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Ein guter Junge

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07.05.2004
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Ein guter Junge

Ein guter Junge

Die Kleider klebten feucht an meiner Haut. Eine eiskalte Dusche, brachte nur minutenlange Abkühlung. Das Meer war warm, wie eines dieser beheizten Schwimmbäder. Der Sand so heiß, dass er einem die Füße verbrannte.

Staunend beobachtete ich die Einheimischen, denen die Hitze nichts auszumachen schien. Lächelnd schleppten sie Kisten, verkauften Drinks oder Souvenirs.

Abends, wenn die Sonne unterging, erwachten die Touristen langsam zum Leben. Schlenderten durch die Gassen, saßen in Restaurants mit Meerblick oder gingen feiern.
Die Einheimischen kehrten nach Hause, zu ihren Familien. Viele saßen auf der Terrasse, wo man nur das Geräusch von fallenden Würfeln hörte, weil sie Backgammon spielten. Später schleppten sie ihre Matratzen nach draußen, weil es drinnen zum Schlafen viel zu heiß war.

Ergün kehrte auch nach Hause zurück. Zu seiner Frau, den Kindern und seinen Eltern, die so stolz auf ihn waren, weil er im Hotel arbeitete und dort gutes Geld verdiente. Manchmal brachte er besondere Sachen mit nach Hause – vergessene Shampoos, Parfums oder sogar schicke Kleidungsstücke.
Ergüns Eltern sagten, dass er ein guter Junge sei und seine Frau ist stolz, wenn sie seinen schicken Hoteldress ausbürstet und für den nächsten Tag bereit legt. Die Kinder wollten immer vom Hotel hören. Von dem großen Spielplatz, dem Swimmingpool mit Rutsche und Zimmern, die so riesig sind, wie ihre ganze Wohnung. Er erzählte vom Buffet, von den vielen Eissorten, der großen Auswahl an Süßgebäck und Früchten, von denen seine Töchter nicht einmal wussten, wie sie aussehen. Die Kinder bekamen große Augen und konnten kaum glauben, dass es einen solchen Ort überhaupt gab. Besonders neidisch waren sie auf die Klimaanlagen, immer dann, wenn sie sich unruhig hin- und herwälzten, weil die Hitze sie nicht schlafen ließ.
Von mir erzählte Ergün nichts.

Sie wussten nicht, dass er mir mit seinen Augen überallhin gefolgt ist. Sie wussten auch nicht, dass ich ihn an der Bar, wo er Cocktails mixte, angesprochen habe. Der Alkohol machte meine Zunge leicht und ich kotzte mein ganzes Leben vor ihm aus.
Als es nichts mehr zu jammern gab schwieg er. Ich schämte mich, weil ich einem Fremden so viel anvertraut hatte.
Er wischte mit einem Lappen die Theke ab und begann aus seinem Leben zu erzählen.
Von dem Traum zu studieren und ein bekannter Architekt zu werden, der Gebäude auf der ganzen Welt errichtet, die alle Menschen in Begeisterung versetzen.
Der Traum fand ein Ende, als er sich in Songül verliebte. Songül, mit den wehenden Haaren und dem bezaubernden Lächeln. Songül, die er hinter einer dunklen Häuserwand zum ersten Mal küsste. Ihre Lippen waren warm und schmeckten nach Erdbeeren. Er glaubte, dass er noch nie jemanden so sehr geliebt hatte, wie sie. Ihre Eltern kamen hinter ihre Beziehung und verlangten die Trennung oder die Heirat.

Songül trug bei der Hochzeit ein wunderschönes Kleid, ihr Haar war zu kunstvollen Locken aufgesteckt und Ergün liebte sie so sehr, dass es in der Brust wehtat. Er war erst 18 Jahre alt, als er sie heiratete. Sie wollten noch keine Kinder, denn Ergün wollte studieren und das wäre mit Kindern sehr schwierig gewesen. Doch was sollte er machen, als Songül merkte, dass sie schwanger war – gerade mal drei Monate nach ihrer Hochzeit? Sie bekamen das Kind, und bald darauf ein zweites.

"Ich weiß nicht, warum ich sie geheiratet habe", murmelte er. "Sie ist nicht das Mädchen, für das ich sie gehalten habe. Sie versteht nichts von großen Träumen. Wenn ich etwas darüber sage, dann behauptet sie nur, dass ich inzwischen zu alt für solche Hirngespinste bin."
Er seufzte. "Sie sagt, dass ich froh sein soll einen Job zu haben. Viele ihrer Bekannten sind arbeitslos und leben viel schlechter als wir."
"Liebst du sie?", wollte ich wissen.
Er zögerte mit seiner Antwort. "Ich weiß es nicht. Ich habe lange nicht mehr darüber nachgedacht."
Ich merkte, dass er sich seiner Worte schämte, denn er wurde rot im Gesicht.
"Sie ist eine gute Frau."
Er sah so traurig aus, dass ich ihn in die Arme nehmen wollte, ihm übers Haar streichen und sagen, dass alles gut wird, auch wenn es vielleicht nicht stimmt.
Er legte seine Hand auf meine. „So weich“, flüsterte er.
Tränen stiegen in meine Augen und ich stand schnell auf, weil ich nicht wollte, dass er mich weinen sah. Ich hätte es ihm nicht erklären können.

Einige Tage später traf ich ihm am Strand. Er saß einfach nur da, und starrte auf das Meer hinaus. Wer weiß, was er dort sah? Ich setzte mich neben ihn. Ergün sah mich an. Es schien fast, als hätte er auf mich gewartet.
„Ich bin oft hier, wenn ich nicht nach Hause möchte“, erzählte er.
Ich berührte sein Haar, das sich im Nacken kräuselte. Er zuckte zurück, doch dann schloss er die Augen und genoss meine Berührung. Ich streifte ihm sein T-Shirt über den Kopf. Erkundete seinen Rücken mit meinen Händen und meinem Mund. Sog den fremdartigen Geruch ein und strich über die feinen Haare auf seiner Brust.
„Komm“, sagte ich „Gehen wir auf mein Zimmer.“

Ergün sagte, dass er mitkommen möchte, wenn ich nach Hause fahre. Ich weiß nicht, ob er es ernst meinte. Er wusste nicht, wann ich abfahre. Eines Morgens kam er an und fand mich nicht mehr vor. Ob er wohl noch an mich denkt? Ich denke oft an ihn und frage mich, ob er wirklich mitgekommen wäre.

 
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Liebe Bella!

Mit etwas Verspätung, aber doch: Alles Gute zum Geburtstag! :)

Also ich sehe in der Geschichte schon mehr als bloß einen Urlaubsflirt. Ergün hat einen Traum, dessen Erfüllung ihm erst durch die aufgezwungene Heirat versagt bleibt, und als er wieder zu träumen und zu hoffen beginnt, nimmt abermals eine Frau seine Träume nicht ernst. Dabei sagte er der Protagonistin noch, daß seine Frau nichts von Träumen verstünde, und sie kapiert es nicht.
Auf der anderen Seite ist natürlich die Familie, für die er Verantwortung hat, auch wenn es nicht mehr so gut läuft. Aber auch, wenn die Heirat durch die Eltern aufgezwungen war, hat er doch die Kinder selbst gemacht, und kann sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Die Entscheidung, was er tut, trifft er wiederum nicht selbst, sondern die Protaginstin für ihn.
Manchmal ist es schon dumm, daß man nur ein Leben hat. Wenn man dann über dieses eine nicht selbst bestimmen kann, seine Träume nicht verwirklichen kann …
Ich hatte auch einmal den Traum, Architektin zu werden, und eine Frau hat ihn mir zerstört. Vielleicht sehe ich dadurch die Geschichte etwas anders als die anderen – mich nimmt sie im Moment doch ziemlich mit, ich krieg richtig Wut auf Deine Protagonistin.

Was ich noch mehr herausarbeiten würde, sind die Träume. Und zwar würde ich das Gewicht dabei nicht auf »bekannt« und »auf der ganzen Welt« legen, sondern auf den Wunsch, phantasievolle, menschen- bzw. kindgerechte Wohnungen zu bauen, in denen sich alle wohl fühlen. Ich zum Beispiel ärgere mich immer, wenn sie wieder irgendwo so einen potthäßlichen Bau hinstellen, daß ich es hätte sein können, die dort ein viel schöneres Haus gebaut hätte. Aber naja, wenn mit fünfzehn die Welt zusammenbricht und man gesagt bekommt, wenn man die Schule weitermachen will, dürfe man nicht weggehen sondern immer nur lernen, etwas anderes hätte einen dann überhaupt nicht zu interessieren, dann kann man halt keine schönen Häuser bauen. :(
Für den Schluß in Deiner Geschichte könnte ich der Protagonistin ins Gesicht springen.
Also, was ich meine, ist, daß Du dieses Nichterkennen der Protagonistin dessen, daß er es ernst meinte, weil er seinen Traum ernst meinte, besser herausholst. Wenn sie ihm wirklich zugehört hätte, hätte sie das gewußt.

Jetzt noch zum Kleinkram:

Ab der Mitte häufen sich die »dass«, siehe hier, vielleicht kannst Du da noch was tun?

»Die Kleider klebten feucht an meiner Haut. Eine eiskalte Dusche, brachte nur minutenlange Abkühlung.«
– würde statt »feucht« schreiben: »Die verschwitzten Kleider klebten an meiner Haut«, oder »Die Kleider klebten nassgeschwitzt an meiner Haut.«
– der Beistrich nach »Dusche« gehört weg

»Das Meer war warm, wie eines dieser beheizten Schwimmbäder. Der Sand so heiß, dass er einem die Füße verbrannte.«
– würde mir den Vergleich mit den Schwimmbädern sparen, stattdessen die beiden Sätze mit einem »und« verbinden: Das Meer war warm und der Sand so heiß, dass er einem die Füße verbrannte.

»Ergüns Eltern sagten, dass er ein guter Junge sei und seine Frau ist stolz, wenn«
– sei, und

»Als es nichts mehr zu jammern gab schwieg er.«
– gab, schwieg

»Von dem Traum zu studieren und ein bekannter Architekt zu werden, der Gebäude auf der ganzen Welt errichtet, die alle Menschen in Begeisterung versetzen.«
– statt »Von dem« würde ich »Von seinem Traum« sprechen
– und »ein bekannter« und »auf der ganzen Welt« würde ich streichen – übrig bliebe dann »…und ein Architekt zu werden, der Gebäude errichtet, die alle Menschen in Begeisterung versetzen«. Das würde ich deshalb so schreiben, weil es bescheidener klingt, und meistens sind die Leute in südlichen Ländern ja auch eher bescheiden. Für den Protagonisten wäre es schon ein großer Schritt gewesen, überhaupt Architekt zu werden.


»Ergün liebte sie so sehr, dass es in der Brust wehtat. Er war erst 18 Jahre alt,«
– auseinander: weh tat
– achtzehn

»dass ich inzwischen zu alt für solche Hirngespinste bin."
Er seufzte. "Sie sagt, dass ich froh sein soll einen Job zu haben.«
– da der Sprecher nicht wechselt, würde ich hier auch keinen Zeilenwechsel machen

»Viele ihrer Bekannten sind arbeitslos und leben viel schlechter als wir."«
– wenn sie verheiratet sind, sind es dann nicht ihre gemeinsamen Bekannten, also »Viele unserer Bekannten«?

»Einige Tage später traf ich ihm am Strand.«
– ihn

»„Komm“, sagte ich „Gehen wir auf mein Zimmer.“«
– entweder »…ich. „Gehen …« oder »… ich,gehen …«


Alles Liebe,
Susi :)

 

Liebe Susi,

Mit etwas Verspätung, aber doch: Alles Gute zum Geburtstag!

Mit etwas Verspätung: Vielen Dank für die Glückwünsche. :D

Die Geschichte sollte eine Mischung sein, aus einem gewöhnlichen Urlaubsflirt und etwas Ernsterem. Hätte ich nur einen Urlaubsflirt beschreiben wollen, so hätte ich die ernste Thematik ausgeklammert.
Das Verhalten der Prot. in der Geschichte gefällt mir auch nicht, sie erkennt nicht, dass es ihm Ernst ist. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, ob er sie liebt, tatsächlich mitkommen würde - sondern darum, dass sie der Auslöser ist und er wieder träumen kann. Doch vielleicht kann das als Anstoss genügen, dass er weiterhin an seinen Traum glaubt und nach Möglichkeiten sucht, diesen doch noch zu verwirklichen.
Trotzdem: Ihr Abgang war alles andere als fair, sie hätte ihm wenigstens eine Chance geben können, selbst zu entscheiden.

Ich hatte auch einmal den Traum, Architektin zu werden, und eine Frau hat ihn mir zerstört. Vielleicht sehe ich dadurch die Geschichte etwas anders als die anderen – mich nimmt sie im Moment doch ziemlich mit, ich krieg richtig Wut auf Deine Protagonistin.

Schade, dass du deinen Traum nicht verwirklichen konntest. Manchmal ist es wirklich so, dass andere Leute einem alles verbauen. Jetzt kann ich deine Aufgewühltheit auch gut nachvollziehen, erst recht deine Wut.

Was ich noch mehr herausarbeiten würde, sind die Träume. Und zwar würde ich das Gewicht dabei nicht auf »bekannt« und »auf der ganzen Welt« legen, sondern auf den Wunsch, phantasievolle, menschen- bzw. kindgerechte Wohnungen zu bauen, in denen sich alle wohl fühlen.

Ja, das ist eine tolle Idee. Das hör sich wirklich viel besser an.

Aber naja, wenn mit fünfzehn die Welt zusammenbricht und man gesagt bekommt, wenn man die Schule weitermachen will, dürfe man nicht weggehen sondern immer nur lernen, etwas anderes hätte einen dann überhaupt nicht zu interessieren, dann kann man halt keine schönen Häuser bauen.

Das ist natürlich heftig. In einer derart "zerstörerischen" Rolle sehe ich meine Prot. jedoch hier nicht.

Danke für deine Textanmerkungen - ich werde sie alle übernehmen. Deine Fehlerlisten sind wirklich immer super!! Kannst du das alles so aus dem Kopf oder nimmst du ein Korrekturprogramm zur Hilfe?

Lieben Gruß
Nicole

 

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