Was ist neu

ein Empfindsamer und noch ein Typ

Seniors
Beitritt
15.03.2008
Beiträge
858
Zuletzt bearbeitet:

ein Empfindsamer und noch ein Typ

„Ich hab letztens drei Mädels getroffen, Jungchen, das war der Beginn der Misere, ich sag dir, die waren leibhaftige Gläubige, die nicht nur an die ganze Chose von wegen ewigem Jungsein glauben, sondern tatsächlich sogar in der amerikanischsten aller Ausprägungen. Dabei waren die bestimmt schon zwanzig oder so – wenn die in ihrer Schulzeit mal was anderes gemacht hätten, als in den billigsten Spiegelungen der Endlichkeit zu posieren...“, sagt ein vollbärtiger Sitzriese, der aussieht wie ein ostdeutscher Redneck inklusive kariertem Holzfällerhemd und schweißfleckigem Truckercap. Er zündet sich eine Zigarette an. Sieht auf seinen Gegenüber, einen schmalen, irgendwie düster wirkenden Burschen, dessen Augen durchs enge Zimmer huschen wie hyperaktive, mit Amphetamin zugedröhnte Ratten im Käfig. Der Redneck will weitersprechen, man sieht es an der Art, in der er nach dem Zug seinen Kiefer bewegt. Da sprudelts aus dem Schmalen.
„... und ich sag DIR, Mann, der Detektiv vom Kaufhaus Holz ist so was von ein Dummbatzen. Geh ich doch letztens Samstagmorgen in den Laden, hab mir ne halbe Stunde vorher noch drei 90mg-Dihydrocodeinkapseln mit nem Bier runtergespült, was ich zum Zeitpunkt des Eintretens in diesen altehrwürdigen Schuppen aber schon wieder vergessen hatte weil ich zwischendurch noch Ronnie den alten Schorrepunk getroffen habe und mit dem ne Weile über die anderen Assis ablästere. Bin ich also im Laden und während ich da so drin steh und mir ein paar der teureren Parfüms in mein Jäckchen fallen lass, seh ich ab und zu nach hinten und seh den Hobbysherlock mit einer von diesen fetten dummen Hühnern schäkern. Dacht ich mir doch so eine Gelegenheit gibt’s nicht alle Tage und bin dann durchs Erdgeschoss getigert, hab mit ner Sicherheitsnadel den Elektroschrank aufgearbeitet und so viel hochpreisig glänzendes Zeug gerafft bis mein Jäckchen ganz ausgebeult war.
Da kam dann auf einmal der ganze Flash von wegen Alkohol und Codein zusammen und ich musste mich sogar am Schrank festhalten, weil die Welt dadurch so bisschen in Schieflage geraten ist und wie ich mich dann wieder gefangen habe und irgendwie breitbeinig wie ein besoffener Matrose auf Landgang über die schlingernde Planetenoberfläche Richtung Ausgang schlurfe seh ich das Supersonderangebot des Monats: so geil hochwertige Latexmatratzen und ich lass mich auf eine von denen fallen weil mir das in dem Moment wie ein Riesengaudi vorkam aber als ich dann lag wollt ich nur noch die Augen zumachen und ich denk mir noch: nein, Marlin, tu das nicht, das ist eine herausragend bescheuerte Idee.
Als ich wieder aufwachte war ich erst mal voll desorientiert und hab mich erst mal abgetastet, als wäre ich nicht mal mehr ganz sicher wer ich überhaupt bin. Wie ich dann so mein ausgebeultes Jäckchen betaste fällt mir wieder ein wo ich bin und was ich gemacht habe und ich hiev mich so hoch und schlinger weiter Richtung Ausgang, nur diesmal etwas schneller, denn ich hatte ganz schön Schiss auf einmal aber das war voll unbegründet, denn kein dummdreister Kaufhauseleve hielt mich an oder quatschte mich auch nur von der Seite an und ich konnts gar nicht fassen. Als ich dann zuhaus war und den ganzen Kram auspackte, konnt ich’s noch weniger fassen so ein guter Fang war das. Erst als die Kirchturmglocken läuteten hab ich mich wieder eingekriegt und gedacht dass das wohl göttliche Fügung war und die hohen Mächte auf meiner Seite sind und bin dann zu Tony und hab das ganze Zeug verscherbelt und dann gleich ein Stockwerk höher zum Vati und der Vati hatte super Dope am Start und wir ham einige Nächte zum Tag gemacht kann ich dir sagen, war echt ne gute Zeit wahrscheinlich. So genau kann ich’s nicht sagen denn ich erinner mich kaum noch aber dann wird’s schon gut gewesen sein, denk ich immer.“

Der Schmale dreht sich selbst ne Kippe, zündet sie an, pafft und sieht zu, wie sich der Rauch im Zimmer verteilt.

„...also mit den Spiegelungen der Endlichkeit mein ich eigentlich nur dieses ständige sich anmalen und irgendeinem US-plasterikanischen Idol nacheifern, dessen wahnsinnig tiefes und überraschendes Leben sie in irgendwelchen Sitcoms ebenso verfolgen wie in diesen grottigen Lustigefrauenheftchen, wobei es vielleicht noch von Interesse wäre, herauszufinden, ob die in der Serie verkörperte Figur flacher als das Klatschkolumnenabbild des Stars ist oder umgekehrt. Wenn ich an diesem Abend so geistesgegenwärtig gewesen wäre und den Aufnahmeknopf vom Handy gedrückt hätte, würde mir sicher genug Material für eine kleine Untersuchung vorliegen. Die wussten echt ne Menge über Leute, deren Namen ich noch nie gehört hatte. So hieß es nur: Hut ab, Hirn auf und all diesen Input aus der fremdesten aller Welten hinein.
Aber ich schweife ab, jedenfalls das interessante an diesen drei Chicks war, dass ich selten hässlichere Makeuptussen sehen durfte – Jesusmaria, ich kann dir sagen. Völlig überzeichnet, nichts mit natürlicher Schönheit unterstreichen oder so, ne, die haben sich einfach die Maske von dieser kalifornischen Plastikgöttin auf ihr deutsches Pfannkuchengesicht gemalert und sahen nicht mehr aus wie im falschen Film, ne, wie im falschen Leben oder in falscher Dimension, ich kann euch sagen. Vielleicht bin ich auch falsch, habe ich dann gedacht, schließlich sind die in der Überzahl. Aber den Gedanken habe ich gleich wieder verdrängt - von so was darf man sich nicht aufhalten lassen.
Und wie es sich unter Gleichgesinnten dann gern mal ergibt, haben die so richtig frank und frei von der Leber weg geredet. Dann hieß es dann, weißt du schon, dass die mit dem oder was es bei H&M so Neues gibt und einmal verirrten sie sich auch auf irgendein politisches Sprechfeld, wovon sie dann aber kichernd wieder Reißaus nahmen.
Jedenfalls, was ich sagen wollte: Als mein Blick während eines Routinechecks des Etablissements en passant deren Busen begutachtete – eigentlich wollte ich mich nur von den hübschen sechs verabschieden, denn die sahen atypisch gut aus, aber alles ist man eben auch nicht bereit zu ertragen, nur um nachts ein bisschen warme Weiberhaut neben sich zu haben - da sah ich auf dem T-Shirt der einen wie Godzilla auf King Kong einschlug und jedes Mal wenn das dazugehörige Mädchen kicherte, sah es durch die Bewegung des Stoffes aus, als würde der Riesenaffe ordentlich eine kassieren. Und dann fiel mir ein, dass ich die vielleicht völlig falsch eingeschätzt habe und sie ihr Interesse an amerikanischer Plastikkultur nur vortäuschen, in der Hoffnung, dass sie jemanden treffen, der einen genaueren Blick hat, den Herzens- oder Röntgenblick sozusagen.
Da fuhr der Blitz der Erleuchtung in mein demütiges Hirn...“

Der Typ mit dem Truckercap drückt seine mittlerweile zweite Zigarette aus. Der Schmale auch und dreht sich die dritte.

„... aber wie ich dann aufwachte also ich mein nicht so normales morgendliches Aufwachen klar sondern dieses brutale Wiedereintauchen in die Atmosphäre des Nüchternseins wie man es erlebt wenn man sich mit echt gutem Stoff tage- und nächtelang in eine schwerelose Umlaufbahn geschossen hat. Als ich aufwachte war ich allein, das war erst komisch, weils doch Vatis Bude war, aber da gabs eh nichts zu holen also wars doch nicht so komisch wenn man drüber nachdachte. Und ich wusst erst gar nichts mit meinem Affen anzufangen ich mein ich kannte den schon von Schorre oder Alk, natürlich, aber immer nur bisschen aber der war anders, irgendwie sone Mischung aus Beidem aber auch mehr als das vielleicht weil das Ganze größer als die Summe seiner Teile ist oder so. Darüber hab ich damals aber nicht gerätselt, schließlich hatte ich irgendwie enorme Schwierigkeiten einfach nur klarzukommen.
Pupillenscharfstellen zum Beispiel ging irgendwie nich mehr, aber wenn ich mir ein Auge zuhielt gings wenigstens mit einäugigem Scharfsehen und so bin ich dann aufs Klo vom Vati, weil irgendwas in mir echt fiese Geräusche produzierte und sich anfühlte, als wolle es raus, zur Not auch durch die Bauchdecke wie bei Alien oder so hat sich das angefühlt. Wie ich denn auf der Schüssel hockte und mir immer das eine Auge zuhielt, als ob es in seinem verdreckten Scheißhaus irgendwas zu sehen gäbe, da platzte irgendwie mein Arsch, so hats sich zumindest angefühlt und die ganze Suppe explodierte in das braungelbe Porzellanbecken und ich dachte noch dass meine Innereien jetzt bestimmt gleich mit rausgepresst wurden, weil ich mich auf einmal so leer fühlte. Aber das ist bestimmt nur der alte Affe, der auf meiner Schulter hockt und irgendwie gleichzeitig für diese innere Leere sorgt, dacht ich mir dann und hatte dann ne Idee und nahm die Hand von meinem einen Auge und kniff es nur noch zu, das ging besser, ich konnte die Hand runternehmen und mit meinem einen Auge scharf sehen und fühlte mich nur noch halb so gehandicapt und dachte jetzt geht’s wieder aufwärts...“

Keiner raucht.

„... mit einem Mal wurde mir klar, dass zumindest das eine Mädel einfach nur tat, als würde sie voll auf dieses verkitschte Serienzeug abfahren, obwohl sie eigentlich der festen Überzeugung ist, dass man der amerikanischen Leitkultur, hier repräsentiert durch King Kong, einfach ordentlich eins überbraten sollte, wie Godzilla eben.
Einen Moment stolperte ich noch darüber, dass nun gerade Godzilla, als Repräsentant der Japaner, von dem Mädchen als der richtige erkannt wurde. Japaner mag ich nun mal nicht.
Trotzdem ließ ich meinen Geistesblitz Wort werden, leuchtete mitten in das Geschnatter und –kicher hinein, und klärte sie darüber auf, dass ich sie im Innersten erkannt hätte und sie nicht länger ihre Rollen spielen müssten. Das war garantiert was die sich heimlich wünschten, dass endlich mal jemand erkennt, wie sie wirklich sind. Das Gefühl konnten die aber gut verbergen.
Gut, dachte ich, die müssen sich ja ihr ganzes Leben verstecken und maskieren, die nehmen nicht beim erstbesten Fingerzeig gleich ihre Maske ab, damit war zu rechnen. Als die aber zu lachen anfingen wurde ich schon etwas ärgerlich und erklärte ihnen: ‚Gut und schön, wenn ihr auf geheim macht, aber das ist jetzt erstens nicht mehr nötig und zweitens ist es für mich völlig indiskutabel, von solchen aufgedonnerten Tussen ausgelacht zu werden, die mir eigentlich im Innersten schwesterlich verbunden sind.’
Wahrscheinlich verstehst du das nicht, so ein abgejunkter kleiner Klaubruder wie du bist, aber für Menschen wie mich gibt es noch Werte, die zählen. Und diese Werte, die natürlich auch mit entsprechender Empfindsamkeit einhergehen sollten, was bei mir durchaus der Fall ist, sind von diesen Tussis aufs schärfste verletzt worden. Denn nachdem ich sie darüber aufgeklärt habe, dass sie erstens durchschaut sind und zweitens in mir eine Art Seelenverwandten gefunden haben, legten die noch einen drauf und quietschten noch ne Oktave höher. Sie kriegten sich gar nicht mehr ein und deswegen habe ich dem Godzillamädchen einen brüderlichen Ordnungsklaps gegeben. Du kannst dir nicht vorstellen wie dieses feige Aas reagierte – doch, die hat tatsächlich und buchstäblich in voller Absicht zurückgeschlagen, die hinterlistige Schlange. Klar dass ich austickte. Muss eine ziemliche Sauerei gewesen sein. Ich kann mich nicht mehr recht entsinnen, war alles so rotverschleiert. Aber was die mir später aus dem Protokoll so vorgelesen haben – nicht von schlechten Eltern, das kann ich dir sagen...“

Beide rauchen. Der Empfindsame die dritte Zigarette, der Schmale die vierte.

„... na irgendwann musst ich von der Schüssel ja wieder runter ist ja klar. Dann Terminatormäßig die ganze Bude mit Scanneraugen gecheckt. Weißte, so richtig mit Zoom aufs Objekt und nebenstehendem Toxizitätsmesser. Manchmal ist ja auch son Affe ganz geil zumindest der durch den Schädel flashende Synapsenzirkus, aber es ist ja nie nur diese abgefahrene Wahrnehmung plus seltsame Ideen, ne, dazu kommt ja eben dieses heftige Gefühl von abgestandener kalter grauer säbelnder Wahrheit oder so das dir so durch die Eingeweide fuhrwerkt. Wird ja nich besser oder so das weiß man ja und man weiß auch wie enorm dehnfähig die Zeit ist wenn man den guten alten Affen nicht füttern kann diesen Kerkermeister aber irgendwie auch einzigen Freund na ja. Aber in der Bude kein Stoff, nix zum Verscherbeln. Totale Fehlanzeige. Kein Krümel irgendwas. Vati ging nicht an sein verdammtes Mobilfunktelefon, bzw. selbiges war ausgeschaltet und ich wusste ich musste weg aus diesem verqualmten, mumifizierenden Steinsarg – durch die Gardinen fingerte die aufdringliche Augustsonne nach meinem zombifiziertem Leib und den hypersensiblen Pupillen - alles in mir schreckte vor dieser ekelhaften Anmaßung des Tages zurück aber was für eine Wahl blieb mir? Du wirst das nicht verstehen, soweit ich dich bis jetzt verstanden habe, bist du einfach so ein unkontrollierter Wichser, dem irgendwie n paar wichtige Sicherungen fehlen aber weiß du bei mir ist das anders ich bin eigentlich n prima Kerl, gut erzogen und so aber eben einfach krank verstehst du und wenn ich mich nicht weggeballert hab bin ich einfach nicht Herr meiner Sinne und habe eben dieses Gefühl, craving nennt sich das, dieses Totale alles Überschattende und das übernimmt die Herrschaft und zwingt einen quasi aus dem Schatten rauszutreten als würde es sich selbst nicht mögen, was in diesem Fall bedeutete an die verdammte Sonne zu gehen an die tatsächliche, gänzlich unmetaphorische Scheißsonne eines Augustsonntagvormittags wie ich kurz darauf feststellte als ich eine Familie sah die mit Flossen, Schwimmringen und Picknickkörben ihre Familienkarre bepackte und quietschend und scheiße fröhlich über die Freuden eines familiären Augustsonntagsfamilienausflugs lamentierte.
Kannst mir glauben dass ich eigentlich einen Fick auf alles gebe was nicht in mein tunnelmäßiges Weltbild passt aber diese Szene versetzte mir doch einen Stich tief drinnen und ich fühlte mich auf einmal echt mies. Wie die physische Entsprechung meines miesen Gefühls war es dann auch als die Alte ihre Gören bei meinem Anblick schnell ins Auto scheuchten - um den unschuldigen Augen diesen Anblick zu ersparen wie meine spitzenmäßig guten Ohren ihr vom Maul ablauschten.
Die schoben also ihre Gören in die Familienkutsche und weil die Mamutschka so einen das ist jetzt mal wirklich wichtig Tonfall anschlug gehorchten die auch sofort. In der Hektik hat die Alte aber ihre Geldbörse verloren und meine Terminatoraugen haben diesen Gegenstand natürlich sofort gecheckt und dummerweise war der Rest meines Leibs eben zombifiziert und Penunsen oder Stoff sorgen dann eben für Autopilot. Ich also hin zur Kohle und greif danach und hab sie schon und will weglaufen da hör ich ne Stimme immer sachte Junge oder so Scheiß sagen und spür ne Hand, die mich hinten am Shirt festhält und so was kann ich gar nich ab, ich mein das ist Freiheitsberaubung oder so das ist verboten das steht auch irgendwo. Da wurd ich echt stinksauer und hab mich umgedreht und dem Daddy aber so was von welche vor den Latz gehauen, ich war ganz vergnügt wie einfach das ging und musst nicht mal mehr an Stoff denken das ganze craving war voll ausgelöscht und ich immer rinn ins väterliche Fleisch geboxt, getreten usw....“

Der düstere Bursche mit dem verdammt unruhigen Blick, der von sich selbst als Marlin sprach, was jedenfalls nicht der Name ist, unter dem ihn die Gefängnisverwaltung führt, wie sein Zimmergenosse weiß, fixiert einen Punkt an der Wand. Der andere Typ seufzt, bevor er weiterredet.

„...vor dem Kadi hab ich dann meine Sicht der Dinge dargestellt. Manchmal war es etwas mühsam das gerade zu rücken was mein paragraphenreitender Anwalt so verzapfte, aber ich hab ihm immer ordentlich Paroli gegeben. Der Richter schwankte zwischen psychiatrischer Einweisung und Jugendgefängnis. Auf jeden Fall müsse ich eine gerechte Strafe verbüßen, rief jemand aus dem Gerichtssaal. ‚Wegen ihrem kindischen, gefährlichen Verhalten’, sinnierte der Richter, ‚verhänge ich eine Haftstrafe nach Jugendstrafrecht’.
‚Das schlägt doch dem Fass den Boden aus’, rief ich, ’wer ist denn hier zurückgeblieben?’ Infantil sei, hab ich ihm entgegnet, ein Mädel, das nicht zu der Message auf ihrem T-Shirt stehe. Aber das half alles nichts und na ja, was soll ich noch sagen...“

Marlin zuckt die Achseln. „Ja bei mir war der Richter auch echt unfair“, sagt er, „hat das Schwein mich in den Knast gesteckt dabei hab ich mich nur gegen Freiheitsberaubung gewehrt die ja verboten ist wie man in richtigen Büchern nachlesen kann die so Typen immer im Schrank stehen haben.“

 
Zuletzt bearbeitet:

Vorweg: die Wortschöpfung >plasterikanisches Idol< gefällt mir, halt ich doch den American way of life für'n Holzweg (es sei an Heinrich Lübkes "Woodway" erinnert).

Grüß Dich Kubus,

nun scheinstu Dich von den poetischen Versuchen verabschiedet zu haben und tauchst ein die Welt zweier >empfindsamer< Typen, die aus ihren >Jäckchen< plaudern. Und dann doch, wenn ohne Punkt (eingeschränkt) und Komma (noch eingeschränkter) gesprochen wird, werd ich ohne nähern Bezug an Molly Bloom erinnert, die beim ollen Joyce zum Schluss der Odyssee ja seitenweise ohne geringstes Satzzeichen träumen/monologisieren darf. Aber ganz so scheint der Dialog (= Monolog Sitzriese + Monolog "Schmalhans") doch nicht angedacht zu sein. >... , was ich zum Zeitpunkt des Eintretens in diesen altehrwürdigen Schuppen aber schon wieder vergessen hatteKOMMA weil ich zwischendurch noch Ronnie den alten Schorrepunk getroffen habe und mit dem ne Weile über die anderen Assis ablästere. Bin ich also im ...<, was mE korrekt ist, so spricht man allhier auch.

>... wie ein besoffener Matrose auf Landgang über die schlingernde Planetenoberfläche Richtung Ausgang schlurfeKOMMA seh ich das Supersonderangebot des Monats< und fühl mich auf einmal an den Kaufhausbesuch Loriots erinnert, da er Matratzen ausprobiert ... >so geil hochwertige Latexmatratzen und ich lass mich auf eine von denen fallenKOMMA weil mir das in dem Moment wie ein Riesengaudi vorkamKOMMA/alternativ: PUNKT aber als ich dann lagKOMMA wollt ich nur noch die Augen zumachen und ich denk mir noch<

Kine Bange, ich denk nicht, dass die Geschihte bescheuert wäre, wenn es auch die Typen sind.> ..., als wäre ich nicht mal mehr ganz sicherKOMMA wer ich überhaupt bin. Wie ich dann so mein ausgebeultes Jäckchen betasteKOMMA fällt mir wieder einKOMMA wo ich bin und was ich gemacht habe ...<

> ..., nur diesmal etwas schneller, denn ich hatte ganz schön Schiss auf einmalKOMMA aber das war voll unbegründet, ...<

> ..., konnt ich’s noch weniger fassenKOMMA/altern. DOPPELPUNKT so ein guter Fang war das. Erst als die Kirchturmglocken läutetenKOMMA hab ich mich wieder eingekriegt und gedachtKOMMA dass das wohl göttliche Fügung war ...<

>So genau kann ich’s nicht sagenKOMMA denn ich erinner mich kaum noch
KOMMA aber dann wird’s schon gut gewesen sein, denk ich immer.“<

Aber was kommt nun für ein Satz? >Der Schmale dreht sich selbst ne Kippe, zündet sie an, pafft und sieht dem Rauch beim im Zimmer verteilen zu<? German gerundium (ich bin am tun). Sicherlich: hier wird so gesprochen, aber auch geguckt?

>„... aber wie ich dann aufwachteKOMMA/oder GEDANKENSTRICH also ich mein nicht so normales morgendliches AufwachenKOMMA klarKOMMA sondern dieses brutale Wiedereintauchen in die Atmosphäre des NüchternseinsKOMMA wie man es erlebtKOMMA wenn man sich mit echt gutem Stoff tage- und nächtelang in eine schwerelose Umlaufbahn geschossen hat.< usw. usf.

Das Gespräch selbst hat was, besitzt eine gewisse Komik, lässt sich sogar in einem Zug weglesen - selbst der Stuhlgang. Warum auch nicht, knn ich mich doch erinnern, dass selbst der Spiegel - war's 1986?, auf jeden Fall einiges vorm Mauerfall - eine Reportage übers Furzen in die Welt setzte - allerdings übers "Kunst"furzen.

Und dennoch: mich haben Marlin & Co, pardon, falsche Bezeichnung: Marlin und Kumpel amüsiert. Geradezu futuristisch angehaucht: so könnt die unten sich auch jemand runterholen um drüberher zu ziehn.

Aber straff'n bissken, schau noch ma' auf Satzzeichen durch.

Gruß

Friedel

 

Sei gegrüßt, Friedrichard!
Freut mich, dass die Geschichte bei dir nicht völlig durchfiel, ich glaube ja mittlerweile ein bisschen was über deine literarischen Vorlieben zu wissen und also auch, dass solche Geschichten nicht zu deinen bevorzugten Sujets zählen.
Ich konnte die Technik des Bewusstseinsstroms nicht anwenden, weil ich zwei verschiedene Geschichten erzählen wollte - das wäre zu unübersichtlich geworden, glaube ich, deswegen dieser "Dialog", der ja eher ein gegenseitiges Zutexten ist, ein realitätsferner Trick.
Ich glaube nicht, dass es der Geschichte helfen würde, wenn ich die (sicherlich richtigen) Kommata setzte, denn der Verzicht auf selbige soll ja die Darstellung von Marlins atemlosem Leben, Denken und Erzählen formal stützen.
Vielleicht sollte ich aber die Einschätzung des Autors zurücknehmen:

Der Typ mit den bescheuerten Theorien seufzt, bevor er weiterredet.
Ja, ich streiche den Teil mit den bescheuerten Theorien. Danke für den Hinweis. Soll sich der Leser selbst ein Urteil bilden.
Dieses German Gerundium (?) nehm ich auch raus, bzw ändere es ab, der Erzähler soll nicht reden wie den Figuren der Schnabel gewachsen ist, da stimm ich dir zu. So, ich hoff, ich hab jetzt alles.
Den Ulysses will ich auch noch lesen, obwohl mich im Moment DosPassos mehr reizt - ich hab in seiner USA-Trilogie rumgeblättert und fand sie sehr ansprechend, außerdem find ichs ganz angenehm, dass sie sozusagen in Häppchen aufgeteilt ist. Fast tausend Seiten Joyce sind bestimmt genial, aber auch anstrengend und mir liegt noch immer der Mann ohne Eigenschaften schwer im Magen.
Grüße
Kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kubus,

ich schau noch mal kurz rein wegen des Fragezeichens nach'm "German Gerundium". Was im Englischen zb "I'm doing" heißen könnte, wird hierzulande aufgebläht zum "ich bin am Tun", es ist also kein "teutsches" Gerundium.

Gruß

Friedel

PS: Musil hab ich 1989 gelesen, hatte da aber noch 'nen zwoten Band bei mit Varianten ... Wo hier vor Ort unter Jynx Regie drüber geplaudert wird: auch die Tagebücher sind lesenswert.

 

Hallo Kubus,

die Geschichte lese ich als Demonstration von Drogensucht im Endstadium: Nicht auf den anderen eingehen (dem überhaupt zuhören), also totaler Egotrip und sowieso ein Weltbild, das von der Weisheit hohler Köpfe zeugt. Aber weiter? So lässt mich der Text leider schulterzuckend zurück, oder ich ihn vielmehr.

-- floritiv.

 
Zuletzt bearbeitet:

Moi Kubus und Friedrichard,

sori Friedel, Dein Beispiel ist leider falsch.

I'm doing ist kein gerund, sondern ein present participle (ehemals auch present progressive), und würde übersetzt mit "Ich tue gerade". Do läßt sich nicht als noun gebrauchen, sowas wie The doing of the laundry ist nicht möglich.

Das present participle wie in "Walking down the street, I smiled" wird im Deutschen vllt von manchen fehlerhaft statt als Partizip mit "Beim Gehen ..." übersetzt. Das ist allerdings im Englischen kein gerund. Es drückt nur Gleichzeitigkeit aus: Als ich ... / die Straße hinuntergehend ...

Ein gerund ist ein mit -ing gebildetes Substantiv, das als Verbalsubstantiv sowohl die Funktion von Verb wie auch von Substantiv übernehmen kann:
"His handling of the situation was masterly." Im Deutschen (etwas steif) entweder: Seine Handhabung der ... / Sein Handhaben der ...
"He began reading slowly and in a clear voice" - Er begann, (...) zu lesen ... Und nicht falsch wie euer (besser wohl: Dein) "german gerund" hier diskutiert wird: Er war beim Lesen, das paßt hier nicht. Das sind Äppel und Birnen.

Sori für die Einmischung jetzt mal ausnahmsweise von mir!

 

He, das ist nicht "mein" Gerund! :)
Aber danke für den Beitrag, Katla, hier ist die mittlerweile abgeänderte Wortgruppe wieder: "[...]sieht dem Rauch beim im Zimmer verteilen zu[...]"
Das einzige entfernt ähnliche, was ich zum Gerundium fand, ist das zu-Partizip (>>Gerundiv<<, lat. >auszuführend<), wie mein Grammatikduden verrät. Macht mich allerdings auch nicht viel schlauer. Ich glaube, man müsste etwas mehr als kaum eine Ahnung von deutscher und englischer Grammatik haben, um hier sinnvoll mitreden zu können, weswegen ich in der Hinsicht grad mal die Klappe halte.
@floritiv: Ähm, ja, also mir drängt sich die Frage auf, wie dich der Text gekriegt hätte. Ist das Problem die Sprache, das behandelte Thema, das Ende oder dass es kein lehrbuchmäßiges gibt? Danke auf jeden Fall für die Einschätzung.
@Friedrichard: Deutsches Gerundium! Wie biste da bloß drauf gekommen? Und ich such mir hier nen Wolf.
Grüße
Kubus

 

Hallo Katla,

Du musst Dich nicht entschuldigen. Ich tu's ja im Grunde auch nicht, wenn ich ironische Schlenker nehm.

Mein Einwurf war in der Tat durch die vormalige umständliche/-gangssprachliche (hier im Ruhrgebiet und sicherlich nicht nur hier wird so gesprochen) >"[...]sieht dem Rauch beim im Zimmer verteilen zu[...]"<. Aber eins lehrt mich dieser Vorfall und das zeigt dann auch, dass Maren Kroymanns Hinweis in der ZEIT, dass Ironie immer weniger als Ironie, denn als Wirklichkeit begriffen werde, zutrifft... Also der Hinweis: dies ist keine Satire!

Gruß

Friedel

 

@floritiv: Ähm, ja, also mir drängt sich die Frage auf, wie dich der Text gekriegt hätte.
Aus dem Stegreif würde ich sagen, mit einer Art Entwicklung: Etwas, was sich zwischen Anfang und Ende 1. signifikant und 2. erzählenswert ändert, zum Guten oder zum Schlechten oder zu was weiß ich. Hat wohl auch Texte schon gegeben, die keine Entwicklung in diesem Sinne hatten, dafür aber anderes, das mir gefallen hat. An diesem ist mir aber besonders das Indifferente negativ aufgefallen, dass irgendwelche zwei Geschichten von zwei Personen erzählt werden, aneinander vorbei. "Einfach so."

Viele Grüße,
-- floritiv.

 

Danke, floritiv, für die Antwort.
Ich wollte den Leser mit den zwei Geschichten in fremde Gedankenwelten eintauchen lassen, in denen es eben keine Entwicklung gibt, keine Reflektion, die das eigene Verhalten kritisch hinterfragt, sondern nur festgefahrene Rechtfertigungsmechanismen. Das passte mir zum konsequent aneinander vorbei reden. Es lernt ja auch nicht jeder theoretisch Vernunftbegabte aus seinen Handlungen.
Grüße
Kubus

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom