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Ein Bild für Götter

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20.11.2001
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Ein Bild für Götter

Man sagt uns Reisebusfahrern ja so manches nach – wir sitzen grundsätzlich betrunken und übermüdet am Steuer, transportieren mit abgefahrenen Reifen Schulkinder und bieten Pensionistenclubs Höllentrips mit riskanten Überholmanövern auf Serpentinenstraßen. Aber was mich diese Frauen – sogar eine Ministerin war darunter – neulich geheißen haben … ich musste es verdrängen, um mich vor Scham und Schuldgefühlen nicht selbst zu morden. Dabei konnte ich gar nichts dafür. Trinkgeld hab ich am Ende trotzdem bekommen, sie sind ja anständig.

Das Trinkgeld zahlt sich immer aus, wenn Parteiorganisationen Ausflüge machen. Da hat jeder einen Ruf zu verteidigen und muss zeigen, was er für uns, das einfache Volk, übrig hat. Und das, während ihm die anderen auf die Finger schauen, also richtig echt und nicht nur theoretisch. In dem Fall war es die Frauenorganisation; zum Glück musste ich sie nur bis ins Burgenland fahren. Zwar in den tiefen Süden, aber immerhin nicht bis Tirol. So hab ich die Damen also um zehn Uhr Vormittag bei dem Weinbauern mit angeschlossener Gastwirtschaft abgeliefert und Punkt neunzehn Uhr wieder abgeholt. Was sie dazwischen gemacht haben, geht mich nichts an. Der Wirt schien jedenfalls zufrieden, als er jeder von ihnen die Hand schüttelte, bevor sie in den Bus stieg.

Um dreiviertel acht waren auch die Fehlenden gefunden – eine Handvoll wollte doch eine Runde spazieren gehen, wenn sie schon einmal zufällig die Natur umgab –, alle saßen mit bester Laune im Bus. Die Gespräche waren nicht mehr so ernst wie auf der Hinfahrt, es regte sich keine mehr über männliche Strichmännchen auf Notausgangsschildern auf, auch nicht darüber, dass es tatsächlich wieder ein Deutschbuch für Volksschüler gab, das einen arbeitenden Vater und eine kochende Mutter enthielt – obwohl nach jahrzehntelanger Arbeit in diese Richtung doch wirklich jeder wissen müsste, dass so etwas die Mädchen in ihre althergebrachten Rollen drängt!
Dafür lachten sie jetzt oft schallend laut und schrill über Dinge, die ich nicht verstand. Akustisch. Ich glaube, sie haben sogar über Kochrezepte geredet, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich da verhört habe. Haben muss. Das Erste, was ich nach einer Viertelstunde Fahrzeit wirklich eindeutig verstand, war: »Wann machen wir Pinkelpause?«
Nicht etwa, dass das eine an mich gerichtete Frage gewesen wäre, nein: Die Ministerin stellte sich in den Mittelgang und leitete die Diskussion.

Wortfetzen wie »schon etwas früh« und »wenn wir halt müssen« drangen zu mir, gefolgt von operettenreifem Lachen. Dann machte die Stadträtin den Vorschlag, zu warten, bis eine von ihnen wirklich dringend müsse. Je länger sie warten, desto mehr würde sich dann das Stehenbleiben auszahlen, weil die Anzahl derer mit Druck auf der Blase inzwischen stiege. Ich hätte mir gern an den Kopf gegriffen, aber Politikerinnen sind teuer, wenn man sie verunfallt.
Da mischte ich mich ein: »Die nächste Autobahnraststation ist nur noch ungefähr fünfzehn Kilometer …«
Die Ministerin nahm mir das Wort, nachdem von hinten Maulen zu hören war, und sagte ziemlich ungeduldig: »Fahren'S bei der Abfahrt da vorne gleich runter und bleiben’S wo stehn.«

»Zu Befehl«, sagte ich, folgte dem Wunsch der Dame und sie wies mich weiter an, neben dem Kukuruzfeld hundertfünzig Meter nach dem Ende der Autobahnausfahrt anzuhalten. Die Straße bog sich hier leicht nach links. Zu den anderen sagte sie: »Wir können uns da alle neben den Bus hocken, der bietet einen guten Sichtschutz.« Mädchenhaftes Kichern drang in meine Ohren, dazu wie im Takt die Frage »Wer noch?« einer Taschentücher verteilenden Stadträtin. Ich unterstützte ihr Vorhaben wohlwollend und brachte das Fahrzeug etwas schräg zum Stehen.
Es stiegen also neun Frauen aus, reihten sich neben dem Bus auf, hoben ihre Röcke und entblößten ihre gut gepolsterten Hintern. Sie haben wahrscheinlich nicht bedacht, dass ich sie im rechten Außenspiegel sehen konnte. So geschützt vor den Blicken der vorbeifahrenden Gendarmerie haben sie auch nicht mitbekommen, wie diese stehenblieb und was mir der Beamte durch das offene Fenster deutete. Seinem Zeigefinger folgend entdeckte auch ich das "Halteverbots-Ende"-Schild direkt vor mir.
Ich steckte zwei lange Sekunden in einem schweren Loyalitätskonflikt. Das Auge des Gesetzes wirkte sehr streng, die untergehende Sonne tauchte den Himmel über ihm in ein höllisches Rot, und ich wollte mir keine Schwierigkeiten einhandeln. Durch die offene Tür hörte ich nur ein plätscherndes »Pschschsch…«, das war viel weniger furchterregend, und so tat ich, was mir befohlen wurde.

Ich fuhr eine Buslänge vor.

 

Hallo Häferl

Jep, ist richtig rund geworden, besonders der Schluss sitzt.
:thumbsup:

Ist mir erst beim zweiten Lesen aufgefallen:

Ich hätte mir gern an den Kopf gegriffen, aber Politikerinnen sind teuer, wenn man sie verunfallt.
Da mischte ich mich ein: »Die nächste Autobahnraststation ist nur noch ungefähr fünfzehn Kilometer …«
Mit 'Da' unterbricht er seinen eigenen Gedankengang, liest sich irgendwie komisch. Wie wäre es mit:
'Statt dessen mischte ich mich ein ... '

dot

 

Hallo Bella und bernadette, und noch einmal dotslash!

Freut mich sehr, daß Ihr meine Geschichte (nochmals) gelesen habt, danke dafür! :)

@ Bella, bei Dir hat mich nicht nur Dein Lob sehr gefreut, sondern auch, daß Du wieder mal da bist - hast Dich ja ziemlich rar gemacht in letzter Zeit, aber ich hoffe, daß es Dir gut geht! :)

bernadette schrieb:
Kurz nach einer Autobahnabfahrt habe ich in Deutschland noch nie ein Halteverbotsschild gesehen, so mitten zwischen Wiesen und Feldern
Das scheint ein Mißverständnis zu sein, es steht ja nur das Halteverbot-Ende-Schild da. Das -Anfangs-Schild steht, bevor man auf die Autobahn drauf fährt. Ob das überall so ist, weiß ich nicht, bin kein Autofahrer, auf jeden Fall hab ich das selbst schon so gesehen und mich deshalb für diese Version entschieden. (Die andere wäre ein Autobahnparkplatz gewesen, bei dem es nur ein Klo gibt und sie sich deshalb neben den Bus hocken, dann hätte der Bus wegen eines nicht durchkommenden Lastwagens weiterfahren müssen. ;))

dotslash schrieb:
Jep, ist richtig rund geworden, besonders der Schluss sitzt.
Danke, soviel Lob tut richtig gut! :)

Das "Da ..." schau ich mir nachmittags noch einmal an, im Moment finde ich es nicht so komisch, aber vielleicht wird das noch, wenn ich es noch ein paar Mal lese. :D

Danke nochmal Euch allen,
liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,

„transportieren mit abgefahrenen Reifen Schulkinder“

- ich dachte, sie tun es mit Hilfe von Bussen??? Nur´n Scherz, die Vorstellung war zu schön …

Eine runde, gut nachvollziehbare Geschichte, hat etwas Anekdotenhaftes. Der Busfahrer und seine Umstände sind gut vorbereitet, die Einführung trägt die Pointe. Hat mir gefallen!


L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Woltochinon!

Freut mich sehr, daß die Geschichte auch Dir gefallen hat und Du nur lobende Worte findest! :)

Danke fürs Lesen und Deinen Kommentar,

liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo häferl,

herzlichen Dank für die gute Unterhaltung.

Wenn ich mir meine verschreckten Kater so ansehe, muss ich wohl recht laut gelacht haben bei dem Schlussbild.

Sag Bescheid, wenn es als Kurzfilm irgendwo gesendet wird! Würde ich gern sehen.

Schöne Grüße
MrsMurphy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo smoke und MrsMurphy!

Danke Euch beiden fürs Lesen und Euer Lob, freut mich, daß Euch die Geschichte unterhalten konnte! :)

Was mich etwas hat stutzen lassen war dieser Abschnitt

sie haben sogar über Kochrezepte geredet, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich da verhört habe

Ja, ich habe da auch manchmal meine Zweifel. Aber Politiker/innen sind auch Menschen. Da darf auch mal über Kochrezepte geredet werden. Kein Beinbruch, diese Bemerkung, aber für mich ein kleiner Stolperstein beim Lesen.

Daß es beim Lesen ein Stolperstein war, ist natürlich blöd, aber jene Politikerinnen ohne Schrägstrich, die ich da vor Augen hatte, würden das zumindest hinterher nicht zugeben, weil das viel zu unemanzipierter Hausfrauentratsch wäre, womit sie nüchtern selbstverständlich nichts zu tun haben wollen, daher muß der Protagonist sich verhört haben. ;)

Wenn ich mir meine verschreckten Kater so ansehe, muss ich wohl recht laut gelacht haben bei dem Schlussbild.
:lol: Das ist ein schönes Lob, danke! :)

Sag Bescheid, wenn es als Kurzfilm irgendwo gesendet wird! Würde ich gern sehen.
Ich hab noch nicht alle Angebote gesichtet, sie stapeln sich hier vor mir ... ;)

Danke nochmal,
liebe Grüße,
Susi :)

 

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