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Ein Fingerbruch mit Todesfolge
Es ist halb acht, bald wird es Zeit, der Spiegel rückt in den Blickpunkt, ein amüsanter, witziger und erzählenswerter Freitagabend steht bevor.
Gerade in dem Moment, als Becki sich zufrieden mit dem Spiegel zeigt, klingelt ihr Handy.
Sie nimmt es und beginnt zu lesen.
Miras Eltern haben gestritten, sie bekommt das Auto nicht. Verärgert wirft Becki die schlechte Nachricht auf die Couch und beginnt zu überlegen. Das war gerade Plan C, wie konnte der auch noch schief gehen? Nach den Absagen von Tina und Bibi, jetzt auch noch das.
Soll sie den Abend etwa daheim verbringen? Schließlich liegen auf ihrem Bett die ausgewählten Klamotten schon bereit. Sie nimmt ihr Handy und ruft bei Plan D, Karina an, doch die zieht einen gemütlichen Pärchenabend vor.
Sehr freundlich, nachdem mit Erik erst seit drei, vier Wochen Schluss ist.
Den Durst von der ganzen Aufregung versucht sie mit einem Glas Milch zu löschen, wenn sie nur daran denkt, dass sie inzwischen bei einem leckeren, gehaltvollen Cocktail sitzen könnte.
Voller Verzweiflung geht sie zum Zimmer ihrer kleinen Schwester und klopft.
„Herein. Was machst du denn noch hier? Wolltest du nicht ins Deos?“ Wortkarg wie immer …
Ein Seufzen unterdrückend, überwindet sich Becki dann doch: „Ich dachte du hättest Lust, ins Kino zu gehen, aber wenn du mich mich loshaben willst…“ Ironie unter Schwestern ist etwas Wunderbares.
„Klar du kannst gern mit. Die Mama fährt mich nachher zu Tobi, dort warten dann schon Maike und Michi, deren Vater bringt uns dann…
Die Tür erspart ihr die restlichen Ausführungen, Ironie unter Schwestern…
In ihrem Bett liegend, sucht Becki krampfhaft nach einer Lösung, aber weder alleine gehen noch Erik anrufen, scheinen ihr brauchbare Alternativen. Je weiter und fantasiereicher ihre Überlegungen ausarten, umso näher rückt die Fernbedienung.
Beim Frühstück am nächsten Morgen muss sie sich dann auch noch anhören, wie toll es im Kino gewesen sei und wie lässig es erst danach war. Die eigentliche Schmackhaftigkeit von Beckis Cerealien nimmt proportional zur Länge der Beschreibung des schwesterlichen Abends ab.
Wie lange ist es eigentlich her, dass sie an einem Samstag mit ihrer Familie gemeinsam gefrühstückt hat? Und das auch noch um neun Uhr!
In ihrem Zimmer angekommen stürzt sie sich erst mal in ihre Hausaufgaben, einerseits um sich abzulenken und andererseits um morgen in Ruhe ausschlafen zu können, nach einer hoffentlich anstrengenderen, als der gestrigen Nacht.
Nach dem ebenfalls nervtötenden Mittagessen schaut Becki ihre Lieblingssendungen, welche deutlich besser Ablenkung bieten, als der morgendliche Schulmist. Nachdem die Sendungen vorbei sind, hört Becki im Wohnzimmer das Telefon klingeln und als wenig später Schritte im Flur hörbar werden, wird bei ihr erstes Kopfweh spürbar.
„Hallo?“ Wie erwartet ist Tina am anderen Ende der Leitung.
„Deine Tage?“, Beckis Befürchtung wird Realität.
„So schlimm?“ Beckis Befürchtung ist Realität.
Nachdem sich die beiden nach der Hiobsbotschaft noch über den jeweils unspektakulären Mittag unterhalten haben, ruft Becki sofort bei Bibi an, doch die hatte einen Riesenkrach mit ihrer Mutter und als Konsequenz daraus Ausgangssperre.
Als auch das Gespräch mit Mira nicht die erhoffte abendfüllende Wirkung hat, da ihre Eltern noch immer zerstritten sind, macht sich das ursprünglich leichte Stechen in ihrem Kopf breiter und breiter, gibt sogar seine anfängliche Schüchternheit auf.
Etwas gereizt nimmt Becki es dann auf, dass Karina ihren Pärchenabend zu einem Pärchenwochenende ausgeweitet hat.
Sie legt auf und irgendwie ist ihr, als hätte sie eben ein Déjà-vu. Diesem entgegenwirkend geht sie nicht zu ihrer Schwester, sondern zu ihren Eltern, um dort den kaum erfolgsversprechenden Wunsch um das Auto zu äußern.
Keine fünf Minuten und ein sinnloses Gezeter später liegt Becki erneut in ihrem Bett, was ist nur mit diesem Wochenende los, fragt sie sich, während sich die Aspirintablette aufzulösen beginnt. Wie verhext, schimpft sie innerlich, die hoffentlich den Schmerz lindernde Flüssigkeit herabspülend.
Auf die Wirkung wartend, hat sie plötzlich das Telefon in der Hand und noch plötzlicher erscheint Eriks Name auf dem Display, sie ruft an, es klingelt.
Einmal, zweimal, dreimal und aufgelegt. Zu groß die Schmach. Natürlich wollten sie Freunde bleiben, aber das war doch nur eine Floskel.
Einmal, zweimal, dreimal, viermal, wieder aufgelegt.
EINE FLOSKEL!
Zur Sicherheit wirft sie das Telefon weg, was hätte sie da beinahe angerichtet? Beruhigend nimmt sie zur Kenntnis, dass die Batterien herausgefallen sind, so wird er sie schon nicht zurückrufen.
Bevor sie diesen Gedanken weiter ausführen kann, klingelt ihr Handy. Scheiße! Eriks Name erscheint auf dem Display, sie drückt ihn weg macht es aus, da klingelt die Feststation im Wohnzimmer. Ein erneutes Deja-vu und noch immer Kopfschmerzen.
„Becki warum gehst du nicht ran? Du hast das Schnurlose doch bei dir? Komm runter, es ist Erik!“ Schlagartig fällt ihr ein, warum sie damals Schluss gemacht hatte, aber rückblickend neigt man bekanntlich zur Verdrängung…
„Hallo Erik?“, sie strahlt nicht gerade gute Laune aus und doch…
„Ja du tut mir leid ich habe mich da vorhin verwählt…“, sie wird nervös merkt, dass er ihr nicht glaubt.
„Nein des war keine Absicht!“, langsam wird sie aggressiv, aber ist sie nicht selbst Schuld?
„Ich weiß auch nicht, warum du zwei Anrufe angezeigt bekommst! Ich kann jedenfalls nicht länger, ich hab noch was vor heut Abend.“
Aber was denn? Aber WAS??
Kurz nach diesem peinlichen Telefonat, ertappt sie sich bei dem Gedanken, Mira zu fragen, wie es bei ihren Eltern inzwischen aussieht. Scheiße.
Wieder ein Date mit dem Fernseher… Scheiße. Scheiße!
Sie beschließt stattdessen mit Mira zu plaudern, dann sind sie wenigstens nicht alleine alleine.
Diese ist jedoch erst über das Handy zu erreichen, ist sehr kurz angebunden und alles, was Becki danach zu wissen glaubt, ist, dass Mira sich bei einem Versöhnungsessen ihrer Eltern befindet.
Am nächsten Morgen ist sie griesgrämiger als nach einer durchzechten Nacht. Viel schlimmer als zu wenig Schlaf, ist unfreiwillig zu viel Schlaf versehen mit penetranten Kopfschmerzen. Kaum bis gar nichts gefrühstückt geht Becki in ihr Zimmer, einen Mordshass auf die letzten zwei Abende in ihrem Bauch.
Auffällig früher als die Wochen zuvor beginnt sie mit ihrem sonntäglichen Ritual, der minutiösen, eigentlich stolzen Schilderung des vergangenen Wochenendes in ihrem Tagebuch.
Vor lauter Scham ist sie kurz davor, sich etwas auszudenken, als plötzlich ihre beste Freundin Marissa anruft. Die hatte keinen Stress, sie war ja schließlich das ganze Wochenende mit den Leuten vom Handball bei diesem internationalen Turnier auf Achse gewesen.
Als Marissa ahnungslos fragt, wie Beckis Wochenende war, ist die einzige Antwort, die sie erhält, ein dumpfer Aufprall, gleichzusetzen mit dem Ende der Kopfschmerzen am anderen Ende der Leitung.