Was ist neu

Ein friedliebender Krieger

Mitglied
Beitritt
18.02.2005
Beiträge
6

Ein friedliebender Krieger

Als ich im Jahre 1945 das Licht der Welt erblickte, regierte bereits seit sechs Jahren der Wahnsinn in Europa. Er wütete mit unglaublicher Wucht und Brutalität auf dem Kontinent - und ich war eines seiner unzähligen Kinder.
Man sagte mir, daß ich der Beste meiner Art war.
Die Bahn brachte mich und vier meiner Brüder aus meinem Geburtshaus Richtung Westen und entlud uns schließlich in der Nähe der Hansestadt Bremen, wo meine Mannschaft von mir Besitz ergriff. Die fünf jungen Männer füllten meinen Benzintank auf und deponierten Munition in mir. Dann setzten sie mich in Gang.
Es war das letzte Mal, daß ich einen meiner Brüder sah, als wir den Verladebereich des Bahnhofes verließen.
Bei Nacht rollten wir Richtung Nordwesten - weg von der Stadt.
Einmal begegneten wir einer Kolonne aus fünf Sturmgeschützen. Eines von ihnen war - wie ich - nagelneu und strotzte vor Kraft. Als es aber das mächtige Rohr meiner 88mm Kanone erblickte, wurde ihm schlagartig bewußt, daß es bereits der entwicklungs-technischen Vergangenheit angehörte. Kleinlaut schwieg es, als die vier alten Sturmgeschütze, die mit ihm unterwegs waren, mir in knapper Vorbeifahrt von ihren schrecklichen, kraftraubenden Er-lebnissen an der Ostfront erzählten: Die furchtbare Kälte in den Eingeweiden ihrer Maschinen zu spüren, das festgefrorene Öl, die ausgeleierten Rohre ihrer Kanonen... Erwarteten mich ähnliche Qualen?
Es machte mich traurig, als ich diese alten Veteranen hinter mir ließ und im spärlichen Licht meines einzelnen Scheinwerfers immer weiter in ländliche Gefilde eintauchte.
Wir hielten schließlich am Rande eines Birkenwaldes mitten in der Heide.
Wir gingen in Stellung!
Mein Kommandant begutachtete unser mögliches Schußfeld und kam schließlich zu dem Schluß, daß wir hier, wo wir waren, gut lagen. Die Mannschaft begann meine Konturen unter abgerissenen, reich belaubten Ästen zu verbergen.
Dann warteten wir auf den Feind.
Ich begann zu schlafen.
Irgendwann einige Nächte später wurde ich durch die Stimme des Kommandanten wach.
Was ging da vor sich?
Die fünf Soldaten schnallten ihre Koppel ab. Jemand schaufelte ein tiefes Loch in den weichen Waldboden. Sie warfen ihre Pistolen hinein, sogar die MPi des Kommandanten. Dann schaufelten sie das Loch wieder zu.
Man startete mich und stieß mit mir rückwärts tiefer in den Wald hinein, immer weiter weg von der freien Sicht, die ich über die frühlingshaften Wiesen gehabt hatte.
Nach dreihundert Meter hielten wir. Mein Motor verstummte. Während die Besatzung ausstieg, machte sich der Kommandant an der Rohrbremse meiner Kanone zu schaffen und belüftete sie, um sie unbrauchbar zu machen. Der Fahrer kappte meine Benzinleitung und ließ den restlichen Treibstoff, der sich noch in meinem Tank befunden hatte, in den Waldboden versickern.
„Das war’s Männer. Viel Glück und seht zu, daß Ihr nach Hause kommt.“
Es waren die letzten Worte meines Kommandanten, die ich zu hören bekam. Die fünf Männer verschwanden in verschiedenen Richtungen im Dunkeln der Nacht.
Zum ersten Mal fühlte ich mich auf eine schreckliche Art und Weise allein. Es machte mich traurig, daß man mein Geschütz unbrauchbar gemacht hatte, denn so war ich nicht mehr in der Lage meinem Bestimmungszweck nachzukommen. Wie sollte ich mich jetzt gegen die russischen Stalin-Panzer wehren können? Selbst für die schwächlichen amerikanischen Shermans wäre ich jetzt eine leichte Beute.
Die Nacht verging langsam. Als der nächste Tag kam, hörte ich ei-nen Schwarm Flugzeuge in großer Höhe über mich hinwegziehen. Ich sah deutlich ihre unzähligen Kondensstreifen, die sie im makellosen Blau des Himmels hinterließen. Ich fühlte mich sicher, denn sie würden mich hier unten bestimmt nicht sehen können.
Ich begann darüber nachzudenken, warum meine Mannschaft mich verlassen und unbrauchbar gemacht hatte. Ich hatte nicht einmal die Chance bekommen, mich zu bewähren. Dabei wäre ich sicherlich im Einsatz erfolgreich gewesen. Meine Kanone war jedem Gegner haushoch überlegen. Ich hätte meiner Mannschaft einen sicheren Schutz bieten können - Doch sie ließen mich allein.
Der Tag verging, und ebenso die Nacht.
Am nächsten Tag sah ich keine Flugzeuge mehr, und auch nicht an dem Tag darauf oder dem nächsten.
Die Zeit verging.
Hin und wieder dachte ich darüber nach, was geschehen sein mochte. Ich grübelte immer wieder über meine Lage nach.
Als es eine Woche lang zu regnen begann, vertrieb ich mir die Zeit damit meine Munitionsbestände immer und immer wieder nachzuzählen.
23 Patronengranaten für meine Kanone und 120 Schuß für mein Maschinengewehr, das sie mir gelassen und nicht vergraben hatten. 23 Patronengranaten für meine Kanone und 120 Schuß für mein Maschinengewehr... 23 Patronengranaten für meine Kanone und 120 Schuß für mein Maschinengewehr... 23 Patronengranaten für meine Kanone und 120 Schuß für mein Maschinengewehr...

Ich spürte deutlich, wie ich mit der Zeit in dem weichen, feuchten Waldboden einzusacken begann. Meine Kettenglieder begannen zu rosten, ebenso der empfindliche Lauf meiner Kanone.
Irgendwann wurde ich eines Nachts wach und bemerkte, wie eine Feldmaus sich durch die Mündungsbremse meines Geschützrohres in mein Inneres schlich. Die Mannschaft hatten das Verschlußstück meiner Kanone offen gelassen, so daß mein kleiner Besucher ungehindert in den Kampfraum eindringen konnte.
Die Maus suchte nach Nahrung und fand schließlich einen kleinen Kanten trockenes Brot, den einer der Soldaten unachtsam hatte fallen lassen.
Die Maus fraß sich satt und verließ mich auf dem gleichen Weg, wie sie gekommen war.

Die Sonne ging auf, und sie ging wieder unter. Jede Nacht besuchte mich meine kleine Maus, bis das Brot nach einigen Tagen aufgebraucht war und sie nicht wieder kam.
Ich verlor jedes Zeitgefühl.
Irgendwann begannen sich die Blätter der umgebenden Bäume zu verfärben und fielen schließlich zu Boden. Erstmals konnte ich durch das Gewirr von Baumstämmen und Ästen etwas von den weit entfernten Wiesen sehen, auf die ich einst uneingeschränkte Sicht gehabt hatte.
Eine Straße schien vorbeizuführen, vielleicht auch nur ein Weg. Einmal sah ich einen einsamen Radfahrer dort entlang fahren.
Doch er sah mich nicht.
Mein Zustand verfiel zusehens. Der Rost begann sich auf meiner Oberfläche breit zu machen. Er mischte sich mit der grünen Färbung, die mir die Bäume verliehen hatten. Herabgefallenes Laub hatte schon längst die Ansaugschächte meines Motors verstopft.

Als der erste Schnee auf meine Flanken fiel, bemerkte ich eines Tages, daß die Kolben meines Motors in ihren Zylinderschächten festgegammelt waren. Mein Herz würde wohl nie wieder schlagen - und doch war ich zum Leben verdammt.
Als der Schnee nach Monaten zu tauen begann, spürte ich ringsum in meinen Eingeweiden die rostbringende Feuchtigkeit. Sie hatte sich überall eingenistet. Sie machte die Zieloptik meines Geschüt-zes unbrauchbar, ließ meine Kühl- und Bremsschläuche rissig und porös werden und verwandelte meine Kettenglieder in unförmige Metallstümpfe.

Als der Frühling sich mit lauen Nächten anzukündigen begann, besuchte mich ein Paar Kohlmeisen. Sie befanden die Mündungsbremse meines Geschützes für einen guten Nistplatz und begann den Lauf meiner Kanone mit Moos und kleinen Ästen auszupolstern. Ich mußte es hinnehmen. Aber in Anbetracht meines ohnehin schon erbärmlichen Zustandes machte mir das auch keinen sonderlichen Kummer mehr.
Stattdessen begann ich mit wachsendem Interesse zu beobachten, wie einer der Vögel drei kleine Eier in das Nest legte, sie bebrütete und schließlich drei kleine, kreischende Babys daraus entschlüpften.
Voller Neugier betrachtete ich das Geschehen in der kleinen Familie, und da wurde mir schlagartig klar, daß mein ursprünglicher Daseinszweck ein grundlegend falscher gewesen war. Die Menschen hatten mich geschaffen, um den Tod zu bringen, um in ihrem Auftrag zu vernichten. Dabei wurde mir immer klarer: Was konnte es schöneres geben, als dem Leben zu dienen?
Als die drei kleinen Vögel flügge wurden und schließlich ihr Nest für immer verließen, befiel mich tiefe Traurigkeit. Wieder einmal war ich allein.
Doch nicht lange, denn bald gesellte sich ein Rudel Rehe in meine Nachbarschaft. Sie schienen keine Furcht vor meinem mittlerweile laubgrünen und rostbraunen Äußeren zu haben.
Menschen sah ich nur sehr selten. Irgendwann kamen welche mit einer lärmenden Maschine und begannen die Felder, die sich vor meinem Wald erstreckten, zu pflügen. Ich konnte beobachten, wie das Getreide sproß und zu goldgelber Reife heranwuchs.
Einmal hörte ich wieder ein Flugzeug in großer Höhe über mich hinwegziehen. Sein Motorgeräusch war völlig anders, als das, das ich aus meiner Jugend in Erinnerung hatte.

Die Jahreszeiten kamen und gingen.
Immer, wenn der Herbst kam, konnte ich durch die blattlosen Äste der Bäume ein wenig von meiner Umgebung erkennen.
An der Straße waren einige Häuser entstanden. Immer häufiger fuhren Autos dort, keine fünfhundert Meter von mir entfernt.
An einem warmen Sommernachmittag wurde ich plötzlich aus meiner Lethargie gerissen. Eines der Federbeine meines rechten Fahrwerks war in der Nacht zuvor gebrochen. Der Rost nagte an mir, ohne daß ich mich wehren konnte.
Plötzlich stand ein kleiner Junge vor mir und starrte mich mit großen Augen an. Er wohnte in einem der neuen Häuser und war zum Spielen in den nahen, unerforschten Wald gekommen. Nachdem er mich einmal von allen Seiten angesehen hatte, stieg er ohne Scheu auf meinen Rumpf und spähte durch die offene Kampfraumluke in mein Inneres. Es war voller Laub, kleiner Äste und Sand. Dutzende von Spinnen und Insekten hatten es sich in meinem Inneren bequem gemacht, so daß der Junge es für besser hielt nicht in mich hineinzuklettern.
Nach wenigen Minuten sprang der Junge wieder von mir herab und lief in Richtung seines Elternhauses davon.
Unruhe begann sich in mir auszubreiten, denn ich ahnte, daß der Junge seine Entdeckung weitererzählen würde. Ich irrte mich nicht. Eine Stunde später war der Junge wieder da - zusammen mit seinem Vater. Er hatte eine Taschenlampe mitgebracht, begutachtete mich eingehend von außen und leuchtete dann auch in mein heruntergekommenes Inneres.
„Daß der hier so lange unentdeckt rumgestanden hat.“ Der Vater schüttelte den Kopf.
„Dieser Panzer stammt aus dem letzten Krieg, mein Junge. Der ist mindestens fünfzig Jahre alt.“
50 JAHRE!!!! - Unfaßbar, was ich da hörte.
Waren wirklich so viele Jahrzehnte vergangen? Ich begann eine große Müdigkeit in mir zu spüren. Ein halbes Jahrhundert hatte ich hier verbracht, hier in meinem Wald...
Wo war meine Jugend geblieben?

Die nächsten Tage wurden aufregend. Viele Menschen kamen. Man befestigte Stahlseile an meinen vorderen Zugösen und spannte einen schweren Schlepper davor. Als er anfuhr und sich die Seile spannten, zerriß mich der Schmerz fast, als sich die Laufrollen meines Fahrwerks zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert wieder bewegten. Mit unsagbarem Quietschen und Krachen zog man mich Zentimeter für Zentimeter aus dem Waldboden heraus in Richtung Waldrand.
Ein Teil meines seitlichen Kettenschutzes brach aus seinen durchgerosteten Verankerungen, als ich schließlich über das inzwischen wieder gepflügte Feld rumpelte und an der Straße von einem Tieflader aufgenommen wurde.
Viele Menschen standen herum und betrachteten mich neugierig, wie einen Dinosaurier aus längst vergangener Zeit.

Man brachte mich in ein Museum, wo ich gereinigt und repariert wurde. Jemand fertigte ein großes Messingschild an, das man an meiner Vorderfront befestigte:

Schwerer Deutscher Jagdpanzer
„Jagdpanther“
Baujahr: 1945

Ich war wie neu, als man mich schließlich in die Museumshalle schleppte, wo ich zum ersten Mal, seit über fünfzig Jahren neben einem meiner Brüder einen neuen Platz bekam.
Als ich neugierig die weißen Abschußringe bemerkte, die er an seinem Kanonenrohr trug, sagte er mit gönnerhafter und stolzgeschwollener Stimme zu mir: „Ich habe vierzehn russische T34-Panzer getötet. Und Du ?“
Ich wandte mich schamerfüllt ab und schwieg. Ich schämte mich - nicht wegen meiner Vergangenheit, sondern wegen meines verblendeten Bruders, der nie die Schönheit des wirklichen Lebens erlebt hatte.

Seither träumte ich immer wieder von meinem Wald, in dem ich mein Leben verbracht hatte und wünschte mich dorthin zurück. Es war ein besserer Ort zum Sterben, als hier in dieser Halle weiterleben zu müssen - getrennt von dem, was Leben bedeutete.

- ENDE -

 

Hallo Thro Fergat, herzlich willkommen auf kg.de!

In den ersten paar Zeilen dachte ich, die Geschichte sei hier fehl am Platz, aber dann hab ich es mir anders überlegt. Die Idee, das Kriegsgeschehen aus der Sicht eines pazifistischen Panzers zu beleuchten, ist gar nicht schlecht. Nur die Umsetzung lässt noch ein bisschen zu wünschen übrig.

Der Teil über den Krieg liest sich, als wärst du zu faul gewesen, um zu recherchieren. Hier könntest du ruhig noch ein paar Gefechte einflechten. Auch später kommen die meisten Szenen so holterdipolter, dann geschah das, dann passierte jenes, und dann. Das erzeugt im Leser nicht eben Interesse, denn ich lese ja, um die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die fehlt mir hier. Die eherne Regel des Autorentums - show, don't tell - findet hier leider nur eingeschränkt Beachtung, sehr schön aber in dem Teil, wo die Menschen den Panzer bergen.

Das generelle Grundproblem in deiner Geschichte sehe ich in folgendem Satz exemplarisch wunderbar illuminiert:

Plötzlich stand ein kleiner Junge vor mir und starrte mich mit großen Augen an. Er wohnte in einem der neuen Häuser und war zum Spielen in den nahen, unerforschten Wald gekommen
Hier ist dieses "plötzlich", ohne, dass eine Reaktion darauf erfolgt. In diesem Satz bekomme ich als Leser quasi nachträglich erklärt, dass da jetzt plötzlich neue Häuser stehen, und die Motivation des Jungen wird gleich mitgeliefert.

Du schreibst in der ich-Perspektive, die sich sehr schön dafür anbietet, aus der ich-Perspektive zu schreiben. Du solltest davon ausgehen, dass der Panzer wirklich nur das erzählen kann, was er auch weiß. Das wird die Geschichte noch mal ein gutes Stück nach oben katapultieren!

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Vita

vielen dank für Deine Anregungen. Es ist immer interessant, wie andere Menschen eine Geschichte sehen, die einem als Autor selber eigentlich recht schlüssig erscheint.
Dass ich keine weiteren Szenen aus dem Krieg, wie beispielsweise Gefechte, habe einfließen lassen war so absolut beabsichtigt, denn der Panzer lernt im Grunde ja nie aus eigener Anschauung das kennen, wofür er gebaut worden ist. Er ist von seinem Können überzeugt und brennt ja geradezu darauf es unter Beweis stellen zu können. Die Chance dazu sollte er jedoch nicht bekommen. Das war eine bewusste Entscheidung und hat absolut nichts mit mangelnder Recherche zu tun. Auch das "Holterdipolter" mancher Szenen, wie Du es nennst, war bewusst so gewählt, ist aber offenbar so bei dir als Leser nicht angekommen. Da werde ich drüber nachdenken müssen. Ehrlich gesagt ist die Geschichte - inspiriert von einem Museumsbesuch - an einem Samstagabend in wenigen Stunden entstanden - ohne lange Planung vorher.

Viele Grüße

Thro Fergat

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom