Ein neues Leben
Ein neues Leben
Die Dunkelheit ist zu Ende.
Ich habe keine Ahnung wie lange ich dort war. Ein paar Tage? Wochen ? Vielleicht sogar Jahre? Zeit ist so unwichtig geworden für mich.
„Na, Du bist aber eine Süße! Guddiguddi…“
Meine Güte, warum müssen Erwachsene immer so reden? Ich bin ein Baby und kein geistiger Krüppel! „Und die Stupsnase. Ganz die Mama!“ Tatsächlich? Na wenigstens etwas.
Wie lange bin ich jetzt schon hier? Nach einer Weile habe ich aufgehört die Tage zu zählen. Es dürften jetzt ca. vier Wochen sein.
„Hallo Baby, hallo Baby… Du Du Du Du …“
Das ist ja furchtbar! Die sollten mir mal lieber die Windel wechseln. Es ist wirklich kein angenehmes Gefühl mit nassem Hintern hier rumzuliegen.
„Oooh… warum schreist Du denn so?“ Geht doch nicht anders ihr Deppen!
So habe ich mir das alles nicht vorgestellt. Sicher, ich hatte schon öfter mal über Wiedergeburt nachgedacht. Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir allerdings nicht in meinem bewegten Leben. Geboren 1920. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen in einem hessischen Rheindorf. Eigentlich hatte ich eine unbeschwerte Kindheit. Dann kam Adolf an die Macht. Zuerst war ich im Jungmädelbund, mit Achtzehn dann beim BDM. Mit Zwanzig bekam ich eine Stellung im Sekretariat der NS Kommandantur in Mainz. Ich war ein fleißiges Mädchen, was mir den Respekt meiner Vorgesetzten einbrachte. Aber auch viele Neider auf den Plan rief. „SS-Hure!“ wurde ich in unserem Dorf gerufen. Meine Mutter glaubte die schmierigen Gerüchte, die über mich verbreitet wurden und verprügelte mich obendrein noch dafür.
„So, jetzt ist dein Popöchen wieder trocken.“ Na endlich!
Dann kam der Krieg. Es war furchtbar. Fliegeralarm! Ich stand in Mainz am Bahnhof und wartete auf den Zug. Rings um mich herum fielen die Bomben, die Erde bebte. Der Zug kam nicht, weil eine Brücke getroffen wurde. Also lief ich durch den Bombenhagel nach Hause.
Ein Wunder, dass mir nichts passierte.
Dann kam die Zeit in der die Versorgungslage immer kritischer wurde. Meine Mutter packte meine kleine Schwester in unseren Bollerwagen und wir gingen auf die umliegenden Felder Kartoffeln stehlen. Manchmal auch in den naheliegenden Wald Brennholz sammeln. Einmal wären wir fast vom Förster erwischt worden.
„Warum schreist du denn immer noch?“ Ich habe Hunger!
1950 habe ich geheiratet. Es folgten 50 Jahre Ehehölle mit einem Alkoholiker als Mann.
Wie oft wollte ich einfach wegrennen. Aber da waren ja noch die Kinder. Sieben hungrige Mäuler, die eine Mutter brauchten.
„So, hier ist dein Fläschchen.“ Wurde ja auch Zeit!“
Mein Mann starb als ich 77 war. Es folgten drei harmonische Jahre.
Dann ging es ganz schnell. Drei Schlaganfälle kurz hintereinander und es war vorbei.
„La Le Lu….“
Ich bin müde.
Aber Morgen werde ich wieder erwachen- erwachen in einem neuen Leben.