Aber wenn du das so interpretierst, ist das für mich in Ordnung - viele Deutungsmöglichkeiten sind schön.
Ich denke, bei dem Thema geht es nicht um Deutungen: Wenn er sagen würde, sein Großvater hätte (bloß) in Deutschland gelebt, wäre das ein Distanzieren des Großvaters von den Deutschen als Volk, wenn er aber sagt, er war auch Deutscher, dann ist das eine Brücke, die er ausgelegt hat. Überhaupt sind ja auch deutsche Juden Deutsche, amerikanische Juden Amerikaner, polnische Juden Polen, usw. – sie immer nur als Juden zu bezeichnen, ist noch eine Folge des Rassenwahns, an die wir uns einfach gewöhnt haben.
Dort gibt es keine Juden mehr.
Was General Midi meinte, ist vermutlich das »mehr«, welches ja aussagt, daß es einmal welche gab…, und der Protagonist sagt das so dahin, als wäre es nichts. Daher würde ich dieses »mehr« entweder streichen, oder die Aussage ändern, zum Beispiel: »Früher gab es bei uns zwei jüdische Familien, das weiß ich von der Gedenktafel, auf der ihre Namen stehen.«
„Kennst du einen deutschen Juden?“
Ich schüttle kurz den Kopf. „Nein. Ich habe in einer relativ kleinen Stadt gewohnt. Dort gibt es keine Juden mehr.“
Hier könnte man zum Beispiel eine sehr geschickte Antwort geben: »Ich glaube nicht, aber wahrscheinlich wären sie mir ja gar nicht auffallen.« Damit würde sich der Protagonist von den Nazis und ihrer Klassifizierung der Juden als Rasse distanzieren. Von den Juden, die ich bisher kennengelernt habe, habe ich immer erst nach dem Kennenlernen erfahren, daß sie jüdischen Glaubens sind, angesehen habe ich es keinem.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Entschuldigen kann ich mich ja schlecht. Immerhin war es ja nicht ich, der seine Eltern umgebracht hat.
Es geht ja eigentlich gar nicht ums Entschuldigen, natürlich können wir uns heute nicht entschuldigen. Aber man kann sich davon distanzieren, persönlich verurteilen, was damals geschehen ist, sagen, daß es einem Leid tut und man nicht will, daß soetwas irgendwann wieder passiert. – Eben das fällt offenbar vielen sehr schwer, und für eine Geschichte wäre es sicher nicht falsch, zu zeigen, wie es besser gehen könnte.
Ich muß keine Schuld auf mich nehmen, um zu sagen, daß damals große Scheiße gebaut wurde.

Womit ich mit General Midi nicht übereinstimme, ist zum Beispiel, daß die Alten ihre Rente nicht verdient hätten – damit würde man höchstens neues Leid erzeugen, das die Toten auch nicht mehr lebendig macht.
Die wenigsten sind freiwillig in den Krieg gezogen, wirklich schuldig sind die, die irgendwo an einem Machthebel saßen, die alles gewußt und sogar vorangetrieben haben. Aber was wußte denn ein kleiner Frontsoldat, den sie nach Rußland oder sonstwohin geschickt haben, außer, daß er keine andere Wahl hatte und lieber zuhause bei seiner Familie wäre und sonntags Kuchen essen würde. Sie gehorchten Befehlen, aus Angst vor den Konsequenzen, die ein Nichtbefolgen hätte.

Aber eine Frage nach der heutigen Zeit erfordert keine Antwort, die sich auf die Vergangenheit bezieht.
Zumindest in dem Punkt, daß man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen kann und sollte (einzig das sind wir den Toten schuldig), hat die Vergangenheit immer auch mit der Gegenwart und der Zukunft zu tun. Denn das Wichtigste wäre, zu schauen, wie es denn überhaupt zu diesem Holocaust kommen konnte, um eine derartige Entwicklung in Zukunft zu verhindern. Einerseits ist dafür die politische Veränderung zu beachten, die in manchen Punkten bereits wieder eine ähnliche Entwicklung nimmt, wie in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg. Aber allein die politische Situation hätte das noch nicht ermöglicht: Die Menschen waren auch zu einer extremen Autoritätshörigkeit erzogen, dadurch konnten sie nicht anders, als es zuzulassen. Politik und Erziehung stehen viel näher beisammen, als man allgemein glauben will. Aber erscheint es nicht logisch, daß Menschen, die diktatorisch erzogen wurden, sich so etwas auch im späteren Leben eher gefallen lassen oder versuchen, selbst Macht auszuüben, als solche, die immer ihre freie Meinung haben und dazu stehen durften, ohne, daß ihnen dafür Gewalt oder Liebesentzug angedroht wurde?
Ein Mensch, der Freiheit und Glück kennt, kommt doch gar nicht auf die Idee, seinen Lebenszweck darin zu sehen, eben dieses anderen Menschen zu nehmen und sie zu beherrschen.
Kinder zu liebenden, selbständig denkenden, solidarischen Menschen zu erziehen, sehe ich daher als antifaschistische Arbeit – genauso, wie seine Meinung zu sagen, wenn gegen Minderheiten oder Ausländer gehetzt wird –, und die können wir, als »normale« Menschen, heute leisten. – Rückgängig machen können wir nichts, auch nicht mit noch so großen, unnötigen Schuldgefühlen. :)


So, ein paar Anmerkungen noch:

»Aber Hannahs Augen blickten zu besorgt, als dass ich sie damit belasten konnte.«
– »als dass« könntest Du vermeiden: zu besorgt, um sie damit zu belasten.
– »Augen blickten« würde ich auch vermeiden, z.B.: »Hannas Augen machten einen zu besorgten Eindruck«, oder »Hanna blickte zu besorgt«, oder »Hannas Blick war zu besorgt, um sie damit zu belasten.«

»Während ich mein Auto parke, mach sich dieses Gefühl wieder breit.«
– macht

»Dann fällt mir ein, dass meine Gastgeschenke noch im Wagen liege und ich kehre wieder um,«
– liegen

»Er lehnt lässig an den Türrahmen.«
– Er lehnt sich lässig an den Türrahmen.

»„Hi.“
„Hi. Irah, richtig?“
„Ja.“ Er kneift die Augen zusammen und tritt beiseite,«
– erscheint mir ein bisschen seltsam, daß Irah nicht fragt, wen er ins Haus läßt, bzw. daß sich der Protagonist nicht gleich vorstellt, nachdem Irah ihn ja noch nicht kennt. Auch, wenn man auf Besuch wartet, kann jemand anderer vor der Tür stehen, den man vielleicht gar nicht hereinlassen will… ;)

»vermutlich um eine Vase zu holen,«
– vermutlich, um

»als ihr Irah sie streng anschaut und sich demonstrierend räuspert.«
– »ihr« ist zuviel
– fände »demonstrativ« oder »mahnend« passender

»„Ich bin Nicolas“, sage ich, um das Schweigen zu unterbrechen.«
– im Satz davor und auch danach verwendest Du ebenfalls »sagte«, Vorschlag: „Ich bin Nicolas“, unterbreche ich das Schweigen. – Dieses Schweigen würde ich übrigens vorher noch in einem Satz darstellen, da er zuvor ebenfalls gesprochen hat kommt die Stille sonst nicht rüber.

»Hannah ist die erste, dich ich sehe.«
– die ich sehe

»„Nicolas, das ist mein Vater. Dad, das ist Nicolas. Und das ist mein Großvater.“
Ich reiche zuerst Mr Goldberg und dann seinem Vater die Hand.«
– ich würde bei den Bezeichnungen »Vater« und »Großvater« bleiben, da der Protagonist ja auch wegen der Enkelin da ist, und außerdem klingt es weniger förmlich.

»Er scheint hier oft zu Besuch zu sein,«
– zweimal »zu« ist nicht so schön, Vorschlag: Er scheint oft hier Gast zu sein.

»Aber auch nach dem Tischgebet komme ich kaum zum Essen,«
– das Tischgebet würde ich erst einmal stattfinden lassen, nicht als zitiertes Gebet, sondern als Eindruck.

»Ich bin nervös, da ich nicht immer noch nicht einschätzen kann,«
– das erste »nicht« ist zuviel

»Vom anderen Ende des Tischs höre ich ein abfälliges „Ach.“«
– würde Tisches schreiben
– ein abfälliges „Ach“.

»Irah mustert mich schon wieder vom Kopf bis zur Tischkante.«
– vorhin hab ich auch »Das Haus der Hilfe« gelesen, da fällt mir grad was ein dazu: Da liegt einer im Bett, angegurtet, und betrachtet den neben dem Bett sitzenden Protagonisten (wenn ich das richtig gelesen hab) von oben bis unten – was nicht funktionieren kann, Du müßtest dort ebenfalls den Blick an der Bettkante oder so enden lassen.

»Hannahs Mutter macht sogar einen Witz, und ich nehme die Gelegenheit dankbar war, zu lachen, um ein bisschen Spannung abzubauen.«
– würde das umdrehen: nehme die Gelegenheit, zu lachen, dankbar wahr, um …

»„Gibt es noch viele Juden in Deutschland?“ Irah unterbricht die Stille.«
– würde nicht so oft die Stille unterbrechen lassen, vielleicht kannst Du das auch anders sagen?
– die Frage finde ich eigentlich seltsam, da normalerweise die Juden es sind, die ganz genau wissen, wo es wie viele von ihnen gibt, gerade was die Zahlen in Deutschland betrifft, denke ich, sind die da bestimmt genauestens unterrichtet. Besser wäre da vielleicht ein Vorwurf des Großvaters, so in der Art von: »Viele Juden sind ja nicht mehr in Deutschland …«

»Ich beschäftige mich eingehend mit meiner Serviette; ich komme mir sehr verlassen vor. Gottseidank …«
– hier und in den Sätzen davor und danach sind ziemlich viele »Ich«, würde zumindest das zweite hier streichen.
– auseinander: Gott sei Dank – fände aber »glücklicherweise« oder sowas passender.

»Ich atme unhörbar auf.«
– »unhörbar« klingt irgendwie seltsam, würde »leise« oder »in Gedanken« schreiben.

»Der Rest des Abends verläuft glücklicherweise lockerer.«
– den Satz würde ich ersatzlos streichen, da Du es ja anschließend erzählst, so wirkt er wie eine vorangestellte Zusammenfassung.

»Sein Vater thront in seinem Sessel und unterhält sich mit mir sogar über Deutschland.«
– abgesehen davon, daß ich denke, dieses »sogar über Deutschland« würde mehr wirken, wenn Du es vor »mit mir« schreibst, finde ich, daß Du gerade diese Stelle ruhig etwas ausführlicher beschreiben könntest.

»Um kurz nach elf verabschiede ich mich dann.«
– würde »Um« und »dann« streichen.

»bis die Türe hinter ihr zufällt.«
– zu fällt


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

Also erst einmal wünsch ich Dir nachträglich alles Gute zum Geburtstag.
Vielen Dank.


Ändern würde ich aber auf jeden Fall den Namen der Familie, denn »Goldberg« ist schon sehr klischeehaft: Der Name drückt eigentlich das aus, was man den Juden unter anderem vorgeworfen hat, nämlich daß sie oft recht erfolgreiche Geschäftsleute waren.
Der Gedanke ist mir bisher noch gar nicht gekommen. Der Name war eine Ahnlehnung an „Greenberg“, die ist autobiographisch begründet. Der einzige jüdische Name, den ich als klischeehaft empfinde, ist übrigens Katz. Ich werde mir wohl nochmal Gedanken machen, obwohl ich den Namen auch vom Klang her sehr schön und passend finde. Ich spreche ihn auch Englisch aus, vielleicht ist mir deine Assoziation erst gar nicht gekommen.
Aber ich werde mir über eine Änderung in „Bloomberg“ ernsthaft Gedanken machen.


Ein bisschen Probleme hab ich mit dem Schluß: Abgesehen davon, daß ich „Ich nehm’s dir nicht übel“ ebenfalls streichen würde, kann ich nicht nachvollziehen, wie er gemeint ist: Ist das nun als »Ich hätte mich bei ihm bedanken sollen« gemeint, oder mehr als »Unverschämtheit, was erwartet sich der eigentlich von mir?« zu verstehen?
Das wollte ich gern offenlassen – ein bisschen Interpreationsspielraum gefällt mir hier recht gut. Vielleicht ist sogar eine Mischung aus beiden Möglichkeiten am stimmigsten.

Im Ausland waren wir Österreicher ja sowieso immer verschont von Vorurteilen, Schilling in der Geldbörse oder die Worte »We are from Austria« haben aufgrund der Sprache vorher mißtrauische Gesichter immer gleich wieder in freundliche verzaubert…
Und das, obwohl Hitler Österreicher war ;) – aber seitdem sich mein Englisch drastisch verbessert hat, werde auch ich kaum noch mit diesen Vorurteilen konfrontiert.

Aber ich finde, als Autorin könntest Du mehr, als nur die Ist-Situation aufzeigen, vielleicht nach Gründen forschen, warum der Protagonist vorher so nervös ist und dann die Fragen des Großvaters schon fast als Angriff empfindet, vielleicht nach Möglichkeiten suchen, wie es anders laufen könnte.
Das wollte ich bei diesem Text nicht. Ich wollte eine Situation schildern, eine Begegnung, die genügend offen lässt, um etwas hinein interpretieren zu können. Die Vorgeschichten der Handelnden nehmen dem Leser meinem Gefühl die Freude etwas am Kennenlernen der Protagonisten innerhalb der Situation.

Wenn er sagen würde, sein Großvater hätte (bloß) in Deutschland gelebt, wäre das ein Distanzieren des Großvaters von den Deutschen als Volk, wenn er aber sagt, er war auch Deutscher, dann ist das eine Brücke, die er ausgelegt hat. Überhaupt sind ja auch deutsche Juden Deutsche, amerikanische Juden Amerikaner, polnische Juden Polen, usw. – sie immer nur als Juden zu bezeichnen, ist noch eine Folge des Rassenwahns, an die wir uns einfach gewöhnt haben.
Eben, genau deswegen bezeichnet sie der Großvater auch als Deutsche. Das ist für mich durchaus stimmig.


Was General Midi meinte, ist vermutlich das »mehr«, welches ja aussagt, daß es einmal welche gab…, und der Protagonist sagt das so dahin, als wäre es nichts. Daher würde ich dieses »mehr« entweder streichen, oder die Aussage ändern, zum Beispiel: »Früher gab es bei uns zwei jüdische Familien, das weiß ich von der Gedenktafel, auf der ihre Namen stehen.«

Hier könnte man zum Beispiel eine sehr geschickte Antwort geben: »Ich glaube nicht, aber wahrscheinlich wären sie mir ja gar nicht auffallen.« Damit würde sich der Protagonist von den Nazis und ihrer Klassifizierung der Juden als Rasse distanzieren.
Nein. Mir kam es nicht darauf an, eine möglichst glatte Begegnung zu schildern, in der der Deutsche die Vorurteile politisch korrekt ausräumen kann. Ich wollte Reibefläche, Fehler die er aus Nervosität begeht und ein Aufeinandertreffen von Ängsten, Vorurteilen, Schuldgefühlen und Fremdheit. Und vor allem teilweise unglücklich formulierte Antworten und Fragen.

In einer sehr alten Version dieses Textes gab der Prot nämlich tatsächlich nur perfekte Antworten. Und das war sehr unbefriedigend.
Ich wollte, dass auch er menschlich wirkt, verunsichert und nervös. Und würde er nur Antworten geben, die exakt das sind, was die Goldbergs hören wollen, wäre der Text vor allem eins: langweilig.
Ich wollte also wirklich keine glatte Begegnung. Ich wollte eine Situation, die sich aufgrund beidseitiger Missverständnisse hochschaukelt und die schlussendlich nicht aufgelöst werden kann.


Es geht ja eigentlich gar nicht ums Entschuldigen, natürlich können wir uns heute nicht entschuldigen. Aber man kann sich davon distanzieren, persönlich verurteilen, was damals geschehen ist, sagen, daß es einem Leid tut und man nicht will, daß soetwas irgendwann wieder passiert. Eben das fällt offenbar vielen sehr schwer, und für eine Geschichte wäre es sicher nicht falsch, zu zeigen, wie es besser gehen könnte.
Es wäre aber vermutlich unauthentisch. Und es wäre auch sicher nicht derselbe Protagonist. Dieser empfindet zuviel auf einmal, um rational und wohlüberlegt auf das Gespräch eingehen zu können.

Ich muß keine Schuld auf mich nehmen, um zu sagen, daß damals große Scheiße gebaut wurde.
Da stimme ich dir vollauf zu. Aber in dieser Geschichte dreht es sich nicht darum, wie man mit der Situation umgehen kann oder könnte, sondern darum, wie es eben oft abläuft. Das war mir sehr wichtig – und das ist hier auch der gesellschaftliche Aspekt.

Womit ich mit General Midi nicht übereinstimme, ist zum Beispiel, daß die Alten ihre Rente nicht verdient hätten – damit würde man höchstens neues Leid erzeugen, das die Toten auch nicht mehr lebendig macht.
Die wenigsten sind freiwillig in den Krieg gezogen, wirklich schuldig sind die, die irgendwo an einem Machthebel saßen, die alles gewußt und sogar vorangetrieben haben. Aber was wußte denn ein kleiner Frontsoldat, den sie nach Rußland oder sonstwohin geschickt haben, außer, daß er keine andere Wahl hatte und lieber zuhause bei seiner Familie wäre und sonntags Kuchen essen würde. Sie gehorchten Befehlen, aus Angst vor den Konsequenzen, die ein Nichtbefolgen hätte.
Ja, durchaus. Aber der Punkt ist wirklich, dass die Geschichte mir kein Anlass zu sein scheint, diese Diskussion zu entfachen. Es geht hier nicht um Distanzierung oder um das Bewältigen der Vergangenheit, sondern um die Auswirkungen dieser Vergangenheit auf das Heute. Von einer anderen Generation aus.
Und diese Geschichte soll keine Lösungen finden, sondern das Problem aufzeigen. Ich als Autor kann und will keine Lösungen geben, wenn ich sie selbst nicht kenne oder kennen kann.

Vielen vielen Dank für deine Anmerkungen – dein gutes Auge ist wirklich bemerkenswert. Über das Stilistische werde ich mir noch Gedanken machen und dann alles in einem Rutsch durchverbessern.

Lieben Gruß,
Anea

 

Hallo Anea!

Das Thema, dass du in deiner Geschichte behandelst, finde ich richtig klasse! Ich weiß nur zu gut um die gegenseitigen Gefühle der Deutschen und der Juden; ich selber war mehrmals in Israel und weiß, wie ältere Menschen Touristen ansehen, die Deutsch sprechen... Ansonsten ist mir auch bekannt, dass die US- Amerikaner häufig ein Problem mit den Deutschen haben, weil alles was sie über Deutschland wissen, mit dem Nationalsozialismus zu tun hat. Das erst einmal dazu...

Um ehrlich zu sein, habe ich mir einen etwas spannenderen Schluss von deiner Geschichte erhofft. Z.B. dass der junge Mann in seinem Auto sitzt und an die Fotos denkt, auf denen sein Großvater (bzw. Urgroßvater) mit dem Eisernen Kreuz und neben Hitler abgebildet ist. Aber das sind natürlich nur meine eigenen Fantasien ;-)...

 

Hallo Lady,

auch dir vielen Dank für deine Rückmeldung. Die Thematik scheint ja tatsächlich viele Menschen anzusprechen. Interessanterweise ist es hier jedoch Irah, der mE am misstrauischsten ist.

Um ehrlich zu sein, habe ich mir einen etwas spannenderen Schluss von deiner Geschichte erhofft.
Gut, beim nächsten Mal wieder mit Explosionen, Mord, Weltuntergang uns Selbstmord :D ;) .

dass der junge Mann in seinem Auto sitzt und an die Fotos denkt, auf denen sein Großvater (bzw. Urgroßvater) mit dem Eisernen Kreuz und neben Hitler abgebildet ist.
Wär mir zu unrealistisch und würde die Geschichte sicher nicht weiterbringen. Selbst wenn seine Großeltern wirklich Die Kriegsverbrecher waren, würde das für die Thematik hier, die sich aj aufs heute bezieht, keine Rolle spielen.

Grüße,
Anea

 

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