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Ein kleiner Aufschub

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01.12.2008
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Ein kleiner Aufschub

Ein kleiner Aufschub
Ich träume nicht mehr. Ich bin gestorben. Ich bin einfach tot.

Ich sitze in meinem alten mit Rädern versehenen Lehnstuhl dicht an der Wand, um Niemanden zu stören. Sie haben schon mein Zimmer gesäubert und mein Bett ist hinausgeschoben worden. Das neue Bett für die neue Benutzerin steht schon bereit. Die neue Benutzerin sieht es sich genauestens an. Was sie geprüft hat, geht in Ordnung. Man muss es nicht zweimal tun.
Aber warum prüft sie mein Bett?
Es ist nicht nötig,
ich habe es ordentlich hinterlassen.
Es ist nichts kaputt und nichts schmutzig.

Das neue Bett riecht nach frischer Wäsche und nach billigem Parfüm. Die Bewohner mögen das Parfüm nicht. Es ist ihnen zu billig. Ein gutes Parfüm kostet viel mehr Geld, sagen sie. Und das haben sie nicht. Aber ich kann es mir leisten. Ich habe meine Parfümflaschen immer auf den Nachtkasten gestellt, damit sie die Schwestern gleich finden, wenn sie die neuesten Düfte ausprobieren wollten. Die Schwestern müssten mein Angebot ablehnen, aber sie tun es nicht. Und ich sage dazu: Es ist leicht, der Versuchung zu widerstehen, wenn sie sehr klein ist.
Eine etwas größere Versuchung in der Gestalt meiner weiblichen Verwandtschaft naht gerade noch rechtzeitig, um meinen Abtransport beobachten zu können. Während mein Körper ganz sacht über meinen alten Lehnstuhl schwebt, merke ich, wie die schweren Gestalten meiner Verwandten mich in den Stuhl hineindrücken, bei der Suche nach meinen Schmuck, den ich immer reichlich zu tragen pflegte. Heute, ausgerechnet, habe ich darauf verzichtet. Mir war ein wenig übel, und ich hatte das Gefühl, ich würde ersticken, wenn ich mich so sehr behänge. Meine Verwandten suchten in den Taschen und Falten meiner Kleidung, meines Bettes. Ich kam mir vor wie ein Beutetier. Aber sie finden nichts Wertvolles. Sie werden auch keinen wertvollen Schmuck bei mir finden. Ein paar kleinere Schmuckstücke, die ich besaß, hatte ich bereits verschenkt. Die Verwandten daheim bei mir zu Hause haben schon längst nachgesehen und mitgenommen, was sie fanden. Zu fragen, was ich und wem ich etwas gegeben hatte, traute sich keiner.

Der Fahrstuhl hielt mit Getöse in der Etage, in der wir uns gerade befanden. Mein Lehnstuhl wurde mit der Vorderseite zum Fahrstuhlschacht gedreht und leicht abgestoßen. Die Meute ließ ab von mir. Sie zerstoben in verschiedene Richtungen, wie es der schmale Flur gerade zuließ. Er war nicht zu schmal, um sich heimlich zu verständigen. Man musste nur aufpassen, dass nicht die falschen Ohren ausgefahren waren. Wehe, wenn die Oberschwester den kleinsten Verdacht hatte. Sie fuhr dazwischen mit Feuer und Schwert. Beim Gefühl der kleinsten Unredlichkeit. Bei meinen Verwandten hatte sie es nicht getan. Es hatte sich nicht gelohnt. „Bei den paar Pimperlingen im Sparstrumpf.“
Ich lauschte, was man so über mich redete.

„Es ist kein Geld da.“
„Aber sie war dauernd auf der Bank. Was hatte sie dort zu tun?“
„Vielleicht hat sie ihre kleine Rente 20-Euro-weise hingebracht und monatsweise wieder abgeholt.“
„Das wäre Unsinn. Die Kosten wären so hoch wie der Bestand.“
„Das Geld wäre dabei verbraucht.“
„Aber sie war so verrückt.“

Hoppla, was soll denn das? Warum tritt meine Nichte gegen meinen Lehnstuhl? Ich rolle auf den Lift zu, immer schneller werdend. Der ist doch kaputt! Hilfe, Hilfe. Das Geschrei hilft mir
nicht. Mich kann niemand mehr hören.
Ich bin doch tot. Gestorben.
Sie wollten es wohl so. Ich sollte stürzen und wer weiß, was noch passieren wird.
Der Fahrstuhl jedenfalls ist kaputt. Die Tür schließt nicht richtig und die Bodenplatte ist noch unterwegs, wenn die Türen schon offen sind. Aber wir sind hier nicht in einem Krimi.
Rums machte der Lehnstuhl beim Überfahren der viel zu hohen Türkante. Das war noch mal gutgegangen. Es hatte mir nichts weiter ausgemacht, außer dem Ärger über meine Nichte. Die war ja schon früher so gemein, wenn wir zusammen spielten. Wer hatte den Lift manipuliert? Verdammt der Lift war kein Spiel mehr. Wer wusste davon? Diese Frage hatte ich mir gestellt und sie wieder verworfen. Es gab doch niemanden, der mir so viel Böses antun wollte. Aber, es war nicht das erste Mal, dass ich Probleme hatte mit der Technik im Haus. Keiner wollte mir glauben, wenn ich sagte „Mir passiert zuviel“. Ich sollte so was nicht glauben. Das gibt es nicht. Ich bilde mir alles ein. Jedoch, es war tatsächlich viele Dinge passiert.
Woran bin ich eigentlich gestorben?

Weil du manchmal eine richtige alte Hexe warst. Das hatte sie gesagt, meine Enkelin, das süße kleine Mädchen, das nette Geschöpf. Sie wagte es, so mit mir zu sprechen. Sie hatte keine Angst vor mir, meine Enkelein, das nette hilfsbereite Kind. Sie hatte mir an den Kopf geworfen, dass ich ganz schön hinterlistig und gemein werden konnte, eben eine Hexe. Ich ärgerte andere Leute und freute mich, wenn die anderen Leute sich über mich ärgerten. Ihre Vorwürfe machten mir nichts aus. Mich konnten sie nicht mehr erreichen. Mir konnte sie nichts mehr tun. Ich hatte nicht einmal den kleinsten Ruck vom Fahrstuhl gespürt.
Ich bin tot. Gestorben.

Und mich geht alles nichts mehr an. Ich freute mich nur noch, dass sie nichts bei mir daheim gefunden hatten. Weder Geld noch Wertstücke, Münzen und so weiter. An das Porzellan kamen sie nicht heran. Das hatte ich schon lange dem Altersheim vermacht. Und als ich ins Krankenhaus kam, hatte ich den Auftrag gegeben, die Stücke großzügig zu verteilen. Meine bisherigen Mitbewohner werden dafür gesorgt haben, dass kein Stück mehr zum anderen passt.
Aber woran bin ich denn nun gestorben?

Ich weiß es nicht mit Sicherheit.
Wahrscheinlich war es im Schlaf. Ich kämpfte schon mehrere Nächte gegen die Schlaflosigkeit an. Bei mir sammelten sich verschiedenen Pillen; zum Schlafen und zur Beruhigung geeignet. Ich bin strikt gegen diese Medikamente. Meine Mitbewohnerinnen und das Personal in unserem Haus sehen es anders. Manchmal heißt es da sogar viel hilft viel. Und auch ich musste dann doch mal zu den Pillen greifen. Vielleicht hatte ich zu viele genommen. Das kann ja sein, meine Familie kann natürlich auch ihre Drohungen wahr gemacht haben. Sie wollten mich jedenfalls alle tot sehen, weil ich ihnen mein Geld nicht gegeben habe, sondern es versteckt habe.
Aber ist es nicht schade um das schöne Geld. Ich habe es so gut versteckt, dass ich es selbst nicht mehr wieder holen mag. Wem soll ich es geben, meine Zeit ist um, ich kann nicht mehr schalten und walten wie bisher. Und ich habe keine Stimme mehr, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich weiß schon, wem ich es geben möchte, das schöne Geld, unter der Erde vergraben, es ist doch zu vielem nütze. Meine Enkelin sollte es haben. Aber wie fange ich es an. Mir fällt so schnell keine Lösung ein.
Oh wie das, der gefährliche Lift kommt schon wieder angerumpelt, niemand hat den Zwischenfall beobachtet. Wer traut es sich denn, weiter mit ihm zu fahren? Na klar, alle trauen sich. Es weiß ja keiner, dass es gefährlich mit ihm ist. Man, also ich, muss es den Leuten sagen. Der Lift hält, die Türen gehen auf. Es ist alles in Ordnung. Einen Fahrgast hatte der Lift.
Oh das ist meine Enkelin. Süß sieht sie aus. Solange sie ihre große Klappe hält, finden sie alle Leute nett. Aber wehe, wenn sie ärgerlich ist. Heute scheint sie ärgerlich zu sein, sehr ärgerlich sogar. Sie kommt auf mich zu, will mich umarmen und merkt, wie steif ich bin. Erschrocken streichelt meine Hand und sagt: „Musstest du heute sterben, ich wollte dir meinen neuen Computer zeigen. Es ist ein ganz kleiner, der gefällt dir doch bestimmt auch. Wollen wir nicht einen für dich kaufen?
Tot ist tot. Und ich bin tot.

Aber, ich möchte doch mein Geld noch schnell vererben. Was kann ich tun. Wäre ich doch nicht so rigoros gewesen. Jetzt tut es mir leid. Ich sehe meine Enkelin an und versuche zu sprechen, es geht nicht. Das Kind bemerkt meine Misere und schiebt mir Zettel zu, damit ich schreiben kann. Aber auch das gelingt mir nicht mehr ausreichend. Aber auf meinem Schoß der Computer zeigt Spuren von Schreibversuchen. Meine Enkelin legt mir die Hände auf die Tastatur und sieht mich mit großen Augen an. „Lebst du noch ein bisschen, Oma“? „Ja“, flüstere ich ganz leise und versuche, die Finger zu bewegen. Es geht, tatsächlich, ich habe einen Aufschub vom Gevatter Tod. Jetzt muss es schnell gehen. Ich drücke die Tasten, die ich brauche. Dabei mache ich Fehler. Aber gemeinsam kriegen wir den Text zu Stande. Ich sichere sorgfältig die wenigen Worte. Dann lehne ich mich wieder zurück und umklammere das Computerbaby auf meinem Schoß, die letzte Anstrengung meinerseits, um meiner Enkeltochter gegen ihre rücksichtslose Umwelt zu helfen. Sie liest gerade die Schrift auf dem Bildschirm. An ihren Gesichtszügen sehe ich, dass sie genau verstanden hat.

Mein Geld habe ich vergraben, im Garten, vor dem Hühnerstall. Grab es aus. Es gehört dir.
Das Geld liegt unter dem Misthaufen, von dem dich der große Hahn immer angegriffen hat.

Das ganze schöne Geld liegt unter der Hühnerkacke.

Ich höre noch ein lautes Lachen und kurz darauf ein kleines Schluchzen. Ein paar kleine Tränen spürte ich rollen. Das ist der entgültige Abschied. Mehr kann auch Gevatter Tod nicht für mich tun.

 

Hey HaJo!

Das ist ja richtig was fürs Herz. Hab ich jetzt erst gefunden. Hat mir gut gefallen, was Du aus dem alten Drama mit der bösen Oma gemacht hast. Es paßt sehr gut, wie sie denkt; als hörte man sie noch reden, desillusioniert, ein wenig zynisch, distinguiert und aus großem Abstand. Richtig verbittert klingt sie nicht, da muß man sie nicht bemitleiden, das ist gut. Deine Heldin war mir sehr sympathisch. Eine alte Dame.

Das Fettgedruckte würde ich entfetten. Sieht doof aus, so fett.

Die Rechtschreibliste, die ich aus übergroßer Sonntagsfaulheit jetzt nicht mache, wäre kurz und schmerzlos. Du kannst gut und flüssig schreiben, mal gucken, was Du als nächstes schreibst.

Freundlichen Gruß,
Makita.

 

Du hast sehr schöne Kontraste in deiner Geschichte. Und die uralten Redewendungen, die schon in tausenden von Geschichten tausendmal verwendet wurden, wirken bei diesem Thema wunderbar frisch und lebendig.

Es ist nicht nötig,
ich habe es ordentlich hinterlassen.
Es ist nichts kaputt und nichts schmutzig.

Das gefällt mir unheimlich gut, eine ganze Lebensphilosophie.

 

Hallo HaJo!

Wie auch mpunktkreuzer haben mich vor allem die ersten paar Zeilen überzeugt und neugierig auf mehr gemacht. Leider hälst du diese Atmosphäre nur die ersten beiden Absätze lang durch. Danach schwächelt das ganze, besonders bei der Szene mit dem Fahrstuhl. Gefallen hat mir der krasse Schnitt von friedlicher Ruhe zu der Beraubung des toten Leibs. Da war ich schon etwas schockiert.


Was mir spontan negativ auffiel:

Das neue Bett riecht nach frischer Wäsche und nach billigem Parfüm. Die Bewohner mögen das Parfüm nicht. Es ist ihnen zu billig.

Dass es billig ist, wurde ja bereits erwähnt, die Wiederholung empfinde ich als unnötig.

Sie fuhr dazwischen mit Feuer und Schwert. Beim Gefühl der kleinsten Unredlichkeit.

Mach einen Satz daraus: Beim Gefühl der kleinsten Unredlichkeit fuhr sie mit Feuer und Schwert dazwischen. <--So zum Beispiel.

war ja schon früher so gemein gewesen, wenn wir zusammen spielten

Verdammt, der Lift war kein Spiel mehr.

Diese Fragen hatte ich mir gestellt und sie wieder verworfen.

Aber, es war nicht das erste Mal, dass ich Probleme hatte mit der Technik im Haus.

Ohne das erste Komma.

„Musstest du heute sterben, ich wollte dir meinen neuen Computer zeigen. Es ist ein ganz kleiner, der gefällt dir doch bestimmt auch. Wollen wir nicht einen für dich kaufen?"

Soweit erstmal.

Also, schön weiter schreiben, es steckt Potential drin ;)

Gruß, Scharker!

 

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