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Ein Herzmuskel aus Elefanten und Himalaya

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15.03.2013
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Ein Herzmuskel aus Elefanten und Himalaya

Ein Herzmuskel aus Elefanten und Himalaya

Schon seit Stunden pocht es in ihm, regelmäßig, dumpf, ab und an etwas schneller, wenn die Frau im weißen Kittel an seiner Seite steht.
Seine Lider sind schwer, jeder Atemzug ist eine Qual. Dieses Brennen auf der Brust. Er versucht hinabzublicken durch den Vorhang seiner Lider, orangenfarbiges Schimmern.
Nun kneift er die Augen zu, und auf. Die Farbe bleibt. Seine Brust ist angemalt wie die eines Indianers, beklebt mit weißen Pflastern, Kriegswunden sagt die Frau.
Doch er weiß. Er ist weder tapfer noch leichtsinnig noch patriotisch. Das ist Schwäche, das ist Krankheit.
Jedoch lebt es in ihm, es wehrt sich nicht gegen ihn und er nicht gegen es. Es ist fremd und doch lebendig. Es pumpt und schleust rund 6000mL Blut durch seinen gesamten Körper, er kann jedes Partikel seiner Haut spüren, bewegt die Zehen, kratzt
sich das Kinn. Er überlegt, er erinnert sich.
Wie es war davor. So unendlich schmerzhaft. Vielleicht hat die Frau doch Recht, er ist im Krieg gegen sich selbst gestorben. Wenn er jetzt die Augen öffnen und sie anstarren kann, dann nur weil ein Fremder es ihm erlaubt hat.
All die Monate. Die Wartezeit. Und nun hat das alles ein Ende. An solche Wunder traut er sich kaum noch zu glauben.

Jedoch gelangen Frequenzen unterschiedlicher Wellenlängen an seinen Ohren, ergeben einen Sinn. Er kann die Silben hören, die Wörter und Sätze. Die Ärztin, so heißt diese Frau in Weiß, erklärt ihm in seltsamen Klängen, was er alles verpasst hat in seinem Schlaf. Künstlich erzeugt, muss man dazu sagen.
Primäre dilatative Kardiomyopathie, rasch progredienter Verlauf, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz, Herztransplantation. Und Ihre Luftnot?

Sie hat braune Augen. So dunkel, dass er sein eigenes Gesicht darin reflektiert sieht.
Große, erschrockene Augen und ein blasses Gesicht schauen auf ihn zurück. Er kann sich kaum an sein Gesicht erinnern. Der Spiegel war zu seinem größten Feind geworden.
Und die unzähligen anderen Horrorgestalten. Das Elefantengewicht auf der Brust, das leere Zucken seines Herzmuskels, die schweren Beine, diese Himalayagroße Schwäche.

Und die Luftnot. Das Ringen in jeder Sekunde nach Sauerstoff. Nur zu einundzwanzig Prozent in seinem Zimmer, dann später hundert mit dem Schlauch direkt in seiner Nase. Dadurch wurde es etwas besser.
Herr Naum?
Er schließt die Augen. Er versucht, ihr zu antworten. Er möchte mit ihr reden. Aber seine Stimmlippen bringen nur ein raues, leises und undeutliches Wispern hervor.
Diese Sprache scheint sie jedoch zu verstehen.

Aber vielleicht tut sie auch nur so, als ob. Sie nickt ihm zu und geht.

Jemand hält seine Hand. Er verspürt den leichten Druck, die Wärme.
Seine Mutter liest ihm aus „Geschlossene Gesellschaft“ vor. Sie liest immer Sartre, wenn sie am Rande des Nervenzusammenbruches ist. Diesmal hatte sie ja einen guten Grund dazu.
Jacob.
Er drückt Ihre Hand, flüstert ich bin wach Mutter und nasse Tränen landen auf seinem Handrücken.
Auf immer und ewig ihr Sorgenkind, Ihr ein und alles.
Sie könnte Stunden lang davon erzählen, wie er als kleiner Bube immer schon ihre Hand suchte, wenn ihn etwas beunruhigte oder ihn fremde Leute angesprochen hatten.
Laut Ihrer Angaben wäre das auch später immer noch so gewesen, dass das nicht stimmte und er sich ab der Adoleszenz von ihr abgesondert hatte, wollte sie nicht hören. Wozu auch erklären, dass er nun erwachsen war und es nicht mehr wie früher weitergehen konnte, wo sie beide alleine gegen den Rest der Welt standen. Sein Vater war gestorben als er noch ganz klein war, ob das Herz wohl auch versagt hatte, fragte er sich nun.
Wie fühlt es sich an, fragt sie.
Wie wohl, wie sein eigenes Herz nur, dass es nicht seines ist. Wie sein eigenes Herz nur, dass es noch funktionsfähig ist. Wie sein eigenes nur, dass es nicht so schwer wiegt in der dünnen Brust. Nur, dass es nicht mehr so weh tut. Dass er jetzt atmen kann.
Er hat nicht mehr das Gefühl, dass diese Sekunde die letzte ist. Muss nicht mehr beten oder schimpfen oder kämpfen, dass der nächste Herzschlag nicht der letzte ist, den sein krankes Herz schlagen kann.

Das hier ist neu.
Er weiß nicht viel vom Spender. Gesetz. Dagegen kann man nicht ankommen.
Aber er war jung, ob männlich oder weiblich kann er auch nicht sagen. Er ist an einer Hirnblutung nach einem schweren Unfall gestorben.
Das Herz? Gesund und kräftig, keine Spur von Usur.

Er spürt es in sich und denkt, das ist ein weibliches Herz. Er fühlt sich so melancholisch veranlagt, so verunsichert, so anders einfach. Früher war er anders. Da hätte er sich nicht stundenlang Gedanken über das Leben und seinen Sinn gemacht.
Bestimmt hätte ihn das Geschwafel seiner Mutter genervt. Und Ihr Vorlesen. Und Sartre! Dieser philosophische Unsinn über Leute, die in einem Raum eingesperrt sind.
Das versteht doch sowieso keiner.

Aber nun ist ihm das alles plötzlich ganz wichtig. Der Moment mit seiner Mutter.
Dass sie da ist an seiner Seite. Die Wärme Ihrer Hand und Ihre Tränen.
Große Emotionen und große Wörter. Alles aussprechen, was man sich sonst nie gesagt hat.
Was wird jetzt sein. Das ist seine Frage, die einzige, die ihm einfällt. Er hat es sich tausendmal ausgemalt.

Das Leben geht weiter, sagt Jacobs Mutter.
Er versteht sie schlecht, denn auf Ihrem Mund ist eine Maske. Sie trägt einen blauen Klinikkittel.
Die Ärztin hat es ihm erklärt. Immunsupprimiert ist er. Das heißt, dass er auf alles anfällig ist. Auf Spucke anderer Menschen, auf Bakterien und Parasiten und Viren und Pilzen und auf Marsmenschen.
Azathioprin heißt neuerdings sein bester Freund. Der ist nicht einmal so groß, nur weiß und von harmlosem Aspekt. Dank ihm wird sein neues Herz nicht von seinem Körper verstoßen.
Auf Leben und Tod, das klingt wirklich wie ein dummer Freundschaftsspruch.

Den Himalaya wird er nur auf der Postkarte sehen, die an seinem Bett hängt. Die hat er von seinem Vater bekommen. Als einzige Erinnerung, die nach all den Jahren und all der Abwesenheit bleibt. Ein Stück Leben, ein Schluck Hoffnung.
Sein Glücksbringer.
Ja, er wird weiterleben. Es geht immer irgendwie weiter. Einfach nur ganz anders
wie vorher. Aber er hängt zu sehr an diesem Leben, um es aufzugeben.
Der Fremde, junge, lebt in ihm weiter. Dieses Herz, das regelmäßig aus seinen großen Hohlvenen das Blut rechts aufnimmt, in die Lunge schleust immer weiter nach links pumpt und von dort aus durch seine Aorta, die allergrößte Arterie seines Körpers, hatte die Frau in Weiß gesagt, überall hin.
Er kann denken, er kann Essen aufnehmen und es verarbeiten. Atmen! Keine Schmerzen mehr haben.
Den Rest nimmt er in Kauf.
Den Himalaya kann man vielleicht von unten sehen. In seinen Träumen war er sowieso schon immer allgegenwärtig.
Groß. Unfassbar ruhig und still. Auf immer und ewig einfach nur da. Unveränderbar wahr.
Und da jetzt kein Elefant mehr auf seiner Brust sitzt, kann er die Rolle tauschen und selber auf einem sitzen.
Vielleicht. Irgendwann.
Er hat jetzt noch ein paar Sekunden vor sich. Ein paar Jahre.
Die Hand seiner Mutter kann er noch tausendmal in die seine nehmen. Die Postkarte seines Vaters anschauen und sich an vergangene Zeiten erinnern oder sie träumen.
Er kann sich bei der Ärztin bedanken und sie noch einmal nach Ihrem Namen fragen.
Und in Ihre Augen schauen.
Und noch viel mehr.
Jacob Naum kann ein fremdes Herz in seiner Brust schlagen spüren. Aber das Blut, das es pumpt ist seines und die Kraft, die er daraus zieht gehört ihm. Und ist eindeutig sein Leben.

J.R.

 

Hallo Cristal!

Sicher ein spannendes Thema, das viel hergeben kann. Deine Umsetzung fand ich nicht so gelungen. Es passiert ja nichts. Jemand bekommt ein Spenderherz, ja, das ist natúrlich schon etwas, aber es ist doch keine Geschichte. Es ist alles so zerstúckelt. Was mir gut gefallen hat war die Stelle, wo er denkt, es sei wahrscheinlich das Herz einer Frau, weil er sich melancholisch fúhlt. Aber ansosnten: Ist mir einfach zu wenig Handlung, kein Konflikt, es macht so bisschen den Eindruck, als hátte jemand eigene Erfahrungen gemacht und versucht, die schriftlich festzuhalten. Das ist aber dann noch keine Geschichte.

Lollek

 

Lieber Lollek, vielen Dank, dass du es gelesen hast.
Du hast bezüglich der Verstückelung Recht. Ich versuche mit meinen Worten mehr zu implizieren und weniger zu sagen, aber das scheint wohl nicht ganz aufzugehen.
Es betrifft mich sehr, dass du schreibst es sei keine Geschichte.
Liebe grüße,
cristal.

 

Hi Cristal,

Dein Text gefällt mir gut, er hat etwas lyrisches an sich und plätschert leicht dahin. Der Protagonist erlebt eine Wiedergeburt und betrachtet das Geschehen aus einer Art Traumebene, wie im Delirium oder wenn man von starken Betäubungsmitteln wieder runter kommt, es resultiert ein Erkenntnisgewinn. Einige Bilder, der Elefant z.B., sind sehr stark und haben mich festgehalten, ich muss jedoch herrlollek recht geben, für eine Geschichte ist das noch zu wenig. Dabei sind die Möglichkeiten sehr vielfältig, du könntest die Handlung beim Vorbesitzer des Herzen ansetzen, oder an anderer Stelle und müsstest nicht einmal das Krankenbett verlassen.
Die Zerstückelung stört mich wiederum garnicht, die könnte sogar vorteilhaft sein wenn du noch einmal überarbeitest.

Alles in allem ein guter Ansatz, um eine wirklich verstörend schöne Geschichte zu schreiben.

Schöne Grüße

LemPala

 

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