Ein Mann mit Klasse
Unbeholfen stolpert er die drei Stufen hinab, hinein in den nächtlichen Regen und die Trübseligkeit. Mist! Bin mit den Knien wieder voll auf dem kalten, nassen Asphalt gelandet. Diese beschissene Stadt mit ihren beschissenen Einwohnern. Mal befühlen. Tut ein bisschen weh, bluten wird es aber schon nicht. Er dreht sich unsicher um, würde gerne etwas rufen, hat aber nicht den Mut, nicht die Lust. Bringt ja doch nichts. Dann den Blick von oben auf seine bereits durchnässten Sachen. Ach was soll’s? Er ballt seine frierenden Hände und schlägt gegen die morsche Türe, die Schmerzen ignorierend. Na kommt doch, ihr könnt mich doch mal alle! Bis die Tür von innen her plötzlich aufgetreten wird. Zwei finstre Gestalten mit breiten Schultern.
»Hast noch nicht genug?«, sagt einer.
»Wir prügeln’s schon aus dir raus«, der andere. Ist jedes Mal wieder faszinierend, wie das Adrenalin das Schlimmste kompensiert. Oh, autsch. Scheisse. Hat echt grosse Hände der Kerl. Und dann sind sie wieder verschwunden, hinter der Tür. Baff, ist sie zu und ich geniesse das Echo in dieser dreckigen Gasse. Gegen die graue Wand sitzend. Verflucht, haben mir ja das schöne Hemd versaut. Voller Blut. Er wischt sich mit der Hand über den Mund, die Hand rotgefärbt. Seine Tina fällt ihm ein und er zieht’s die Nase hoch. Die wird das grösste Übel sein. Macht bestimmt ein Affenaufstand, wenn sie ihn so sieht. Völlig zerstört. Wieder in die Zange genommen von denen. Hab ja versprochen aufzuhören. Was ist das denn für eine Welt, wo man nicht mal mehr seinen Hobbys nachgehen darf! Ach Tina, hätte auf dich hören sollen, als es noch nicht zu spät war. Hast ja Recht, Baby. Finger weg von den Glückspielen, jajajajajajaja, hast ja Recht! Seine Augen verdüstern sich, starr auf die Türe gerichtet. Aber wenn. Aber wenn. Aber wenn. Wieder schlägt er dagegen. Gleich kommen sie! Ohhh, verdammt! War zu langsam. Die Misttür hat mich heftig im Gesicht erwischt. Glaub, ein Eckzahn ist flöten gegangen. Yeah, noch mehr Blut. Das Adrenalin hat nicht mehr dieselbe Wirkung und er möchte sich bei jedem Schlag in den Magen krümmen, aber dazu kommt er nicht. Es dauert länger als beim ersten Mal. Was er sieht, sind graue Wände, grauer Regen und rote Konfetti.
»Genug?«
»Noch mal, du Penner?«
»Hört mal Jungs, ich-« Die Magengegend zieht sich zusammen und dehnt sich wie ein Ballon aus Pein wieder auseinander. Er stöhnt. Wartet mal, nicht mehr zuschlagen. Ach scheisse, kann noch nicht reden. Muss mich erst erholen. Ah, mit der Hand eine abweisende Geste machen.
Halb abwesend blickt er die beiden von unten her an, weiss, sein Gesicht sieht wunderbar aus. Malträtiert. Bitte Lächeln. Ein einzelner harter Schlag trifft ihn gegen den Wangenknochen, die mächtigen Knöchel voraus. Wie eine Lehre. Nicht mehr lächeln, eh? Aber bei dem Gedanken, kann er es sich nicht verkneifen und kassiert eine zweite Faust. Er verliert das Gleichgewicht und die Kraft. Sehe wahrscheinlich wie einer dieser mit Drogen vollgedröhnten aus. Juhu, Delirium. Juhu, träumen. Juhu, Blutlache. Das Hemd ist jetzt eh im Arsch. Er überwindet sich selbst und zeigt den Mittelfinger.
»Ich fasse es nicht.«
»Na so einen harten Brocken hatte ich wirklich noch nie.« Er hört ihnen zu, die Stimmen wie aus Weiten die niemand kennt.
»Was machen wir jetzt? Glaub nicht, dass der wieder aufsteht.«
»Nicht unser Problem. Wir tun ja nur unsern Job.«
»Ja, war auch ein hartes Stück Arbeit, dieser Haufen hier.«
»Was hat er eigentlich verbockt?«
»Na was wohl, du saublöder Gorilla? Hat beim Spielen verloren.«
»Und dafür wird man verprügelt?« Einen Moment setzt Stille ein. Er kommt ihm so unendliche lange vor, dass er die Zeit findet, den Geschmack von verregnetem, blutgetränktem Asphalt zu definieren. Riecht irgendwie nach rostigem Stahl. Na jedenfalls, muss ich an rostigen Stahl denken, wenn ich das hier rieche. Was die jetzt wohl mit mir machen?
»Aaaah!«
»Was ist?«
»Beim Spielen geht’s um Geld. Wetten, der hatte keins bei sich!«
»Wollen wir?«
»Du saublöder Gorilla, ist doch bloss so eine Redensart.«
»Achso!« Aus der Weite die niemand kennt, schallen Tritte, werden leiser, leiser, leiser. Stille. Grau. Grau. Rot. Und dann ist alles fort.
*
Zuhause drückt er mit dem ganzen Gewicht seines schlaffen Körpers die Türklinge herunter und fällt auf Knien in den Flur. Er ist nass, unterkühlt und mit eitrigen Krusten im Gesicht übersät. Ich fühl mich toll. Zitternd vor Schwäche versucht er sich aufzurichten, verharrt dann aber mitten in der Bewegung und röchelt: »Tina. Scheisse, Tina, bist du da?« Nichts. Ach, du verfickte Schlampe. Bist auch nur zum Bumsen gut genug. Wieso gibt man solchen nutzlosen Dingern überhaupt eine Stimme, wenn sie ja eh nur rumquäken? Wozu das gute gute Hirn, wenn’s ja doch nur eine Verschwendung ist?
Wütend und erbärmlich schleift er sich den Boden entlang, den Teppich mit einer Blutspur versehend. Ohne irgendwelchen Grund versucht er die Couch zu erreichen, auf der die Fernbedienung liegt, sein Ziel. Ja, komm zu Papa, mein Liebling. Genau dich brauche ich jetzt. Er streckt eine Hand aus, greift nach der Lehne und zieht sich hoch, Minute für Minute, mit viel, viel Mühe. O mein Gott. Offene Wohnungstüre. Blutspur. Und ein Zombie auf der Couch, fernsehend. Nachrichten. Hier Krieg, dort Krieg. Hier Friedensabkommen, dort Friedensabkommen. Zapp. Werbung. Die neuste Innovation in der Weiterentwicklung von Besen. Sonnige Ferienorte. Zapp. Sender wurde gelöscht. Zapp. Porno.
»Aaaaiiiiiiiihhhhhh!« Das Kreischen kommt ebenfalls aus Weiten. Mit offenem und versabbertem Mund lässt er seinen Kopf ein bisschen zur Seite fallen, um sehen zu können. Ah, Tina. War einkaufen. Die Taschen liegen fallengelassen da, die Sachen überall im Flur verteilt. Obst auf rotem Grund. Macht sich irgendwie gut. Schöne Farbkombination. Uhhh, und ihr Gesicht. Hätte ich doch bloss eine Kamera und die Kraft, sie zu bedienen. Scheiss drauf, ist eh hässlich.
»Wie lange willst du mich noch anstarren, du dumme Schlampe? Komm und helf mir.« Vorsichtig macht sie ein paar Schritte, haltet ein, die Hand vor dem Mund, aufgerissene Augen. »Du sollst mir helfen, Schlampe.«
»Liebling?«
»Ja, genau.«
»Liebling, was ist mit dir passiert?«
»Nichts.«
»Aber wer hat dich denn so zugerichtet?«
»Niemand, verdammt.« Ich lasse meinen Kopf hängen. Ob sie mir das glaubt? Na dumm genug wäre sie schon. Ich seh’ vielleicht aus. Atme ein. Atme aus. Schmerzen.
Er neigt seinen Kopf nach hinten und starrt an die Decke. »Ich hab ja den ganzen lieben langen Tag nichts besseres zu tun, als diese Scheisse zu ertragen, weisst du?«
»Oh! Entschuldige.« Unsicheres Gestammel. Unsicheres Gesicht. Hat keine Ahnung, die Kuh. Ist ja schon ganz weiss. Ein leises, krächzendes Lachen entfällt ihm. Tut weh.
»Hey, Tinaschätzchen.«
»Ja?«
»Bläst du mir einen?«
»Oh. Oh, ja natürlich, mein Liebling.« Benommenheit. Euphorie. Bahnhof. Würd mich ja totlachen, wenn’s nicht so wehtun würde. Scheisse, die tut’s ja wirklich. Hmm, fühlt sich gut an. Er schliesst die Augen und verschliesst sich vor dem Rest, vor dem Leben. Vor der Tatsache, dass die Wohnungstür noch immer offen steht. Als er sie nach einer Weile wieder öffnet, sieht er sich um, nimmt die Fernbedienung in die Hand und drescht sie einmal sauber über Tinas Kopf. Aauuuu! Scheisse! Weg da! Weg! Mund auf, du Schlampe! Gottverfluchtescheissverficktehurentochter! Diese leblose Puppe zur Seite werfen und nach ihrer Brieftasche greifen. Wird’s mir schon verzeihen. Mein Hemd war ihr ja auch egal.
Er sieht sie an. Fühlt nichts. Ist aber zufrieden. Dann blickt er auf die Brieftasche in seiner Hand und ist überglücklich. Aufmachen. Kärtchen, Fotos, Kram. Ahh, Scheine. Grüne liebe Scheine. Hat genug. Ein Wunder. Japp, sollte reichen. Zielstrebig sucht er nach dem Telefon, weil er dessen Standort vergessen hat. Ob er überhaupt eins hat? Wie könnte er sich’s denn leisten? Spielt keine Rolle, da steht’s ja. Nummer wählen. Tipptipp. Im Hintergrund hört er noch immer das Gestöhne und Geschreie des Pornos.
»Ja?«
»Hey, ähm, ich bin’s.«
»Wer?«
»Na ja, der von gestern. Sie wissen schon.«
»Ah ja, der Wichser ohne Geld, richtig?«
»Genau der.«
»Hab gehört, meine Männer hätten sie ganz schön in die Mangel genommen.« Erinnerungen. Grau. Grau. Rot. Leere.
»Ja, kann sein. Bin nicht sicher.«
»Jedenfalls klingen sie ungesund.«
»Oh. Ja. Jaja, hab jetzt eine schöne Sauerei in meiner Wohnung.«
»Glaub ich.« Dann: Schweigen. Was wollte ich doch gleich? Bin ganz schön beschummert. Noch immer. Ah ja!
»Ich hab das Geld.«
»Gut, bringen sie’s doch bitte her.«
»Nein, eh, geht nicht, bin hin.«
»Achso, verstehe. Ich schicke meine Männer, in Ordnung?«
»Einverstanden. Ich will’s ihnen aber persönlich geben. So als Geste der Entschuldigung. Sie gestatten.«
»Gewiss.« Adresse.
*
Im Auto sitze ich auf Plastikfolie. Diese Spiesser. Hat doch langsam nachgelassen, die Blutung. Er holt nochmals das Bild von Tina in Erinnerung. Total leerer Blick. Sinnfrei. Einfach nur weg. Ihre purpurgefärbten Haare in alle Richtungen zerzaust, weil er sie an den Haaren gepackt hatte, um sie von sich wegstossen zu können. Sein Penis mit dem billigen Lippenstift beschmiert. Die ist doch das Make-up nicht wert, aus dem ihre gefälschte Schönheit gemacht ist.
Und dann wieder die zwei selben finstren Typen, ohne Ankündigung durch die Tür schreitend, ihn unter die Arme greifend und das ganze Haus hinunter schleppend. Haben nicht mal »guten Tag« gesagt, diese Barbaren. Unten auf der Strasse stopften sie ihn förmlich ins Auto, auf den Rücksitz, auf den Plastik. Bisher nicht ein einziges Wort.
»Redet wohl nicht viel, was?« Beifahrer nimmt Notiz. Böser Blick. Erhobene Faust. Warnung. Drohung. Bitte lächeln. Der Beifahrer läuft rot an und will gerade Hand anlegen.
»Nein, lass ihn.«
»Wieso?«
»Der Boss sagt’s.«
»Der Boss ist aber nicht hier, oder?«
»Ja, aber wir müssen ihn ja bei ihm abliefern.«
»Können wir ja dann immer noch machen, oder?«
»Du saublöder Gorilla, er soll aber noch leben.«
»Aha!«
»Ja!«
»Gut.« Amüsant. Genau wie zwei Türvorsteher aus einem billigen Krimistreifen. Guck, ich bin stark! Oh, und guck, ich bin dumm! Hirnlose Primaten.
Der Wagen hält an. Sie steigen aus und zehren mich wieder aus dem Auto. Einer trägt mich auf der Schulter. Wie ein Sack. Wie ein Sack voller Blut. Flutsch, flutsch, flutsch. Sehe wie eine rote Linie von meiner Oberlippe heruntertrieft und dem Kerl die Jacke versaut. Muss lachen.
»Schnautze.« Schlag auf meinen Arsch.
Wir passieren die morsche Türe. Aus seiner Situation sieht er nur die graue Wand. Aha! Grau. Grau. Rot. Jetzt hab ich’s wieder. Genau, und das rote Konfetti und so. Scheisse, bin ja immer noch benebelt. Er ahnt, dass er viel Blut verloren hat. Innere Blutung wahrscheinlich. Plötzlich wird er fallen gelassen. Wie ein Sack voller Blut. Flutsch, platsch!
»Ah, wen haben wir denn da?« Mit ironischer Miene streckt er ihm das Gesicht entgegen. »Oh, huuuuu, sieht böse aus.« Der Kerl sitzt mit ein paar anderen am Tisch und spielt Karten. Müssen wohl Gäste sein.
»Geht schon.« Hole das Geld aus der Tasche. »Hier. Hier, ihre Monetten. Persönlich, so wie ich’s versprochen habe.« Mit pedantisch voneinander abgespreizten Fingern nimmt er die Scheine. Will wohl kein Blut. Dabei geht’s ja auf seine Kappe. Er zählt nach.
»Ja, es stimmt.«
»Ehrensache.«
»Ja, wirklich. Sie sind ein Mann mit Klasse.«
»Danke sehr.«
»Möchten sie mitspielen? Wir Pokern. Der Einsatz steht momentan bei zweihundert.« Ein Grinsen für die ganze Runde.
»Aber gerne.«