Mitglied
- Beitritt
- 09.02.2009
- Beiträge
- 4
Ein Glas Milch
Ein Glas Milch
Es war bereits dunkel, als er nach Hause kam. Beim Betreten der Wohnung konnte er aber nicht einmal das Licht anknipsen. Im Vorbeigehen warf er seine Schlüssel hastig auf die kleine Kommode und ging in die Küche. Als er die Kühlschranktür öffnete, spürte er sofort einen angenehmen Zug, der durch sein durchschwitztes Hemd auf den feuchtwarmen Körper traf. Wenn er sich doch einfach hineinlegen könnte! Bis auf drei faule Tomaten und vertrockneten Käse gab das grelle Licht nichts her. Auf den Glasböden tummelten sich ein paar Krümel, die dort lagen, als ob sie miteinander um die Wette hätten krabbeln wollen und dabei unzählige Fettstreifen hinterließen.
Im Seitenfach stand noch eine angebrochene Milchpackung. Mangels Alternativen nahm er sie heraus, schloss die Kühlschranktür, holte ein Glas und schenkte ein. Wieder stand er im Dunkeln. Nur die Straßenlaterne erhellte den Raum ein wenig. Er setzte sich an den Tisch und nahm einen großen Schluck. Ein paar Perlen blieben an seinem Bart haften, restliches Weiß überzog den Gaumen wie ein Film und das meiste floss seine Kehle hinunter. So blieb er eine Weile sitzen, die Hand am Glas, und hing seinen Gedanken nach.
Doch dann: Es mögen nur wenige Minuten, vielleicht aber auch eine ganze Stunde vergangen sein, als er durch einen knallenden Donnerhall aus seinem Halbschlaf gerissen wurde. Im selben Augenblick begann es laut zu schütten und ein kräftiger Windstoß drückte sich unvermittelt durch das gekippte Fenster. Er blickte auf, sah die Lichter der Stadt und wie sie mit dem Regen verschmolzen. Alles hatte sich nach dieser Abkühlung gesehnt.
Er bemerkte das Ticken der Uhr. War wieder bei sich, hier, saß in seiner Küche. Mit den Fingern fuhr er über die Wachstuchtischdecke und zeichnete das Muster nach: kleine, dampfende Kaffeekannen, die durch Blumenornamente getrennt gleichmäßig Abstand hielten. Was für ein geschmackloses Teil. Und dieses Kackbraun. Wieso lässt man die Dinge nicht so, wie sie sind? Einfach weiß. Hier sollte eine weiße Tischdecke liegen.
Da fand er, dass er nun lange genug dagesessen hatte und stand auf, um die Balkontür zu öffnen, als das Telefon klingelte.
Hallo, wer ist dran?
Ja ich bin´s.
Hallo.
Was gibt´s, wie geht es dir?
Ja geht. Es war ja so heiß heute.
Ja, unerträglich war es, wirklich.
Ja.
Also weswegen ich anrufe: ich habe heute nochmal mit dem Anwalt gesprochen.
Aha.
Er meint, du wirst mit mindestens 5 Jahren rechnen müssen, vielleicht sogar mehr.
Ich weiß. Es ist, wie es ist.
Mach dir nicht allzu viele Sorgen. Bis zum Prozess dauert es ja noch eine Weile. Vielleicht schau ich morgen mal vorbei. Bist du zuhause?
Wahrscheinlich.
Gegen acht?
Mhm.
Okay. Dann bis morgen.
Ja, ja.
Er ließ den Hörer fallen. Spürte, wie sein Kopf sich zusammenzog und das, was er sah, von einem merkwürdigen, dunklen Schatten umrahmt wurde. Er wollte endlich auf den Balkon. Stolperte dabei fast über die Schwelle. Der Regen hatte aufgehört und die Gewitterluft roch frisch und befreiend. Von draußen fiel sein Blick durch das Küchenfenster hinein, wieder auf das leere Milchglas, das noch immer von den hässlichen Kaffeekannen umrahmt war. Ihn fröstelte. Er stieg auf einen kleinen Hocker und von dort auf die Brüstung. Alles wurde weiß.