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Ein Geburtstag

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23.10.2006
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Ein Geburtstag

Alles begann mit diesen schicksalhaften Begebenheiten, diesem, wie es mir nach all den Jahren scheint, vollkommen gewollten, ja beinahe schon endgültigen Eintritt in das, was so mancher das Heranwachsen eines jungen Mannes nennen mag.
Ein vollkommener Murks, der sich an jenem einen Tag, diesem von Anfang bis Ende vermaledeiten Mittwoch, es war der Vierzehnte, Mittwoch, den Vierzehnten neunzehnhundertdreiundachtzig zutragen sollte, wie eine kleine Postsendung, die man vor der Haustür abgelegt auffindet.

Ich war gerade zwei Jahre alt geworden, an diesem Tag, und die warmen Augen meiner lieben Mama schauten in mein kleines, rosiges Madengesicht aus dem zerquollenes Glucksen kotzte, so zufrieden war ich damals.
Die Sonne tauchte unser altes Wohnzimmer in ein warmes Licht, das sich über die ergrauten Erbstücke meiner Großmutter erstreckte.
Ich erinnere mich noch gut an diesen nussbraunen Esszimmertisch mit Steingutmosaikplatte und den weinig-roten Perserteppich von kleinem Ausmaß, der höchstens noch als Vorleger zu gebrauchen war.
Er beheimatete vorher die kartoffeligen Abgründe des Kellers meiner Oma und gestaltete sich dementsprechend vermufft und abgetragen.
Und erst diese Vorhänge, mein Gott, so schwer wie das Eheleben selbst; das waren sie!
Wie sie so da hingen, braun, bodenlang und aus grobem, wolligem Stoff gewebt, gaben sie ihm Schutz, diesem Eheleben meiner Eltern.
Denn die Nachbarn scheuten auch damals schon den Blick in ein fremdes Fenster weniger, als den in den eigenen Spiegel.

Manchmal ertappe auch ich mich dabei, auf diese Menschen und ihr Leben glotzend, dass sich höchstens fünf Meter weiter, einmal über den Hof und hinter Glas gegossen, abspielt.
Ich weiß nicht, ob sie es wissen, aber selbst wenn, würde es den Reiz vielleicht nur umso größer werden lassen. Es lenkt ab, in diesen Abgründen des Ekels zu stöbern, die einem die Fantasie schenkt, dieses unauslotbar Fremde, nur durch Vermutungen greifbare.
Inzwischen habe ich mehr über mich als über sie, meine stummen Nachbarn, gelernt. Wenn ich so dasitze, in meinem Stuhle und von vorne nach hinten schaukelnd über die Kante meiner Brille hinüber zu ihnen schaue und Beine mit Haut wie Baumrinde in meine Decke topfe, um gierig nach den Säften der Wärme zu saugen, dann denke ich manchmal darüber nach, ob sie in einem der hinteren Zimmer nicht vielleicht auch eine Krippe stehen haben, so wie wir damals.

Nun und wie kam es zu meiner Fensterexistenz? Was treibt einen Menschen dazu, sich in dem Leben sich wiederholender Mutmaßungen zu verkriechen, zu betrachten und zu verurteilen?
Es gibt doch immer irgendetwas, einen großen Bruch, so stellt man sich das doch vor.
Irgendeine Tollheit, die begangen wurde, sei es nun aus der Motivation des Dummen oder des Neugierigen, sei es Schicksal oder Strafe.

Aber ich muss sie enttäuschen. Auf die großen Tragödien bereitet man uns vor und der Verlust des Kindes, der Mutter oder des Vaters kann uns zwar zerbrechen, ja auch innerlich zerstören, aber nur die wenigsten beendet es.
Was wirklich tötet, langsam abnagend, aussaugend und zermürbend, einen Menschen langsam, Tag für Tag und Stunde für Stunde, mit jedem Ticken jedweder Uhr zu jedwedem Ort morscher und morscher macht, ist der Pilz der Kleinigkeiten, der alles überwuchernd als heimlicher Herrscher tief drinnen im Erdreich zum Riesenorganismus heranschwillt.
Sind die Wurzeln auch nur ein kleines bisschen befallen, dauert es nicht mehr lange bis zum Herbst, dem unweigerlich der Winter folgt.

Aber wie ich schon sagte, die Ereignisse, der Befall wenn man so will, begannen am Vierzehnten des Jahres neunzehnhundertdreiundachtzig, meinem zweiten Geburtstag.
Meine Mutter, diese grundgute Frau, hatte extra für mich einen Kuchen gebacken; und als wäre dies das Erste, seine Nuance Zimt mit Vanille und die dampfenden Beete vor unseren Fenstern, so dufteten die!, an das ich mich überhaupt erinnern kann, erscheint es mir in manchen Momenten auch als das einzige jemals im Licht gestandene.
Wir verbrachten einen wundervollen Nachmittag. Ich war ganz dicht an den Busen meiner lieben Mama gedrückt und bestaunte mit kindlichem Durst das Spiel der Farben in ihrem Haar, ihre Gerüche, die sich erdig und warm über mich gossen, wie ein sonniger Mantel und in mir nur den Wunsch weckten, es möge immer Frühling sein, immer genau dieser Tag, dieser verteufelte Vierzehnte.
Aber wie sollte es anders kommen, auch hier kehrte irgendwann der Herbst ein, und mit ihm kamen die Stürme und der Regen; sie legte mich ab, verließ das Zimmer, wenn auch unter den zärtlichsten Beschwichtigungen und unerhörten Worten der Liebe, übergab meinen Körper der Krippe, diesem kleinen Gefängnis, kam wieder, schenkte Zucker und Kuchen, Küsse und Schenkel, dieses Vollweib! aber wozu, wenn der Winter doch schon so nah stand?!
Während meine kleinen Lippen der gekräuselt zusammengezogenen Zitze meiner geröteten Mutter Leben entlockten, schickte ich meinem Vater, diesem Grauling, nur zu gern herausfordernde Blicke des Hochmuts entgegen.
Denn in diesen Augenblicken war sie mein!

Und wie sehr wir beide es genossen! Unbeschreibliche Säfte, die da flossen, direkt aus dem Ur-Einen selbst zu strömen schienen und meiner Jehova auf eine Art Sinn spendeten, nach dem sich ihr kleiner Kopf schon seit der Ernüchterung über ihren ersten Orgasmus das Hirn abgegrast hatte.
Kurz, es war Liebe auf den ersten Blick. Eine perfekte Beziehung, die ihre Säule der puren Gier nach Geborgenheit, Wärme und Leben und die der Sinnstiftung, aus einer brodelnden, bleiernen See des Alltags hochschießen ließ und die Wellen der Absurdität, Langeweile und der Willkür unserer Existenz durch hormonellen Magnetismus wundersam in einer konstanten Horizontalen hielt.
Schnurrende Sekunden und schwerelose Minuten strickten uns die Stunden zu unserem ganz privaten Weltall, einem vollkommenen Kosmos der Zweisamkeit.

Oh ihr Schwestern des Schicksals, euren Strick, wie ich ihn hasse! Spuck und Schande auf euch und euren Webstuhl! Gebt mir Schere und Garn und ich zeige euch, welch wundervolle Nähkunst in meinen Händen schlummert!

Und so zog dann der Abend ein und mit ihm ging der Kuchen, die Düfte wurden schwächer, kaum mehr wahrzunehmen waren sie schon und das Gesicht meiner lieben Mutter versank in Schatten.

Welch furchtbare Metamorphose doch im Pinselstrich des Abends liegt!
Mit welch Grauen beobachtete ich mit jedem Pochen meines kleinen Herzens, die Verfärbungen des Abendkarmesins, und seinen Reflexionen.
Blutrote Wände spiegelten sich auf der glatt-glänzenden Oberfläche des Tisches wider, der von zwei baumlangen Kerlen, gut vermummten Henkersknechten in langen Gewändern, flankiert wurde.
Mein Kopf stak vor Eindrücken und mochte zerplatzen, denn diese Stimmen, die da aus dem Hintergrund quollen, waren hohl und dumpf wie eine Kriegstrommel, die mir aus einer Meile Entfernung zuflüstern wollte.
Und meine Mutter?
War längst eine andere geworden.

Ihr Haar stand jäh in lodernden Flammen und kontrastierte einen Schattenfall, der direkt aus ihren Augenhöhlen zu entspringen schien und sich wie Nebel über ihre Wangen ergoss. Die Stirn stand zerfurcht, kohlenschwarz in den Hintergrund versetzt und bot dem Feuerspiel ihren Nährgrund, dass sich zerwühlt und angestrengt gen Himmel streckte und an den Spitzen glühte, als handelte es sich um erhitztes Gold.
Wenn ihre Augen die meinen trafen und sich ihr schmaler Mund in Fratzgebärden verzog, mir knochige Finger durch das Gesicht strichen und eine fremde Sprache in meinen Ohren dröhnte, welch nacktes Entsetzen schwoll dann in mir heran, wie das Gewebe um einen Knochenbruch.

Und je lauter und verzweifelter meine Schreie wurden, umso vehementer umfasste sie mich, drückte und quetsche an mir herum, zischte Kauderwelsch und dann, dann zappelten mir die kurzen Glieder, wirbelten durch die Luft, als wolle man mich wegschleudern.
Mein ganzer Körper war wie von den groben Fäusten eines Fiebers gepackt und sie schüttelten mich, dass mir die Stimme stockte.

Wenn ich heute darüber nachdenke, befällt mich immer wieder ein dumpfes Gefühl von Endgültigkeit, die Ereignisse kippten so schnell wie ein Weinglas und hinterließen nichts als Flecken.
Inzwischen habe ich vieles vergessen, was sich damals noch abspielte, aber niemals werde ich diesen einen Tag aus meinem Gedächtnis bekommen.
Zu viel Nacht war darin, um die Welt jemals wieder in den Abstufungen ihrer Vielfältigkeit sehen zu können und Schritt für Schritt sollte es mich von da an weiter ins Dunkel ziehen.
Mit jedem Schrei eines Kindes der meine Ohren erreicht, zieht sich in mir etwas zusammen wie eine Nacktschnecke. Es ist nicht immer nur Hunger, der ihnen die Tränen ins Gesicht drückt und für manche stehen die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen wie schiefe Grabsteine.
Was mir seit diesen Ereignissen immer und immer wieder in dem Schädel dröhnt, was die noch so frühe Weiche auf ewig verstellen sollte:
„Nichts ist so, wie du es zu sehen glaubst.“
Und so sitze ich hier, sitze und sitze und starre hinüber, zu den Menschen in Weiß und warte auf nichts als ein Klopfen.

 

Hey Subart,

eine mysteriöse Geschichte! :) Habe ehrlich gesagt nicht ganz verstanden, was an dem besagten Geburtstag passiert: ein Brand? Wer sind die Männer? - Immerhin enthält der Höhepunkt der Geschichte extrem viel Spannung, trotz Unklarheit. Oder gerade deswegen?

Der Erzählstil hat mich an "Gegen den Strich" von Huysmans in seiner Detailverliebtheit erinnert, und bietet manche schöne Formulierung wie "kartoffelige Abgründe", auch die Beschreibung der Vorhänge u.a. Deswegen hab ichs gern gelesen. Der "große Bruch", an den sich der Erzähler erinnert (obwohl er damals 2 Jahre alt war ...) bleibt für mich erstmal im Dunkeln - aber vielleicht ist auch nicht wichtig, was genau passierte ...

Gruß
Kasimir

 
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Hallo Kasimir,

Huysman sagt mir nichts aber da werde ich doch gleich mal nach schauen.

Immerhin enthält der Höhepunkt der Geschichte extrem viel Spannung
Na immerhin ;)

trotz Unklarheit. Oder gerade deswegen?
Die spannensten Dinge sind auch oft die verborgenen, oder nicht?

Der "große Bruch", an den sich der Erzähler erinnert (obwohl er damals 2 Jahre alt war ...) bleibt für mich erstmal im Dunkeln - aber vielleicht ist auch nicht wichtig, was genau passierte ...
Hmmm, hier sehe ich die wahre Schwäche meines Textes. Das Alter spielt keine wirkliche Rolle, wie ich finde, Manche mögen sich daran stören, andere wieder nicht.
Aber der "Bruch" scheint mir nicht wirklich herausgearbeitete. Die Phrophezeiung an den Leser wird nicht eingelöst.

Dennoch stimmt es mit meiner Intention ein Stück weit überein. Es geht weniger darum was passiert ist, weniger um einen logischen Sinnkontext, und vielmehr darum das es passiert ist, passieren kann und einer vollkommenen "Wahrnehmungswillkür" unterliegt.

Aber im Laufe des Schreibens hat sich das ganze natürlich mal wieder verselbstständigt.
Ich habe an einigen Stellen kleine Deutungshinweise gestreut, insgesamt bleiben diese aber recht vage. Ich werd da wohl noch mal ein wenig rumkorrigieren müssen.

Danke für's Lesen.

Grüße,
S.

 

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