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Ein Grund zum feiern
Als sie am vierten August aufwachte wusste sie, dass sie schwanger war.
Ein sanftes Lächeln spielte sich auf Annas Gesicht als sie sich noch einmal umdrehte und die Augen schloss.
Seit sieben Monaten versuchten sie jetzt schon ein Kind zu zeugen und jedes Mal war sie früher oder später in die Apotheke gelaufen um sich einen Schwangerschaftstest zu besorgen.
Natürlich war dieser immer negativ gewesen.
Aber heute brauchte sie keinen Test, denn sie hatte dieses untrügliche Gefühl, dass man hat, wenn man genau weiß, dass man am Abend Kopfschmerzen bekommen wird, oder das Wetter bald umschlägt. Es war eine Intuition, so als hätte der kleine Bewohner ihres Uterus sich höflich angemeldet.
Sie konnte nicht mehr einschlafen. Sie wusste zwar, dass sie schwanger war, aber dennoch hatte sie ihre Zweifel an der Erfüllung ihres Traumes. Konnte es wirklich wahr sein? Würde sie endlich Mutter werden und ein Stück ihrer selbst in den Armen halten? Auf ihrem Nachttisch stand eine Vase mit frischen Blumen. Rote Rosen. Von Tim. Er war so ein aufmerksamer und liebevoller Mann.
Rasch zog sie sich an. Ein kurzes Sommerkleid mit gelbem Blumenmuster und eine weiße Strickjacke. Ihr blondes, schulterlanges Haar band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Für Mitte August war es zwar noch warm draußen, aber morgens und abends konnte es schon mal etwas frischer sein.
Sie schnappte sich den Autoschlüssel und war schon an der Tür, als ihr einfiel, dass es doch wohl besser wäre kurz bei ihrem Frauenarzt anzurufen, bevor sie einfach so in der Praxis stand.
Sie wählte die Nummer- die sie mittlerweile auswendig kannte, aber niemand nahm ab. Wahrscheinlich war gerade sehr viel zu tun. „ Egal, dann fahre ich einfach so hin, irgendwann werde ich schon dran kommen“ dachte sie sich, während sie die Haustür hinter sich verschloss.
Sie stieg in ihren alten VW Polo und fuhr durch den viel versprechenden Morgen in Richtung Innenstadt, wo ihr Arzt seine Praxis hatte.
Das sie die einzige Verkehrsteilnehmerin war, viel ihr nicht auf.
Die Straßen waren leer.
>mein Baby<
kein Vogel war zu hören, keine nervige Motorsäge, kein Autobahnlärm.
<mein Baby>
Sie fand sofort einen Parkplatz. Um genau zu sein war der Parkplatz bis auf einen verbeulten Kleinbus leer. Sie zog einen Parkschein und legte ihn hinter die Windschutzscheibe.
Kein Mensch war auf der Straße.
>mein Baby>
Zu Fuß machte sie sich auf den Weg durch die Fußgängerzone und blieb vor dem Babygeschäft stehen, vor dem sie schon so oft sehnsüchtig gestanden hatte und die kleinen Strampelanzüge im Fenster betrachtet hatte und neidisch die hochschwangeren Frauen beobachtete. Wenn sie vom Arzt kommt, dann würde sie hineingehen und einen Strampelanzug kaufen. Nein zwei. Einen in rosa und einen in blau.
Das Blut, das am Schaufenster klebte sah Anna nicht.
<mein Baby>
In einer kleinen Seitenstraße lag die Praxis ihres Arztes.
Vor dem Eingang lag ein älterer Herr um die 60. Seine Augen waren weit aufgerissen, ein Aktenordner lag einige Meter neben ihm, der Inhalt war auf dem Asphalt verstreut.
Anna stieg vorsichtig über den Mann hinweg, achtend darauf nicht in die Blutlache zu treten.
Sie dachte sich nichts weiter dabei.
<Mein Baby>
Sie stieg die Treppe hinauf und trat auf etwas das ein matschiges Geräusch von sich gab, als wenn man eine überreife Tomate fallen lies. Es war ein Augapfel.
Sie streifte den zerdrückten Augapfel ( Farbe braun) an der nächsten Treppenstufe ab und dachte darüber nach, welche Augenfarbe ihr Baby wohl bekommen würde.
<mein Baby>
Am Empfang der Praxis befand sie niemand und sie zögerte, ob sie nun warten sollte, oder direkt in eines der Besprechungszimmer gehen sollte.
Sie entschied sich für letzteres.
Auf dem Flur lag einer der Sprechstundenhilfen, die man allerdings nicht mehr als diese erkennen konnte da sich an Stelle ihres Gesichts nur eine breiige Masse aus Knochensplittern und Gehirnmasse befand.
„Das ist ja mal echt ekelhaft“ dachte Anna einen Moment, ging aber dann an der vermeintlichen Arzthelferin vorbei ins Besprechungszimmer.
Niemand befand sich darin.
Sie nahm auf einem der Stühle Platz und wartete.
<mein Baby>
Niemand kam. Sie hörte ein schleifendes Geräusch vom Flur her und dachte sich nichts dabei.
<mein Baby>.
Nach zehn Minuten stand sie auf um zu sehen ob sich hier überhaupt jemand in dieser Praxis befände.
Als sie auf den Flur trat, war die Arzthelferin verschwunden.
Sie hörte Geräusche aus dem Nebenzimmer und wollte die Tür gerade öffnen, als jemand ihren Namen rief. „ Anna“. Sie drehte sich herum.
Tim lehnte im Türrahmen zum Wartezimmer.
„ was tust du denn hier“ fragte sie verwundert „ woher weißt du…“. Sie hielt inne und starrte ihn verblüfft an. Sein weißes Hemd war mit Blutspritzern übersäht und sein dunkles Haar war zerzaust. Eigentlich war er sehr gut aussehend mit seinen 1,90 und seiner muskulöser Figur. Jetzt sah er eher “ wild“ aus.
„Ich dachte mir, dass du kommen würdest“, sagte er lächelnd. Er streckte die Arme aus, als er langsam auf sie zuging. „ Ich glaube, es wird ein Junge „ flüsterte er ihr ins Ohr und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. Er roch ein wenig streng. „ Weißt du“, sagte er, während er ihr eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht strich, „ ich wusste gestern Abend direkt, dass es diesmal geklappt hat. Ich wollte dich in Ruhen schlafen lassen. Wir haben nur etwas gefeiert“.
„Wir“ waren wahrscheinlich seine gesamte Familie. Und die ist ziemlich groß.
„Aber doch nicht den Arzt, oder?“ sagte sie und sah ihn etwas flehend an. „ Tut mir leid, aber du kennst ja meine Mutter, der kommen nur Doktoren und Professorenblut in den Magen. Aber mach dir nichts draus, der kommt wieder. Spätestens heute Nacht“ lächelte er. Sie brachte nur ein gequältes Lächeln zustande. So liebevoll er auch war, manchmal war es mit ihm wirklich anstrengend, aber sie wusste, das wenn sich das erste Kind ankündigt besonders groß in seinem Kreise gefeiert wird. „ Ich werd mich etwas hinlegen, war eine lange Nacht, sagte er und drückte sie an sich. Komm bald nach Hause, ja? Du musst dich schonen.
Er ging zum Fenster und verwandelte sich. Er lächelte ihr noch einmal zu und seine langen Reißzähne funkelten in der Morgensonne. Dann flog er davon.
Anna seufzte und verließ die Praxis. Draußen war der ältere Herr verschwunden, der Aktenordner lag noch da.
Sie ging in den Babyladen wo aus einem Radio gerade Elvis „ you are always on my mind“ sang. Sie summte mit währnend sie sich ein paar Strampler aussuchte. Einen in rosa und einen in blau.
Die Verkäuferin gab ihr kein Wechselgeld raus, sie hatte keinen Kopf mehr. Summend ging sie zu ihrem Auto.
<mein Baby> dachte sie und streichelte über ihren Bauch.