Was ist neu

Ein Abend

Mitglied
Beitritt
27.02.2006
Beiträge
1

Ein Abend

Er eilte durch die Straßen. Ziellos. Die Beine immer im gleichen Takt bewegend. Sein Herz schmerzte. Es pumpte unaufhörlich immer weiter und weiter. Die Kälte lähmte seine Finger. Rotz lief im aus der Nase. Dunkelheit ergriff immer mehr seine Gedanken. Wie ein tief sitzendes Messer spürte er die letzte Nacht in seinem Rücken. Was hatte er nur getan?

„Am Achtundzwanzigsten!“ – mit einem klimpernden Geräusch setzte sie die Müslischale auf den Frühstückstisch ab. „Am Achtundzwanzigsten hat sie Geburtstag!“ sie nahm eine Banane, schälte sie und schnitt sie Stückchen für Stückchen in das kleine Schälchen. „Wie gut, dass mir das heute noch eingefallen ist!“. Zufrieden nahm sie ihren Löffel und schaufelte einen großen Happen Müslimix in sich hinein.
Aus irgendeinem Grund ging sie ihm gerade auf die Nerven. Heute war nicht der Tag für sowas. Im Osten hatte es einen Anschlag auf die Pipelines gegeben. Übermorgen würden die Benzinpreise drastisch steigen. Vieles von ihrer Zukunft lag an diesen Pipelines… Wenn ihre Investoren jetzt kneifen würden, dann… Vielleicht würde er seinen Job in 3 Wochen in irgendeinem Café als Kellner fristen… Und alles was seiner besseren Hälfte heute Morgen einfiel, war über den Geburtstag ihrer unbekannten Schwester zu debattieren.
„Was bist du denn heute so muffelig? Hast du Stress in der Arbeit?“ –
jetzt kam sie mit dieser Tour. Anstatt ihr zu antworten genehmigte er sich einen dicken Schluck aus seiner Kaffeetasse und faltete die Zeitung zusammen. Bedächtig und langsam. Dann schaute er seiner Frau tief in die Augen.
„Schatz. Ich habe dir das doch schon erklärt. Wenn wir Pech haben, dann habe ich bald überhaupt keine Arbeit mehr. Nur weil so ein paar bescheuerte Russen ihren Sprengstoff nicht bei sich halten konnten…“.
Für den Bruchteil einer Sekunde veränderte sich die Mine seiner Frau. Ihr Lächeln verschwand und ihr linkes Augenlid zuckte kurz, fast unmerklich, zusammen, dann strahlte sie wieder über beide Ohren.
„Es tut mir leid, Schatz!“ in ihrer Stimme war ein leichtes Beben zu vernehmen „Ich hab das nicht gewollt! Es ist nur… ich hab mich so gefreut. Weißt du, wie lange ich meine Schwester nicht mehr gesehen habe? Das sind jetzt bestimmt schon mindestens 15 Jahre.“ „Ich weiß, ich weiß“ er ergriff ihre Hand und streichelte sie sanft „und ich freu mich auch für dich! Bis gestern, wusste ich ja noch nicht einmal, dass du noch eine Schwester hast!“ „Sie ist ja auch nur meine Halbschwester, aber…“
„Schatz verstehe mich nicht falsch, aber ich muss jetzt los! Ich verspreche dir, in spätestens 2 Tagen hat sich alles geklärt, dann hab ich auch wieder Zeit für uns.“

Er ging in den Flur und zog sich den Mantel an. Auf dem Weg zur Haustür durchkämmte er noch mit einem Griff zur Kommode kurz die Post und erschrak wie von einem Blitz getroffen.
Als seine Frau aus dem Badezimmer kam um ihm den alltäglichen Abschiedskuss zu geben, schreckte er, etwas zu auffällig zurück. Hastig ließ er das Foto und die Briefe in seiner Manteltasche verschwinden. Wenn sie etwas bemerkt hatte, dann ließ sie es sich nicht anmerken.

Durchs Fenster schaute sie ihren Mann noch hinterher, wie er zu seinem Auto ging, einstieg und kurz entschlossen losfuhr.

Eigentlich hätte er direkten Kurs zum Büro aufnehmen sollen. Jede Sekunde die verstrich, ohne zu telefonieren war eine Sekunde Richtung Arbeitslosigkeit. Doch das alles interessierte ihn gerade wenig. Sein Herz hatte beim Anblick des Fotos zu rasen angefangen und pumpte immer noch, als hätte er gerade einen 100m-Lauf hinter sich gebracht. Schweißperlen rannten von seiner Stirn und die Krawatte schien ihm das letzte bisschen Luft aus der Kehle zu schnüren. Wie aus dem Nichts war die Vergangenheit wieder in seinen Kopf getreten und wollte ihn nicht mehr loslassen. Hoffentlich hatte seine Frau die Post noch nicht durchgesehen. Aber wenn sie sie noch nicht getan hatte, wieso hatte das Foto dann so offensichtlich auf der Kommode gelegen?
Er steuerte den Wagen in eine nahe gelegene Seitengasse.

Dann holte er das Foto heraus.
Es bestand kein Zweifel. Es war das Mädchen.
Auf der Rückseite stand:

18.30h Rockcafe!

Es war ein kalter Winterabend gewesen. Seine Frau lag im Krankenhaus. Sie hatte eine schwere Lungenentzündung. Warum hatte sie ihn bloß dazu genötigt, trotzdem zu diesem verdammten Meeting zu fahren?
An diesem Abend ging es um Geld. Viel Geld. Wladimir Petrovitsch war gekommen um eigenhändig die Verträge zu unterschreiben. Der Russe war ein eigentümlicher Zeitgenosse, der sein Land über alles liebte. Was er jedoch noch mehr liebte, waren Geld und Frauen.
Petrovitschs Anzug hielt sich an die Farben der russischen Nationalfahne, alles andere an ihm, erinnerte jedoch mehr an einen neureichen Westerncowboy, als an einen russischen Oligarchen.
Dieser verdammte Abend. Der Russe hatte seinem Namen alle Ehre gemacht. Die Verträge wurden schnell zur Nebensache erklärt und stattdessen, standen bald im ansässigen Casino die Wodkaflaschen auf dem Tisch. Michael alias Micky der Listige vertrug keinen Alkohol.
Sein Kopf wurde immer wärmer. Überall schien Licht auf ihn einzuprasseln. Er hörte den Russen lachen, dumpf, wie hinter einer Mauer. Die Kugel rollte und rollte. Das Lachen des Russen wurde immer dröhnender. Micky spürte, wie sich alles in seinem Magen zu drehen beging. Schleudergang. Übelkeit. Wo war die Toilette? Er musste sich erleichtern. Als er wiederkam, war der Russe verschwunden. Er ging zur Bar. Ein Mädchen schaute ihn an. Kannte er sie? Sie war so schön. Er setzte sich an den Tresen. Das Mädchen setzte sich neben ihn. Sie hatte gelocktes Haar und ein keck, freches Schmunzeln auf den Lippen. Michael musste Grinsen. „Du hast nicht zufällig einen dicken Russen mit soooo ner Fahne gesehn…?“. Er war erstaunt, wie klar er sich noch artikulieren konnte. Das Mädchen antwortete nicht. Stattdessen hörte er eine Stimme hinter sich sagen „der ist gerade in Begleitung abgehauen“. Er drehte sich um. Eine weitere Schönheit setzte sich auf den anderen Stuhl. „Ich bin Lisa und das ist Tina“ stellte sie sich und ihre Freundin vor. „Sehr angenehm“ brachte Micky, nun schon mit einem deutlich alkoholisierteren Akzent über die Lippen.
Noch mehr Wodka. Tina war jünger als Lisa. Aber auch süßer. Tina erzählte von „Sex on the Beach“ und Lisa verschwand irgendwann. Geld floss durch Mickys Kopf. Erfolg. Er war erfolgreich. Sie war sexy. So süße rote Lippen. Sie schmeckten nach Erdbeere. Ihre Brust fühlte sich so unberührt jung und frisch an. „Blowjob“- dann Martini. Und dann. Ihr Slip fühlte sich glatt und anschmiegsam an. Ein Blitz. Und noch einer. Und dann wieder Lisa. Und ein Fotoapparat. Dann das Bewusstsein. Seine Frau. Das Mädchen floh. Das andere auch. Herzrasen. Raus in die Kälte. Wo waren die Mädchen? Die Kälte lähmte seine Finger. Rotz lief im aus der Nase…

Er war mit Tina in diesem verdammten Hotelzimmer verschwunden. Auf einmal war Lisa aufgetaucht und hatte Fotos gemacht. Eindeutige Fotos. Danach waren beide Mädchen abgehauen. Es war ein geplantes Spiel gewesen. Wahrscheinlich wollte der Russe etwas in der Hinterhand behalten.
Das Ganze war jetzt gut fast 6 Monate her.
In den ersten 3 Wochen wollte es Michael seiner Frau gestehen.
Danach hatte er vor gehabt, den Vorfall zu vergessen.
Er würde so etwas nie wieder tun.

Jetzt war er auf dem Weg zum Rockcafe.

Während er den Wagen in eine Parklücke bugsierte, viel ihm eine Dame mit weißem Hut auf. Es war sein Frau. Nochmehr Panik schoss ihm durch den Kopf. Hatte sie doch das Foto bemerkt?
In sicherem Abstand folgte er ihr. Sie hielt geradewegs auf das Rockcafe zu. Michael schaute auf die Uhr. Es war kurz vor halb sieben. Was sollte er tun? Hastig griff er zu seinem Handy. Wählte ihre Nummer.
In dem Moment, als das Freizeichen an seinem Ohr erklang, sah er Tina.
Seine Frau hatte sie noch nicht bemerkt. Kurz bevor ihr Blick den Blick Tinas streifte, griff seine Frau zur Tasche und holte ihr Mobiltelefon heraus.

„Hallo Schatz“
„Hallo Liebling. Stell dir vor. In 5 Minuten hätte ich dich anrufen wollen.“
„Ach ja?“
„Ja!!! Ich hab doch heute Morgen versucht, dir von meiner Schwester zu erzählen… Es gab ja auch einen Grund… Ich treffe mich gerade nämlich mit…
„…Tina…“

In diesem Moment traf sich ihr Blick mit Tinas und ihre Mine erheiterte sich.

 

Hallo littleprinz ,

dein Schreibstil erinnert mich an meine eigenen ersten Versuche.

„ … Die Beine immer im gleichen Takt bewegend. …“
Mir gefallen solche Formulierungen beim Lesen nicht. So wie du die Geschichte beginnst, kannst du das „bewegend“ ganz weglassen.

Auch diese Formulierung a la Courts Mahler finde ich deplaziert:
„ … Was hatte er nur getan? …“

„ … „Am Achtundzwanzigsten hat sie Geburtstag!“ sie nahm eine Banane, schälte sie und schnitt sie Stückchen für Stückchen in das kleine Schälchen. …“
Fällt dir was auf?

Du hast mehrere solcher „Stilblüten“ drin.
Aber das gibt sich mit der Zeit. Und ganz gefeit ist man eigentlich nie davor. Anderen fällt es auf, einem selbst weniger.

So weit, so gut.
Verstanden habe ich Geschichte nicht.
Spannungspotential ist vorhanden. Und auch der Weg ist durchaus in Ordnung. Aber die Auflösung ist für mich keine.

Die Geschichte mit ihren 8.298 Anschlägen verträgt noch Einiges. Außerdem könnte zusammengestrichen werden, will damit sagen, die Geschichte lässt sich so umgestalten, dass am Ende jeder kapiert worum es geht.

Mein Gefühl sagt mir, dass es gar nicht so vieler Worte braucht, damit auch ich schnalle was abgeht.

Gruß Charly

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom