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Ein Abschied

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04.11.2025
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Anmerkungen zum Text

...vor 40 Jahren

Ein Abschied

September 1985, herrliches Spätsommerwetter.
Sonst fährt er allein zum Flughafen, wenn er ohne sie verreist. Heute nicht. Sein Flug wird jetzt gerade aufgerufen.
Diese letzten Minuten mag er nicht. Sie auch nicht. Abschiednehmen ist besser zuhause. Da sind sie sich einig.
Kurz vor dem Einsteigen weiß man ohnehin kaum, worüber noch sprechen. Sie sehen sich an, sprechen wenig. Nun muss er zur Passkontrolle.

Sie setzen sich hin. Eine Minute lang. Schweigend.
Diesen russischen Brauch kennen sie. Aus der Zeit in Moskau. Sie haben ihn beibehalten. Es ist ein Moment des Innehaltens.
Abschied ist immer beides: Neugier und Verlust.

Dienstreisen dauern sonst zwei, drei Tage. Eine Woche vielleicht. Diesmal, nach Nordkorea viel länger. Zu lange? Deshalb begleitet sie ihn.

Dreizehn Wochen. Vielleicht ist das nicht nur schlecht. Auch wegen des Streits vor drei Tagen. Auch noch jetzt noch fühlt er sich im Recht. Sie wohl auch.
Doch es tut ihm leid. Soll er es ihr sagen?
Vielleicht stürzt das Flugzeug ab. Dann ist es zu spät.

Er sagt nichts. Küsst sie und geht.

Er dreht sich noch einmal um. Und winkt ihr zu.
Dann ist sie in der Menge verschwunden.
In drei Monaten wissen wir eh nicht mehr, worum es ging. Redet er sich ein.
Jetzt kann er es ihr nicht mehr sagen. Dass es ihm leidtut.

September 1985, herrliches Spätsommerwetter.
Sie fährt zurück nach Hause.

Kein Handy. Und für noch lange Zeit kein WhatsApp.
Aber die Berliner S-Bahn gibt es schon seit 61 Jahren.
Anderthalb Stunden bis nach Hause. Mit einmal Umsteigen.

Als sie endlich vor der Wohnungstür steht, klingelt drinnen das Telefon.

Sie schafft es. Hebt ab.

Seine Stimme sagt: „Verspätung.“
Dann: „Tut mir leid – wegen neulich. Hab dich lieb.

Sie lächelt.

 
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