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Ein Brief der Reue

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Ein Brief der Reue

Ein Brief der Reue
von Frank Wendel


Dresden, der 7. Juni 1840​
Meine über alles geliebte Mutter,

Ich schreibe Dir diesen Brief aus tiefster Trauer und Verzweiflung heraus. Der Schmerz in meiner Seele ist so unerträglich, dass ich nicht mehr sein will. Ich möchte mich hiermit für all dies entschuldigen, was Dich hat an mir zweifeln lassen. Ich wollte Dir nie ein schlechter Sohn sein. Es tut mir leid, dass ich solch hohe Ansprüche gestellt und es nicht respektiert habe, dass Du auch nur ein Mensch bist; ständig unter Druck und um Arbeit bemüht.
Ich weiß, Du hattest es sehr schwer, als Vater uns verlassen hatte. Und dann kam auch noch das Baby, mein Bruder, hinzu und alles wurde schlecht. Ich war es nicht anders gewöhnt, als dass Du Dich um mich gekümmert, mich regelmäßig mit Mahlzeiten versorgt hast und mir jeden Tag sagtest, wie sehr Du mich lieben würdest. Und ich wollte diese neue Situation der Armut nicht akzeptieren, wollte Dich so haben, wie Du früher warst, habe mich dagegen gesträubt, Vaters Arbeiten zu übernehmen. Oh Mutter, ich war so dumm, zu glauben, es würde uns nichts ausmachen. Ich weiß nicht, ob Du mir dies jemals verzeihen kannst.
Als Du mich damals das erste Mal zum Gehorsam züchtigen musstest, habe ich gegen Dich protestiert, obwohl ich doch genau wusste, dass es das nur noch schwerer macht. Du sagtest: „Hör auf zu heulen, das bringt uns nicht weiter. Benimm dich wie ein Mann! Männer haben nicht zu heulen.“
Doch ich konnte nicht aufhören. Oh Mutter, so verzeih mir, ich konnte es nicht. Selbst als Du mir anschließend den Hintern mit dem Knüppel versohlt hast, konnte ich nicht aufhören. Ich habe dich einfach nicht wieder erkannt. Ich sah nicht die, die ich eigentlich liebte.
Doch warum konnte ich nicht begreifen, welche Last Dir mit Vaters Flucht und einem zusätzlichen Kind auferlegt wurde?
Ich weiß nicht, ob Du mir dies je vergeben kannst.
Die Zeit hat auch keine Besserung gebracht. Im Gegenteil, es wurde nur noch schlimmer. Wenn ich mich Deinem Willen widersetzt hatte, so wurde nicht mehr großartig herumdiskutiert, sondern gleich zum Knüppel gegriffen. Deine Schläge wurden immer heftiger, Deine eigene innere Verzweiflung größer.
Als nächstes hast Du mich nackt im Kellergewölbe für viele Stunden eingesperrt. Es waren kalte und dunkle Stunden. Ich habe gefroren und viel geweint – natürlich nur so laut, dass Du es nicht hören konntest, aus Angst vor dem Knüppel.
Später mussten wir unsere damalige Wohnung verlassen und in eine viel kleinere und hässlichere wechseln. Die Wände waren grau und von Schimmel zerfressen; Teppiche gab es nicht, wir mussten sie verkaufen; die Nächte waren dunkel, weil uns das Licht fehlte und die Nachbarn waren von ihren Streitereien laut.
Das Baby war oft krank und wir verloren noch mehr Geld durch Medikamente und durch den Arzt, der diese verschrieb. Ich weiß, dass Du oft geweint hast, auch wenn Du mich jedes Mal gezüchtigt hast, wenn ich Dich dabei erwischte. Dein Kummer ließ sich nicht verbergen. Und es tut mir so leid, dass ich Dir darin nicht helfen konnte.
Doch ich hatte ebenfalls Kummer. Und die Arbeit war mir mehr als zuwider. Ich wollte nicht Holz hacken oder einkaufen gehen. Die Menschen vom Markt haben mich immerzu ausgelacht oder zumindest schief angeschaut, wenn ich mit meinen Lumpen (oder manch einmal auch ganz ohne) allerlei Ballast auf meinem Rücken herumtrug und noch nicht mal wusste, wie viel ich für was zu bezahlen hatte. Es tut mir leid, falls ich mich von manchen Verkäufern habe ausnehmen lassen. Ich wusste einfach nicht, wie man mit Geld umzugehen pflegte.
Und weißt Du noch damals? Ich habe heimlich vom Brot genascht und Du hast es bemerkt. Ich muss so dumm gewesen sein, wenn ich glaubte, Du würdest nicht dahinterkommen. Oh Mutter, verzeih, aber ich hatte doch so großen Hunger. Umso mehr verstehe ich Deine Bestrafung, die Du angewendet hast. Du hast angeordnet, ich solle im Schweinestall des Herrn Neubert schlafen, der, als er mich des Nachts erwischte, fortjagte, zurück zu Dir. Ich habe sehr lange an die Türe geklopft und nach Dir geschrieen. Aber das hätte ich nicht tun sollen, denn ich weckte nur das Baby. So kamst Du raus, brachtest mich mit dem Knüppel zum Schweigen und holtest mich am nächsten Morgen von der Straße ab.
Erst jetzt kann ich Deinen Zorn, Deine Bestrafungen und Dein Leid vollends nachempfinden. Und ich kann Dir gar nicht sagen, wie schwer mir das Herz wird, wenn ich daran zurückdenke. Doch nun wurde es mir klar. Ich kann Dir mein Gefühl der Reue nicht verständlich genug machen, ich weiß nicht ob Du mir verzeihen kannst. Wenn Du dies liest, so lass Dir gesagt sein, geliebte Mutter, dass es mir leid tut und ich von nun an ein treu ergebener Sohn sein will, der stets das tut, was Du mir aufträgst und erklärst, denn ich weiß nun, dass es das Richtige sein muss. Ich will mich nie wieder Deinem Willen widersetzen, denn er verhilft mir nur zum Besten.
Ich wollte dafür sorgen, dass es uns beiden besser geht und dass wir zusammen in wohleren Umständen leben können. Das, was ich getan habe, soll dazu beitragen, dass wir einen neuen Anfang in eine bessere Zukunft wagen können.
Oh bitte, Mutter, so sage mir, dass Du mir verzeihst und ich werde nie wieder ungehorsam sein und immer der Sohn, den Du haben möchtest. Bitte verzeih mir, all meine Misse- und Schandtaten, sei auch Du zu mir wieder eine gute und wohl sorgende Mutter. Auf dass wir uns lieben, bis dass das Schicksal uns trennen wird.

In ewiger Liebe
Dein Sohn Raffael


Postskriptum: Verzeih, diese Anmerkung, aber es mag Dich vielleicht interessieren: Das Baby habe ich in einem weißen Baumwollbündel verpackt von der Augustusbrücke in die Elbe geworfen. Möge diese Tat unsere Misere erleichtern.

 

Hallo Bantam,

ich hätte es besser gefunden, wenn du die Geschichte ohne Briefform geschrieben hättest. Dann wär man mehr im Geschehen drin.
Also ich wär stinksauer auf meine Mutter und hätte sie nicht noch um Verzeihung gebeten, kann man aber wahrscheinlich sehen wie man will.
Vom Ausdruck fand ichs jedenfalls gut und hat sich locker durchgelesen.

LG
pina colada

 

..

Hallo Bantam...nette Story und gute Pointe. Die Briefform ist mal eine Abwechslung zur herkömmlichen Erzählstruktur...doch- gern gelesen...Gruß...Elric...

 
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Hallo Bantam!

Im Großen und Ganzen gefällt mir Deine Geschichte recht gut, vor allem kommt sie glaubwürdig rüber und die Pointe geht richtig in den Magen.

Womit ich ein Problem habe, ist das Alter, sowohl das des Protagonisten als auch das des Bruders. Die Art, wie der Protagonist erzählt, wirkt stellenweise recht kindlich (z. B. "und alles wurde schlecht"), zugleich aber finden sich (zumindest fast) erwachsene Sichtweisen darin, wie z. B. "welche Last dir mit einem entflohenem Gatten und einem zusätzlichen Kind auferlegt wurde", und das macht es schwer, dem Brief ein Alter zuzuordnen.

Auch durch das Erzählte werde ich nicht klüger. In der zweiten Hälfte des Textes ist der Protagonist wohl so um die fünf Jahre alt ("Ich konnte doch gerade mal bis zehn zählen"), da sind sie aber schon mitsamt dem Baby übersiedelt etc., und beim Schreiben des Briefes ist er doch schon recht rede- bzw. schreibgewandt, weshalb wohl ein paar Jährchen vergangen sein werden, seit das Baby zur Welt kam. Es kann also am Schluß kein verpacktes Bündel mehr sein ...

Nicht so ganz passend finde ich diesen Satz:

Du warst nicht meine Mutter, wie ich sie einst liebte.
Er paßt nicht zum Ton der restlichen Geschichte, da er anklagend wirkt, Dein Protagonist aber sonst laufend "seine Schuld" einsieht, sich entschuldigt und nur in seinem Bruder einen Grund für die Veränderungen sieht.

Da gibt es übrigens ein Foto, das beinahe zu Deiner Geschichte paßt ... Ich mußte sofort daran denken, als ich sie gelesen hatte. (Das Foto stammt von hier.)

Liebe Grüße,
Susi :)

 
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Hallo Leute,
also zuerst einmal Danke für alle, die sich die Zeit genommen haben, es zu lesen und vielen Dank für die Kritiken, ich werde sie sehr berücksichtigen.
Ähm, zuerst einmal muss ich dazu sagen, dass das alles im Jahre 1840 spielen soll, zu einer Zeit also, als nicht jeder unbedingt lesen und schreiben konnte. Aber durch Häferl bin ich jetzt auch auf den Gedanken gekommen, warum er lesen und schreiben kann (sonst hätte er dies nicht geschrieben), aber nicht mal bis zehn zählen kann. Das ist auf jeden Fall unlogisch, da gebe ich dir Recht. Am liebsten würde ich diesen Satz einfach rausnehmen, ein Kind kann auch ausgenommen werden, selbst wenn es zählen kann.
Zu dem Umgang mit seiner Mutter: Er wurde sein ganzes Leben lang zur Höflichkeit und Zucht und Ordnung erzogen, was den Leuten damals sehr wichtig war. Auch, dass es nicht gut war, Gefühle zu zeigen ("Männer haben nicht zu heulen!"), wurde den Kindern sehr deutlich beigebracht.
Von daher hat dieses Kind durch die Misshandlungen seiner Mutter und seiner Umwelt einfach nen Knacks weg, denn das muss er ja irgendwie haben, was ich eigentlich durch seine Ausdrucksweise und seine Art verdeutlichen wollte. Dieser Knacks war auch eine der Ursachen, seinen Bruder umzubringen.
Es ist überliefert, dass zu damaligen Zeiten viele Kinder getötet wurden, weil die Eltern in Armut lebten und es nicht ernähren konnten, solche Fälle hat es gegeben und ich fand, dass das doch eine gute und erschreckende Idee für ne Horrorstory wäre.
Den größten Horror schreibt die Geschichte der Menschen selbst. ;)

Trotzdem Danke für die Kritiken, ich werde mal schauen, was sich ändern lässt.
Gruß
Bantam


Edit: Postskriptum: Verzeiht die Anmerkung, aber es wird euch vielleicht interessieren, dass ich jetzt die Änderungen vorgenommen habe und, der Protagonist den Brief auch Jahre nach diesen Ereignissen geschrieben haben könnte.

 

Hallo Bantam,

verzeih meine schwammige Ausdrucksweise aber etwas scheint mir mit dem Brief nicht zu stimmen. Den Anfang finde ich gut, authentisch. Aber einige Passagen kann ich nicht in die Zeit einordnen, in der der Brief entstanden sein soll, die Ausdrucksweise damals war mMn (gerade im Schriftlichen) eine andere. Beispiel "heulen" - ich kann mir nicht vorstellen, dass man das damals so salopp formuliert hätte.

Die einzige Stelle, die ich jetzt aber konkret bemängeln kann ist

wenn ich mit meinen zerlumpten Sachen (oder manch einmal auch ganz ohne) allerlei Sachen auf meinem Rücken herumtrug
Hier würde ich das erste "Sachen" durch "Kleidung" ersetzen (oder das zerlumpten auch streichen und einfach nur Lumpen schreiben). Man könnte natürlich auch das zweite ersetzen, zB durch Ballast.

Viele Grüße
Julia

 

Hallo Julia,
ich danke dir sehr für diesen Hinweis und bin dir sehr verbunden. :)
Gruß
Bantam

 

Hallo Bantam!

Ja, das ist gut, daß Du das Zählen rausgenommen hast.

Ähm, zuerst einmal muss ich dazu sagen, dass das alles im Jahre 1840 spielen soll
Ähm, das steht ja auch deutlich ganz oben rechts. ;)

Das Baby habe ich in einem weißen Baumwollbündel verpackt
Das hast Du vermutlich übersehen, denn nach all dem, was seit der Geburt passiert ist, kann es nicht mehr so klein sein, daß man es so als Bündel verpackt. Laß ihn das Kind einfach so von der Brücke schmeißen. In so einem Fluß müßte das Kind schon ein sehr guter Schwimmer sein, um überhaupt eine Chance zu haben, sich zu retten - das Bündel ist also nicht unbedingt nötig, um es sicher ertrinken zu lassen. Selbst, wenn es eifrig strampelt, zieht der nächste Strudel es in die Tiefe.

dass ich jetzt die Änderungen vorgenommen habe und, der Protagonist den Brief auch Jahre nach diesen Ereignissen geschrieben haben könnte.
Er gesteht doch darin der Mutter den Mord, und will, daß sie sich ab jetzt wieder so lieben können wie früher. Für mich liest sich das nicht so, als hätte er es Jahre später geschrieben. Aber warum willst Du eigentlich, daß es so wirkt, als hätte er ihn Jahre später geschrieben? :confused:

Es ist überliefert, dass zu damaligen Zeiten viele Kinder getötet wurden, weil die Eltern in Armut lebten und es nicht ernähren konnten, solche Fälle hat es gegeben und ich fand, dass das doch eine gute und erschreckende Idee für ne Horrorstory wäre.
Ja, was Du aber in der Geschichte zeigst, ist etwas ganz anderes. Hinter dem Töten von Kindern wegen Armut stehen gefühllose, rationale Überlegungen. In Deiner Geschichte ist es aber ein Kind, das - seelisch an der schwarzen Pädagogik zerbrochen - beseitigt, was ihm in seinem Streben um die Liebe der Mutter im Weg steht. Der finanzielle Aspekt ist zwar da, aber meiner Meinung nach zweitrangig.

Von daher hat dieses Kind durch die Misshandlungen seiner Mutter und seiner Umwelt einfach nen Knacks weg, denn das muss er ja irgendwie haben, was ich eigentlich durch seine Ausdrucksweise und seine Art verdeutlichen wollte. Dieser Knacks war auch eine der Ursachen, seinen Bruder umzubringen.
Sowas finde ich immer lustig: Wenn ein Autor etwas in seiner Geschichte so richtig schön aufzeigt, und dann in den Kommentaren abwertende Sprüche losläßt wie "hat nen Knacks weg".
Dabei zeigst Du so schön, wie er gebrochen wurde:
Als Du mich damals das erste Mal zum Gehorsam züchtigen musstest, habe ich gegen Dich protestiert,
Doch ich hatte ebenfalls Kummer. Und die Arbeit war mir mehr als zuwider. Ich wollte nicht Holz hacken oder einkaufen gehen. Die Menschen vom Markt haben mich immerzu ausgelacht oder zumindest schief angeschaut,
Da hatte er noch einen eigenen Willen.
Oh bitte, Mutter, so sage mir, dass Du mir verzeihst und ich werde nie wieder ungehorsam sein und immer der Sohn, den Du haben möchtest. Bitte verzeih mir, all meine Misse- und Schandtaten, sei auch Du zu mir wieder eine gute und wohl sorgende Mutter. Auf dass wir uns lieben, bis dass das Schicksal uns trennen wird.
Hier ist er bereit, sich aufzugeben, und als er sein Geschwisterl umbringt ist er selbst bereits emotional tot. Der Mord an dem Kleinkind verdeutlicht genaugenommen seinen inneren Tod.
Nicht "der Knacks" ist die Ursache für den Geschwistermord, sondern das, was dazu geführt hat - Lieblosigkeit, Gewalt, Demütigung, Leid und Neid durch finanzielle Not.

Den Horror sehe ich also vielmehr in der Erziehung und was sie anrichten kann, als in der Person des Protagonisten, der selbst, genauso wie das Geschwisterl, Opfer dieser schwarzen Pädagogik ist.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Bantam,

deine Geschichte ging mir sehr nahe. Du hast sehr eindringlich das Leid deines Protagonisten aufgezeigt, stilistisch eindringlich sauber. Häferl hat die Geschichte bereits gedeutet, besser hätte ich es auch nicht gekonnt.

Was mich jedoch stört, ist der Ton deines Briefes. Du bist hier leider nicht so konsequent, wie es die Briefform verlangen würde. Du scheinst überwiegend zu vergessen, das der Brief an die Mutter adressiert ist. In der Art wie du schreibst, tust du so, als ob der Leser die Mutter wäre, als ob du ihm die ganzen Gräultaten erzählen musst, von denen er freilich ncihts weiß. Die Mutter weiß davon aber sehr wohl. Eigentlich bedarf es nicht viel, um das auszubügeln, einfach ist es aber trotzdem nicht.
Solche Kommentare sind der richtige Ansatz:

Und weißt Du noch damals?
allerdings kippst du da immer wieder raus

Ich weiß, dass Du oft geweint hast, auch wenn Du mich jedes Mal gezüchtigt hast, wenn ich Dich dabei erwischte.
der Satz stimmt so nciht ganz. Das auch wenn hat hier keinen Platz.
Richiger wäre zu sagen: Ich weiß, dass Du oft geweint hast. Wenn ich dich dabei erwischt habe, hast du mich gezüchtigst, aber das konnte nicht über deine Trauer hinwegtäsuchen... oder so ähnlich

Ansonsten ein sehr starkes Stück

grüßlichst
weltenläufer

 

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